Kontingenz (Soziologie)
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Kontingenz (lat. contingere: sich ereignen / spätlat.: Möglichkeit) ist ein in der Philosophie und in der Soziologie, vor allem der Systemtheorie (Niklas Luhmann, Talcott Parsons) gebräuchlicher Begriff, um die prinzipielle Offenheit und Ungewissheit menschlicher Lebenserfahrungen zu bezeichnen.
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[Bearbeiten] Beschreibung
Die soziale Welt wird als eine unter vielen möglichen wahrgenommen, wobei es zufällige und nicht-zufällige Konditionierungen des Möglichen gibt. Der Begriff Kontingenz bedeutet insofern eine Negation von Notwendigkeit und Unmöglichkeit. - Selbst die Wahrnehmung der Welt ist kontingent, beruht auf Unterscheidungen und Konstruktionen, welche auch anders sein und gemacht werden könnten. Die prinzipielle Offenheit menschlicher Einstellungen und Handlungen, die zu Komplexität führt, wird durch Bildung von sozialen Systemen reduziert.
Erkenntnistheoretisch betrachtet ist Kontingenz das (seinerseits kontingente) Wissen darüber, dass jedes Wissen relativ ist. Absolutes Wissen ist prinzipiell unmöglich. "Es kann immer auch ganz anders sein". Kontingenz hat sich zu einem zentralen Begriff der Erkenntnistheorie entwickelt. Er zeigt, dass in sich geschlossene und gleichzeitig universelle Theorien nicht möglich sind. Erkenntnis entsteht vielmehr in selbstreferentiellen Prozessen.
Ein Spezialproblem der Kontingenz ist die doppelte Kontingenz. Sie beschreibt die Unwahrscheinlichkeit von gelingender Kommunikation, wenn zwei Individuen ihre Handlungen jeweils von den kontingenten Handlungen des Gegenübers abhängig machen.
Die Systemtheorie nach Niklas Luhmann sieht eine Zunahme der Komplexität des Sozialen im Zuge der funktionalen Differenzierung moderner Gesellschaften. Handlungsoptionen haben zugenommen und müssen zunehmend individuell begründet werden. Somit sind Kontingenzerfahrungen wahrscheinlicher geworden.
Luhmann nahm diesen Begriff im Sinne von Aristoteles auf, welcher Kontingenz als nicht notwendig und nicht beliebig sah. Was wie oben schon angedeutet bedeutet: es könnte auch anders sein.
[Bearbeiten] Literatur
- Rüdiger Bubner/Konrad Cramer/Reiner Wiehl (Hrsg.): Kontingenz. Neue Hefte für Philosophie Nr. 24/25, Vandenhoeck & Rupprecht, Göttingen 1985.
- Elena Esposito: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode. (Aus dem Italienischen von Alessandra Corti). Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004.
- Markus Holzinger: Der Raum des Politischen. Politische Theorie im Zeichen der Kontingenz, Wilhelm Fink Verlag, München 2006.
- Markus Holzinger: Die Einübung des Möglichkeitssinns. Zur Kontingenz in der Gegenwartsgesellschaft, Bielefeld 2007.
[Bearbeiten] Kontingenzbewältigung
Kontingenzbewältigung ist die Einschränkung des Risikos, enttäuscht zu werden. Das Risiko der Enttäuschung entsteht durch Ungewissheiten, für die man keine Erklärung hat (Kontingenz). In der Kulturgeschichte des Menschen wurden dazu viele Strategien entwickelt, um die Welt berechenbarer zu gestalten. Zentrale Bedeutung hat hier die Religion.
[Bearbeiten] Religion
Hermann Lübbe setzt Religion und Kontingenzbewältigung gleich: "Religion ist Kontingenzbewältigung!". Ein religiöses Deutungssystem z.B. schränkt Kontingenz ein: Die Organisation Kirche legt sehr genau fest, an was man zu glauben hat, wie man diesen Glauben leben sollte, welche Texte verbindlich sind, welcher Ritus gilt usw., wenn eine Person Mitgliedschaft in dieser Organisation beabsichtigt. Dies ist Einschränkung von Kontingenz und insofern eine "Bewältigung" religiöser Bedürfnisse (bezeichnenderweise glauben Menschen in bestimmten Kulturkreise nicht an beliebige Dinge, sondern an spezifisch vermittelte - also sozialisierte). Von daher wäre der Glaube an Gott bereits Reduzierung von Enttäuschungsrisiko und damit ein praktikabler Weg von Kontingenzbewältigung (zumal Religion für ziemlich viele komplexe Angelegenheiten vermeintlich einfache Lösungen anbietet).
[Bearbeiten] Literatur
- Hermann Lübbe: Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung, 1998, in: Gerhart von Graevenitz, Odo Marquard (Hg.): Kontingenz, Poetik und Hermeneutik 17, München. 35-47.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Weblink
- Universität Erfurt: Interdisziplinäres Forschungsprojekt am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien [1]