Benutzer:UW/Finnwalfund bei Rügen 2005
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Am 10. Juli 2005 wurde von Seglern in der Ostsee zwischen der Insel Rügen und der Greifswalder Oie der Kadaver eines Finnwals tot im Wasser treibend gefunden. Da die Ostsee zu den wenigen Meeresgewässern gehört, in denen Finnwale nicht heimisch sind, handelte es sich dabei um ein verirrtes Exemplar. Finnwalfunde in der Ostsee sind nach historischen Quellen extrem selten, der letzte von fünf bisher seit dem 14. Jahrhundert dokumentierten Fällen stammt aus dem Jahr 1944.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Hintergrund
[Bearbeiten] Finnwale
Der Finnwal (Balaenoptera physalus) gehört wie der Blauwal als sein nächster Verwandter zu den Furchenwalen. Die durchschnittliche Größe ausgewachsener Tiere liegt bei ca. 20 Metern, das Gewicht bei bis zu 70 Tonnen. Finnwale sind in allen größeren Weltmeeren beheimatet, nur kleinere Binnenmeere wie das Rote Meer oder die Ostsee gehören nicht zu ihrem angestammten Lebensraum. Ihre Nahrung besteht hauptsächlich aus Krill, den sie durch die Barten in ihrem Maul aus dem Wasser herausfiltern. Finnwale fressen nur in ihren Sommerquartieren der polaren und gemäßigt-kalten Gewässer und leben im Winter, in dem sie sich in gemäßigt-warmen und tropischen Meeren aufhalten, von ihren Fettreserven. Sie werden mit ca. 10 Jahren geschlechtsreif und erreichen ein Höchstalter von etwa 100 Jahren. Der weltweite Bestand an Finnwalen, der vor dem Beginn des massenhaften kommerziellen Walfangs bei ca. 470.000 Tieren lag, wird nach einem Tiefpunkt von ca. 5.000 Tieren vor dem Verbot der Waljagd heute auf ca. 55.000 Exemplare geschätzt.
[Bearbeiten] Die Ostsee als Lebensraum
Die Ostsee ist ihrem Charakter nach ein Brackwassermeer, hat also über Skagerrak, Kattegat, Öresund sowie Großen und Kleinen Belt nur einen eingeschränkten Wasseraustausch mit dem Atlantik bzw. der Nordsee und deren kaltem Salzwasser. Diese relativ schmalen Meerengen von oft nur wenigen Kilometern Ausdehnung mit einer geringen Wassertiefe und einem hohen Schiffsaufkommen müssen von jedem marinen Lebewesen auf dem Weg von Nord- nach Ostsee überwunden werden. Dies stellt einen der Hauptgründe für die Seltenheit von Finnwalen in der Ostsee dar. In Gegenrichtung gelingt es Walen nur sehr schwer, eine Passage zurück in die Nordsee zu finden, weshalb die Ostsee für sie meist zur Falle wird.
Ursache für das Verirren eines Wals in der Ostsee ist meist die vom Wind und dessen Reibung auf der Wasseroberfläche erzeugte Meeresströmung. Im Falle eines starken Westwinds kommt es dadurch zum Eindringen von Salzwasser aus der Nordsee im Verbund mit einem lokalen Anstieg der Salinität in der westlichen Ostsee. Je nach Eintrag dieses Salzwassers und als Gegenspieler des Süßwassers aus Fließgewässern und Niederschlag, kann die Salinität der Ostsee stark schwanken, nimmt jedoch nach Osten hin ab. Sie bewegt sich zwischen 8 und 20 Gramm pro Liter, was weniger als 50 % des globalen ozeanischen Mittelwertes entspricht. Gerade größere Salzwasserlebewesen wie Wale und Haie sind im Falle eines durch Westwinde bedingten Salzwassereinbruchs in die Ostsee nur Irrgäste, wobei Finnwale noch relativ gut mit einem niedrigen Salzgehalt umgehen können. Einheimisch sind jedoch Süß- und Brackwasserarten und vor allem im westlichen Bereich der Ostsee speziell angepasste Salzwasserarten.
