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Neoliberalismus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Als Neoliberalismus bezeichnet man verschiedene sozialphilosophische und wirtschaftspolitische Theorien. Der Begriff Neoliberalismus war ursprünglich die Selbstbezeichnung einer Gruppe von Liberalen in der Mitte des 20. Jahrhunderts, aus deren Vorstellung die Soziale Marktwirtschaft mitentwickelt wurde. Heute wird der Begriff in der öffentlichen Diskussion insbesondere von Globalisierungskritikern und Gewerkschaften meist als Synonym für die Ideen der Chicagoer Schule verwendet.

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Der Begriff Neoliberalismus wurde von den Ökonomen Friedrich Hayek, Wilhelm Röpke, Walter Eucken und anderen auf einer Konferenz in Paris im Jahr 1938 im Zuge der Entwicklung eines Konzepts für eine langfristige Wirtschaftspolitik geprägt.

Heute sind unterschiedliche Konzepte des Neoliberalismus zu unterscheiden:

  • in den USA die Chicagoer Schule mit Frank Knight und Milton Friedman. Die liberal-marktwirtschaftlichen Ideen der Chicagoer Schule um Milton Friedman unterscheiden sich z. T. deutlich von denen der Freiburger Schule. Sie geht von der Stabilität des privaten Sektors aus, Instabilität sei vor allem der staatlichen Geld-, Kredit- und Fiskalpolitik zuzuschreiben. Auch bei der Entstehung von Monopolen setzt die Chicagoer Schule auf den freien Markt und geht davon aus, dass auf lange Sicht die Selbstregulierungsmechanismen des Marktes zu einem Marktgleichgewicht führen. Ein Schwerpunkt der Chicagoer Schule ist die Geldpolitik, weshalb sie auch als Monetarismus bezeichnet wird. Dabei untersuchte Friedman in seinem bekanntesten Werk „A Monetary History of the United States“ zusammen mit Anna Schwartz die Geldpolitik der USA. Dabei widerlegte er die keynesianische Erklärung der Weltwirtschaftskrise, welche annahm, die Geldpolitik hätte die Krise nicht verhindert. Friedman weist hingegen durch empirische Studien nach, dass erst die 30%ige Geldmengenreduktion der FED die Krise ausgelöst hat.

Die Österreichische Schule mit Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek hat den Neoliberalismus beeinflusst, versteht sich selbst jedoch nicht als neoliberal, sondern als klassisch liberal.

Entstehung der neoliberalen Lehre

In den 1930er und 1940er Jahren, die von Interventionismus, Protektionismus, zentraler Wirtschaftslenkung und Totalitarismus geprägt waren, gab es eine Rückbesinnung auf die Ideen des Liberalismus. Aus Sicht der Neoliberalen hatte man mit dem "ungezügelten" Liberalismus des Laissez-faire im 19. Jahrhundert, als der Staat die Wirtschaft komplett dem freien Spiel der Marktkräfte überließ, negative Erfahrungen gemacht und sah eine Notwendigkeit zur Neuformulierung. Der klassische Liberalismus des 19. Jahrhunderts betrachtete den Markt als etwas Naturwüchsiges. Er ging davon aus, dass wenn der Staat sich nicht einmischt, das eigennützige Streben der Individuen das Gemeinwohl am besten fördere (Adam Smith: unsichtbare Hand des Marktes). Neoliberale Vordenker sahen die Gefahr, dass ein ungeregelter Markt dazu tendieren kann, durch die Bildung von Monopolen den Wettbewerb aufzuheben, und dadurch seine eigene Grundlage zu zerstören. Markt ist nach Auffassung des Neoliberalismus daher nicht naturwüchsig, sondern muss durch den Staat gewährleistet werden.

Im September 1932 umriss Alexander Rüstow auf einer Tagung des Vereins für Sozialpolitik das neue liberale Credo:

„Der neue Liberalismus jedenfalls, der heute vertretbar ist, und den ich mit meinen Freunden vertrete, fordert einen starken Staat, einen Staat oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessenten, da, wo er hingehört. Und mit diesem Bekenntnis zum starken Staat im Interesse liberaler Wirtschaftspolitik und zu liberaler Wirtschaftspolitik im Interesse eines starken Staates – denn das bedingt sich gegenseitig, mit diesem Bekenntnis lassen Sie mich schließen.“

Die meisten Wirtschaftsordnungen der westlichen Industrienationen, insbesondere die soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, basieren heute auf den grundlegenden Prinzipien des Neoliberalismus.

