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Kraniomandibuläre Dysfunktion

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Terminologie

In Deutschland hat sich der Begriff „Kraniomandibuläre Dysfunktion (CMD) eingebürgert, ein Sammelname für diverse muskuloskelettale Beschwerden im Kausystem. In der Schweiz wird der Begriff „Myoarthropathie“ bevorzugt, im englischen Sprachraum "Temporomandibular Disorders" (TMDs). Die alte Bezeichnung „Costen-Syndrom“ ist überholt. Hauptansprechpartner bei diesem Beschwerdebild ist der Zahnarzt, betroffen sind aber viele medizinische Fachrichtungen.

[Bearbeiten] Definition

Unter dem Begriff „Kraniomandibuläre Dysfunktion“ (CMD) werden alle schmerzhaften und nicht-schmerzhaften Beschwerden zusammengefasst, die sich auf strukturelle, funktionelle, biochemische und psychische Fehlregulation der Muskel*- und/oder Kiefergelenkfunktion beziehen (* vor allem Mundöffner- und Mundschließermuskeln). Es gibt verschiedene Klassifikationssysteme, wobei international die „Research Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorders“ (RDC/TMD) aus dem Jahre 1992 die größte internationale Verbreitung gefunden haben. Demnach unterscheidet man folgende 2 Bereiche (Achsen) ACHSE I: Somatische Diagnosen

Bereich I: Schmerzhafte Beschwerden im Bereich der Kaumuskulatur

  • Ia: Myofaszialer Schmerz
  • Ib: Myofaszialer Schmerz mit eingeschränkter Kieferöffnung

Bereich II: Anteriore Verlagerung des Discus articularis

  • IIa: Anteriore Diskusverlagerung mit Reposition bei Kieferöffnung
  • IIb: Anteriore Diskusverlagerung ohne Reposition bei Kieferöffnung, mit eingeschränkter Kieferöffnung.
  • IIc: Anteriore Diskusverlagerung ohne Reposition bei Kieferöffnung, ohne eingeschränkte Kieferöffnung.

Bereich III: Arthralgie, aktivierte Arthrose, Arthrose

  • IIIa: Arthralgie
  • IIIb: aktivierte Arthrose vom Kiefergelenk
  • IIIc: Arthrose des Kiefergelenks

ACHSE II: Schmerzbezogene psychosoziale Diagnostik • Schmerzbezogene Beeinträchtigungen täglicher Aktivitäten • Depressive Verstimmung • Unspezifische somatische Symptome

[Bearbeiten] Epidemiologie

Die Häufigkeit der CMD liegt bei etwa 8% der gesamten Bevölkerung, wobei nur rund 3% wegen dieser Beschwerden behandlungsbedürftig sind. Im Kleinkindalter sind CMD-Symptome selten anzutreffen, die Häufigkeit steigt aber bis zur Pubertät an. Frauen im gebärfähigen Alter sind wie bei anderen Schmerzerkrankungen deutlich häufiger betroffen als Männer. Nach den Wechseljahren lassen die Beschwerden häufig nach und im Alter ist die CMD relativ selten.

[Bearbeiten] Symptomatik

Eine Vielzahl von Symptomen kann die Diagnose schwierig machen. Häufig schmerzen die Kiefermuskulatur und/oder die Kiefergelenke beim Kauen. Andere Symptome können sein:

  • Eingeschränkte Kieferöffnung
  • Knacken oder Reiben der Kiefergelenke beim Öffnen oder Schließen der Kiefer
  • Ausstrahlende Schmerzen in Mund, Gesicht, Kopf-, Nacken, Schulter und/oder Rücken, Hals-Wirbelsäulen-Schulterprobleme, eingeschränkte Kopfdrehung, Kopfschmerzen
  • Plötzlich auftretende Probleme mit der Passung der Zähne aufeinander.
  • Es können aber auch unangenehme Ohrenschmerzen ein Symptom sein.

[Bearbeiten] Pathogenese

Da in den meisten Fällen die Ursachen unklar sind, wird eine multifaktorielle Genese vermutet. Prädisponierende, auslösende und unterhaltende Faktoren umfassen biologische, psychische und soziale Elemente. Anbei sind einige davon aufgelistet, wobei sich immer neue Aspekte in Klinik und Forschung ergeben werden:

  • Genetik
  • Hormone
  • Entwicklungsstörungen der Kiefer
  • Haltungsstörungen
  • Emotionaler Stress
  • Frühere Schmerzerfahrungen
  • Hypervigilanz durch Sympathikusaktivierung
  • Makrotrauma durch Unfälle
  • Mikrotrauma durch Störungen der Bisslage
  • Zähneknirschen
  • Schlafstörungen, z.B. beim Obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom
  • Reduzierung der Aktivität des Deszendierenden Inhibitorischen Nozizeptiven Systems
  • Katastrophisieren
  • Depression
  • Posttraumatische Belastungsstörung

