Römerlager Hedemünden
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Das Römerlager Hedemünden befindet sich am Rand des Ortes Hedemünden, einem Stadtteil Hann. Mündens in Niedersachsen.
Der Kreisarchäologe des Landkreises Göttingen, Dr. Klaus Grote, trat am 6. April 2004 mit einer archäologischen Sensation an das Licht der Öffentlichkeit: Auf dem Burgberg bei Hedemünden stellte er die Entdeckung eines römischen Lagers vor. Der Burgberg liegt auf einer Hochfläche oberhalb des Steilhangs über dem Werratal, rund 60–90 m über der Talsohle. Unterhalb davon befindet sich die Werrafurt des Fernweges von Nordhessen ins südniedersächsische Leinetal.
Genau auf der Trasse dieses Weges, an einer Stelle zwischen Hedemünden und Ellerode, die „Im Eichholze“ genannt wird, wurde im Jahr 1855 mit den Resten eines Tongefäßes ein Schatzfund römischer Münzen entdeckt. Bis auf zwei Stücke sind die Typen unbekannt geblieben, denn der restliche Münzfund wurde eingeschmolzen[1]. Erwähnt sind lediglich ein Stück der Gens Minucia und eines der Gens Mamilia. Bei letzterem muss es sich um den Denartyp Cra 362/1, geprägt von C. Mimilius Limetanus in Rom im Jahr 82 v. Chr., gehandelt haben. Dieser Typ ist ein Serratus, der unter den römischen Fundmünzen aus der Zeit des Augustus, in Kalkriese zum Beispiel, durchaus gängig ist.
Die Ausgrabungen und Prospektionen der Göttinger Kreisarchäologie unter Dr. Klaus Grote (Stand: November 2006) förderten fünf Geländekomplexe zutage.
Das „Lager I“ (als Ringwall "Hünenburg" lange bekannt, aber irrtümlich als germanische Fluchtburg angesehen) ist eine länglich ovale Anlage von 320 × 150 m bei einer flach-welligen Innenraumfläche von 3,215 Hektar. Ihn umgibt eine Wall/Grabenanlage von 760 m Länge, in der vier Tore nachgewiesen wurden. Sie befinden sich jeweils in der Mitte der West-, Ost- und Südflanke sowie im Südosten. Ein zusätzliches Nordtor ist nicht nachweisbar. Wall und Graben wurden durch Profilschnitte überprüft. Der Wall hat heute eine Basisbreite von 5–6 m und eine Höhe von 0,8–1,2 m. Er war vermutlich einst als sog. Holz-Erde-Mauer konstruiert, d. h. die Außenfront des Walles war durch eine senkrechte Pfosten- und Bohlenwand verbaut. Die Gesamthöhe von Grabenbasis bis Wallkrone wird mit 3,5 m geschätzt. Unter der Wallanschüttung fanden sich auf der ehemaligen Oberfläche drei eiserne Pionieräxte (Dolabrae) und eine Pionierschaufel. Im Zuge der Prospektion und vor allem der Grabungen fanden sich im Lager I Gefäßscherben von einheimischer jüngereisenzeitlicher Keramik, von römischer importierter Drehscheibenware, eine Serie römischer Münzen. Dazu kommen fünf unbestimmbare keltische Kleinmünzen. Drehmühlen aus Basaltlava zeugen von der alltäglichen Nahrungsbereitung. Als Einzelfunde sind z. B. eine Aucissafibel und ein Phallusamulett aus Bronze zu nennen. Auffällig ist die große Zahl von eisernen Waffen-, Werkzeug- und Geräteteilen, die auf das römische Militär zurückgehen, wie z. B. Pilumreste, Tüllenlanzenspitzen, Katapultgeschossbolzen, Lanzenschuhe, Zeltheringe, Ledermesser, eine Sense, Baubeschläge, Pfrieme und Durchschläge, Nägel und Kettenteile. Außerdem liegt eine große Anzahl typischer Sandalenbeschlagnägel vor. Vom römischen Tross stammen vermutlich Anschirrungsteile (Trense, Zugjoch) und Wagenteile (Nabenringe und -hülsen, Achsnägel, Felgennägel, Achsenfragmente). Alle Objekte werden zeitnah fachlich restauriert (Fa. H. Biebler, Körner bei Mühlhausen, Thüringen). Funde wie Eisenschlacken und technische Bronze- und Bleiabfälle weisen auf Metallverabeitung hin. Im Waldboden des Lagerinnenraums sind oberirdisch deutliche Spuren von Gebäuden vorhanden, und zwar als gelegte Reihen und Vierecke aus großen unbearbeiteten Sandsteinblöcken. Offensichtlich handelt es sich um die Fundamentierungen von Holz-Lehm-Bauten in Fachwerk- oder Bohlenbauweise. Zu denken ist an Horrea, d. h. große Vorratsbauten mit "schwebenden", unterlüfteten Böden, aber auch an Mannschaftsbaracken und andere Funktionsbauten. Durch die Grabungen wurden diese Steinsetzungen bereits mehrfach bestätigt, z. B. mit Nachweis von verbranntem Baulehm und unterirdischen Grubeneinbauten. Die 2005 und 2006 im Lager I durchgeführte Magnetometerprospektion (durch Fa. Posselt & Zickgraf Prospektionen GbR, Traisa und Marburg) ergab direkte Hinweise auf mindestens zwei weitere Großgebäude, die vielleicht als Principia und als Praetorium anzusprechen sind. Außerdem können an mehreren Stellen im Lager unterirdische Gruben lokalisiert werden; in einem Fall hat die Überprüfung durch eine Probegrabung eine steingesetzte Feuerstelle ergeben.