Inhalte

Ziele

Der Neoliberalismus strebt eine vorwiegend marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung (mit den entsprechenden Gestaltungsmerkmalen wie z.B. privates Eigentum an den Produktionsmitteln, freie Preisbildung, Wettbewerbs- und Gewerbefreiheit) an und tritt darüber hinaus für marktkonforme Eingriffe des Staates ein, wenn der Marktmechanismus versagt (siehe Marktversagen) oder nicht zu den gesamtgesellschaftlich wünschenswerten Ergebnissen führt. Hauptforderungen des Neoliberalismus sind daher Maßnahmen, die

  • der Monopol- und Kartellkontrolle,
  • dem sozialen Ausgleich,
  • der Chancengleichheit,
  • der Internalisierung externer Effekte
  • sowie dem Ausgleich von Konjunkturschwankungen dienen sollen.

Der Neoliberalismus wendet sich ausdrücklich gegen jede Art monopolistischer und gruppenegoistischer Machtentfaltung (Lobbyismus), sowie gegen willkürliche staatliche Eingriffe wie z.B. marktverzerrende Subventionen oder Schutzzölle. Weiterhin definiert sich der Neoliberalismus einerseits durch eine scharfe Ablehnung totalitärer Gesellschaftssysteme sowie zentraler Wirtschaftslenkung, anderseits durch eine unmissverständliche Abkehr vom Laissez-faire des klassischen Liberalismus.

