Joseph Greenberg
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Joseph Harold Greenberg (* 28. Mai 1915 in Brooklyn, New York; † 7. Mai 2001 in Stanford) war ein hervorragender und gleichzeitig umstrittener Linguist, gleichermaßen bekannt für seine Leistungen in der Sprachtypologie (Universalienforschung) und in der Klassifikation von Sprachen in Afrika, Amerika, Eurasien und im indopazifischen Raum. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war er sicherlich - zusammen mit Noam Chomsky - einer der einflussreichsten Linguisten weltweit. Er war viele Jahre Professor an der Stanford University.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Beiträge zur Sprachtypologie
Greenberg wurde bekannt durch seine grundlegenden Beiträge zur Sprachtypologie, insbesondere zur Universalienforschung. Seit den 1950er Jahren untersuchte er große Sprachkorpora im Hinblick auf „linguistische Universalien“, also weltweit auftretende linguistische Merkmale in der Phonologie, Morphologie, Syntax und Semantik. Insbesondere begründete er die Idee der „linguistischen Implikation“, die zu folgenden Aussagen kommt: „wenn eine Sprache eine bestimmtes strukturelles Merkmal X besitzt, muss sie auch das Merkmal Y aufweisen“. (zum Beispiel „Wenn eine Sprache einen Dual besitzt, hat sie auch einen Plural.“)
[Bearbeiten] Beiträge zur Klassifikation von Sprachen
[Bearbeiten] Afrikanische Sprachen
Greenberg ist allgemein bekannt und anerkannt für seine grundlegend neue Klassifikation der afrikanischen Sprachen, die er nach vielen Zwischenstufen schließlich 1963 veröffentlichte. Dieser Neuansatz war für seine Zeit sehr kühn und teilweise auch spekulativ, insbesondere was die Gruppe der nilosaharanischen Sprachen angeht. Er prägte den Begriff „Afroasiatisch“ als Ersatz für den missverständlichen und belasteten Begriff „Hamito-Semitisch“. Seine Einteilung der afrikanischen Sprachen in die vier Phyla
war die Grundlage aller weiteren klassifikatorischen Arbeiten in der Afrikanistik seit 1963. Während die genetische Einheit des Afroasiatischen und Niger-Kongo heute unstrittig ist, muss die Khoisan-Gruppe wohl als arealer Sprachbund mit vor allem typologischen Gemeinsamkeiten betrachte werden (zum Beispiel Click-Laute). Besonders in der Diskussion steht das Nilosaharanische, das von einigen Spezialisten (L. M. Bender, C. Ehret, H. Fleming) als genetische Einheit mit einer rekonstruierbaren Protosprache aufgefasst wird, während andere Forscher in ihm lediglich einen Sprachbund sehen, dessen Kern allerdings eine genetische Einheit darstellt. (Die aktuelle Diskussion betrifft die Größe dieses Kerns.).
Zu den Leistungen Greenbergs speziell in der Afrikanistik siehe den Artikel Afrikanische Sprachen.
[Bearbeiten] Indopazifische Sprachen
1971 schlug Greenberg die „Indopazifische Makrofamilie“ vor, die die Papua-Sprachen (nicht-austronesische Sprachen Neuguineas und benachbarter Inseln), die andamanischen und tasmanischen Sprachen umfasst und aus folgenden Untergruppen besteht:
- Andamanisch (die Sprachen der indigenen andamanischen Negrito-Bevölkerung)
- Tasmanisch (die Sprachen der im 19. Jhdt. ausgerotteteten tasmanischen Urbevölkerung)
- Nukleares Neuguinea (Zentral-, Nord-, Süd-, Südwest-Neuguinea)
- West-Papua (West-Neuguinea, Nord-Halmahera, Timor-Alor)
- Ost-Neuguinea
- Nordost-Neuguinea
- Pazifisch (Bougainville, Neu-Britannien, Zentral-Melanesisch)
Diese Klassifikation - die die australischen Sprachen nicht beinhaltet - wird heute fast gänzlich verworfen und dient auch nicht als Arbeitshypothese der mit diesen Sprachen beschäftigten Linguisten. Während die andamanischen und tasmanischen Sprachen jeweils eine linguistische Einheit darstellen, zerfallen die Papua-Sprachen nach heutiger Kenntnis in ein Dutzend unabhängiger Sprachfamilien und einige isolierte Sprachen. Die Verwandtschaftsverhältnisse der sog. Papua-Sprachen sind bis heute nicht abschließend geklärt.
