Bolivarianische Missionen
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Die Bolivarianischen Missionen sind eine Reihe von Programmen, die v. a. der Armutsbekämpfung und der sozialen Sicherheit der Bevölkerung, aber auch anderen Zielen dienen. Sie wurden von der Regierung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez nach seiner Wahl im Jahr 1998 gestartet und sind nach Simon Bolivar, dem Befreier Südamerikas benannt.
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[Bearbeiten] Geschichte
Vorher waren Sozialprogramme, die der armen Bevölkerung zugute kommen, praktisch nicht mehr vorhanden. Zwar wurde der Aufbau einer kostenlosen Gesundheitsversorgung, eines allgemeinen Schulsystems sowie eine aktive Beschäftigungspolitik schon während der sogenannten Goldnen Jahre (1973-1983) des Erdölbooms versucht. Allerdings führten Korruption und Klientelismus dazu, dass ein großer Teil der armen Bevölkerung hiervon nicht profitieren konnte. Mit dem Verfall des Erdölpreises in den 80er Jahren geriet Venezuela in eine schwere Wirtschaftskrise und war auf Hilfe des Internationalen Währungsfonds angewiesen. Dieser verlangte im Rahmen seiner Strukturanpassungsprogramme erhebliche Einschnitte in den Sozialausgaben, die in den folgenden Jahren stark zurückgefahren wurden.
Erste Sozialprogramme, die u. a. eine kostenlose Gesundheitsversorgung vorsahen, initiierte Hugo Chávez unter dem Namen Plan Bolivar 2000 bereits im Februar 1999. Positive Effekte waren zwar spürbar, aber sie erreichten immer noch nicht die Masse der Marginalisierten, v.a. wegen des Unwillens und des passiven Widerstandes der althergebrachten Institutionen. Unter anderem als Reaktion auf die Verabschiedung von Gesetzen zur Einführung von Sozialprogrammen im Jahr 2001 startete die Opposition eine Welle von Angriffen auf die Regierung Chávez, die bis Mitte 2003 dauerten. Erst danach begann die Regierung, die Sozialprogramme zu reorganisieren, die jetzt als Misiónes bezeichnet wurden, weil versucht werden soll, innerhalb von sehr kurzer Zeit einen möglichst großen Effekt zu erzielen. Hierbei stützt sich die Regierung verstärkt auf soziale Bewegungen in den Armenvierteln. Viele Ausgaben wurden auch direkt vom staatlichen Erdölkonzern PDVSA finanziert und die Gesundheitsversorgung der Armenviertel wurde zum großen Teil von cubanischen Ärzten übernommen, weil sich die meisten venezolanischen Ärzte weigerten, dort tätig zu werden. Der Aufbau neuer Strukturen und Institutionen für bestimmte Aufgaben wurde auch deswegen durchgeführt, um den passiven Widerstand in den Ministerien, die immer noch von Oppositionsanhängern durchsetzt sind, zu umgehen.
