Patholinguistik
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Patholinguistik (griech. πάθος (pathos) <Leid>) ist eine von Günter Peuser 1978 vorgeschlagene Bezeichnung für eine linguistische Teildisziplin, die das gesamte Gebiet der Sprach-, Stimm- und Sprechstörungen aus linguistischer Perspektive umfassen soll, sich jedoch im Fachsprachgebrauch nicht durchgesetzt hat. [1]
Gegenstand der Patholinguistik (auch: Sprachpathologie) ist die gestörte Sprache, die ein Gebiet darstellt, auf dem mehrere Disziplinen wie die Neurologie, Phoniatrie, Psychologie und Pädagogik seit langem tätig sind. Daher ist es der Patholinguistik möglich, von den Ergebnissen dieser Forschungsgebiete auszugehen. Von gestörter Sprache spricht man, wenn ein Kommunikationspartner bei einem Sprecher bzw. Schreiber (Hörer bzw. Leser) der gleichen Sprachgemeinschaft ein Verhalten wahrnimmt, das von den Normen und Varietäten der Gemeinschaft abweicht. Die Patholinguistik hat das Ziel, das gesamte Gebiet der Sprachstörungen anhand von linguistischen Fallbeschreibungen aufzuarbeiten, und zwar unbeschadet der jeweiligen medizinischen, psychologischen oder pädagogischen Zuständigkeiten. [2]
Gestörte Sprache umfasst damit in der Sicht der Patholinguistik sämtliche Störungen der Erwachsenen- und Kindersprache wie Schizophasie, Aphasie, Dysarthrie, Legasthenie, Rhinolalie, Sigmatismus etc. Man unterscheidet zunächst einmal zwischen Störungen der erworbenen Sprache (vollständiger oder partieller Verlust der Fähigkeit, die Sprache gemäß den gemeinen Normen zu gebrauchen) und Störungen des Spracherwerbs (Unfähigkeit eines Kindes, gemäß den Normen zu sprechen). Erstere, die Störungen des Sprachbesitzes, werden zudem noch einmal nach der Art der Verursachung (organisch oder nicht-organisch) unterschieden. [3]
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Zentrale Sprachstörungen
In der Patholinguistik werden zentrale Störungen des Sprachbesitzes sowie zentrale Störungen des Spracherwerbs unterschieden. Weiter unterteilt man diese in organisch und nicht-organisch bedingte Störungen. Unter organisch bedingte zentrale Störungen des Sprachbesitzes fällt beispielsweise die Aphasie, die Agraphie, die Dysarthrie und Sprachstörungen bei seniler Demenz, Morbus Alzheimer, multipler Sklerose, Parkinson- und Korsakoff-Syndrom, Epilepsie. Nicht-organisch bedingte Ursachen für eine zentrale Störung des Sprachbesitzes sind bei Gesunden Versprecher und sprachliche Ausfälle unter Stress, Müdigkeit oder Alkohol wohingegen nicht-organisch begründbare Störungen bei Kranken erkennbar sind an psychotischen und neurotischen Sprachstörungen, Stottern, Schizophasie etc. Untersucht man Sprachstörungen in Bezug auf den Spracherwerb lassen sich ebenfalls nicht-organisch bedingte Störungen (z.B. Sprachentwicklungsverzögerung, primäre Legasthenie, Mutismus) und organisch bedingte Störungen (z.B. Sprachentwicklungsbehinderung, sekundäre Legasthenie, Sprachstörungen bei Oligophrenie, Mongolismus) differenzieren.
[Bearbeiten] Periphere Sprachstörungen
Des weiteren existieren nach Peuser sogenannte periphere Störungen. Periphere Störungen des Sprachbesitzes sind z.B. Sprachbehinderung durch erworbene Schwerhörigkeit, nach Laryngektomie etc. Unter peripheren Störungen des Spracherwerbs versteht man Sprachentwicklungsbehinderungen durch (angeborene) Gehörlosigkeit oder Blindheit, Rhinolalie, Palatolalie.
[Bearbeiten] Beispiel: Störung der Lexeme
Diese Art von Störung ist auch unter dem Begriff der Wortfindungsstörung bekannt, das heißt ein Sprecher versucht eine Lücke, die in seiner Redekette entsteht, durch Ersatzwörter zu vertuschen in dem Vertrauen darauf, dass der Kontext das Gemeinte hinreichend verdeutlicht. Wenn nun kein Wort einfällt, wird in der Rede kurz pausiert in der Hoffnung auf eine Art Selbstdeblockierung oder dem hilfreichen Einwurf des Gesprächspartners. Schließlich füllt der Sprecher dann diese Pause mit Erklärungen oder Fragen. Dieselbe Strategie findet sich bei kranken Sprechern wieder. Beispiel: Ein 45-jähriger Musiker leidet unter einer amnestischen Aphasie nach Schädelhirntrauma Normalsprechender (x): und wie war es dann mit Ihrer Sprache/als Sie wieder zu sich kamen? Aphatiker (xx):konnt überhaupt nicht mehr sprechen/ x: die Sprache war ganz/weg/ xx: war ga/war ganz weg//der/da/bis darunter war a/alles// wie sagt man da...?/ x: Sie zeigen den rechten Arm und das rechte Bein/das war alles/äh/ ...// xx: das war nicht/also/es war nicht besser/äh//konnt es nicht mehr be/nicht mehr bewegen// x: es war alles gelähmt?/ xx: gelähmt alles/ja/.../ Der Patient arbeitet hier mit einer Pause, Frage und Periphrase ("konnt es nicht mehr bewegen" statt "das war alles gelähmt").[4]
[Bearbeiten] Literatur
Helmut Glück (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. Metzler, Stuttgart/ Weimar 1993. Günter Peuser: Patholinguistik: ein neues Gebiet der angewandten Sprachwissenschaft. in: Cristoph Gutknecht (Hrsg.): Grundbegriffe und Hauptströmungen der Linguistik. 1. Auflage. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1977, S. 156-168. Günter Peuser und Stefan Winter (Hrsg.): Angewandte Sprachwissenschaft. Grundfragen - Bereiche - Methoden.Bouvier Verlag Herbert Grundmann, Bonn 1981. André Martinet (Hrsg.): Linguistik. Ein Handbuch. J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1973. Stephan von Block: Von der Systemlinguistik zur Patholinguistik. Interdisziplinäre Verflechtung anwendungsbezogener Forschung. Peter Lang GmbH Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1998.
[Bearbeiten] Weblinks
- Zentrum für angewandte Patholinguistik
- Verband für Patholinguistik
- Didaktik Sprachheilkunde
- Patholinguistik als Studiengang
[Bearbeiten] Einzelnachweise
- ↑ Helmut Glück (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. Metzler, Stuttgart/ Weimar 1993, S. 478.
- ↑ Günter Peuser: Patholinguistik: ein neues Gebiet der angewandten Sprachwissenschaft. in: Cristoph Gutknecht (Hrsg.): Grundbegriffe und Hauptströmungen der Linguistik. 1. Auflage. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1977, S. 156f.
- ↑ Günter Peuser: Patholinguistik: ein neues Gebiet der angewandten Sprachwissenschaft. in: Cristoph Gutknecht (Hrsg.): Grundbegriffe und Hauptströmungen der Linguistik. 1. Auflage. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1977, S. 156ff.
- ↑ Günter Peuser: Patholinguistik: ein neues Gebiet der angewandten Sprachwissenschaft. in: Cristoph Gutknecht (Hrsg.): Grundbegriffe und Hauptströmungen der Linguistik. 1. Auflage. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1977, S. 160f.