Gotra
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Gotra (Sanskrit, n., गोत्र, gotra) ist ein indischer Verwandtschaftsbegriff und am besten mit Klan oder Lineage zu übersetzen. Das Gotra-System wurde bereits gegen Ende der vedischen Epoche (900-500 v.Chr.) von indischen Brahmanen beschrieben, kommt jedoch nicht nur bei Brahmanen vor. Es bezeichnet ein patrilineares System von exogamen Clans, die sich auf einen gemeinsamen Urahn beziehen, von dem sie auch ihren Namen erhalten (vergleichbar der römischen Gens).
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[Bearbeiten] Bedeutung
Ein Gotra ist die ganze Gruppe von Personen, die von einem gemeinsamen der folgenden Stammväter abstammen: bei den Brahmanen sind es die die sieben Rishis (Seher) Jamadagni, Gautama, Bhardvaja, Atri, Vishvamitra, Kashyapa, Vasishtha und Agastya, andere Gruppen zählen mythische Herrscher bzw. Krieger oder Kaufleute zu ihren Vorfahren.[1] Heirat zwischen Mitgliedern des selben Gotras ist strengstens verboten. [2] Die Frau erhält bei der Geburt das Gotra ihres Vaters, das sie bei der Hochzeit wieder abgibt, um das ihres Mannes anzunehmen, womit sie strenggenommen nicht mehr als Blutsverwandte ihrer Eltern gilt.
Auch im Buddhismus und Jainismus finden wir Gotra, wobei die Definition jedoch zum Teil von der des Hinduismus abweicht. Der weitläufig bekannteste Gotra-Name ist denn wohl auch der des Buddha: Gautama.
[Bearbeiten] Gotras im Rigveda
Das Wort gotra taucht im Rigveda bereits mehrmals auf, nicht aber im Sinne von "Clan" oder "Familie", sondern mit der etymologischen Bedeutung "Vieh-, Rinderstall". Unklar ist, ob sich die "Clan"-Bedeutung, die in der Brahmana-Periode (um 800 - 500 v.Chr) üblich wurde, über den Bedeutungsumweg "Herde" hiervon abgeleitet hat oder ob wir es mit einem eigenständigen Wort zu tun haben. [3] Den literarischen Nachweis des Heiratsverbots für Mitglieder eines Gotras finden wir jedoch erst in den Sutras. [4]
[Bearbeiten] Gotras in den Sutras
Hauptinformationsquelle über die Organisation des Gotra-Systems sind Listen von in Klassen eingeteilten Brahmanen-Familien in den Anhängen der rituellen Sutras des Yajurvedas und Rigvedas. Mit den Dharmashastratexten (ab 300 n.Chr.) setzen sich die Gotra-Regeln immer mehr durch und werden ab dem 11. Jahrhundert nahezu obligatorisch. Viele Werke werden verfasst, in denen die Autoren die verschiedenen Quellen aus den einzelnen Sutras zusammenführen und diese erläutern. [5] Alle Texte aus dieser Zeit (die wiederum auf den um ca. 1500 Jahre älteren Sutra-Quellen basieren) sind sich einig, dass es 18 Gotras gibt, die sich aus den ursprünglich acht Hauptgotras entsprechend der acht Urahnen abzweigen. Jedes Gotra ist unterteilt in mehrere ganas, Untergruppen. Gotras und Ganas werden nach ihrer Wichtigkeit geordnet. [6]
[Bearbeiten] Einführung der Pravaras
Im Laufe der Zeit hat sich die Bedeutung des Wortes Gotra erweitert und wurde auf immer kleinere Untergruppierungen übertragen, so dass "Gotra" in den späteren brahmanischen Texten sowohl für die exogame Einheit des Clans als auch für Familien und Unterfamilien und sogar den sozialen Status generell verwendet wurde. Durch dieses uneindeutig gewordene Verständnis des Begriffes an sich, war nicht mehr ersichtlich, welchem Hauptgotra jemand angehört, eine sichere Klassifizierung zweier Heiratskandidaten nicht mehr möglich. Brough nimmt an, dass aus diesem Grund von den Brahmanen die pravaras zu Hilfe genommen und neu interpretiert wurden, um als zuverlässigereres Reglement für das Heiratssystem zu fungieren. Pravaras sind Listen von Namen legendärer Vorfahren, unter anderem die bereits genannten Rishis, die als ferne Gründer der Familie angesehen werden und im Shrautaritual rezitiert wurden, um durch die magische Kraft dieser Namen Agni (Gott des Feuers) zu einem erfolgreichen Opfer zu bewegen. [7] Als Resultat der Einbindung der Pravaras in familiäre Angelegenheiten wurde deren Rezitation Teil des häuslichen Rituals. Ein moderner Brahmane rezitiert seine Genealogie dreimal täglich bei den Gebeten im Rahmen des Sandhya-Rituals (Ritual der Morgendämmerung). [8]
[Bearbeiten] Verhältnis von Gotras, Ganas und Pravaras
Jedes Gotra ist, wie bereits erwähnt, unterteilt in mehrere Ganas, das der Bhrigus beispielsweise in sieben, jeder Gana hat einen eigenen Pravara mit meist drei, teilweise auch fünf, Rishi-Namen. Alle Ganas eines Gotras haben i.d.R. mindestens einen Pravara-Namen gemein – den des namengebenden Sehers des Hauptgotras, im Falle der Bhrigus ist dies Bhargava. Zwei Pravaras gelten bereits als "gleich" und verbieten somit eine Hochzeit, wenn sie einen gemeinsamen Rishi aufweisen (mit Ausnahme der Bhrigus und Angirasa, bei denen eine Hochzeit noch dann möglich ist, wenn nicht die Mehrzahl der Namen zweier Pravaras übereinstimmen).
