Schüttelreim
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Der Schüttelreim ist eine Reimform, bei der die Anfangskonsonanten der letzten beiden betonten Silben miteinander vertauscht werden. Er stellt somit eine Sonderform des Doppelreims dar (die letzten beiden betonten Silben jeder Zeile reimen sich). Zum Beispiel:
Es klapperte die Klapperschlang',
bis ihre Klapper schlapper klang.
(Heinz Erhardt)
Was hilft bloß gegen Pocken? "Suppe!",
sprach eine dumme Sockenpuppe.
Wenn, wie in diesen Fällen, nur die Buchstaben (Grapheme) getauscht wurden, handelt es sich zudem auch um Anagramme. Zumeist jedoch beschränkt sich der Schüttelreim auf den Klang (Phoneme):
Ist sich Henscheid
Freind von Scheenheit.
(Robert Gernhardt)
Weil die beiden Moppel dort,
gar so gräßlich zwiegesungen,
hat durch einen Doppelmord
man zum Schweigen sie gezwungen.
Es graust vor nichts dem Bademeister,
in die dickste Made beißt er.
Eine weitere Steigerung erfährt der Schüttelreim, wenn neben den Konsonanten auch noch die Vokale der letzten beiden Silben getauscht werden. Zum Beispiel:
Alpenfahrt
Ein Auto fuhr durch Gossensaß,
Und kam in eine Soßengass,
So dass die ganze Gassensoß
Sich über die Insassen goss.
Den Arm um sie umschlungen zag,
Fragt er mit sanftem Zungenschlag:
Was ist das für ein Schlangenzug,
Der mich in deine Zangen schlug?
Die Boxer aus der Meisterklasse
boxten sich zu Kleistermasse
und aus dem ganzen Massenkleister
erhebt sich stolz der Klassenmeister.
Auf der Liebesreise
sprach der Leibesriese:
"Reib es, Liese!" -
und sie rieb es leise.
(aus: Wendelin Überzwerch (Hrsg.) "Aus dem Ärmel geschüttelt", Deutscher Bücherbund, o.J.)
Ein weiteres Beispiel:
Maus heißt er,
ist Hausmeister,
im Keller meist haust er,
und wie es heißt, maust er.
...oder etwas anzüglicher:
Die Trudl mag den Rudl nicht,
weil Rudl von der Nudl riecht.
Aus einer Kritik über Wagners Tristan und Isolde, dirigiert von Felix Mottl:
Was gehst du nur in Mottls Tristan
und hörst dir dieses Trottels Mist an?
Schaff lieber dir ein Drittel Most an,
sauf dir mit diesem Mittel Trost an!
Schüttelreime sind auch in sehr wenigen Worten möglich:
Du bist
Buddhist.
der Ausruf eines Pilzsammlers
Wo bist,
Bovist?
Schüttelreime sind seit dem 13. Jahrhundert bekannt und waren damals noch eine ernstzunehmende Gedichtform. Seit dem 19. Jahrhundert werden Schüttelreime hauptsächlich für vergnügliche Zweizeiler verwendet, oft mit anzüglichem Inhalt.
Der Ringer schwingt die derbe Hüfte,
dem Arsch entquellen herbe Düfte.
Er ging mit seiner Dicken fort,
sie sind im Wald und...
Gibst du dem Hund Sardellenbutter,
frisst er sie nicht, nur bellen tut er!
Erst lernt man sie als Perle kennen,
dann geht sie mit dem Kerle pennen.
Dort hinten bei den nickenden Fichten,
das sind bestimmt meine... Nichten.
Es dufteten des Recken Hosen,
wahrlich nicht nach Heckenrosen.
Sie zogen los mit bunten Wimpeln
und kehrten heim mit wunden Pimpeln.
Erst war es nur ein Blickgefecht
dann hat er für den ... geblecht.
Fütterst dem Hund du Kümmelbrot,
kackt er tags drauf nur Brümmelkot.
Es gibt ganze Bücher in Schüttelreimform, z. B. Versionen von Goethes Faust oder einen Opernführer.
Bekannte Schüttelreimer sind zum Beispiel Franz Mittler, Anton Kippenberg (= Benno Papentrigk), Clemens Plassmann (= C. Palm-Nesselmann), Emil Harms-Kotusov, Walter Bernays, Günter Nehm, Miguel Herz-Kestranek.
Auch Erich Mühsam hat viele Schüttelreime verfasst. Hier eine kleine Kostprobe:
Der ist ein großer Schweinehund,
dem je der Sinn für Heine schwund.
Man wollte sie zu zwanzig Dingen
in einem Haus in Danzig zwingen.
Sie würden mir eine große Freude bereiten,
wenn Sie meinen Hund von der Räude befreiten.
„Juchhe!“ rief Karl, „juchhe, der Falter!
Er sitzt auf meinem Federhalter.“
Der Sänger singt am Weiher leise,
doch singt er etwas leierweise.
Wenn ich nur eine Bimmel hätt’,
Ich hing sie an mein Himmelbett.
Ich will mich lieber an ein Zweirad hängen,
als mich so jung schon in die Heirat zwängen.
Mein kleines Mädchen reibt sich leise
Das Aug’, wenn ich nach Leipzig reise.
Mit einem starken Schweden ringen,
Ist nicht so leicht wie Reden schwingen.
Erst zahl' mal Deine Steuer fein,
vom Rest kauf' Dir 'nen Feuerstein.
Ein Schüttelreim über Schüttelreimliebhaber
So manches Auge schaut verliebt,
wenn sich beim Reim der Laut verschiebt.
Weitere Schüttelreime
Zum Golfen gern der Wolf geht,
wenn warmer Wind vom Golf weht.
Wie Sätze im Sinne des Klaren schaffen,
wo Bindestriche in Scharen klaffen.
Die Stute röhrte,
weil die Rute störte.
[Bearbeiten] Literatur
- Ulf Annel/Daniel Heide: Geschüttelt – nicht gerührt. Schüttelreime., Erfurt, 2004, ISBN 3-9809040-6-7