Knittelvers
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Der Knittelvers ist ursprünglich ein deutsches Versmaß des 15. bis frühen 17. Jahrhunderts (Hans Sachs), das in aller nicht gesungenen Dichtung, also in Lyrik, Epik und Dramatik gleichermaßen Verwendung fand, und heißt übersetzt nichts anderes als "Reimvers" (knittel heißt im Frühneuhochdeutschen 'Reim'). Wegen seiner vermeintlichen Unregelmäßigkeit wurde er bisweilen auch abschätzig "Knüttelvers" genannt (nach knüttel für 'Knüppel, Keule'). In den (lateinisch verfassten) Verslehren der Zeit hieß er "Usitatissimus" ('der allergebräuchlichste [Vers]'). Es ist eine irrige Annahme, dass der Knittelvers nach dem Abt Benedikt Knittel (1650-1712) benannt ist.
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[Bearbeiten] Form
Die einzige Vorschrift für den Knittelvers bestand darin, dass immer zwei aufeinanderfolgende Zeilen sich reimen müssen (Paarreim). Man unterscheidet seit Andreas Heuslers dreibändiger Deutschen Versgeschichte (1925-29) zwischen dem strengen Knittelvers, der (je nach Kadenz) aus 8 oder 9 Silben pro Verszeile besteht, und dem freien Knittelvers, der in der Silbenzahl variieren darf.
Entgegen einer lange gepflegten Auffassung war der Knittelvers im 15. und 16. Jahrhundert weder vierhebig noch füllungsfrei noch in alternierendem Rhythmus geschrieben. Dieses Missverständnis geht auf eine veränderte Handhabe des Knittelverses durch Goethe und seine Zeitgenossen zurück. Man zählte nun – gemäß der Prosodie des Neuhochdeutschen – nicht mehr Silben wie noch im Frühneuhochdeutschen (nach dem Vorbild französischer Metrik), sondern – gemäß der Opitz'schen Versreform – Hebungen. Der strenge Knittelvers wurde entsprechend umgebaut zu einem jambisch alternierenden Vierheber. Daraus sich ergebende Unregelmäßigkeiten in Rhythmus und Verslänge führten zum Konzept der "Füllungsfreiheit". Dieses Prinzip der Füllungsfreiheit nun rückwirkend auch auf den frühneuhochdeutschen Knittelvers anzuwenden wäre allerdings unsinnig, da ein silbenzählendes Metriksystem keine metrisch relevanten Akzente, also keine 'Hebungen' und 'Senkungen' kennt.
Der auf diese Weise entstandene neuhochdeutsche Knittelvers, wie er z.B. in Goethes Faust zur Anwendung kommt, hat sich jedoch als eigenes Versmaß in der deutschen Metrik etabliert. Im Unterschied zum alten Knittelvers sind in ihm zudem nicht nur der Paarreim, sondern auch Kreuzreim, Schweifreim, umarmender Reim, sogenannte 'Waisen' und andere Reimformen erlaubt.
[Bearbeiten] Verwendung
Im 15./16. Jahrhundert war der Knittelvers das übliche Versmaß im Drama, in den (damals noch versifizierten) erzählenden Dichtungen (siehe Versepos) und in nicht gesungenen, meist didaktischen oder satirischen Gedichten. (In gesungener Lyrik hingegen waren relativ freie Strophen- und Versformen üblich, die in den später so benannten Madrigalvers eingingen.) Früh verwendet wurde der Knittelvers von dem Nürnberger Fastnachtspieldichter Hans Rosenplüt (1400-1460). In Sebastian Brants (1457-1521) satirischem Lehrgedicht Das Narrenschiff (1494) und in den Werken Hans Sachs' (1494-1576) und Johann Fischarts (1546-1590) herrscht der strenge Knittelvers vor.
Die Dichter des Barock bekämpften die ihrer Meinung nach kunstlose Form des Knittelverses, woraufhin der Knittelvers für längere Zeit fast nur noch in volksstümlicher Dichtung oder scherzhaften Werken Verwendung fand. Dies änderte sich erst wieder mit dem Sturm und Drang, als sich Autoren bewusst von klassischen Vorbildern ab- und deutschen Formen zuwandten. Klassisch geworden ist die Verwendung des Knittelverses in Goethes Faust, wo er die 'altdeutsche' Kulisse des Fauststoffes illustriert. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird der Knittelvers kaum noch, und wenn, dann fast ausschließlich für komische Dichtung verwendet. Entsprechend häufig ist er z. B. in Büttenreden zu finden.
[Bearbeiten] Literatur
- Hans-Jürgen Schlütter: Der Rhythmus im strengen Knittelvers des 16. Jahrhunderts. In: Euphorion 60 (1966), S. 48-90.
- Christian Wagenknecht: Deutsche Metrik. Eine historische Einführung, C.H. Beck, München 1981 u.ö., ISBN 3-406-45630-8
- Dieter Breuer: Deutsche Metrik und Versgeschichte, W. Fink/UTB, München 1981 u.ö., ISBN 3-8252-0745-5