Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Frage “Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?“ ist der Titel von Friedrich Schillers Antrittsvorlesung in Jena am 26. Mai 1789.
Das entschieden aufgeklärte Geschichtskonzept der Weltgeschichte als “Universalhistory” (1736-65) in England, seit 1744 von Siegmund Baumgarten umgearbeitet und übersetzt, hatte in Deutschland einen universalhistorischen Diskurs ausgelöst, an dem sich die bedeutendsten Historiker, Philosophen und Theologen beteiligten.
Diesen Diskurs und August Ludwig Schlötzers Aussage, Weltgeschichte sei lediglich ein Aggregat von Bruchstücken, nahm Friedrich Schiller als Ausgangspunkt und Thematik für seine Antrittsvorlesung in Jena am 26. Mai 1789. Seine Deklamation und die Theatermetaphorik sowie die Nutzung des Elativs (des absoluten Superlativ) in seiner Rede brachten das überfüllte Auditorium zu kochen, was dem Dramatiker in seinen weniger gut besuchten Vorlesungen späterhin freilich weniger häufig gelang.
[Bearbeiten] Brotgelehrte und philosophische Köpfe
Zentrale Figur und Opposition der Vorlesung bildet der Gegensatz zwischen philosophischem Kopf und Brotgelehrten.Gleich zu Beginn seiner Vorlesung, noch bevor er auf die Universalgeschichte zu sprechen kommt, scheidet Schiller im Geiste seiner Zuhörer jenes jubelnde Auditorium in zwei Gruppen:
- der Brotgelehrte: Ihm ist es unmöglich die Gesamtzusammenhänge zu erkennen die zwischen allen wissenschaftlichen Disziplinen bestehen und wenn er sie erkennen würde, würde er sich furchtsam von ihnen abwenden. Er ist Symbol der Partikularität, "Sklavenseele im Reich der Freiheit".
- der philosophische Kopf: Er erfasst den Zusammenhang des ganzen Wissens, will erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält. “Wo der Brotgelehrte trennt, vereinigt der philosophische Geist.” Er steht für die Interdisziplinarität, für die Universalgeschichte.
[Bearbeiten] Schillers Geschichtsbild
Schiller entwirft nach dieser vorangegangenen Oppositionsbildung zwei verschiedene Geschichtsbilder: das der allgemeinen Weltgeschichte und jenes der Universalgeschichte.
Das Weltgeschehen und die allgemeine Weltgeschichte
Wie später Hegel, so unterscheidet auch Schiller stark zwischen dem Gang der Welt und dem Gang der Weltgeschichte. Voraussetzung für die Weltgeschichte ist für ihn das durch objektive Aufzeichnungen von Zeitzeugen festgehaltene Weltgeschehen. So muss zwangsläufig “die ganze Epoche vor der Sprache, so folgenreich sie auch für die Welt gewesen” sein mag aus der Geschichte, wie Schiller sie versteht, ausgeschlossen werden. Es ist “geschichtslose Zeit”. Gleiches gilt für die “Begebenheiten vor dem Gebrauche der Schrift”, da die “lebendige Tradition oder die mündliche Sage [...] eine sehr unzuverlässige Quelle für die Geschichte” darstellt. Auch der bei weitem größte Teil der Geschehnisse des Altertums ist mit dem vielfachen Verlust der Aufzeichnungen für die Weltgeschichte verloren gegangen. Weiterhin ist, so Schiller, all das, was durch Interpretation, Leidenschaft, Unverstand oder Genie als entstellt und verfälscht überliefert angenommen werden muss auszuschließen. Nimmt man an, das Weltgeschehen sei ein ununterbrochen fortfließender Strom, so ist die Weltgeschichte, nach Schillers Ansicht, nur eine hie und da beleuchtete Welle. Die allgemeine Weltgeschichte, die sich erschließt, wenn der Historiker sie standortgebunden aus der Gegenwart bis zum Versiegen ihrer Quelle zurückverfolgt, gibt Antwort über den Werdegang des Menschen. Sie erzählt von der Entwicklung des menschlichen Geschlechts, führt vom einen Extrem des Höhlenbewohners zum anderen, des heutigen zivilisierten Menschen. Doch und hier bezieht Schiller sich auf Schlötzer, wäre die Geschichte in diesem Sinne verstanden nicht vielmehr als eine Addition von Staatengeschichten, “als ein Aggregat von Bruchstücken”.
Die Universalgeschichte
An diesem Punkt des Erkenntnispessimismus aber führt der Enthusiast Schiller die Universalgeschichte auf die Bühne des Weltgeschehens. Die “unsterbliche Bürgerin aller Nationen und Zeiten", die, “indem sie den Menschen gewöhnt, sich mit der ganzen Vergangenheit zusammenzufassen und mit seinen Schlüssen in die Zukunft vorauszueilen” aus dem einzelnen Menschen eine Menschheit schafft. Dabei scheint es im ersten Abschnitt der Vorlesung zunächst, dass sich hinter dem Begriff Universalgeschichte nur ein Teil der allgemeinen Weltgeschichte verbirgt. Derjenige nämlich, der “auf die heutige Gestalt der Welt und den Zustand der jetzt lebenden Generation einen wesentlichen, unwidersprüchlichen und leicht zu verfolgenden Einfluss gehabt hat.” Doch es wird bald klar, dass die Universalgeschichte für Schiller mehr ist als das Verhältnis des historischen Datums zu der heutigen Weltverfassung. Sie ist für ihn die “unvergängliche Kette, die durch alle Menschengeschlechter sich windet” und “unser fliehendes Dasein” befestigt. Sie ist das Band, welches die verschiedenen Staatengeschichten durch ein teleologisches Prinzip aneinander fesselt, jenes Band, welches das Aggregat zum System erhebt.
Die Frage ist nur, wie aus der allgemeinen Weltgeschichte, die sich nicht einmal als Wissenschaft bezeichnen darf, die Weltbürgerin Universalgeschichte entsteht. Mit der Antwort hierauf beantwortet Schiller gleichzeitig die seiner Vorlesung überstehende Frage. Universalgeschichte studieren heißt für den Einzelnen sich zu einem philosophischen Kopf zu bilden. Eben diesen philosophischen Köpfen obliegt es dann durch ihren Verstand die künstlichen Bindungsglieder zu schaffen, welche die verstreuten Kettenabschnitte der allgemeinen Weltgeschichte “zu einem vernunftmäßig zusammenhängenden Ganzen” vereinigen und außerdem einen übergeordneten, verbindenden Sinn, einen Weltgeist in die Geschichte zu pflanzen.
Und zu welchem Ende studiert der philosophische Kopf Universalgeschichte?
Um wahre Unsterblichkeit bei dem Versuch zu erlangen “das Problem der Weltordnung aufzulösen und dem höchsten Geist in seiner schönsten Wirkung zu begegnen.”