[Bearbeiten] Diagnose

Zur Diagnose der CMD wird aktuell folgende Vorgehensweise empfohlen:

  1. Ein ausführliches Arztgespräch mit Einsatz standardisierter Fragebögen.
  2. Eine somatische Untersuchung von Kieferöffnung, Kaumuskulatur und Kiefergelenken (Funktionsstatus).
  3. Eine Röntgenaufnahme des gesamten Kiefers (Panoramaschichtaufnahme) zum Ausschluss zahnärztlicher und kieferchirurgischer Krankheitsursachen.
  4. Einer oder mehrere schmerzpsychologische Filterfragebogen zur Früherkennung von psychosozialen Beeinträchtigungen.

Bei komplexen Krankheitsbildern können aufwändige apparative, radiologische und/oder psychologische Verfahren in Diagnostik und Therapie Anwendung finden sowie andere Fachrichtungen hinzugezogen werden.

[Bearbeiten] Differentialdiagnostik

Aufgrund einer Vielzahl von Schmerzursachen im Kopfbereich ist bei unklarer Diagnose eine fachübergreifende Diagnostik sinnvoll. Auszuschließen sind Erkrankungen aus den verschiedensten medizinischen Fachgebieten und eine intensive konsiliarische Beurteilung ist dann unerlässlich.

[Bearbeiten] Therapie

Grundgedanke bei der Behandlung von CMD ist eine schonende und reversible Vorgehensweise. Dabei werden wissenschaftlich anerkannte Therapiekonzepte je nach Schweregrad eingesetzt werden und individuell auf den Patienten abgestimmt.

  1. Eine Aufklärung des Patienten über die Krankheitszusammenhänge und eine korrekte Diagnosestellung ist der erste und wichtigste Schritt für eine positive Beeinflussung des Krankheitsgeschehens. Reibegeräusche und Knacken der Kiefergelenke ohne andere Symptome sind z.B. wenig Anlass zur Sorge.
  2. Hinweise zur Selbstbehandlung, wie weiche Nahrung, Dehnübungen, Wärme- oder Kälteanwendungen, Entspannungsübungen und/oder Stressmanagement, helfen in sehr vielen Fällen.
  3. Eine Okklusionsschiene (Aufbissbehelf) wird vom Zahnarzt häufig eingesetzt und führt meistens zu einer Entspannung der Kau- und Kopfmuskulatur sowie zu einer Entlastung der Kiefergelenke.
  4. Physiotherapie hilft in vielen Fällen, muskuläre Verspannungen im ganzen Körper zu reduzieren und trägt so zum Behandlungserfolg bei.
  5. Manchmal sind schmerzlindernde, entzündungshemmende, muskelrelaxierende oder schlaffördernde Medikamente notwendig um eine Chronifizierung des Schmerzgeschehens Einhalt zu gebieten und die Lebensqualität zu verbessern.
  6. Transkutane Elektrische Nervenstimulation (TENS) hilft in den meisten Fällen durch eine Entspannung der Muskulatur und eine Reduktion der Schmerzen.
  7. Es wird diskutiert ob Triggerpunkt-Infiltrationen der Muskulatur mit verschiedenen Substanzen sinnvoll sind und dauerhaft Linderung bringen können.
  8. Umfangreiche Zahnsanierungen, kieferorthopädische oder chirurgische Maßnahmen sollten nur bei strengster Indikation Anwendung finden.

[Bearbeiten] Prognose

In den allermeisten Fällen handelt es sich bei der CMD um eine gutartige Erkrankung mit hohem Selbstheilungspotential. Bei etwa 10% der Erkrankten führen verschiedenste Faktoren zu einer Chronifizierung des Schmerzgeschehens mit ausgeprägten psychosozialen Beeinträchtigungen, worauf hin eine intensive Diagnostik, Therapie und Betreuung unerlässlich ist.

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Literatur

  • Kares H, Schindler H, Schöttl R: Der etwas andere Kopf- und Gesichtsschmerz. Craniomandibuläre Dysfunktionen CMD., Schlütersche Verlag 2006, ISBN 3-87706-665-8 / 3-87706-887-1
  • Okeson J: Bell´s Orofacial Pains – Clinical Management of Orofacial Pain, Quintessenz Verlag 2005. ISBN 0-86715-439-X
  • Hugger A, Göbel H, Schilgen M (Hrsg.): Gesichts- und Kopfschmerzen aus interdisziplinärer Sicht. Evidenz zur Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie., Springer, Berlin 2006. IX, 277 S. m. 28 Abb. ISBN 3540230521
  • Dapprich J: Funktionstherapie in der zahnärztlichen Praxis., Quintessenz-Verlag Berlin 2004 ISBN 3-87652-348-6

[Bearbeiten] Weblinks

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