Staat
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Als Staat bezeichnet man seit der europäischen Neuzeit jede politische Ordnung, die ein gemeinsames als Staatsgebiet abgegrenztes Territorium, ein dazugehöriges Staatsvolk und eine Machtausübung über dieses umfasst, vergleiche auch Drei-Elemente-Lehre. Eine allgemeingültige Definition solcher Ordnungen gibt es nicht. Der Staat steht zwar in enger Verbindung mit der Gesellschaft, er ist dennoch kein Teil selbiger.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Begriff
Das deutsche Wort „Staat“ ist dem lateinischen status („Stand, Zustand, Stellung“) entlehnt. Das daher stammende italienische lo stato kam in der Renaissance auf und bezeichnete dort die mehr oder weniger stabile Verfassungsform einer Monarchie oder Republik. Der status regalis meinte Stellung, Macht und Einfluss des zur Herrschaft gelangten Königs oder Fürsten, später auch seines Anhangs, des Hofstaats. Die französische Übersetzung état konnte dann auch auf den ökonomischen Haushalt der Zentralmacht, später auch auf die rechtliche und politische Einheit aller Staatsbürger eines Staatsgebiets bezogen werden.
Mit dieser Wortgeschichte ging der historische Wandel politischer Gebietskörperschaften einher, so dass sich der neuzeitliche Staatsbegriff nur bedingt auf ältere Herrschaftsformen anwenden lässt. Ältere griechische und lateinische Begriffe wie polis (Stadtstaat), civitas („Bürgerschaft“), res publica („öffentliche Angelegenheit“), regimen („Königsherrschaft“), regnum („Königreich“) oder imperium („erobertes einheitlich regiertes Herrschaftsgebiet“) bezeichnen je einzelne, ebenfalls nicht verallgemeinerungsfähige Aspekte ähnlicher Sachverhalte.
Für Niccolò Machiavelli (1469–1527) waren alle menschlichen Gewalten, die Macht über Menschen haben, „Staat“. Für Jakob Burckhardt (1818-1897) ist der Staat damit eine der wesentlichen Kräfte neben Religion und Kultur, die die menschliche Geschichte bestimmen.
Entscheidende Bestandteile der Begriffsbedeutung sind in jedem Fall eine irgendwie geartete politische Vereinigung einer größeren Menschengruppe, die in einem mehr oder weniger geschlossenen Gebiet unter einer mehr oder weniger einheitlichen Form der - etablierten, durchgesetzten oder beschlossenen - Machtausübung leben. Diese drei Hauptkriterien haben sich im modernen Völkerrecht seit Georg Jellinek (1851-1911) herauskristallisiert. Zum Staat im heutigen Sinne gehört eine politische Instanz, die zur Schaffung und Wahrung von Recht und öffentlicher Ordnung in der Gesellschaft zuständig ist und diese mittels einer Verwaltung, dem Staatsapparat, auch durchsetzen kann.
[Bearbeiten] Entstehung
Über die Entstehung von einheitlich verfassten politischen Gemeinwesen gibt es historisch recht verschiedene Theorien, die oft mit der Legitimation einer aktuellen Staatsform verbunden sind. Schon Aristoteles führte die Polis auf eine ursprüngliche Veranlagung des Menschen als zoon politicon zu einem geordneten Miteinanderleben zurück.
Neue Staaten können heute vor allem auf vier Arten entstehen. So kann aus einem Staat A durch Sezession eines Teils von ihm ein neuer Staat B entstehen, oder es entstehen durch Dismembration eines Staates A zwei neue Staaten X und Y. Umgekehrt kann auch ein Staat B in einen bestehenden Staat A inkorporiert werden oder durch Fusion zweier Staaten X und Y ein neuer Staat A entstehen.
[Bearbeiten] Typen
Aristoteles ordnete die vorfindlichen Herrschaftsformen im Anschluss an Platon und Herodot nach sechs Grundtypen, wobei er drei positive Typen ihren jeweiligen Entartungen gegenüberstellte:
- Monarchie (Alleinherrschaft)
- Tyrannis (Diktatur)
- Aristokratie (Elitenherrschaft)
- Oligarchie (Herrschaft einer besitzenden Clique)
- Demokratie (Volksherrschaft, autonome Selbstregierung des Volkes)
- Ochlokratie (Pöbelherrschaft).