Für das Überleben eines Finnwales in der Ostsee spielen vielerlei Faktoren eine Rolle. Ein Finnwal kann sich von den Kleinkrebsen und bestimmten Kleinfischarten der Ostsee ernähren, würde also zumindestens im Sommer kaum verhungern. Dem gegenüber steht jedoch der Streß durch eine für den Wal unbekannte Umgebung, das Fehlen von Artgenossen, die geringe Ausbreitung des Meeres und der topografisch bedingte Gefängnischarakter der Ostsee. Ein weiterer Faktor ist die Belastung durch Schad- und Nährstoffe bedingt durch den Flusseintrag und die umfangreiche Seeschiffahrt. Die intensive Landwirtschaft in den Anrainerstaaten im Verbund mit den hohen Temperaturen und dem geringem Wasseraustausch der Ostsee führen immer wieder zu Algenblüten, was die Wasserqualität herabsetzt. Als Schadstoffe sind besonders Dioxine bedenklich, da sie sich bei Lebewesen am Ende der Nahrungskette und besonders in deren Fettgewebe ansammeln. Dieser Effekt ist kurzfristig vernachlässigbar, wirkt jedoch zusätzlich zu allen anderen Faktoren einer längerfristigen Heimatschaft von Finnwalen entgegen. Das hohe Verkehrsaufkommen kann aber auch direkt und kurzfristig einschränkend wirken, da sich Wale hierdurch gestört fühlen und zudem Gefahr laufen, verletzt zu werden.
[Bearbeiten] Der Fund
[Bearbeiten] Chronologie
Der Kadaver des Wals wurde am 10. Juli 2005 von Seglern in einem Gebiet mit etwa zwei Metern Wassertiefe zwischen den Ostseeinseln Rügen und Greifswalder Oie gefunden. Er wurde noch am Abend des gleichen Tages mit Hilfe des Schleppers „Fairplay-25“ nach Stralsund zum Gelände des zum Deutschen Meeresmuseum gehörenden Nautineums gebracht. Am 11. Juli 2005 erfolgte dann mit zwei Schwimmkränen einer am Bau der neuen Rügendammbrücke beteiligten Firma die Bergung des toten Tieres aus dem Wasser. Dabei wurden die Barten durch die heraushängende Zunge aus dem Maul herausgedrückt und fielen zurück ins Hafenbecken. Im Laufe des Tages wurde der Kadaver von circa 1.500 bis 2.000 Besuchern des Nautineums besichtigt. Am Abend entschloß sich der Direktor des Meeresmuseums, Dr. Harald Benke, den Kadaver an mehreren Stellen zu punktieren, um den durch Faulgase im Inneren entstehenden Druck abzubauen und der Gefahr eines Zerplatzens des Kadavers vorzubeugen. Insbesondere die Zunge des Tieres hatte sich extrem stark aufgebläht. Am 12. Juni 2005 erfolgte dann die Zerlegung des Kadavers durch die Mitarbeiter des Museums. Dabei wurden das Skelett freigelegt und geborgen, das Fett- und Muskelgewebe entsorgt, die inneren Organe soweit wie möglich untersucht und Proben verschiedener Gewebe für Laboranalysen entnommen. Ebenso wurden die Barten erfolgreich aus dem Hafenbecken gehoben. Das Skelett soll nach entsprechender Präparation im geplanten Ozeaneum des Museums ausgestellt werden.
[Bearbeiten] Untersuchungsergebnisse
Das Tier hatte eine Länge von 17,10 Metern. Das Gewicht konnte nicht bestimmt werden, wurde jedoch auf 45 bis 50 Tonnen geschätzt. Es handelte sich um ein geschlechtsreifes männliches Tier, dessen mutmaßliches Alter von Museumsdirektor Benke mit 10 bis 15 Jahren angegeben wurde. Als ungefährer Zeitpunkt des Todes wurde eine Zeitspanne von ein bis drei Wochen vor dem Auffinden als wahrscheinlich genannt. Die Verwesung insbesondere im Körperinneren war dementsprechend weit fortgeschritten. Äussere Verletzungen waren nicht erkennbar, so daß ein Zusammenstoß mit einem Schiff oder der Kontakt mit einer Schiffsschraube als Todesursache nahezu ausgeschlossen werden können. Ebenso unwahrscheinlich als Grund für das Verenden ist Verhungern aufgrund von Nahrungsmangel, da die äusserste Speckschicht mit einer Dicke von etwa sechs Zentimetern normal ausgeprägt war. Als mögliche Todesursache nannte Dr. Benke Kreislaufversagen durch Stress beim Versuch, sich im flachen Wasser freizuschwimmen bzw. den Rückweg in seine Heimatgewässer zu finden. Weitere Erkenntnisse zum Gesundheitszustand und zum Grund für den Tod, aber auch zur Herkunft, erhoffen sich die Wissenschaftler des Meeresmuseums durch entsprechende chemische und biochemische Gewebsanalysen.