Regulation der Futteraufnahme
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Mensch und Tier sind auf die Zufuhr von Energie in Form von Nahrung angewiesen. Die Nahrungsaufnahme erfolgt beim Menschen und Tier periodisch, d.h. in Form von Mahlzeiten. Der Mensch nimmt bekanntlich 3 bis 5 Mahlzeiten pro Tag zu sich. Unsere Haustiere fressen ihr Futter bei freiem Zugang zum Futter in 5 bis 10 Mahlzeiten pro Tag. Wachsende Tiere fressen dabei häufiger als ausgewachsene. In der Haustierhaltung wird die Mahlzeitenfrequenz natürlich vielfach vom Menschen bestimmt.
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[Bearbeiten] Verzehrverhalten
Die Nahrungsaufnahme wird weitgehend durch Hunger und Sättigung geregelt. Der Hunger wird dabei als Nahrungsaufnahmetrieb definiert, während die Stillung dieses Triebes als Sättigung bezeichnet wird. Hunger löst demnach bei freiem Zugang zum Futter meist die Aufnahme einer Mahlzeit aus. Sättigung dagegen führt zur Beendigung der Mahlzeit. Freilich kann ein Tier auch zu fressen beginnen, ohne Hunger zu haben. Dies trifft zum Beispiel zu, wenn einem satten Tier ein besonders schmackhaftes Futter angeboten wird. Der Appetit wird demnach als Verlangen nach einem bestimmten Futter definiert.
Dabei können neben der sensorischen Beschaffenheit des Futters auch Stoffwechselfaktoren eine Rolle spielen. So fressen zum Beispiel an Azetonaemie erkrankte Kühe lieber Heu als Kraftfutter. Gesunde Kühe dagegen bevorzugen das Gegenteil. Dieses Beispiel zeigt, dass der Appetit sehr variabel ist. Dabei sind vielfach Lernvorgänge im Spiel. Das Tier vermag die Bekömmlichkeit oder Unbekömmlichkeit mit den sensorischen, insbesondere den geschmacklichen Eigenschaften des betreffenden Futters assoziieren und reagiert daher auf unbekömmliches Futter mit Inappetenz. Man spricht in diesem Zusammenhang von erlernten Geschmacksaversionen.
Die bei bestimmten Vitamin- und Mineralstoffmangelzuständen(z.Bsp. Vitamin B1- Mangel oder Zinkmangel) auftretenden Verzehrsdepressionen gehen teilweise auf derartig erlernte Geschmacksaversionen zurück. Im Gegensatz zum Säugetier assoziiert der Vogel nicht die geschmacklichen, sondern visuellen Eigenschaften (Farbe, Form) des Futters mit der Bekömmlichkeit bzw. Unbekömmlichkeit des jeweiligen Futters. Viele Befunde deuten darauf hin, dass auch die als Begleitsymptom vieler Erkrankungen auftretende Inappetenz beim Säugetier zum Teil Ausdruck einer erlernten Geschmacksaversion ist, auch wenn die Erkrankung nicht fütterungsbedingt ist. Das Tier scheint bei vielen Erkrankungen das gestörte Wohlbefinden fälschlicherweise mit den geschmacklichen Eigenschaften des während der Krankheitsentstehung aufgenommenen Futters zu assoziieren und reagiert daher mit Inapetenz gegenüber dem betreffenden Futter. Durch Futterwechsel kann man in solchen Fällen die Futteraufnahme vorübergehend stimulieren werden.
Die der erlernten Geschmacksaversion zugrunde liegenden Mechanismen sind noch weitgehend ungeklärt.
[Bearbeiten] Zentralnervensystem und Verzehrsregulation
Man weiß seit langem, dass dem Hypothalamus bei der Regulation des Verzehrs wichtige Integrationsfunktionen zukommen. So führen bilaterale Läsionen im ventromedialen Hypothalamus beim Versuchstier zu Hyperphagie (griechisch phagein - fressen) und Fettsucht, während bilaterale Läsionen im ventrolateralen Hyothalamus Aphagie und Gewichtsverlust bewirken. Aufgrund dieser Beobachtungen wurde dem ventromedialen Hypothalamus lange Zeit die Funktion eines Sättigungszentrums zugeschrieben, während man dem ventrolateralen Hypothalamus die Funktion eines Hungerzentrums zuerkannt hat.
