Altpaläolithische Kleinkunst
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Altpaläolithische Kleinkunst ist ein Sammelbegriff für umstrittene vorgeschichtliche Funde von Steingeräten und Feuersteinen aus dem Altpaläolithikum, die Gesichtern oder Tieren ähneln und angeblich die frühesten Kunstwerke der Menschheit darstellen sollen. Die Mehrzahl der Wissenschaftler glaubt jedoch nicht an eine bewusste Herstellung derartiger Plastiken im Acheuléen durch Neandertaler oder gar Homo erectus, sondern hält die Ähnlichkeiten für reinen Zufall, im Gegensatz zu den kunstvoll von Homo sapiens erstellten Venusfigurinen aus dem Jungpaläolithikum.
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[Bearbeiten] Die Kleinskulpturen von Walther Matthes
[Bearbeiten] Zur Person
Walther Matthes wurde am 3. September 1901 in Halberstadt geboren und studierte in Berlin, Marburg und Budapest Vor- und Frühgeschichte, Geschichte und historische Geographie sowie Philosophie. Er promovierte 1925 in Berlin. Von 1925-1928 war er mit der Durchführung der archäologischen Landesaufnahme des Kreises Ostprignitz betraut und wurde danach, von 1928-1934 Leiter des Oberschlesischen Landesmuseums in Beuthen / Oberschlesien. Von 1934-1969 war er ordentlicher Professor für Frühgeschichte an der Universität Hamburg. Nach seiner Emeritierung 1969 beschäftigte er sich u.a. mit den Externsteinen und schrieb 1982 darüber das Buch "Corvey und die Externsteine". Walter Matthes ist 1997 verstorben.
[Bearbeiten] Überblick
Durch Oberingenieur Hans Oeljeschlager aus Hamburg-Poppenbüttel ("Reliefporträts - 20000 Jahre alt?", Hamburger Abendblatt, Nr. 54, vom 04.03.1950) wurde Walther Matthes 1957 auf die altsteinzeitlichen Funde von drei angeblichen Kleinskulpturen aus Silex (Feuerstein) aufmerksam, die Oeljeschlager in seinem Heimatort Poppenbüttel im Alstertal in den Jahren 1932/33, zusammen mit Feuersteingeräten (Klingen, Schaber, etc.), gemacht hatte und "Gesichtssteine" nannte. Matthes beschäftigte sich daraufhin viele Jahre mit derartigen Objekten und veröffentlichte in den 60iger Jahren mehrere Artikel über die vermeintlichen Kleinskulpturen.
Matthes datiert diese Funde aus einer Grundmoräne, die er für echte Artefakte hält, in die Zeit der Rissvereisung, also in die Lebensperiode des klassischen Neandertalers. Wie später Elisabeth Neumann-Gundrum (1981) mit ihren Groß-Steinskulpturen, glaubt Matthes, dass vorgeschichtliche Menschen, in der Natur vorgefundene Formen durch bewußte Nachbearbeitung verdeutlicht haben.
Der Mainzer Professor für Vor- und Frühgeschichte Herbert Kühn (1895-1980) äußerst sich 1965 zustimmend zu den Interpretationen von Matthes und schreibt "Diese Skulpturen gehören in die Zeit zwischen 250.000 und 150.000 und offenbar noch davor". (zitiert in Katholing, 2001: 73-74).
Auch der Heimatforscher Friedrich Schäfer beschäftigte sich mit den vermeintlichen Kleinplastiken und sammelte gemeinsam mit Matthes im Jahre 1958 weiteres paläolithisches Material am Fundplatz Pivitsheide im Lipper Land. In den folgenden Jahren legte Matthes eine umfangreiche Sammlung entsprechender Objekte aus Norddeutschland an.
[Bearbeiten] Die Sammlung von Matthes
Da offizielle Museen an seiner Sammlung keinerlei Interesse zeigten, stellte Matthes die Objekte Anfang 1963 in 28 Schauschränken in den Räumen seines Seminars an der Universität Hamburg aus. Eine Nachfrage des Autors Winfried Katholing (2001: 76) im Jahr 2000 bei der Universität Hamburg ergab, dass die "Figurensteine" von Matthes bei seiner Emeritierung als Privatbesitz mitgenommen wurden und über den weiteren Verbleib nichts bekannt sei.
[Bearbeiten] Kritik
Von Seiten der akademischen Wissenschaft werden die Deutungen dieser Objekte als menschengemachte Kleinskulpturen einhellig abgelehnt und die betreffenden Steine als reine Naturprodukte oder Steingerätschaften interpretiert, die nur zufällige und oberflächliche Änlichkeiten mit Gesichtern oder Tieren aufweisen. Es gibt offenbar keine überzeugenden Hinweise auf eine gezielte Bearbeitung zur Herstellung von Bildkunstwerken.
Laut Aussage des Wissenschaftlers Rainer Michl (zitiert in Katholing, 2001: 76-77) von der Universität Hamburg, bestand von Seiten der Universität kein Interesse an der Steinsammlung von Prof. Matthes, da es sich "... nach einhelliger Meinung von Steinzeit- und Steinschlagtechnik-Fachleuten - eindeutig nicht um Artefakte handelte sondern um Naturprodukte. ... Die Matthesche Auffassung ist wohl einfach nur als Kuriosum zur Kenntnis genommen worden".
