Binnen-I
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![Binnen-I auf einem Linzer Verkehrszeichen](../../../upload/shared/thumb/a/ac/Binnen-i-radfahrerinnen.jpg/180px-Binnen-i-radfahrerinnen.jpg)
Ein Binnen-I (auch Majuskel-I) ist ein groß geschriebenes i im Inneren eines Wortes (Binnenmajuskel), das dazu dienen soll, bei Bezeichnungen von Personengruppen explizit sowohl weibliche als auch männliche Gruppenangehörige einzubeziehen (Splitting), ohne beide Genera ausschreiben oder das generische Maskulinum verwenden zu müssen; beispielsweise in der Form: LehrerInnen statt Lehrerinnen und Lehrer. Kritiker bemängeln, dass damit explizit die männliche Form unterdrückt wird.
Das Binnen-I widerspricht den Regeln der deutschen Rechtschreibung (nur der erste Buchstabe kann großgeschrieben sein), und die Verwendung einer solchen Schreibvariante (Betonung beider Geschlechter im selben Wort) war bisher auf die deutsche Sprache beschränkt (für die Genus-Sexus-Problematik siehe Feministische Linguistik). Neuerdings taucht allerdings im urbanen amerikanischen Slang immer häufiger die Schreibweise "s/he" als Zusammenziehung von she und he auf, die derselben Logik wie das Binnen-I folgt.
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Beispiel
Gemäß der gängigen Sprachauffassung ist der Satz „Mädchen sind die besseren Schüler“ sinnvoll, da Schüler sowohl Mädchen als auch Jungen umfasst (Genus ist nicht gleich Sexus). Nach Auffassung der feministischen Linguistik ist der Satz aber irreführend, da Mädchen keine Schüler seien, sondern Schülerinnen. Die Formulierung „Mädchen sind die besseren Schülerinnen“ sei ebenso falsch, da sie die Jungen ausschließt.
Ohne Unterscheidung von Genus und Sexus lautet der Satz: „Mädchen sind bessere Schülerinnen, als Jungen Schüler sind“; in der Schreibweise mit Binnen-I: „Mädchen sind die besseren SchülerInnen.“
Verwendung
Das Binnen-I soll im Deutschen die ansonsten möglicherweise in den Hintergrund tretende Beteiligung von Frauen an den jeweiligen Personengruppen hervorheben. So sollen Frauen mitgenannt werden, ohne dabei die weibliche Form als Sonderfall und Abweichung von der „normalen“ männlichen Form darzustellen. Dies verhindere die Verwechslung von Genus und Sexus.
Der feministischen Linguistik zufolge ist die Verwendung einer Bezeichnung wie „die Busfahrer“ an sich sexistisch, weil damit ausschließlich Männer assoziiert werden könnten.
Statt LehrerInnen beim Vorlesen in Lehrerinnen und Lehrer aufzulösen, wird seltener auch die Aussprache [ˈleːrərˌʔɪnən] verwendet: das Binnen-I wird durch einen Glottisschlag vor dem I ausgedrückt.
Schweiz
Die Verwendung des Binnen-I stammt ursprünglich aus der feministischen Sprachkritik der Schweiz und kam dort in den 1980er-Jahren auf, genauer wurde es das erste Mal in der linken Zeitung WOZ des 11. September 1987 verwendet [1]. Auch über den ursprünglichen Benutzerkreis hinaus ist das Binnen-I in der Schweiz heute auch im halboffiziellen Gebrauch verbreitet.
Deutschland
In die geschriebene Sprache in Deutschland fand das Binnen-I insbesondere durch die tageszeitung (taz) Einzug. Dabei wurden die Artikel in der Regel konsequent in der weiblichen Form geschrieben und aus Gründen der Lesbarkeit wird auf die männlichen Bezeichnungen verzichtet. „Jede TeilnehmerIn kann ihre FreundInnen mitbringen“ verzichtet auf den Lesefluss unterbrechende zusätzliche Großbuchstaben und Schrägstriche. Heute verwenden auch in der taz nur noch wenige Artikel das Binnen-I.
