Kreiselkompass
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Der Kreiselkompass ist ein Kompass, der die Nord-Süd-Richtung anzeigt, ohne sich das Magnetfeld der Erde zunutze zu machen. Er bedient sich hierbei eines schnell rotierenden Kreisels in einer speziellen Lagerung, des Gyroskops (sächlich, griechisch γυροσκόπιο). In der speziellen „Aufhängung“ zwingt die Schwerkraft der Kreiselachse eine parallele Ausrichtung zur Erdoberfläche auf, ermöglicht ihr aber andererseits, sich möglichst parallel zur Erdachse auszurichten. Den Kreisel bildet ein spezieller Kreiselmotor, der besonders geringe Lagerreibung und ein hohes Rotationsträgheitsmoment, verbunden mit hoher Drehzahl, besitzt.
Der Kreiselkompass und daraus entwickelte Trägheitsnavigationssysteme werden zur Navigation in der Geodäsie, Luftfahrt und Schifffahrt verwendet.
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[Bearbeiten] Funktionsprinzip
Ein rotierender Kreisel ist stets bestrebt, seine Lage im Raum beizubehalten (Drehimpulserhaltung). Versucht man nun die Lage der Rotationsachse im Raum zu verändern, so reagiert der Kreisel durch eine Ausgleichsbewegung in einer anderen Achse (Präzession Abb. 1 und 2).
Das Hauptproblem beim Kreiselkompass besteht darin, den wegen der Langsamkeit der Erdrotation sehr kleinen Effekt messbar zu machen und vor Störungen zu schützen. Man bedient sich eines sehr schnell rotierenden Kreisels und möglichst reibungsfreier Lagerung (z.B. in einer Flüssigkeit). Bei der Verwendung in Fahrzeugen muss vor einer Bewegung des Fahrzeugs stets der Kreiselkompass gestartet werden, anderenfalls stimmt zunächst bis zur erneuten Ausrichtung des Kreisels die Kompassanzeige nicht. Beim Kreiselkompass ist die Kreiselachse zu vergleichen mit der Kompassnadel des Magnetkompasses. Der Kreisel ist eine durch einen Elektromotor angetriebene Scheibe (20.000-30.000 U/min). Die Rotationsachse wird immer in der waagerechten gehalten. Dies bewirkt, dass Präzessionsbewegungen beim Kreiselkompass immer zu einer Änderung der Kompassanzeige führen.
Stellt man sich nun vor, dass die Achse des Kreisels in West-Ost-Richtung ausgerichtet ist so führt die Erdrotation zu einer Lageänderung der Kreiselachse im Raum (Abb. 3). Der Kreisel reagiert darauf mit einer Präzessionsbewegung die den Kreisel in Nord-Süd-Richtung zwingt. In diese Richtung ausgerichtet hat die Erdrotation (am Äquator) keine Lageänderung der Kreiselachse mehr zur Folge (Abb. 4).
Der Kreisel richtet seine Drehachse so in Nord-Süd-Richtung aus, dass Kreiselachse und Erdachse in einer Ebene liegen; bei Betrieb auf dem Äquator wird die Kreiselachse – wie in Funktionsdarstellungen üblicherweise gezeigt – sogar parallel zur Erdachse aus. Welche Seite des Kreisels nach Norden zeigt, hängt von seiner Rotationsrichtung ab. Probleme ergeben sich bei einem solchen Ein-Kreisel-Kompass, wenn der Kompass in Bewegung ist (z.B. auf einem Schiff). Wenn eine solche Bewegung nicht in West-Ost-Richtung erfolgt, also 90 Grad zur Kreiselachse, so führt die Erdkrümmung zu einer Lageänderung der Achse im Raum mit sich daraus ergebender Präzession. Der Kompass zeigt nicht mehr exakt nach Norden. Hinzu kommen Stampf- und Schlingerbewegungen, die es erschweren, den Kreisel in der Waagerechten zu halten. Auf einem fahrenden Schiff tritt durch die Bewegung entlang einem Meridian eine weitere Drehung auf, die zu einer Abweichung des Kreiselkompasses führt. Flugzeuge können sich sogar schneller als die Erddrehung bewegen, so dass der Kreiselkompass nicht anwendbar ist. In der Nähe der Pole versagt der Kreiselkompass genauso wie der Magnetkompass, weil die Drehachse der Erde fast senkrecht aus der Oberfläche hinaus zeigt und das auf die Horizontalebene projizierte Drehmoment sehr klein wird. Diese Probleme führten zur Entwicklung von Drei-Kreisel-Kompassen.
[Bearbeiten] Geschichte
[Bearbeiten] Die Bohnenberger Maschine (Gyroskop)
![Abb. 7 Kreiselkompass mit kardanischer Aufhängung](../../../upload/thumb/4/4b/Kreisel.kardanisch.jpg/180px-Kreisel.kardanisch.jpg)
Basierend auf der Erfindung des Astronomen, Physikers und Geodäten Johann Gottlieb Friedrich von Bohnenberger wurde das Gyroskop konstruiert und in kleiner Serie von Universitätsmechanikus Johann W. G. Buzengeiger (1778-1836) gefertigt. Aus dieser Werkstatt stammt eine beeindruckende Vielfalt ganz hervorragender Geräte, die europaweit höchste Anerkennung fanden und von denen sich einige in Tübinger Instituten erhalten haben, teils heute noch im aktiven Einsatz.