[Bearbeiten] Amerikanische Sprachen
Danach untersuchte Greenberg die indigenen Sprachen Amerikas, die nach mehrheitlicher Auffassung der einschlägigen Forschung in hunderte genetische Einheiten und isolierte Sprachen zerfallen. Sein 1987 veröffentlichtes Ergebnis ist die Einteilung aller amerikanischen Sprachen in nur drei genetische Gruppen:
- Eskimo-Aleutisch
- Na-Dené (Haida, Tlingit und Eyak-Athabaskisch)
- Amerindisch (der gesamte Rest aller indigenen amerikanischen Sprachen)
Diese Dreiteilung wird durch gewisse humangenetische Untersuchungen von Cavalli-Sforza und durch archäologische Forschungen gestützt, die zeigen, dass diese drei Gruppen zu unterschiedlichen Zeiten von Sibirien nach Amerika eingewandert sind, zuletzt die Eskimos. Während das Eskimo-Aleutische und prinzipiell auch das Na-Dené als genetische Einheiten schon lange anerkannt waren, fand die Idee der „amerindischen“ Sprachen bei den Amerikanisten überhaupt keine Unterstützung. Die meisten lehnten eine solche Klassifikation rundweg ab. Für den heutigen Stand der Amerikanistik typisch ist die Darstellung von Lyle Campbell, American Indian Languages (1997) mit weit über 200 genetischen Gruppen und vielen isolierten Sprachen, was im Vergleich zu den Verhältnissen in allen anderen Weltgegenden (selbst bei den sehr alten australischen Sprachen) sofort aufzeigt, dass die meisten dieser 200 Gruppen und Einzelsprachen sprachlich sicherlich nicht völlig voneinander isoliert sind.
Die amerikanistische Kritik galt hier nicht nur Greenbergs Klassifikationsergebnis, sondern vor allem seiner Methode des lexikalischen Massenvergleichs ohne die Etablierung von Lautgesetzen und die Rekonstruktion von Protosprachen (die er allerdings auch bei seiner weitgehend akzeptierten afrikanischen Klassifikation angewandt hatte). Darüber hinaus wurden ihm viele Fehler in seinem Datenmaterial vorgeworfen, wie falsche oder nicht-existierende Wörter, Verwendung falscher oder verzerrter Bedeutungen, Wörter, die den falschen Sprachen zugeordnet wurden, falsche Analyse des Wortmaterials in Präfixe, Wortkern und Suffixe. Alles in allem muss man sagen, dass der Greenbergsche Ansatz des Amerindischen nach heutiger Einschätzung der Amerikanistik weitgehend fehlgeschlagen ist. Lediglich mittelgroße Einheiten seiner Klassifikation konnten durch weitere Forschungsarbeiten bestätigt werden, was bei der heutigen Zerrissenheit der linguistischen Landschaft Amerikas auch schon ein großer Fortschritt ist. Das Aufzeigen oder endgültige Widerlegen der Verwandtschaft grösserer Sprachgruppen Amerikas wird sicher noch einige Jahrzehnte intensiver linguistischer Feldarbeit und vergleichender Forschung erfordern - wenn dies nicht durch das heute bereits zu beobachtende alarmierend rasche Verschwinden von Indianersprachen nicht vorzeitig gestoppt wird. Das Greenbergsche Konzept "Amerind" bleibt bis dahin als maximale Reduktion der Anzahl separater Sprachfamilien in Amerika ein Arbeitsprogramm.