Cicero ließ nur die drei positiven Typen als res publica gelten. Heutige Staatsformen nehmen meist den Begriff der Demokratie für sich in Anspruch, auch dort, wo die Partizipation der Bevölkerung an politischen Entscheidungsprozessen faktisch stark eingeschränkt ist. Der in Europa und den USA vorherrschende Staatstyp ist durch Parlamentarismus und Repräsentative Demokratie geprägt.
[Bearbeiten] Soziologie
Max Weber definiert in seiner Herrschaftssoziologie Staat als einen solchen politischen Anstaltsbetrieb, dessen Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwanges (also das Gewaltmonopol) für die Durchführung der Ordnungen in Anspruch nimmt (Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Kap. 1, § 17). Für den modernen Staat sind nach Max Weber Territorialität, Gewaltmonopol, Fachbeamtentum und bürokratische Herrschaft kennzeichnend. Dem Anspruch nach hat sich diese Form politischer Herrschaft spätestens seit der Epoche des Kolonialismus global verbreitet (vgl. Schlichte 2005).
Der soziologischen Staatsidee Franz Oppenheimers folgend ist der Staat seinem Wesen und Ursprung nach eine Einrichtung, "die von einer siegreichen Menschengruppe einer besiegten Menschengruppe aufgezwungen wurde mit dem einzigen Zwecke, die Herrschaft der ersten über die letzte zu regeln und gegen innere Aufstände und äußere Angriffe zu sichern." [1]
[Bearbeiten] Ökonomie
Als Staat bezeichnet man in der Volkswirtschaftslehre jedes hoheitlich tätige Wirtschaftssubjekt, beispielsweise eine Regierung, eine Verwaltung sowie teilweise eine Institution sui generis. Der Staat wird als Summe aller Zwangsverbände betrachtet. Staatliches Handeln im volkswirtschaftlichen Sinn umfasst demnach die Tätigkeit aller politischer Ebenen (d. h. kommunaler, regionaler und bundesstaatlicher Einrichtungen).
Der Staat wird als wirtschaftlich agierendes Subjekt unter dem Aspekt seiner Rolle und Bedeutung für eine Volkswirtschaft betrachtet. Die Volkswirtschaftslehre sieht den Staat als zentralen Träger der Wirtschaftspolitik an. Über Ordnungspolitik, Strukturpolitik und Prozesspolitik soll er die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftssystems sicherstellen.
In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist der Staat ein Element des Wirtschaftskreislaufs. Er greift über monetäre Transaktionen in Marktabläufe ein: etwa durch Staatskäufe von Waren und Dienstleistungen als auch durch Steuern und Transferzahlungen (z. B. Subventionen). Die Steuerung dieser einzelnen Positionen (Fiskalpolitik) beeinflusst den Haushaltsplan und die Staatsverschuldung.
Die Betrachtung des Staates als Wirtschaftssubjekt bezieht sich aber nur auf von einer Regierung direkt oder indirekt kontrollierte Einrichtungen. Demnach gehören unabhängige Zentralbanken nicht dazu. Unklar ist die Abgrenzung zwischen Staats- und Unternehmenssektor; allgemein werden beispielsweise Staatsunternehmen, die einer Gewinnerzielungsabsicht unterliegen, dem Unternehmenssektor zugerechnet. Liegt keine Gewinnerzielungsabsicht vor, so wird eine betriebliche Tätigkeit zumeist ökonomisch als Staatstätigkeit angenommen.
Zur Unterscheidung oder Kongruenz von Staat und Gesellschaft siehe Staat und Gesellschaft.
[Bearbeiten] Völkerrecht
Gemäß der Konvention von Montevideo hat ein Staat folgende Eigenschaften aufzuweisen:
- eine stabile Kernbevölkerung (Staatsvolk)
- einen geographischen abgegrenzten Raum der Erdoberfläche (Staatsgebiet, Territorium)
- eine souveräne Regierung, die effektiv Staatsgewalt ausübt
- die Fähigkeit, mit anderen Staaten in politischen Kontakt zu treten, d. h., ein Völkerrechtssubjekt zu sein.
Die klassische Staatsrechtslehre nennt nur die ersten drei Merkmale (Drei-Elemente-Lehre Jellineks).
Es ist allgemein anerkannt, dass bei Erfüllung der ersten drei Kriterien der Völkerrechtssubjekt-Status vorliegt.