Elemente neoliberaler Politik

  • Normativer Individualismus: Quelle für wirtschaftspolitische Entscheidungen ist die individuelle Präferenz der Wirtschaftssubjekte. Aufgrund von Aggregationsproblemen individueller Präferenzen wird daher eine Kritik staatlicher Wirtschaftsprogramme geübt, wenn diese aus allgemeinen Prinzipien abgeleitet werden (Ablehnung von Agendapolitik). Dieses Prinzip ähnelt dem Prinzip der Volkssouveränität in der liberalen politischen Theorie.
  • Privateigentum: Nach neoliberaler Auffassung ist es nicht Aufgabe des Staates, unternehmerisch tätig zu werden. Gefordert wird deshalb die Privatisierung von Staatsbetrieben bzw. Aufgabe von Staatsbeteiligungen, insbesondere auch von staatlichen Monopolen im Bereich der Infrastruktur (Daseinsvorsorge) wie Telekommunikation, Verkehr, Energie oder Bildung. Der Staat hat aber durch eine Wettbewerbspolitik für funktionsfähige Märkte zu sorgen und der Bildung von Monopolmärkten und Marktversagen vorzubeugen. Der Vorrang von Privateigentum und privatwirtschaftlichen Regelungsformen gegenüber staatlichem Einfluss wird mitunter aus einer bestimmten Sichtweise auf die ökonomische Theorie der Verfügungsrechte abgeleitet. Demnach steige der volkswirtschaftliche Wohlstand, je mehr Eigentum sich in privater Hand befindet. Bei sozialistischen Regelungsformen komme es hingegen zwangsläufig zur sogenannten Tragik der Allmende.
  • Markt als Steuerungsinstrument: Nach neoliberaler Überzeugung soll allein der Markt, also Angebot und Nachfrage, über Art, Preis und Menge der Sach- und Dienstleistungen entscheiden, da so eine optimale Allokation der Ressourcen stattfinde.
  • Wettbewerb: Der Staat hat für funktionierende Märkte zu sorgen und im Falle deutlich „unvollkommener Märkte“ regulierend einzugreifen, etwa durch Steuern auf externe Effekte und durch Kartellgesetzgebung. Im Unterschied zur Neoklassik wird der Wettbewerb auch auf die Institutionen ausgeweitet, mit der Meinung, dass die „fittesten“ auf dem Markt überleben, deren Bedeutung wird anerkannt („neuer Institutionalismus“).
  • Deregulierung: Neoliberale fordern eine Deregulierung und Liberalisierung der Wirtschaft im Sinne einer Reduzierung der Gesetze und Verordnungen, soweit sie als übertrieben bürokratisch und nicht wirklich notwendig angesehen werden, weil dadurch einzelwirtschaftliche Handlungen verhindert würden.
  • Welthandel: Neoliberale befürworten die Globalisierung im Sinne einer Förderung des Freihandels zwischen den Staaten, sei es durch globale Organisationen wie der WTO mit ihren Vereinbarungen wie GATT, GATS, TBT, SPS, TRIPS, oder sei es durch Freihandelszonen und vermehrte Sonderwirtschaftszonen oder der Abschaffung der Grenzen der Nationalstaaten. Der freie Handel trägt nach Einschätzung des Neoliberalismus zur Förderung von weltweitem Wohlstand bei. Die Einschränkung des Handels mittels tarifärer (Schutzzölle) und nicht-tarifärer Handelshemmnisse und eine Förderung bestimmter Wirtschaftszweige durch den Staat (Subventionen) hingegen führt nach neoliberaler Vorstellung zu Ungleichverteilung und Armut auf der Welt. So haben es zum Beispiel Entwicklungsländer schwer, gegenüber der hochsubventionierten europäischen Agrarwirtschaft konkurrenzfähig zu bleiben. Neoliberale werfen den Industriestaaten vor, nur von den Entwicklungsländern Handelsfreiheit zu fordern, diese jedoch nicht im eigenen Land einführen zu wollen. Anhänger des Neoliberalismus fordern, sämtliche Handelsschranken zu anderen Ländern abzubauen und die Bevorzugung der heimischen Produkte durch Subventionen zu unterbinden. Damit, so behaupten sie, könnten Entwicklungsländer faire Chancen auf dem Weltmarkt erhalten.
  • Steuerpolitik: Gefordert werden in der Regel niedrige Steuersätze, etwa in Form eines Proportionaltarifs oder Stufentarifs, und ein einfaches Steuersystem anstelle eines Systems vielfältiger Einzelbestimmungen. Indirekte Steuern werden gegenüber direkten Steuern vorgezogen. Steuern auf die Substanz und Vermögen werden als Doppelbesteuerung ebenso abgelehnt wie Bagatellsteuern, bei denen die Einnahmen oft kaum höher sind als der Aufwand zu ihrer Erhebung. Insgesamt wird die Senkung von Unternehmenssteuern befürwortet, zumal damit oft sogar eine Erhöhung der staatlichen Steuereinnahmen einher ginge.
  • Sozialsystem: Auch im Bereich der Sozialsysteme befürworten Neoliberale privatwirtschaftlich organisierte Lösungen anstelle der als bürokratisch angesehenen staatlichen Systeme. Damit soll eine effizientere Verwaltung der Mittel des Bürgers erreicht werden. Das Umlageverfahren wird kritisiert, da es auf keiner soliden Basis stehe. Statt dessen wird private Vorsorge im Rahmen des Kapitaldeckungsverfahrens befürwortet. Das bedeutet, dass die sozialen Sicherungssysteme umgebaut werden: Der Umverteilungsstaat wird abgebaut, marktwirtschaftliche Systeme werden aufgebaut. Staatliche Leistungen würden sich dann wirksam auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren, also diejenigen, die nicht in der Lage sind, für ihren eigenen Lebensunterhalt aufzukommen. Milton Friedman hat eine negative Einkommensteuer vorgeschlagen. Danach würde das Finanzamt jedem Steuerpflichtigen, dessen Einkommen unter einem festzulegenden Minimum liegt, die Differenz ohne weitere Prüfungen überweisen.
  • Vermachtung: Der Neoliberalismus kritisiert Machtkonzentration in Wirtschaft (Kartellbildung) und Staat und wendet sich gegen gruppenegoistische („rent-seeking“) Machtentfaltung von Lobbyisten (z.B. Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften).
  • Konjunkturpolitik: Es wird gefordert, dass auch in rezessiven Phasen der Wirtschaft keine antizyklischen geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen seitens der Politik stattfinden sollen. Konjunkturprogramme seien Strohfeuer, die langfristig mehr schaden als nutzen würden. Subventionen verzerren nach neoliberaler Auffassung den Wettbewerb, verhindern Innovation und Strukturwandel und sollen deshalb abgebaut werden. Stattdessen wird eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik verfolgt, die durch günstigere Produkte den Konsum anregen soll. Mittel dazu seien unter anderem die Senkung von Löhnen, Lohnnebenkosten und Unternehmenssteuern. Gemäß der G-I-B-Formel wird erhofft, dass niedrigere Löhne zu höheren Gewinnen (G) führen, die zu höheren Investitionen (I) anregen, was mehr Beschäftigung (B) schaffen soll.