Das „Lager II“ ist eine kleinere Anlage von fast rechteckiger Grundrissform, direkt südlich an das „Lager I“ anschließend und offenbar als Annex zeitgleich mit diesem. Die Innenraumfläche beträgt 1,3 Hektar. Auch hier wurden Wall (vermutlich von einer Holz-Erde-Mauer) und Spitzgraben eindeutig nachgewiesen, wobei die Spitzgrabenverfüllung intensive Brandreste enthält. Hierbei handelt es sich wohl um die abgebrannten Reste einer Wallbewehrung aus Flechtwerk mit Lehmverputz. Zwei C14-Analysen ergaben die übereinstimmende Datierung in die augusteische Zeit. Gefunden wurden in diesem Bereich eine (vierte) Dolabra, zwei eiserne Hammerdechsel, Tüllenlanzenspitzen, Katapultbolzen, Sichelteile, eiserne Nägel, Sandalennägel, Zeltheringe und Baubeschläge.
Der Bereich III ist ein westliches Vorgelände von „Lager I“ mit einer auffälligen Fundkonzentration römischer Metallobjekte auf 150 × 150 m. Wall- und Grabenanlagen sind hier nicht erkennbar. Zu den Funden gehören eine Silbermünze der Römischen Republik, eine Kupfermünze des Augustus (?), eine 40 cm lange Pilumstange, eine Pilumzwinge, zwei Katapultbolzen, Sandalennägel, ein Glockenklöppel und diverse Baubeschläge.
Das mutmaßliche „Lager IV“ liegt östlich unterhalb des Burgberges. Es könnte rund 15 - 18 Hektar umfasst haben. Die Südflanke, oberhalb eines Steilhanges zur Werraniederung gelegen, zeigt Reste einer Wallbefestigung, jeweils mit abgerundeten rechtwinkligen Ecken im Westen wie Osten. Auffällig sind hier Keramikfundstreuungen und Strukturen im überackerten Gelände. Es handelte sich vermutlich um ein Marschlager. Bis zur endgültigen Sicherheit durch Probegrabungen bleibt das Lager IV noch fraglich.
Als Bereich V werden mehrere Geländeterrassen bezeichnet, die im oberen Osthang zwischen den Lagern I, II und IV liegen. Ihre Datierung ist noch zu klären, in einem Fall hat die Probegrabung ergeben, dass es sich um eine kleine rechtwinklige Wall- und Grabenstruktur mit verbrannter Palisade gehandelt hat, die östlich an das Lager II als Annex angebaut war. Aus den anderen Terrassen liegen bereits Keramikreste vor, dabei ist eine Scherbe Terra Sigillata bemerkenswert.