Das Binnen-I entspricht nicht den amtlichen deutschen Rechtschreibregeln. In Baden-Württemberg darf an Schulen und in der Schulverwaltung das Binnen-I aufgrund einer Vorschrift des Kultusministeriums nicht verwendet werden; in Prüfungen ist seine Verwendung als Fehler zu werten.
Österreich
Das Binnen-I wird in Österreich seit den 1990er-Jahren vermehrt vor allem in Bereichen wie der öffentlichen Verwaltung und den Universitäten verwendet. Es wird als eine unter mehreren Möglichkeiten (z. B. Beamtinnen und Beamte) zur, gesetzlich vorgeschriebenen, geschlechtsneutralen Formulierung offizieller Schriftstücke (Personalnachrichten, Stellenausschreibungen u. a.) genannt.
So legte etwa ein Merkblatt („Hinweise zur Manuskriptgestaltung und Zitierrichtlinien“) des Instituts für Germanistik der Universität Wien fest, „die grammatikalisch weibliche und männliche Form (z. B. Autor und Autorin) oder das große Binnen-I (z. B. AutorInnen) zu verwenden.“ [2] Ab Juli 2004 wurden in Linz Zusatztafeln zu Verkehrsschildern mit dem Wortlaut „RadfahrerInnen“ angebracht [3]. In Wien wurde auf eine solche Beschilderung mit dem Hinweis auf die Verwendung von ohnehin geschlechtsneutralen Piktogrammen, die Fahrräder zeigen, verzichtet. Der „Leitfaden geschlechtergerechtes Fomulieren“ des Arbeitskreises Gender Mainstreaming der Landesverwaltung von Niederösterreich vom Februar 2006 empfiehlt das Binnen-I für „Textarten, die durch begrenzte Länge gekennzeichnet sind“; so schreibt etwa die Kanzleiordnung für die niederösterreichischen Landesdienststellen in der Dienstanweisung 01-01/00-0150 vom 6. Juni 2005 vor, dass in Briefvordrucken die Form BearbeiterIn zu verwenden ist [4].
Alternativen
Als Alternative zum Binnen-I wird gelegentlich ausschließlich die weibliche Schreibweise (sozusagen ein „generisches Femininum“) verwendet. Dies kann eine sinnvolle Lösung sein, falls es ein geschlossener Text ist, in dessen Einleitung ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass Männer „mitgemeint“ sind. Desgleichen wird bei Verwendung des generischen Maskulinum ggf. darauf verwiesen, dass Bezeichnungen im Text (meist) beide Geschlechter meinen. Eine seltene Variante ist, männliche und weibliche Form abwechselnd als generische zu verwenden, was jedoch die Lesbarkeit des Textes bis hin zur Unverständlichkeit herabsetzen kann.
Weder alte noch neue deutsche Rechtschreibung lassen das Binnen-I als korrekt gelten. Stattdessen wird beispielsweise die Schreibung Lehrer(innen) empfohlen. Auch die Schreibung Lehrer/-innen ist gebräuchlich. Wo möglich, wird ein von vorneherein geschlechtsneutrales Wort wie Lehrkräfte verwendet. Dabei kann es aber zu inhaltlichen Verschiebungen kommen. So sind die oft zitierten Studierenden nicht gleichbedeutend mit der Gesamtheit von Studenten und Studentinnen, oder Singende nicht Sänger im eigentlichen Sinn.
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist es üblich, in der Anrede die grammatisch weibliche Variante explizit auszuformulieren und im sonstigen Sprachgebrauch sich darauf zu verlassen, dass das generische Maskulinum im jeweiligen Kontext richtig verstanden wird. Beispiele:
- „Liebe Kolleginnen und Kollegen, ...“
- „In XYZ streiken heute die Busfahrer.“ Dies bedeutet nicht, dass die Busfahrerinnen als Streikbrecher auftreten.