Beispiele neoliberaler Politik

Als das wohl bedeutendste Beispiel neoliberaler Politik gilt die Politik in der Bundesrepublik Deutschland unter Ludwig Erhard (1949–1963 Bundeswirtschaftsminister, 1963–1966 Bundeskanzler). Erhard und sein Staatssekretär Alfred Müller-Armack, der den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ prägte, waren beide Wirtschaftswissenschaftler, Vertreter der Freiburger Schule und Mitglieder der Mont Pèlerin Society und hatten regelmäßigen Kontakt zu den führenden Vertretern des Neoliberalismus wie Eucken, Röpke, Böhm und Hayek. Auch der in den 1990er Jahren geprägte Begriff „Sozial-ökologische Marktwirtschaft“ basiert wesentlich auf dem Neoliberalismus.

Als Experimentierfeld für die neoliberale Wirtschaftspolitik moderner Prägung gilt Chile. Von Milton Friedman stammt der Begriff des „Wunders von Chile“. Er wunderte sich über die liberale ökonomische Ausrichtung des ansonsten diktatorischen Regimes. Ronald Reagan („Reaganomics“) und Margaret Thatcher („Thatcherismus“) waren die ersten bedeutenden Politiker, die neoliberale Programme in den Industriestaaten umsetzten.

Neuseeland hat einen radikalen Wechsel von einer der am stärksten regulierten zu einer sehr liberalen Volkswirtschaft vollzogen und gilt deshalb als Beispiel für neoliberale Politik. Subventionen wurden radikal gestrichen, die Sozialsysteme stark zurückgebaut. Staatsbetriebe wurden privatisiert, Agrarsubventionen abgebaut, Kapitalverkehrskontrollen abgeschafft, die Zentralbank erlangte Unabhängigkeit, und der Spitzensteuersatz wurde halbiert. Neuseeland hat heute eine der am stärksten deregulierten und privatisierten Volkswirtschaften der Welt. Die Arbeitslosigkeit lag 2004 bei 3,6 Prozent und das Wirtschaftswachstum bei 4,4 Prozent; Neuseeland nahm damit in der OECD eine Spitzenposition ein.

Manche Kritiker bezeichnen die argentinische Wirtschaftspolitik als neoliberal, was aber sachlich weitenteils inkorrekt ist. In Argentinien wurden viele der im Washingtoner Konsensus formulierten Politikempfehlungen ignoriert und über Jahrzehnte eine exzessive Verschuldungspolitik verfolgt.

Institutionen

Denkfabriken

Friedrich Hayek dachte, dass zur Durchsetzung des Konzepts des Neoliberalismus mit einem Prozess zu rechnen wäre, der über zwei bis drei Generationen dauern würde; er gründete 1947 mit 36 Liberalen, vorwiegend Ökonomen (darunter Walter Eucken, Milton Friedman, Frank H. Knight, Ludwig von Mises, Karl Popper, Wilhelm Röpke) die Denkfabrik Mont Pelerin Society. Diese hat sich – neben der Verteidigung von Freiheit und Rechtsstaat – die Förderung von Privateigentum und Wettbewerb zur Aufgabe gemacht, die als wesentlich für eine freie Gesellschaft angesehen werden. Weitere wichtige Institute wurden in der Folge gegründet, z.B. das Institute of Economic Affairs 1971 in London oder die Heritage Foundation 1973 in Washington. In Deutschland gibt es z.B. die Stiftung Marktwirtschaft und die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.