Diese "Schwungmaschine zur Erläuterung der Gesetze der Umdrehung der Erde um ihre Achse, und der Veränderung der Lage der letzteren" wurde von Napoleon in Folge als Standardlehrmittel im Französischen Schulunterricht eingeführt. Dieser Effekt wird heute mit Präzession bezeichnet. Dieses erste Gyroskop (1817) war wesentliche Grundlage zur späteren Erfindung des Kreiselkompass. Heute werden beide Begriffe synonym verwendet.
Die Bohnenberger Maschine von 1817 sollte nicht mit einer vollkommen anderen früheren Bohnenberger Maschine (1798) seines Vaters Gottlieb Christoph Bohnenberger verwechselt werden.
Diese Maschine wird noch heute zur Navigation (Stabilitätskontrolle) von raketengetriebenen Fluggeräten im Weltall verwendet.
[Bearbeiten] Der Meridiankreisel
Jean Bernard Léon Foucault hat mit seinen Forschungen zur Rotation der Erde einen weiteren Grundstein für die Entwicklung des Kreiselkompasses gelegt. Er experimentierte 1851 mit einem Gyroskop und entdeckte dessen Bestreben, sich parallel zur Erdachse auszurichten, wenn die Achse in die Waagerechte gezwungen wurde. Er sprach in diesem Zusammenhang von einem Meridiankreisel. Foucaults Experimente wurden 1904 in verbesserter Form von August Föppl wiederholt.
[Bearbeiten] Der Kreiselkompass
1890 wurde ein elektrisch betriebener Kreiselkompass von G. M. Hopkins vorgestellt. Dieses Modell funktionierte nie zufriedenstellend.
1904 ließ sich Hermann Anschütz-Kaempfe die Entwicklung des Kreiselkompasses patentieren. Anschütz-Kaempfe studierte zu diesem Zeitpunkt Medizin und Kunstgeschichte. Seine Bekanntschaft mit dem österreichischen Polarforscher Julius von Payer brachte ihn auf die Idee, den Nordpol mit einem U-Boot zu unterqueren. Anschütz-Kaempfe bemühte sich intensiv, Lösungen für die technischen Anforderungen einer solchen Fahrt zu finden. Herkömmliche Magnetkompasse verlieren in hohen Breiten ihre Funktionsfähigkeit, weil die magnetische Achse der Erde nicht mit der Rotationsachse der Erde identisch ist (Deklination (Geographie)). Anschütz-Kaempfe kam auf die Idee, die Magnetnadel durch einen sich drehenden Kreisel zu ersetzen. Erste Versuche mit Prototypen des neuen Kompass führte er am 11. März 1904 auf dem Dampfer Schleswig in der Ostsee durch. Seit 1908 wird der Kreiselkompass von der deutschen Marine eingesetzt.
Gleichzeitig entwickelten verschiedene andere Erfinder die Idee, ein Gyroskop in einem Kompass einzusetzen. So ließ sich Elmer Ambrose Sperry 1908 einen Kreiselkompass (engl. gyrocompass) patentieren. Als Sperry 1914 Kreiselkompass-Systeme an die Kaiserliche Marine verkaufen wollte, kam es zum Patentstreit zwischen Anschütz-Kaempfe und Sperry, zu dem 1914 Albert Einstein als Gutachter hinzugezogen wurde. Er sprach sich zunächst gegen Anschütz-Kaempfe aus. Seine Begründung: in der Patentschrift würde nur auf das Foucaultsche Pendel Bezug genommen nicht aber auf den "Meridiankreisel". Nach Meinung Einsteins hatte sich Anschütz-Kaempfe zu wenig mit den Untersuchungen Foucaults zum Gyroskop auseinandergesetzt, als dass er der Erfinder hätte sein können. Nachdem Einstein den Patentanmelder Anschütz-Kaempfe und dessen Arbeitsweise kennengelernt hatte, änderte er seine Meinung.
Heute werden Kreiselkompasse mehr und mehr durch präzise und verschleißfreie Lasergyroskope ersetzt.
[Bearbeiten] Literatur
- Johann Gottlieb Friedrich von Bohnenberger: Beschreibung einer Maschine zur Erläuterung der Gesetze der Umdrehung der Erde um ihre Axe und der Veränderung der Lage der letztern. Ossiander, Tübingen 1817
- Broelmann, Jobst: Intuition und Wissenschaft in der Kreiseltechnik. 1750 - 1930. München 2002
[Bearbeiten] Siehe auch
- Gyroplattform
- Inertiales Navigationssystem
- Gyroskop (Raumflugtechnik)
- Kreisel
- künstlicher Horizont
- Flugnavigation
[Bearbeiten] Weblinks
- Hersteller von Kreiselkompassen (Englisch)
- Seite mit Erklärungen und Filmen zur Präzession
- Seite des Deutschen Museums zum Thema Pendel und Kreiselkompass
- ausführliche englischsprachige Erklärung zur Funktionsweise
- weiteres zu Anschütz-Kaempfe
- Information zu einem Miterfinder des Kompasses
- Artikel des History Magazines zum Thema Navigation
- Französische Diskussion und Bilder zur Bohnenberger Maschine
- Bilder von US-Amerikanische Nachbauten der Bohnenberger Maschine
- Tübingen und das Gyroskop nach Bohnenberger