[Bearbeiten] Eurasiatische Sprachen
Am Ende seines Lebens widmete sich Greenberg den Sprachen Eurasiens und bildete aus verschiedenen europäischen, asiatischen und nordamerikanischen Sprachfamilien und isolierten Sprachen Sibiriens eine neue Makrofamilie, die allerdings große Ähnlichkeiten mit der nostratischen Hypothese hat und auf Vorgänger aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert zurückgeht. Zum Eurasiatischen zählt Greenberg:
- Etruskisch
- Indogermanisch
- Uralisch-Jukagirisch
- Altaisch mit den Unterfamilien Turkisch, Mongolisch und Tungusisch
- Koreanisch-Japanisch-Ainu
- Giljakisch (Nivchisch)
- Tschuktscho-Kamtschadalisch
- Eskimo-Aleutisch
Der Unterschied zum Nostratischen besteht insbesondere darin, dass das Nostratische das Kartwelische und Drawidische einschließt, aber nicht die kleineren sibirischen Gruppen und Einzelsprachen. Das früher regelmäßig zum Nostratischen gezählte Afroasiatische - so auch noch Dolgopolsky 1998 - wird heute auch von Vertretern des Nostratischen eher als "Schwesterphylum" statt als Unterfamilie angesehen, wodurch sich die Ansätze von "Eurasiatisch" und "Nostratisch" stärker angenähert haben, zumal neuere Überlegungen zum Nostratischen auch die sibirischen Sprachen berücksichtigen.
Greenberg nennt seine Arbeit zum Eurasiatischen etwas provokativ Indo-European and its Closest Relatives. Es ist noch zu früh, den Erfolg dieser sehr umfassenden Hypothese zu beurteilen. Klassische Indogermanisten lehnen diese Folgerungen ab, da sie in eine zu große Zeittiefe hinabreichen, so dass das Material nicht mehr aussagekräftig genug sein könne.
Im Gegensatz zum Amerind hat Greenberg beim Eurasiatischen aber neben verwandten Wörtern auch grammatische Elemente miteinander verglichen, deren Ähnlichkeit zum Teil recht überzeugend sind (insbesondere im Indogermanischen, Uralischen und Altaischen), und die durch die Konzepte Sprachbund und Entlehnung nicht einfach erklärt werden können.
Das "eurasiatische" Konzept Greenbergs könnte auch zur Versachlichung der Verwandtschaftsdiskussionen innerhalb einzelner Sprachgruppen, insbesondere beim Altaischen (inklusive Koreanisch und Japanisch) führen, wo heute eher persönliche als fachliche Argumente üblich sind.
[Bearbeiten] Werke von Joseph Greenberg
- 1963 Some Universals of Grammar with Particular Reference to the Order of Meaningful Elements. in Universals of Language, pp. 73-113. MIT Press Cambridge.
- 1963 The Languages of Africa. Bloomington: Indiana University Press.
- 1971 The Indo-Pacific Hypothesis. In CTIL 8.
- 1974 Language Typology. A Historical and Analytical Overview. Mouton The Hague-Paris.
- 1987 Language in the Americas. Stanford University Press.
- 2000 Indo-European and Its Closest Relatives: The Eurasiatic Language Family. Volume I: Grammar. Stanford University Press.
- 2002 Indo-European and Its Closest Relatives: The Eurasiatic Language Family. Volume II: Lexicon. Stanford University Press.
- 2005 Genetic Linguistics: Essays on Theory and Method., edited by William Croft. Oxford: Oxford University Press.
[Bearbeiten] Weblinks
- Gedenkschrift zum Tode Joseph Greenbergs
- Nachruf des Stanford Report
- Nachruf von Good Bye!
- Nachruf von Bill Croft (PDF)
- Artikel in der New York Times
Personendaten | |
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NAME | Greenberg, Joseph Harold |
KURZBESCHREIBUNG | Linguist |
GEBURTSDATUM | 28. Mai 1915 |
GEBURTSORT | Brooklyn, New York |
STERBEDATUM | 7. Mai 2001 |
STERBEORT | Stanford |