Die insgesamt rund 700 gesicherten römischen Metallfunde (Stand November 2006) lassen einen Vergleich mit anderen Funden aus frühkaiserzeitlichen Lagern und Plätzen wie Haltern, Xanten, Nijmegen, Kalkriese (Bramsche), Rödgen (Bad Nauheim), Waldgirmes, Hofheim und Dangstetten zu. Auffällig ist die in Größe und Form bestehende Ähnlichkeit mit Rödgen (3,3 Hektar) in der Wetterau. Die Datierung ist über die Serie der Münzen gesichert. Neben zwei republikanischen älteren Silberprägungen sind dafür die Bronzemünzen ausschlaggebend. Die Mehrzahl besteht hier aus Nemausus-Prägungen der Serie I (Asse und Dupondien), die zwischen 16 und 8 v. Chr. in Nemausus, dem heutigen Nimes in Südfrankreich geprägt wurden und bis in die vorgeschobenen Legionsstützpunkte im Norden an den Rhein gelangt sind. Von dort wurden sie in großer Zahl als Sold an die Legionäre ausgegeben, so dass sie zu den Hauptfundmünzen in den frühen Feld- und Nachschublagern in der Germania gehören. Somit ist der Stützpunkt von Hedemünden in die frühe Phase der Okkupationsvorstöße nach Germanien zu datieren, der als Oberadenhorizont bezeichnet wird. Die Vorstöße wurden damals (zwischen 12 und 9 v. Chr.) unter Drusus (Stiefsohn des Kaisers Augustus) von Xanten und Mainz aus geführt. Der letzte dieser Feldzüge führte 9 v. Chr. von Mainz aus über Hedemünden weiter nach Südniedersachsen und um den Harz herum bis an die Elbe.
Das Lager Hedemünden wurde nach all dem um ca. 11 bis 9 v. Chr. gegründet. Es bestand mindestens bis 8 oder 7 v. Chr., eventuell auch noch bis in die Jahre nach Chr. und bis zur Varusschlacht 9 n. Chr. Letztlich kann es noch einmal in den Jahren 15 und 16 n. Chr. während der römischen Revanchefeldzüge unter Germanicus eine Rolle gespielt haben. Mit Hedemünden wurde ein wichtiger strategischer und logistischer Lagerkomplex der römischen Vorstöße entdeckt. Er orientierte sich an der Überquerung einer alten Fernstraße, die von Nordhessen nach Südniedersachsen führte, über die Werra, die als Oberlauf der Weser noch rund 150 km weiter flussaufwärts schiffbar war und gleichermaßen eine wichtige überregionale Verkehrs- und Handelslinie darstellte. Bis heute gilt Hedemünden als einziges in Niedersachsen nachgewiesenes Römerlager, es ist das bislang am weitesten nach Osten vorgeschobene Lager in Germanien.
Die Forschungsmaßnahmen der archäologischen Denkmalpflege des Landkreises Göttingen wurden seit 2004 durch zahlreiche Sponsoren und auch Stiftungen (Niedersächsische Sparkassenstiftung, Niedersächsische Lottostiftung) ermöglicht. Von 2006 bis 2009 erfolgt eine wesentliche Finanzierung durch Forschungsmittel der Niedersächsischen Landesregierung (Ministerium für Wissenschaft und Kultur).
[Bearbeiten] Literatur
- Klaus Grote: Stützpunkt der römischen Expansionspolitik. Das Römerlager bei Hedemünden an der Werra. Ein Vorbericht. In: Göttinger Jahrbuch 52 (2004), S. 5–12.
- Klaus Grote: Römer an der Werra. Das Militärlager bei Hedemünden im südlichen Niedersachsen. Archäologie in Niedersachsen 8, 2005, S. 113-117.
- Klaus Grote: Römerlager Hedemünden. Herausgegeben vom Mündener Heimat- und Geschichtsverein Sydekum. Hann. Münden 2005. 82 Seiten. ISBN 3-925451-358
- Klaus Grote: Das Römerlager im Werratal bei Hedemünden (Ldkr. Göttingen). Ein neuentdeckter Stützpunkt der augusteischen Okkupationsvorstöße im rechtsrheinischen Germanien. In: Germania 84 (1. Halbband), 2006, S. 27-59.
- Weitere Berichte sind Ende 2006 und Anfang 2007 erschienen: im Reallexikon der Germanischen Altertumskunde/Hoops, Bd. 33, 2006, S. 485-489; in: Hessen in der Antike. Die Chatten vom Zeitalter der Römer bis zur Alltagskultur der Gegenwart, Kassel 2006, S. 70-87; im Göttinger Jahrbuch 54, 2006, S. 5-19; In: Fundchronik Niedersachsen 2005, Beiheft 12 der Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte, Stuttgart 2006, S. 64-68.
[Bearbeiten] Weblinks
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Frank Berger, Die Fundmünzen der römischen Zeit in Niedersachsen, Band 2, Berlin 1988, S. 151 Nr. 7039.
Koordinaten: 51° 23' 44" N, 9° 44' 24" O