Kritik
Die Duden-Redaktion (siehe Weblinks: Gleichstellung von Frauen und Männern in der Sprache) stellt fest, dass „die Verwendung des großen I (auch Binnen-I) im Wortinnern weder den alten noch den neuen Rechtschreibregeln“ entspricht und rät von dessen Verwendung ab. Befürworter des Binnen-I würden demnach die Rechtschreibregeln bezüglich Genus und Sexus bewusst ignorieren, wobei grammatikalisch kein zwingender Zusammenhang zwischen Genus und Sexus bestehe; dieser rein psychologisch bedingt sei.
Es sei Kindern auch nicht zu vermitteln, wenn Lehrer das Binnen-I etwa in Schriftstücken verwenden, es aber in den Arbeiten der Kinder als Fehler werten.
Das Binnen-I ist nach Ansicht mancher Kritiker selbst geschlechterdiskriminierend. Zum einen würden Männer diskriminiert, weil beim Lesen eines Textes das Binnen-I erst wieder nach Geschlechtern aufgelöst werden muss, was aber, insbesondere bei längeren Texten, nicht geschehe. Der gelesene Text scheint dann nur noch die weiblichen Formen zu enthalten. Wenn Wörter nur in Großbuchstaben geschrieben werden, ist das Binnen-I unter den anderen Buchstaben nicht mehr zu erkennen. So werden zum Beispiel aus ArtistInnen: ARTISTINNEN. Die männlichen Artisten sind nun nicht mehr wahrnehmbar.
Ferner sei das Binnen-I geschlechterdiskriminierend, da es unterschwellig die Assoziationen von Frau = gut und Mann = böse wecke. Während bei positiv/neutrale besetzten Verwendungskontexten bei Wörtern wie ProfessorInnen, SchülerInnen, KünstlerInnen, MigrantInnen etc. das Binnen-I angewandt wird, würde es bei negativ besetzten Wörtern wie Verbrecher, Mörder oder Terrorist kaum jemals verwendet.
Dort, wo das Binnen-I beim Vorlesen durch einen Glottisschlag kenntlich gemacht werden soll, müssen Zuhörer sich darauf konzentrieren, ob in einem Wort dieser Laut vorkommt, um differenzieren zu können, ob nur Frauen oder aber Frauen und Männer gemeint sein könnten. Zudem wird besonders bei längeren Texten dieser Laut häufig übergangen oder überhört. Auch hier werden dann nur noch die weiblichen Formen ausgesprochen bzw. wahrgenommen.
Ein weiterer Kritikpunkt lautet, das Binnen-I erfinde in unzulässiger Weise eigene unterschiedliche Regeln für Menschen und Nicht-Menschen. So würde es zwar für MieterInnen oder PolizistInnen angewandt, aber nicht zum Beispiel für WölfInnen.
Ein Nachteil des Binnen-I, der auch die oben erwähnten Alternativen Lehrer(innen) bzw. Lehrer/-innen betrifft, besteht darin, dass es bei Wörtern, deren männliche Form kein kompletter Wortteil der weiblichen Form ist, nicht konsequent angewandt werden kann. Beispiele:
- Nomen: Arzt/Ärztin, Artisten/Artistinnen
- Pronomen: „jeder“ im Genetiv (jedes Schülers/jeder Schülerin) oder im Akkusativ (jedem Schüler/jeder Schülerin)
Die oft in diesem Fall verwendete Schreibung der weiblichen Form mit Binnen-I (ÄrztIn, ArtistInnen, jedeR SchülerIn) wird als selbst geschlechterdiskriminierend kritisiert. Alternativen, wie z.B. die explizite Anführung beider Formen oder die Verwendung anderer Wörter, können sich negativ auf den Lesefluss oder den Textstil auswirken.
Fußnoten
- ↑ http://www.woz.ch/artikel/2006/nr09/kultur/13012.html
- ↑ Hinweise zur Manuskiptgestaltung und Zitierrichtlinien (PDF), Universität Wien, 2002
- ↑ 100 neue „weibliche“ Zusatztafeln, orf.at, 20. Juli 2005
- ↑ Leitfaden geschlechtergerechtes Fomulieren (PDF), Arbeitskreis Gender Mainstreaming, Landesverwaltung von Niederösterreich, Feb. 2006, ISBN 3850061663 - Nr.166