Internationale Organisationen

Die WTO mit dem Ziel des weltweiten Freihandels vertritt neoliberale Forderungen, auch Weltbank und IWF werden oft mit dem Neoliberalismus in Verbindung gebracht. Seine Verbreitung als Konzept wurde von Ökonomen der Weltbank und des IWF nach dem Zweiten Weltkrieg vorangetrieben, als Antwort auf die Programme zur Förderung von Entwicklungsländern, die nicht den gewünschten Erfolg zeigten: Förderungen für Großprojekte ließen die armen Länder mit Schulden und geringem Wirtschaftswachstum zurück, die größere Bedeutung liegt aber in den 1970er Jahren als Versuch, eine strukturelle Krise zu beantworten (s. a. Konsens von Washington). Die Gewährung von Krediten an ein Land wird oft von der Durchführung liberaler Reformen (vgl. Strukturanpassungsprogramm) abhängig gemacht. Allerdings werden IWF und Weltbank auch von neoliberaler Seite kritisiert, z. B. wenn durch Begünstigung lokaler Machteliten marktverzerrende und interventionistische Politik betrieben wird. Auch das Weltwirtschaftsforum (WEF) wird von vielen in seinen Zielsetzungen als neoliberal angesehen.


Kritik und Kritiker

Der Begriff Neoliberalismus selbst, und seine Verwendung, ist unter Befürwortern und Gegnern eines Wirtschaftsliberalismus umstritten:

Die aktuelle Kritik am Neoliberalismus benutzt den Begriff heute meist im Sinne von Deregulierung und Liberalisierung der Märkte (Welthandel), Rückzug des Staates und Überantwortung von gesellschaftlichen Belangen an Kräfte des Marktes. In Deutschland stellt dieser Wandel z.B. den Übergang vom rheinischen Kapitalismus, der durchaus auch von Eucken geprägt war, hin zu einer globalisierten befreiten Marktwirtschaft dar.

Auch wenn diese Verwendung historisch-wirtschaftswissenschaftlich nicht exakt ist, dominiert sie heute, es hat also ein Bedeutungswandel stattgefunden. Viele Kritikpunkte, die im heutigen Sprachgebrauch in Bezug auf den Neoliberalismus geäussert werden, beziehen sich auf die aktuell dominante wirtschaftsliberale Denkschule, die sich mehr an Hayek und den Chicago Boys orientiert als an Euckens Prinzipien. Verfechter des Wirtschaftsliberalismus kritisieren wiederum den Neoliberalismus im Sinne von Eucken, weil dieser ihnen noch zu staatsfixiert ist.