[Bearbeiten] Verbot des Systems und Weiterverwendung
Obwohl das Gotra-Pravara-System nach dem "Hindu Marriage and Divorce Act" von 1955 gesetzlich verboten ist, findet es in brahmanisch-sanskritischen Schichten, vor allem in Südindien, weiterhin Anwendung. Meist wird nach der modifizierten Vier-Gotra-Regel verfahren. Hierbei werden vier Gotras bei jedem potenziellen Partner herangezogen: das eigene, das der Mutter (vor ihrer eigenen Hochzeit) und die der beiden Großmütter (ebenfalls vor ihrer Hochzeit). Wenn zwei der acht Gotras identisch sind, darf die Heirat nicht stattfinden.
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Das Baudhayana Shrauta Sutra definiert gotra als "saptānām ṛṣīnām agastyāṣṭamānāṃ yad apatyaṃ tad gotram" zitiert nach Brough (1953)
- ↑ "He who marries the daughter of a man of his own gotra or pravara is to be subjected to the same punishments and penances, etc., as one who sins with his mother (…)" (Brough (1953): 55).
- ↑ Brough hält jedoch die "hymn-families" des Rigvedas für die direkten Vorfahren der Hauptgotras der Sutras. Diese waren Opfergemeinschaften mit der Struktur einer Sippe - Blutsverwandschaft war nicht obligatorisch -, die beim vedischen Opfer einen gemeinsamen Stammvater anriefen.
- ↑ Trotzdem nimmt Brough an, dass auch diese frühen Clans exogamen Regeln folgten (siehe Brough: "The early history of the gotras").
- ↑ Das wichtigste, weil früheste und umfassendste unter diesen mittelalterlichen Werken ist die Hauptquelle für Broughs Standardwerk unserer Zeit zum Gotra- und Pravara-System, das von ihm kritisch übersetzte gotra-pravara-manjari des Purushottama-Pandit.
- ↑ Die Klassifizierung stimmt (mit Ausnahme des Vaikhanasa Dharma Sutra) in allen Texten überein. An erster Stelle stehen die Bhrigus (Jamadagnis), dann folgen die drei Unterteilungen der Angiras: Gautama, Bharadvaja und Kevala Angirasa.
- ↑ Das Pravara-System wurde wahrscheinlich in der frühen Brahmana-Periode entwickelt, seine Anfänge gehen möglicherweise bis in die Zeit der späten Rigveda-Hymnen zurück. Durch die Bedeutung, die der Pravara für die Hochzeitsregulierungen erhielt, hat sich umgekehrt wiederum seine Bedeutung im Ritual verändert. In den zum Yajurveda gehörigen Texten und den älteren Sutras taucht die Pravara-Zeremonie ausschließlich als Element des Shrautarituals auf.
- ↑ vgl. Monier Williams Brahmanism and Hinduism (1887): 407.
[Bearbeiten] Literatur
- Friedrich Engels: Geschichte der Familie, des Privateigentums und des Staates (beschreibt ähnliche Systeme von Heiratsverboten), ausgehend von:
- Johann Jakob Bachofen: Das Mutterrecht. Suhrkamp, 9.Aufl. 1997 ISBN 3518277359 (Erstauflage 1861)
- Brough, John (1953): The early brahmanical system of gotra and pravara. A translation of the gotra-pravara-man͂jarī of Puruṣottama-Paṇḍita. Cambridge: University Press.
- Brough, John: The early history of the gotras in JRAS, 1946, 1947.
- Kane, P.V.(1974): History of Dharmashastra. Bd.2a. Poona: Bhandarkar Oriental Research Institute.
- Michaels, Axel (1998): Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart. München: C.H.Beck, S. 137ff