Dieses einfache Konzept wurde inzwischen aufgegeben, da sich durch Läsion in anderen Arealen des Hypothalamus sowie auch in bestimmten Arealen des limbischen Systems sowie des Mittelhirns entsprechende Effekte auf den Verzehr hervorrufen ließen. Die Regulation des Verzehrs erfolgt nach heutiger Auffassung über ein komplexes Netzwerk von Neuronen, das sich von der Medulla oblongata bis zum Hypothalamus und dem limbischen System erstreckt. Auch zur Hirnrinde hin projiziert dieses System über den Thalamus und Hypothalamus.
Eine wichtige Relaisstation für die Einspeisung von über afferente Vagusfasern übertragenen gastrointestinalen und hepatischen „Feedback“-Signalen in dieses neuronale Netzwerk ist der Nucleus tractus der Medulla oblongata. Von dort projizieren Nervenfasern über eine Relaisstation in der Pons zum Hypothalamus, zum limbischen System und zur Hirnrinde.
[Bearbeiten] Signale für das Zustandekommen von Hunger und Sättigung
[Bearbeiten] gastrale Signale
Die erste auf experimentellen Befunden beruhende Hypothese über das Zustandekommen von Hunger und Sättigung geht auf den berühmten amerikanischen Physiologen Walter Cannon zurück. Cannon stellte vor über 60 Jahren bei Versuchspersonen einen Zusammenhang zwischen den am leeren Magen zu registrierenden starken Kontraktionen (Hungerkontraktionen) und dem auftreten von Hungergefühl fest. Er führte daher den Hunger auf die Kontraktionen zurück. Es stellte sich jedoch mit der Zeit heraus, dass Hunger und Sättigung auch unabhängig von den Hungerkontraktionen des Magens auftreten können. Damit war Cannons Hypothese nicht mehr haltbar, jedoch brachte sie interessante Aspekte ein. Trotzdem scheint der Magen bei der Regulation der Futteraufnahme eine wichtige Rolle zu spielen. So konnte z.Bsp. gezeigt werden, dass die Infusion von Nährstoffen direkt in den Magen die spontane Futteraufnahme kompensatorisch reduziert, auch wenn der Pylorus durch eine Manschette verschlossen war und eine stärkere Dehnung des Magens vermieden wurde. Damit scheinen die Anwesenheit von Nahrung im Magen gastrale Sättigungssignale wirksam zu werden.
Da auch nach Denervierung des Magens der verzehrsreduzierende Effekt von Nährstoffinfusionen in den verschlossenen Magen erhalten bleibt, scheint die vom Magen ausgehende „Feedback“-Meldung humoraler Natur zu sein. Neuerdings nimmt man an, dass vom Magen während der Futteraufnahme das „Sättigungshormon“ Ghrelin in die Blutbahn abgegeben wird. Neben der Anwesenheit von Nahrung im Magen ist auch die Dehnung der Magenwand für die Sättigung bedeutsam. Durch die Dehnung werden Mechanorezeptoren der Magenwand stimuliert. Die Stimulation dieser Rezeptoren wird hauptsächlich über afferente Vagusfasern an das ZNS gemeldet. Als erste Relaisstation fungiert dabei der nucleus tractus solitarii der Medulla oblongata.
Bei Wiederkäuern liegen bezüglich der gastralen „Feedback“-Signale Sonderverhältnisse vor. Dies ist nicht verwunderlich, da bei Wiederkäuern dem eigentlichen Magen ein umfangreiches Vormagensystem vorgeschaltet ist, in dem die über das Futter aufgenommenen Kohlenhydrate mikrobiell hauptsächlich zu Essigsäure, Propionsäure und Buttersäure abgebaut werden. Diese flüchtigen Fettsäuren werden zu einem großen Teil bereits aus den Vormägen absorbiert und stellen die Hauptenergiequelle für den Wiederkäuer dar. Es ist daher naheliegend, dass beim Wiederkäuer zusätzliche „Feedback“-Signale aus dem Vormagensystem die Futteraufnahme mitdeterminieren. So führte in zahlreichen Untersuchungen die Infusion von flüchtigen Fettsäuren in den Pansen bei Rind, Schaf und Ziege zu einer Verzehrsdepression, während entsprechende Infusionen in die Blutbahn den Verzehr im allgemeinen nicht beeinflussten. Auch die Infusion flüchtiger Fettsäuren in den Labmagen verringerte die Futteraufnahme kaum. Dies spricht für eine Beteiligung von Chemorezeptoren in der Vormagenschleimhaut an der Verzehrsregulation beim Wiederkäuer. Bei rauhfutterreicher Ernährung limitiert ferner das Fassungsvermögen des Vormagensystems die Futteraufnahme. Dabei sind offenbar Dehnungsrezeptoren der Vormagenwand mit im Spiel. Inwieweit der Labmagen an der Verzehrsregulation beteiligt ist, ist nicht geklärt.
