Kruzifix-Beschluss
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Kruzifix-Beschluss | ||||||||
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verkündet 16. Mai 1995 |
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Leitsätze | ||||||||
1. Die Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, verstößt gegen Art. 4 Abs. 1 GG. 2. § 13 Abs. 1 Satz 3 der Schulordnung für die Volksschulen in Bayern ist mit Art. 4 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig. |
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Richter | ||||||||
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abweichende Meinungen | ||||||||
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Angewandtes Recht | ||||||||
Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz, § 13 Abs. 1 S. 3 Schulordnung für die Volksschulen in Bayern |
Kruzifix-Beschluss (umgangssprachlich auch Kruzifix-Urteil) wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts genannt, mit der Teile der Bayerischen Volksschulordnung für verfassungswidrig erklärt und für nichtig erklärt wurden, wonach in jedem Klassenzimmer der Volksschulen in Bayern ein Kruzifix oder zumindest ein Kreuz anzubringen war. Der Kruzifix-Beschluss ist eine bedeutsame Entscheidung zum Verhältnis von Religion und Staat in Deutschland.
Beschwerdeführend waren drei Schüler sowie deren Eltern, die Anhänger der anthroposophischen Weltanschauung und gegen eine christliche Einwirkung auf ihre Kinder durch die Kruzifixe waren.
Das Gericht sah die durch das Grundgesetz uneingeschränkt gewährte Religions- und Glaubensfreiheit der Schüler aus Art. 4 GG verletzt, hier die sog. negative Glaubensfreiheit. In diese dürfe der einfache (Landes-)Gesetzgeber nicht im Rahmen sonst oft vorhandener Grundrechtsschranken eingreifen. Darüber hinaus hob das Gericht hervor, dass der Staat nicht nur eine religiöse Neutralitätspflicht aus der Verfassung habe (Art. 4 GG und Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung). Er könne sich vielmehr nicht selbst auf Religionsfreiheit oder eine bestimmte Weltanschauung berufen (hier also die christliche), da jedenfalls der Staat keine Religion hat und keine Grundrechte haben kann.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Kernaussagen
Für die Rechtsentwicklung in Deutschland ist die Kruzifix-Entscheidung v.a. deshalb bedeutsam, weil das Verfassungsgericht konkretisierende Prinzipien für die Neutralitätspraxis in der Schule formulierte:
- Neutralität durch Selbstrestriktion, wonach der Staat im Sinne der o.a. Kriterien nicht selbst eine weltanschauliche Position beziehen darf, wie es sonst ein Bürger als Grundrechtsträger tut,
- Neutralität durch Pluralität, wonach der Staat das Nebeneinander der Religionen im Lichte einer toleranten und gegenseitigen Akzeptanz dulden und fördern soll,
- keine Neutralität durch Sterilität, wonach der Staat nicht völlig teilnahmslos den Weltanschauungen gegenüber steht oder etwa seinen Bediensteten jegliche religiöse Betätigung untersagt. (Dies ist in der späteren Kopftuch-Entscheidung im Ergebnis fortgeführt, jedoch in Details eingeschränkt worden).
[Bearbeiten] Detailaussagen
- Das christliche Kreuz ist kein lediglich kulturelles Symbol und kein überreligiöses Symbol für Humanität oder Barmherzigkeit. Es ist das Symbol einer spezifischen Religion.
- Art. 4 GG schützt davor, dass der Bürger in einem staatlich geschaffenen Pflichtraum (Schulpflicht) dem Einfluss eines bestimmten Glaubens ausgesetzt wird, ohne sich diesem entziehen zu können.
- Auch für Personen im Sonderrechtsverhältnis wie etwa Schüler gilt das Grundrecht der Religionsfreiheit uneingeschränkt.
- Bei Kindern unter 14 Jahren, die sich nicht auf die Religionsfreiheit berufen können, wird durch das "Kreuz in der Schule" die Freiheit der Eltern verletzt, ihre Kinder im Sinne einer bestimmten Weltanschauung zu erziehen (Art. 6 Abs. 2 GG – Erziehungsfreiheit).
- Die Religionsfreiheit der Schüler bzw. das Erziehungsrecht der Eltern untereinander ist zu einem "schonenden Ausgleich" nach den Grundsätzen praktischer Konkordanz zu bringen.
[Bearbeiten] Folgen der Entscheidung
Mit dem Änderungsgesetz vom 23. Dezember 1995 zum Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz (GVBl. 850) wurden für Grund- und Hauptschulen neue differenzierende Regelungen geschaffen. Diese Vorschriften sind vom BVerfG als verfassungsgemäß bestätigt.
Der §13 der bayerischen Volksschulordnung wurde abgeschaft. Lediglich der 3. Absatz des Artikel 7 der bayersichen Verfassung ist neu. Demzufolge ist eine gütliche Einigung zu treffen, wenn die Erziehungberechtigten durch einsehbare Gründe dem Anbringen eines Kreuzes widersprechen.