Unternehmen Otto (Hitler)
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Von Hitler ausgewählter Deckname für „Die militärische Weisung für den Einmarsch in Österreich vom 11. März 1938“ zum „Anschluss Österreichs“.
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[Bearbeiten] Hintergrund
Standarddecknamen für die kriegerischen Unternehmungen im „Dritten Reich“ waren: „Fall Grün“ für den Angriff auf die Tschechoslowakei, „Fall Weiß“ für den Angriff auf Polen, „Fall Gelb“ für den Krieg gegen Frankreich, „Fall Weserübung“ für die Besetzung Norwegens und Dänemarks, „Operation Seelöwe“ für die Vorbereitungen zur Landung in England. Nur „Unternehmen Otto“ und „Fall/Unternehmen Barbarossa“ fallen aus diesem Rahmen, wobei bei „Barbarossa“ eine andere Klarheit herrscht als für „Otto“.
Mit „Otto“ könnte angesichts der im „Dritten Reich“ hochkonjunkturellen Ottonen Otto I. (der Große) gemeint sein, und zwar im Anschluss an die Rolle, die ihm in der österreichischen Version deutscher Nationalgeschichtsschreibung zukam. Otto I. galt nach Karl dem Großen als Neubegründer der südöstlichen Ostmark des Reiches. Denn sein Sieg über die Ungarn auf dem Lechfeld von 955 ermöglichte den Bajuwaren die allmähliche Erschließung der „marcha orientalis“ = „Ostmark“ (urkundlich so zum ersten Mal unter Otto II. 976), aus der sich das spätere Österreich entwickelte („Ostarrîchi“ urkundlich zum ersten Mal unter Otto III. 996). Weil es in Hitlers Augen, wie er in „Mein Kampf“ (Bd. 2, S. 733-742) schrieb, nur zwei bemerkenswerte außenpolitische Leistungen in der tausendjährigen Geschichte Deutschlands gab, nämlich „die hauptsächlich von Bajuwaren betätigte Kolonisation der Ostmark“ und „die Erwerbung und Durchdringung des Gebietes östlich der Elbe“, galt als erstes Ziel seiner Außenpolitik, dass „die alte Ostmark des Reichs“ wieder mit dem „Mutterland“ vereinigt werden sollte. So wurde in „Le Temps“ vom 13. 3. 1938 anlässlich des „Anschlusses“ eine anonyme Stimme im Wiener Rundfunkhaus vom 12. 3. 1938 wiedergegeben: „Nach tausendjähriger Geschichte ist endlich der Tag gekommen, da ein einiges deutsches Volk wiedererstanden ist.“ [1] Zwei Monate nach dem „Anschluss“ erfolgte nach der Logik der angeblich tausendjährigen Spuren am 25.5.1938 die Umbenennung Österreichs in „Ostmark“ (Als aus der Ostmark 1942 die „Donau- und Alpenreichsgaue“ wurden, lag das an dem Vorrücken der Ostgrenze. Der Begriff „Mark“ [= ahd. für „Grenze“, „Grenzgebiet“] war jetzt für die nach dem „Generalplan Ost“ zu erschließenden „Siedlungsmarken“ in Osteuropa reserviert.)
Insbesondere österreichische Legitimisten vertreten jedoch noch heute die Auffassung, dass mit Otto vornehmlich Otto von Habsburg gemeint war. Obwohl in Österreich im Ständestaat Tendenzen zur Rückkehr zur Habsburger-Monarchie zu erkennen waren, Teile der politischen Elite und wohl auch des Volkes auf die einigende Strahlkraft der alten Herrscherfamilie und den Frieden der k.u.k. Zeit hofften und vor dem Einmarsch sich noch Otto von Habsburg selbst als Kanzlerkandidat ins Spiel brachte, scheint diese Interpretation allein deshalb abwegig, weil die Restauration der Monarchie zum Zeitpunkt des Anschlusses längst nicht mehr zur Debatte stand. So hatte der deutsche Gesandte Franz von Papen am 1. Juli 1937 bestätigt, dass „die Restauration des Hauses Habsburg ... vollkommen zu den Akten gelegt“ war. [2] Die symbolpolitische Gegenwart der Ottonen im damaligen Österreich zeigt sich aber z. B. allein darin, dass es zeitgleich mit dem Anschluss kurzfristig bis zu ihrer schnellen Auflösung eine studentische Widerstandsgruppe gab, die sich die "Ottonen" nannte.[3]
[Bearbeiten] Kommentierung in der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft
Zwei bekannte Mittelalterhistoriker kommentierten die ersten imperialistischen Expansionen von 1938 nach Österreich und ins Sudetenland so: „Das vergangene Jahr“, erklärte Friedrich Baethgen 1939, „hat uns ein Erleben gebracht von einer Größe, wie es nur wenigen Generationen des deutschen Volkes beschieden gewesen ist. […] Eine Forderung wurde verwirklicht, die sich mit innerer Notwendigkeit aus dem gesamten Ablauf unserer Geschichte ergeben hatte.“ Dabei sah er den Schatten des mittelalterlichen Reiches sich hinter dem „Großdeutschen Reich“ erheben. [4] Einer der „Stars“ des damals flächendeckenden Mediävalismus (Otto Gerhard Oexle), Hermann Heimpel, schrieb im gleichen Zusammenhang: „Wie frei und glücklich ruht aber unser Blick auf dem Ersten Reiche der Deutschen. Nicht ihm erborgt, sondern neu beschworen ist die Kraft, aus der Adolf Hitler den Deutschen ihr Reich erhöhte. [...] Österreich fand heim – die Krone der Könige wird im Großen Deutschen Reich gehütet. Die ‚neueren‘ Zeiten des geschwächten Deutschlands sind vorüber. Was aber erstritten wird, war auch die Ordnung des Ersten Reichs: der Friede der Völker aus der Kraft ihrer Mitte.“ [5]