[Bearbeiten] Intestinale Signale
Während der Futteraufnahme scheinen außer vom Magen auch vom Dünndarm präabsorptive „Feedback“-Signale auszugehen. Nach vielen Untersuchungen bewirkte nämlich die Infusion von Nährstoffen direkt in den Dünndarm ebenfalls eine ausgeprägte Verzehrsdepression, während entsprechende Infusionen in die Blutbahn viel geringere Effekte auf die Futteraufnahme zur Folge hatten. Man weiß, dass in der Darmschleimhaut Chemorezeptoren existieren, die auf Glucose bzw. Aminosäuren ansprechen. Von diesen Chemorezeptoren scheinen während der Futteraufnahme „Feedback“-Signale auszugehen, die über Vagusafferenzen zum das Hirn gelangen. Neben diesen nervalen „Feedback“-Signalen scheinen vom Dünndarm zusätzlich weitere hormonale "Feedback" Signale auszugehen. Dabei kommt wohl vor allem dem Cholezystokinin, das die Sekretion des endokrinen Pankreas sowie die Gallenblasenentleerung steuert, die Rolle eines Sättigungshormons zu.
[Bearbeiten] hepatische Signale
Bezüglich der postabsorptiven „Feedback“-Signale scheint die Leber eine wichtige Rolle zu spielen, denn Nährstoffinfusionen in die Pfortader (Glucose, Aminosäuren, Glycerin) reduzieren die Futteraufnahme stärker als entsprechende Infusionen in die Vena jugularis. Ferner wurden mit Hilfe elektrophysiologischer Methoden Chemorezeptoren in der Leber nachgewiesen, die mit dem Hirn über afferente Vagusfasern in Verbindung stehen. Diese Chemorezeptoren sprechen auf Glucose und andere Nährstoffe an und tragen wahrscheinlich während der Futteraufnahme zur Sättigung bei, da die Blutglucosekonzentration im Pfortaderblut bei Monogastriden bereits während der Aufnahme einer Mahlzeit ansteigt. Darüber hinaus wird Glucose während der Futteraufnahme infolge der Ausschüttung von Glucagon aus dem Pankreas kurzfristig aus dem Leberglykogen freigesetzt, so dass es auch auf diesem Wege zu einer Stimulierung der hepatischen Chemorezeptoren kommen kann. Es wurde gezeigt, dass auch die Oxidation von Fettsäuren in der Leber ein „Feedback“-Signal auslöst.
[Bearbeiten] Lipostatische Signale
Nach zahlreichen Untersuchungen unterliegt die Nahrungsaufnahme nachweislich auch einer lipostatischen Kontrolle. Werden zum Beispiel bei Versuchstieren die Fettdepot durch Zwangsfütterung vergrößert, so resultiert daraus im Anschluss an die Zwangsfütterung eine Hypophagie, die so lange anhält, bis sich das Körpergewicht bzw. die Größe der Fettdepots wieder normalisiert hat. Die kompensatorische Hypophagie geht dabei mit einer Verringerung der Mahlzeitengröße bei unveränderter Mahlzeitfrequenz einher. Demnach scheinen von den Fettdepots „Feedback“-Signale auszugehen, die mit der Größe des Fettdepots korreliert sind und zur Sättigung beitragen.
Derartige lipostatische „Feedback“-Signale könnten auch für die im ersten Viertel der Laktation bei der Hochleistungsmilchkuh zu verzeichnenden negativen Energiebilanz (Energieaufnahme - Energieabgabe) maßgebend sein, da in der letzten Phase der Gravidität vermehrt Fett gespeichert wird. Da während der kompensatorischen Hypophagie Fettsäuren und Glycerin in vermehrtem Umfang aus den Fettdepots mobilisiert werden, kommen diese Metabolite als humorale lipostatische „Feedback“-Signale in Betracht, die Chemorezeptoren aktivieren.
[Bearbeiten] Literatur
- Carlson, N.R., Physiology of Behavior - Allyn and Bacon; Boston
- Scharrer, E., Der Sättigungsmechanismus
- Stunkard, A.J., Eating and its Disorders - Raven Press; New York