Kanonenbootpolitik
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Der Ausdruck Kanonenbootpolitik oder Kanonenbootdiplomatie bezeichnet das Vorgehen von Seemächten gegenüber kleineren Mächten zur Durchsetzung eigener Interessen mittels eines oder mehrerer Kriegsschiffe. Häufig wurden für diese Aufgaben Kanonenboote eingesetzt, kleinere Kriegsschiffe mit einem schweren Geschütz als Hauptbewaffnung, das gegen die Hafenanlagen und Küsten eines Gegners Wirkung erzielen konnte. Die Kanonenbootpolitik diente neben der Durchsetzung von Wirtschafts- und Machtinteressen auch dem Eintreiben von Forderungen und dem Schutz eigener Bürger.
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[Bearbeiten] Entstehung und Ursachen
Im 19. Jahrhundert wurde die Durchsetzung europäischer und US-amerikanischer Machtinteressen in Übersee mit militärischer Gewalt eine übliche Form der Machtausübung. Dafür gab es verschiedene Ursachen.
Einer der Schwerpunkte der Kanonenbootpolitik war Lateinamerika und hier vor allem Mittelamerika. Nach der Unabhängigkeit von Spanien und Portugal entstanden zunächst größere Staatsgebilde wie zum Beispiel die Zentralamerikanische Konföderation (1823-1838) oder Großkolumbien (1819-1830), die nach und nach in Einzelstaaten zerfielen. Interne Auseinandersetzungen führten zu einer Anzahl von Bürgerkriegen und Staatsstreichen. In diesen Gebieten konnte sich deshalb über längere Zeit keine zuverlässige und außenpolitisch verantwortliche Staatsgewalt etablieren.
Zugleich war diese Region ein wichtiger überseeischer Handelspartner insbesondere für diejenigen Nationen geworden, die keinen eigenen Kolonialbesitz hatten, wie z.B. die USA und Deutschland (vor 1885). Viele europäische Auswanderer und Geschäftsleute ließen sich dort nieder. Diese Ausländer bedurften des Schutzes durch ihre Heimatländer, um in einer Situation großer Rechtsunsicherheit in schwach entwickelten Staatswesen ihre Existenz sichern zu können. Ihr Status war vom Ansehen und der militärischen Macht ihres Landes abhängig. Mächte, die in der Region über Stützpunkte verfügten, gingen dazu über, ihre Seestreitkräfte zum Schutz ihrer Bürger und zum Eintreiben finanzieller Forderungen einzusetzen.
Ein weiterer Grund für die militärische Diplomatie war das Fehlen anderer diplomatischer Kanäle, wie sie sich im 20. Jahrhundert entwickelt haben. Viele der außereuropäischen Staaten unterhielten keine diplomatischen Beziehungen zu europäischen Ländern, Peru unterhielt etwa 1875 überhaupt keine diplomatischen Beziehungen mit dem Ausland. Auch bestanden noch keine Telegrafenverbindungen oder ähnliche schnelle Kommunikationsmittel, die bei der Streitschlichtung zwischen Staaten hätten hilfreich sein können. Überstaatliche Institutionen wie der Völkerbund oder die Vereinten Nationen wurden viel später gegründet.
Schließlich war das Verständnis des Völkerrechts anders entwickelt als im 20. Jahrhundert und 21. Jahrhundert. Der Einsatz militärischer Mittel zur Durchsetzung nationaler Interessen galt als legitim. Der nationale Ehrbegriff erforderte Sanktionen bei Respektlosigkeit kleiner Mächte.
[Bearbeiten] Beispiele der Kanonenbootpolitik
Von den USA wurde die Kanonenbootpolitik erstmalig im Juli 1853 durch Commodore Matthew Perrys 4-Schiff-Geschwader in der japanischen Bucht von Edo, dem heutigen Tokio, (siehe Schwarze Schiffe) und seither immer wieder zur Abstützung informeller Herrschaft in Mittelamerika und der Karibik sowie im Südpazifik eingesetzt.
Zwischen 1902 und 1959 ankerten immer wieder US-Kriegsschiffe im Hafen von Havanna auf Kuba, um nicht genehme Regierungen abzusetzen oder wirtschaftspolitische Entscheidungen zugunsten der USA zu erzwingen.
Deutschland beteiligte sich ebenfalls an militärischen Operationen gegen überseeische Länder, so zum Beispiel im Rahmen der so genannten Eisenstuck-Affäre 1876-78 in Nicaragua, des Boxeraufstandes 1900 in China oder der Zweiten Marokkokrise 1911 ("Panthersprung nach Agadir").
Auch die Royal Navy beteiligte sich aktiv an der Kanonenbootpolitik, zum Beispiel bei der Durchsetzung britischer Interessen gegen Griechenland beim so genannten Don Pacifico Vorfall 1850 in Saloniki.
[Bearbeiten] Auswirkungen und Ende der Kanonenbootpolitik
Die Kanonenbootpolitik hatte nicht nur für die betroffenen Staaten überwiegend negative Auswirkungen. Auch die Großmächte erkannten die Nachteile, die dieses Vorgehen mit sich brachte. Die gewaltsame Durchsetzung der Interessen verhinderte die Bildung von Rechtssicherheit und bevorteilte den Stärkeren, der gerade mit Streitkräften vor Ort war. Dadurch waren die Großmächte gezwungen, in vielen Gebieten Seestreitkräfte zu unterhalten. Außerdem bestand stets das Risiko einer ungewollten Konfrontation untereinander.
Bereits mit den Haager Abkommen von 1907 wurde ein erster Schritt zum Ende der Kanonenbootpolitik unternommen. Dem dienten vor allem das I. Haager Abkommen betreffend die friedliche Erledigung von internationalen Streitfällen und das II. Haager Abkommen betreffend die Nichtanwendung von Gewalt bei Eintreibung von Vertragsschulden. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Gründung des Völkerbundes war die Phase der Kanonenbootpolitik bis auf wenige Ausnahmen beendet.
[Bearbeiten] Verweise
[Bearbeiten] Literatur
Hartmut Klüver (Hg.), Auslandseinsätze deutscher Kriegsschiffe im Frieden, Bochum 2003, ISBN 3-89911-007-2 kart
[Bearbeiten] Weblinks
Gerhard Wiechmann, Die preußisch-deutsche Marine in Lateinamerika 1866 -1914, Oldenburg 2000