[Bearbeiten] Einführung der deutschen Staatsangehörigkeit am 5. Februar 1934
Diese Äußerungen stimmen damit überein, dass unter nationalgeschichtlich orientierten Historikern das „Dritte Reich“ bis Anfang der 1940er Jahre in der Regel als Verwirklichung und Vollendung dessen angesehen wurde, was sie im mittelalterlichen Kaiserreich angelegt sahen. Das bezog sich vor allem auf die „Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit“ vom 5.2.1934, ergänzt durch das „Reichsbürgergesetz“, das am 15. September 1935 auf dem „Reichsparteitag der Freiheit“ in Nürnberg verabschiedet wurde. Die Deutschen konnten sich im Vergleich mit den westlichen Nachbarstaaten sehr spät nach der „Gleichschaltung“ der Länder jetzt zum ersten Mal in ihrer Geschichte als deutsche Staatsbürger ausweisen, waren sie doch bis dahin zunächst Bayern, Hessen, Preußen, Sachsen usw., bevor sie deutsche Reichsangehörige waren („Reichsbürger“ konnte allerdings „nur der Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes“ werden, was hieß, dass die jüdischen Mitbürger deutsche Staatsangehörige minderen Rechts waren). Adolf Hitler trat so als „Reichseiniger“ neben Gestalten wie Karl den Großen, Heinrich I., Otto I. und Bismarck, für dessen Reichseinigungsleistung zum Vergleich bereits die gleiche Ahnengalerie beschworen worden war. So widmete der renommierte Mittelalterhistoriker Robert Holtzmann seine Otto-Monographie von 1936 „Dem Deutschen Volke“ und stimmte folgende Töne an: „Einem kühnen Wollen und einer tiefen Sehnsucht der deutschen Menschen hat Kaiser Otto der Große Richtung und Sieg gegeben. [...] Eben deshalb haben wir es seinem Wirken nach innen und außen zu danken, daß die verschiedenen deutschen Stämme, die bis dahin nebeneinander und leider nur allzu oft auch gegeneinander gestanden hatten, sich zu einer Einheit zusammenfanden, sich ihrer Gemeinsamkeit und Zusammengehörigkeit bewußt wurden. Wie wir ein Volk geworden sind: das ist der köstliche und unvergängliche Inhalt der Geschichte Ottos des Großen.“ [6] Es liegt auf der Hand, dass Holtzmann an Hitler dachte, indem er über Otto schrieb, freute er sich doch wie die Mehrzahl der Deutschen über seinen neuen Ausweis als deutscher Staatsangehöriger und Reichsbürger.
[Bearbeiten] Aus „Plan Otto“ von General Franz Halder wird „Fall Barbarossa“
Noch bevor Hitler die Planung des Russlandfeldzugs in Auftrag gegeben hatte, arbeitete 1940 der neue Chef seines Generalstabs Franz Halder diesbezüglich „Plan Otto“ aus. [7] Halder, am „Unternehmen Otto“ unbeteiligt, konnte nicht wissen, dass der Deckname bereits für den „Anschluss“ Österreichs vergeben war. Nach einer Besprechung mit Hitler schrieb er am 5. Dezember 1940 in sein Kriegstagebuch: „Otto: Vorbereitungen entsprechend den Grundlagen unserer Planungen voll in Gang setzen.“ [8] Kurz darauf ergeht dann aber am 18. Dezember 1940 für die Planungen Halders von Hitler die Weisung anstatt zu „Plan Otto“ zum „Fall Barbarossa“. Was für die Wehrmacht „Plan Otto“/„Unternehmen Barbarossa“ war, war für die SS und Himmler „Programm Heinrich“. Damit nahm Himmler Ottos I. Vater Heinrich I. als Patron für alles in Anspruch, was parallel zum „Unternehmen Barbarossa“ von der SS in Osteuropa ins Auge gefasst wurde.
[Bearbeiten] Anmerkungen
- ↑ Benoist-Méchin, 1966, S. 265.
- ↑ Schausberger, 1978, S. 401.
- ↑ Neugebauer/Steiner, 1981, S.107.
- ↑ Schönwälder, 1999, S. 141.
- ↑ Heimpel, 1941, S. 207.
- ↑ Holtzmann, 1936, S. 7.
- ↑ Dirks/Janssen, 1999, S. 127-145.
- ↑ Dirks/Janssen, 1999, S. 144.
[Bearbeiten] Literatur
- J. Benoist-Méchin, Griff über die Grenzen 1938. Der Anschluss Österreichs und seine Vorgeschichte, Oldenburg-Hamburg 1966.
- Carl Dirks/Karl-Heinz Janssen, Der Krieg der Generäle. Hitler als Werkzeug der Wehrmacht, Berlin 1999.
- Hermann Heimpel, Deutsches Mittelalter, Leipzig 1941.
- Robert Holtzmann, Kaiser Otto der Große, Berlin 1936.
- Wolfgang Neugebauer/Herbert Steiner, Widerstand und Verfolgung in Österreich (im Zeitraum vom 12. Februar 1938 bis zum 10. April 1938), in: Anschluss 1938: Protokoll des Symposions in Wien am 14. und 15. März 1978, München 1981, S. 86 – 108.
- Norbert Schausberger, Der Griff nach Österreich. Der Anschluss, Wien-München 1978.
- Karen Schönwälder, „Lehrmeisterin der Völker und der Jugend“. Historiker als politische Kommentatoren 1933 bis 1945, in: Peter Schöttler (Hg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918-1945, Frankfurt a.M. 1999, S. 128-165.
- E. Tálos, E. Hanisch u.a. (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2000.