  • Soziale Effekte der Deregulierung: Von Gewerkschaften und Globalisierungskritikern werden die von „neoliberaler“ Politik geforderten Privatisierungen und die Einschränkung staatlicher Wohlfahrtsleistungen kritisiert, da sie zu einer Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse führten. Dadurch verschärfe sich weltweit die soziale Lage. Kritiker sind der Ansicht, dass die Entfesselung des Marktes Ungleichgewichte und Unausgewogenheiten (Nord-Süd-Gefälle, soziale Ungleichheit) eher verschärfen würde als sie auszugleichen. Mit dem Rückzug des Staates greift in vielen Lebensbereichen die Logik des Marktes (vergleiche Kommodifizierung). Über höhere Preise für die Versorgung im Rahmen von Privatisierungen würden die Bürger geschädigt. Kritiker beklagen hier die fehlende Regulierung durch den Staat beziehungsweise der Einschränkung durch gesellschaftliche Normen. Der von neoliberalen Denkern gepriesenen Freiheit durch Marktchancen halten sie entgegen, dass dies in erster Linie die Freiheit von Wohlhabenden und Mächtigen darstelle. Achte man allein auf Rendite, würden moralische oder soziale Normen leiden.
  • Abbau des Sozialstaats: Die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung wird von einigen Beobachtern als Praxisbeispiel neoliberaler Politik gewertet. Die Kritik richtet sich insbesondere gegen die Kürzung der Ausgaben im Bereich der staatlichen Sozialversicherung. Die Kritiker betrachten dies als Sozialabbau. Private Absicherung könne den Sozialstaat nicht ersetzen. Die neoliberale Sicht, dass es dadurch zu einer effizienteren Verwaltung der Mittel des Bürger käme, wird von den Kritikern nicht geteilt. Sie begründen dies u. a. mit den Gewinnen der Pharmaindustrie oder der Anteilseigner privater Rentenfonds.
  • Kirche: Die Zunahme des Wettbewerbs solle die Bedürfnisse der Schwächsten in der Gesellschaft nicht unsichtbar machen, meinte Kardinal Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz: Die Befürworter neoliberaler Thesen seien leider „blind, wenn sie auf Menschen stoßen, die keine Voraussetzung haben, am Spiel des Marktes teilzunehmen“ [1]. Vergl. auch Christliche Soziallehre.
  • Kritik am Markt als Steuerungsinstrument: Die Keynesianischen Ökonomen (wie Joseph E. Stiglitz) meinen, dass ein ungeregelter Markt in einigen Fällen ein schlechtes Instrument sei und zu Marktversagen führen könne. Für den Keynesianismus sind die Erwerbsmöglichkeiten im entwickelten Kapitalismus keine Sache individueller Tatkraft. Sie richten sich nach dieser Theorie danach, ob es über die Marktprozesse gelingt, u. a. für die Investitionstätigkeit ausreichende Konsumgüternachfrage zu mobilisieren. Die Gegner des Neoliberalismus kritisieren, dass der freie Markt schädliche volkswirtschaftliche Ungleichgewichte erzeugen könne, da nur bei entsprechender Kaufkraft die jeweilige Nachfrage bedient würde. Außerdem gäbe es die Gefahr, dass Bedürfnisse, hinter denen keine entsprechende Kaufkraft steht, nicht abgedeckt werden (zum Beispiel keine private Forschung an Medikamenten gegen seltene Krankheiten). Auch wird kritisiert, dass die sozialen Folgen deregulierter Märkte von der Allgemeinheit zu tragen sind. Beispiele für derartige Problemkreise sind in den Bereichen Bildung, Altenpflege, Familienpolitik und zunehmend auch im Gesundheitssystem zu finden.
  • Marxismus: Für marxistische Kritiker wird der Neoliberalismus nicht nur als Politik und als konkretes Unternehmerhandeln, sondern auch als Art und Weise der Konsumption bzw. der Lebensführung, wie Selbstmanagement (vgl. a. „Selbsttechnologie“, Michel Foucault) verstanden. Sie ist eine Antwort auf sinkende Profitraten ("Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate", Karl Marx), die durch eine bis in die 1970er Jahre steigende Produktivität nicht mehr wettgemacht werden können („Krise des Fordismus“) – der Klassengegensatz, der in Institutionen (z. B. Sozialpartnerschaft, Gewinnbeteiligungen) eine Zeitlang ruhiggestellt werden konnte, bricht wieder auf. Der Neoliberalismus ist aber nicht einfach eine Ideologie, sondern ein hegemoniales und plurales Projekt, das der ständigen Reartikulierung durch Intellektuelle – Antonio Gramsci spricht hier von organischen Intellektuellen – des Kapitals bedarf, um die Akzeptanz des Kapitalismus immer wieder neu abzusichern, dadurch werde ein Partikularinteresse ("Profitmaximierung") als ein allgemeines Interesse ausgegeben (vgl. Standortdebatte). Über die so genannten 'sozialen Verwerfungen' des Neoliberalismus hat sich insbesondere die Kritische Theorie geäußert.

Neoliberale Positionen würden, so die Kritiker, deshalb einer Verengung der ökonomischen Sichtweise (la pensée unique – „Einheitsdenken“) Vorschub leisteten, welche die betriebswirtschaftliche Rationalität über die gesamtwirtschaftliche Rationalität, etwa die „Ökonomie des ganzen Hauses“ (Aristoteles), stellt. Manche Kritiker meinen, dass „Neoliberale“ andere Menschen gerne an sich selbst mäßen und dabei vergessen würden, dass soziale Umstände und Zufall maßgebliche Einflussfaktoren für den persönlichen ökonomischen Erfolg sein können.