Eine gewisse Akzeptanz fanden die Thesen von Matthes jedoch im germanentümelnden Umfeld rechter Autoren wie z.B. Gert Meier & Hermann Zschweigert "Die Hochkultur der Megalithzeit" (1997) und Gert Meier "Die Deutsche Frühzeit war ganz anders" (1999), beide erschienen im einschlägig bekannten Grabert-Verlag. Auch Walther Matthes selbst scheint eher diesem Spektrum zugehörig gewesen zu sein, wie seine Tätigkeit als Professor für "Germanische Altertumskunde" während des Dritten Reiches und seine spätere Beschäftigung mit den Externsteinen andeutet.
[Bearbeiten] Andere Arbeiten über altsteinzeitliche Kleinskulpturen
Eine umfassende Diskussion der Geschichte der "einzeitlichen Kleinkunstwerke" findet sich bei Katholing (2001: 71-78 und 150-156), der folgende Protagonisten erwähnt:
- Der französische Zollbeamte und Hobbyarchäologe Jacques Boucher de Crèvecoer de Perthes sammelte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts "Kleinskulpturen" aus Silex, die er als die ältesten Zeugnisse menschlicher Kunst deutete und darüber 1847 das Buch "Antiquités Celtiques et Antédiluviennes" verfasste.
- Der Priester und Prähistoriker Hugo Obermaier (1877-1946) äußerste sich anfangs zwar sehr krititisch zu diesen Funden, akzeptierte aber später die mögliche Authentizität der angeblichen Kleinkunstwerke (Stichwort "Eolithenproblem" Seite 101ff im "Reallexikon der Vorgeschichte", Band 3, 1925).
- Der Nazi-Esoteriker Karl Maria Wiligut, der von Heinrich Himmler und seiner Stiftung "Ahnenerbe" protegiert wurde, besaß ebenfalls eine eigene Sammlung angeblich prähistorischer Artefakte.
- Elisabeth Neumann-Gundrum vertrat in ihrem, ziemlich wirren und mystisch angehauchten, Bildband von 1981 die These, dass überall in Europa altsteinzeitliche Groß-Steinskulpturen an Felsformationen existieren, die vor allem riesige Gesichter zeigen sollen, unter denen die Autorin die Motive des "Zwiegesichts" und der "Atemgeburt" immer wieder erkannt haben will. Auch in diesem Fall sehen alle seriösen Wissenschaftler die betreffenden Felsformationen als natürlichen Ursprungs und die Ähnlichkeiten mit Gesichtern als reine Zufallsprodukte (selbst Katholing 2001 äußert Zweifel an Neumann-Gundrums Thesen in seinem Buch über die Groß-Steinskulpturen). Das in Neumann-Gundrums Band abgedruckte Gutachten zum angeblichen Nachweis von Bearbeitungsspuren an diesen Felsformationen stammt nicht von einem entsprechend qualifizierten Archäologen, sondern nur von einem unbekannten Steinmetz, und ist somit als zweifelhaft einzuschätzen.
- Dorothea Regber zeigt in ihrem Buch "Der Gral und der Ur-Europäer" (1987) einige angebliche Artefakte aus der Eiszeit, die sie Igel-, Mammut- und Herzsteine nennt.
- Kurt E. Kocher diskutiert einige angebliche Kleinkunstwerke von Neandertalern und Homo erectus aus Deutschland im "Battenberg Report" Nummer II (1989) und Nummer III (1991).
- Angebliche Venusfigurinen wurden aus der Altsteinzeit von Israel (Venus von Berekhat Ram), Marokko (Venus von Tan-Tan), Russland und der Ukraine beschrieben.
[Bearbeiten] Weblinks
[Bearbeiten] Literatur
- Katholing, Winfried (2001): "Die Groß-Steinskulpturen - Kultplätze der Steinzeit?", Books on Demand, 233 Seiten, ISBN 3-8311-1782-9
- Kocher, Kurt E. (1989): "Battenberg Report II - Botschaft aus der Altsteinzeit - 120.000 Jahre Kultur am Rhein", Heko-Verlag, Dannstadt-Schauernheim
- Kocher, Kurt E. (1991): "Battenberg Report III - Kultort des Homo Erectus", Heko-Verlag, Dannstadt-Schauernheim
- Matthes, Walther (1964): "Die Darstellung von Tier und Mensch in der Plastik des älteren Paläolithikums - Ein Beitrag zur Frage nach dem Alter der Kunst aufgrund neuer Funde aus Norddeutschland". Symbolon - Jahrbuch für Symbolforschung, 4: 244-276.
- Matthes, Walther (1964/65): "Die Entdeckung der Kunst des älteren und mittleren Paläolithikums in Norddeutschland". Jahrbuch für prähistorische & ethnographische Kunst, 21
- Matthes, Walther (1969): "Eiszeitkunst im Nordseeraum". Otterndorf
- Meier, Gert (1999): "Die Deutsche Frühzeit war ganz anders", Grabert, Tübingen
- Meier, Gert & Zschweigert, Hermann (1997): "Die Hochkultur der Megalithzeit - Verschwiegene Zeugnisse aus Europas großer Vergangenheit", Grabert, Tübingen
- Neumann-Gundrum, Elisabeth (1981): "Europas Kultur der Gross-Kulpturen - Urbilder/Urwissen einer europäischen Geisteskultur", Gießen
- Oeljeschlager, Hans (1950); "Reliefporträts - 20000 Jahre alt?", Hamburger Abendblatt, Nr. 54, 04.03.1950
- Regber, Dorothea (1987): "Der Gral und der Ur-Europäer", Essen