[Bearbeiten] Liste der bolivarianischen Misiónes
Die folgende Tabelle listet alle bolivarianischen Misiónes auf:
Name | gestartet am | Ziel |
Bildung | ||
Misión Robinson | Juli 2003 | Ermöglicht es Erwachsenen, die bisher Analphabeten waren, lesen, schreiben und Rechnen zu lernen. Anschließend können diese die Grundschulbildung nachholen |
Misión Ribas | November 2003 | Ermöglicht es Erwachsenen, die Mission Robinson erfolgreich durchlaufen haben, die höhere Schulbildung nachzuholen, und eine Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben. |
Misión Sucre | Dezember 2003 | Ermöglicht allen Personen mit Hochschulzugangsberechtigung (darunter den Absolventen der Mission Ribas) die Aufnahme eines kostenfreien Hochschulstudiums ohne Eingangsprüfungen und Studienplatzbeschränkungen. |
Misión Alma Mater | 21. November 2006 | Neubau von 50(!) Universitäten und Erweiterung der bestehenden. |
Misión Ciencia („Wissenschaft“) | Februar 2006 | Unter anderem Unterweisung von 400.000 Personen in Open-Source Software und Bereitstellung von Graduiertenstipendien. |
Misión Cultura („Kultur“) | Januar 2005 | Sammlung und Verbreitung des in der Bevölkerung vorhandenen Wissens, kultureller Praxen und der Volkskultur im Allgemeinen. |
Gesundheit | ||
Misión Barrio Adentro („Hinein ins Armenviertel“) | März 2003 | Bereitstellung einer kostenlosen und umfassenden Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung. Dies beinhaltet sowohl die Basisversorgung als auch fortgeschrittene Gesundheitsversorgung in Krankenhäusern. |
Misión Sonrisa | 22. November 2006 | Kostenlose Bereitstellung von Zahnersatz für die Bevölkerung |
Misión Milagro („Wunder“) | Juli 2004 | Wiederherstellung des Augenlichts bei Blinden durch Operationen auf Cuba. |
Ernährungssicherheit | ||
Misión Mercal | 24. April 2003 | Bereitstellung von verbilligten Grundnahrungsmitteln für die Bevölkerung, die von lokalen Kooperativen und Bauern angebaut werden. |
Wohnungswesen | ||
Misión Hábitat | 3. September 2004 | Bereitstellung von ausreichendem Wohnraum für die gesamte Bevölkerung, der ein Leben in Würde ermöglicht. |
Soziales | ||
Misión Negra Hipolita | Januar 2006 | Unterstützung und Beistand für die Straßenkinder Venezuelas, vereinsamte ältere Menschen und Indigenas. |
Misión Abuelo („Opa“) | Januar 2006 | Verbesserung der Situation der Rentnerinnen und Rentner Venezuelas. |
Misión Madres del Barrio | 23. März 2006 | Verbesserung der Situation der sehr armen Mütter in den Elendsquartieren. |
Entwicklung und sozio-ökonomische Transformation | ||
Misión Zamora | November 2001 | Landreform |
Misión Vuelvan Caras („wendet das Gesicht“) | Januar 2004 | Transformation der venzuelanischen Ökonomie in Richtung auf soziale Zielen. Zurückdrängung einer rein an Geld und Gewinn orientierten Ökonomie. |
Misión Vuelta al Campo („Zurück aufs Land“) | Juni 2005 | Ermutigt verarmte und arbeitslose Venezuelaner, aufs Land zu ziehen und auf dem durch die Landreform von den Großgrundbesitzern konfiszierten Land Kooperativen zu gründen. |
Misión Guaicaipuro | 12. Oktober 2003 | Wiederherstellung der Landtitel für Indigena-Gemeinschaften. |
Misiòn Piar | Oktober 2003 | Verbesserung der Situation der kleinen handwerklichen Schürfer und Bergleute. |
Umweltschutz | ||
Misión Arbol („Baum“) | Juni 2006 | Wiederherstellung der venezolanischen Wälder durch pflanzen von mindestens 100.000 Bäume in den nächsten 5 Jahren. |
Misión Energy | November 2006 | Energiesparen und Förderung erneuerbarer Energien. |
Sonstiges | ||
Misión Identidad | Oktober 2003 | Ausstattung der gesamten Bevölkerung mit Personalausweisen als Voraussetzung für die Teilnahme an Wahlen. |
Misión Miranda | 18. Oktober 2003 | Schaffung einer Reservearmee und Förderung der allgemeinen Volksbewaffnung. |
Misión Florentino | Juni 2004 | Koordination des Wahlkampfes gegen das Abberufungsreferendum gegen Hugo Chavez am 15. August 2004 |
[Bearbeiten] Erfolge
Viele Misiónes existieren erst seit wenigen Jahren. Deshalb sind Aussagen über ihren Erfolg im Augenblick schwierig. Den sichtbarste Erfolg konnte wohl die Misión Robinson erreichen: Die Analphabetenquote wurde in wenigen Jahren von 10 auf 1% gesenkt. Dies wurde auch von der UNESCO bestätigt.