Aus einer eher kulturellen Perspektive wendet sich Georges Bataille gegen das Primat des Nutzens, das Wert rein ökonomisch definiert und vermeintlich unproduktive Verausgabung jenseits der Gesetze des Marktes (z. B. Kunst, Verschwendung) immer seltener werden lässt. Auch in der weltweiten 68er-Bewegung wurde, besonders in Frankreich, die Ausweitung des Marktes auf immer mehr Lebensbereiche kritisiert. Die Punk-Bewegung knüpfte teilweise an diese Kritik an, stellte diesen Tendenzen das Konzept von Do it yourself entgegen.

Die Zapatistas luden zum ersten Mal 1996 zum „intergalaktischen Treffen gegen Neoliberalismus und für Menschlichkeit“. In Brasilien wurde aus Protest gegen „neoliberale“ Globalisierung das Weltsozialforum gegründet. Opponenten des Neoliberalismus als wirtschaftliche Theorie sind Ökonomen wie Joseph E. Stiglitz und Amartya Sen. Auch der Börsenspekulant George Soros warnt nun, nach seinen Spekulationen, vor einem bedrohlichen Marktfundamentalismus. Pierre Bourdieu legte gemeinsam mit anderen mit „Das Elend der Welt“ (1997) eine cultural study (Kulturstudie) zum Thema vor: er sieht eine allgemeine Zunahme von Angst und Unsicherheit, sowie eine gesellschaftliche Spaltung und „Prekarisierung“; ein ähnliches Projekt betrieb nachfolgend Elisabeth Katschnig-Fasch. Naomi Klein kritisiert in ihrem Buch No Logo die „Machenschaften globaler Konzerne“ und Folgen neoliberaler Politik ebenso wie Noam Chomsky in Profit over people oder Richard Sennett in Der flexible Mensch. Kritik am Neoliberalismus fällt dabei oft zusammen mit der Kritik an der Globalisierung, die nach Ansicht der Kritiker neoliberal geprägt sei und einseitig eine Globalisierung des Marktes, nicht aber der Menschenrechte anstrebe.

Jürgen Kromphardt kritisiert in seinem Buch Konzeptionen und Analysen des Kapitalismus, dass durch den freien Markt eine Umverteilung von den ökonomisch Erfolglosen zu den ökonomischen Erfolgreichen erfolge. Dies werde damit begründet, dass auf Dauer die höheren Leistungen der Erfolgreichen auch den Erfolglosen zugute kommen (so genannter Trickle-Down-Effect). Kromphardt meint, die Unsicherheit dieser Zukunftsversprechen und die Benachteiligung der Schwächeren werden als Strukturprobleme verharmlost. Neoliberale haben seiner Meinung nach die Tendenz, Fehlentwicklungen ihrer Konzepte zu verharmlosen oder zu leugnen. Dabei benutzen sie die Strategie, reale Auswirkungen durch sprachliche Mittel zu rechtfertigen. Das werde deutlich, wenn sie den Vorwurf, man sei gegen den Sozialstaat, dadurch entkräften wollen, dass sie behaupten, nicht den Sozialstaat sondern den Wohlfahrtsstaat abschaffen zu wollen. Diese Vorgehensweise der neoliberalen Denkfabriken lässt nach Kromphardts Meinung den Verdacht bestehen, dass deren Bemühungen nicht darauf ausgerichtet sind, die Realität wissenschaftlich zu erklären, sondern diese derart zu interpretieren, dass sie mit einer wirtschaftpolitischen Konzeption übereinstimmt, die eine vollkommene Befreiung der Privateigentümer von jeglichen gesetzlichen Einschränkungen fordert.

Siehe auch


Literatur

Kritik am Neoliberalismus


Weblinks

wikt:
Wiktionary
Wiktionary: Neoliberalismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme und Übersetzungen

Kritik am Neoliberalismus

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