Für die Aufnahme in die als "alternative UNO" bekannte UNPO wird nur die Existenz einer Bevölkerung vorausgesetzt. Allerdings ist die UNPO lediglich eine Nichtregierungsorganisation ohne jeden völkerrechtlichen Status. Eine UNPO-Mitgliedschaft hat somit ausschließlich symbolischen Wert, möglicherweise auch politisches Gewicht, jedoch keine rechtsverbindliche Wirkung.
Bei der völkerrechtlichen Anerkennung handelt es sich nicht um einen rechtlichen, sondern einen politischen Prozess. Sie ist für die Staatsqualität nicht konstitutiv. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die politische Wirkung durchaus zu einer schnelleren Staat-Werdung beitragen kann.
Die Frage der Staatennachfolge wurde von Völkerrechtlern überwiegend nach Völkergewohnheitsrecht beurteilt. Zwar wurden die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Verträge vom 23. August 1978 sowie die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden von Staaten vom 8. April 1983 abgeschlossen, doch sind diese völkerrechtlichen Verträge nur für die Vertragsparteien bindend.
[Bearbeiten] Rechtsprechung deutscher Gerichte
- Palästina: OVG Münster, NVwZ 1989, 790 f., Urteil vom 14. Februar 1989, Az. 18 A 858/87.
- Sealand: VG Köln, DVBl. 1978, S. 510 ff., Urteil vom 3. Mai 1978, Az. 9 K 2565/77.
[Bearbeiten] Anzahl
Insgesamt gibt es 193 vollständig (von der UN) anerkannte souveräne Staaten. Darunter fallen die 192 Mitglieder der UN sowie die Vatikanstadt. Weitere Staaten sind nur von einer Minderheit der weltweiten Staaten anerkannt, dies sind unter anderem die Republik China, Somaliland, Westsahara (DARS), die Cookinseln, Niue und die Türkische Republik Nordzypern.
[Bearbeiten] Siehe auch
Wiktionary: Staat – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme und Übersetzungen |
- Staatstheorie
- Staatliche Souveränität
- Schwacher Staat
- State Building
- Staatssoziologie
- Liste unabhängiger Staaten
- Failed State
- ISO 3166
[Bearbeiten] Literatur
- Arthur Benz: Der moderne Staat. Grundlagen der politologischen Analyse. München: Oldenbourg 2001. ISBN 3-486-23636-9.
- Gotthard Breit, Peter Massing (Hrsg.): Der Staat. Ideengeschichtliche Grundlagen, Wandel der Aufgaben, Stellung des Bürgers. Eine Einführung. Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2003. ISBN 3-89974-072-6.
- Stefan Breuer: Der Staat. Entstehung, Typen und Organisationsstadien, Reinbek: Rowohlt 1998. ISBN 3-499-55593-X.
- James R. Crawford: The Creation of States in International Law. 2. Aufl. Oxford: Oxford University Press 2006. ISBN 0-19-826002-4.
- Ernst Forsthoff: Der Staat der Industriegesellschaft, 2. Aufl. München: Beck 1971.
- Karl Held (Hrsg.): Der bürgerliche Staat. München: GegenStandpunkt 1999. ISBN 3-929211-03-3. Link.
- Helmut Kuhn: Der Staat. Eine philosophische Darstellung. München: Kösel 1967.
- Franz Oppenheimer: Der Staat. Neudruck der 3. überarbeiteten Auflage von 1929. Berlin: Libertad 1990. Link.
- Wolfgang Reinhard: Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart. München: Beck 2002. ISBN 3-406-45310-4.
- Murray N. Rothbard: The Anatomy of the State. Link.
- Klaus Schlichte: "Der Staat in der Weltgesellschaft. Politische Herrschaft in Asien, Afrika und Lateinamerika". Frankfurt am Main: Campus 2005. ISBN 3-978-35933788-17.
- Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen. 7. Aufl. Berlin: Duncker und Humblot 2002. ISBN 3-428-08725-9.
- Stefan Talmon: Kollektive Nichtanerkennung illegaler Staaten. Grundlagen und Rechtsfolgen einer international koordinierten Sanktion, dargestellt am Beispiel der Türkischen Republik Nord-Zypern. Tübingen: Mohr Siebeck 2006. ISBN 3-16-147981-5.
- Hans-Peter Waldrich: Der Staat. Das deutsche Staatsdenken seit dem 18. Jahrhundert. München: Olzog 1973. ISBN 3-7892-7063-6.
- Weltbank (Hrsg.): Weltentwicklungsbericht 1997. Der Staat in einer sich ändernden Welt. Washington, DC: Weltbank 1997. ISBN 0-8213-3772-6.