Beim Amtsantritt von Hugo Chavez 1999 lebten nach unterschiedlichen Angaben zwischen 60 und 80% der Bevölkerung Venezuelas in Armut. Das nationale Statistikinstitut erwartet, dass diese Quote gegen Ende des Jahres 2005 auf 35% der Bevölkerung absinken wird. Dies ist u.a. den Misiónes zu verdanken. So haben die Armen kostenlosen Zugang zu zahlreichen Medikamenten, darunter retroviralen Cocktails gegen AIDS. 15 Millionen Menschen werden durch die Mercal-Supermärkte mit verbilligten Lebensmitteln versorgt.
Die Lebenserwartung stieg von 72,18 Jahre (1999) auf 73,18 Jahre (2004); die Kindersterblichkeit konnte von 18,5 Promille auf 16,8 Promille im Jahr 2004 gesenkt werden.
Die Arbeitslosigkeit konnte von über 16,6% (1999) auf 11,5% (2005) gesenkt werden, indem die Regierung z.B. im Rahmen der Misión Vuelvan Caras zur Gründung von Kooperativen anregte und deren Produkte bevorzugt aufkauft.
Die Misiónes Hábitat und Zamora blieben dagegen bisher weit hinter ihren Planungen zurück. Es wurde nur ein Bruchteil der eigentlich geplanten Häuser für die Armen gebaut und die Landreform kommt nicht voran [1].
[Bearbeiten] Einordnung
Die Misiónes sind Teil einer Gesamtstrategie der Regierung Chavez, die eine neoliberale Wirtschaftspolitik ablehnt und bestrebt ist, die gesamte Bevölkerung von den hohen Einnahmen aus der Ölförderung unmittelbar profitieren zu lassen. Langfristig wird eine soziale und ökonomische Transformation der Gesellschaft in Richtung auf einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts angestrebt.
[Bearbeiten] Kritik
Von der venezolanischen Opposition wurde die Kritik geäußert, die hygienischen und medizinischen Standards der neuen Gesundheitszentren seien gering und die cubanischen Ärzte würden ihre Patienten indoktrinieren. Diese Behauptung wird allerdings auch von internationalen Beobachtern bestritten.[2]
Die Zeitung Boston Globe zitiert Befürchtungen, dass die hohen Ausgaben für Gesundheit, Bildung und Infrastruktur den privaten Konsum beeinträchtigen können. [3]
Kritiker bemängeln, dass durch die Misiónes viele Venezuelaner ein ständiges und nichterarbeitetes Einkommen erhalten. Dies kann nach Meinung von neoliberalen Wirtschaftswissenschaftlern die Arbeitsethik der Bevölkerung untergraben. Hierdurch würde die arme Bevölkerung zudem beeinflusst, bei Wahlen für Hugo Chávez zu stimmen. [4]
[Bearbeiten] Einzelnachweise
- ↑ Dario Azzellini: Venezuela Bolivariana, S. 132
- ↑ So von Wolfgang Metzger von der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (PAHO), vgl. Wolfgang Metzger: Gesunder Klassenkampf, junge Welt, 29.11.2006, aufgesucht am 11.12.2006.
- ↑ Lakshmanam, Indira A.R. Critics slam Venezuelan oil windfall spending. Boston.com Boston Globe (13 August 2006).
- ↑ Central Intelligence Agency. (CIA, 2005). The World Factbook 2005: Venezuela. Retrieved 18 Oct 2005.
[Bearbeiten] Literatur
Dario Azzellini: Venezuela Bolivariana, Köln 2006, ISBN 3-89900-120-6