Kritik an der Relativitätstheorie
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Wissenschaftliche Kritik an der Relativitätstheorie Albert Einsteins wurde vor allem in den Jahren nach ihrer Veröffentlichung geäußert. Die Theorien der damaligen Gegner der Theorie werden in der wissenschaftlichen Fachwelt heute nicht mehr diskutiert.
Heutige Gegner der Relativitätstheorie bezeichnen sich manchmal auch als Antirelativisten.
Rummel und Fakten
Nach dem Siegeszug der Relativitätstheorie Einsteins im Jahre 1919, der besonders durch die experimentellen Hinweise des englischen Astrophysikers Arthur Stanley Eddington eingeleitet worden war, wurde Einstein auch in den Massenmedien als neuer Kopernikus und Revolutionär der Physik gefeiert. Dieser Ruhm löste in der kulturpessimistischen Stimmung der damaligen Nachkriegszeit eine stürmische Gegenreaktion von Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Laien aus.
Paul Weyland, der sich nach offensichtlich autodidaktischer Ausbildung als Biochemiker bezeichnete, veranstaltete 1919 in Berlin erste öffentliche Veranstaltungen, die gegen die Relativitätstheorie Stellung bezogen. Besonders der Physik-Nobelpreisträger Max von Laue beklagte sich in einem Briefwechsel mit Arnold Sommerfeld über die Diffamierung Einsteins als Plagiator und Begründer einer dadaistischen Theorie durch Paul Weyland.
Bei der Naturforschertagung in Bad Nauheim fand am 23. September 1920 ein Streitgespräch zwischen Einstein und dem Physik-Nobelpreisträger Philipp Lenard statt, das in der Öffentlichkeit erhebliches Aufsehen erregte. Die Relativitätstheorie blieb bei vielen anwendungsorientierten Physikern zunächst verpönt.
Ein anderes Angriffsziel wurde die jüdische Herkunft Einsteins, Hermann Minkowskis und anderer Vertreter der Relativitätstheorie durch völkisch gesinnte Gegner. Die unten erwähnte Ablehnung der Mathematisierung schlug oft in antisemitische Ablehnung von Abstraktionen als „jüdische Spitzfindigkeiten“ um, gegen die Philipp Lenard und Johannes Stark (wie Lenard Nobelpreisträger) die so genannte Deutsche Physik propagierten, die nur solche wissenschaftlichen Erkenntnisse akzeptierte, die auf Experimenten beruhen und den Sinnen zugänglich sind.
Der Physik-Nobelpreisträger Johannes Stark verlor wegen seiner übertriebenen, von antisemitischer Ideologie getragenen Polemik gegen die Relativitätstheorie 1922 seinen Lehrstuhl an der Rheinisch Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH).
Übereinstimmend beklagen sich Anti-Relativisten daher über eine systematische Anfeindung und einen Ausschluss aus der wissenschaftlichen Diskussion.
Ernst Gehrcke, bis 1946 Direktor der optischen Abteilung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt zu Berlin, später Mitarbeiter des Berliner Eichamts, veröffentlichte Bücher, die die Relativitätstheorie ablehnten (z. B. Massensuggestion der Relativitätstheorie).
Kritikpunkte im Ideologiestreit
Einstein wurde ein „Kategorialirrtum“ vorgeworfen: die Ableitung der Raumkrümmung aus Materie- und Energiephänomenen sei nicht möglich, da diese bereits den Raum als eine bloße Anschauungskategorie als Voraussetzung hätten.
Experimentalphysiker kritisierten die starke Mathematisierung der Relativitätstheorie, insbesondere durch Minkowski, als eine Tendenz zu abstrakter Theoriebildung ohne Konsequenzen für die Physik. Hier wähnten antirelativistische Experimentalphysiker ihre Disziplin in Gefahr. Tatsächlich markiert die Relativitätstheorie wissenschaftshistorisch den Punkt, an dem die Anschauung als Mittel zum physikalischen Verständnis von Naturphänomenen zum ersten Mal grundsätzlich versagte.
Noch heute finden „Antirelativisten“ von Zeit zu Zeit unter Schlagzeilen wie „Einstein widerlegt“ Resonanz in der Presse. Meist handelt es sich dabei um Experimentalaufbauten oder Gedankenexperimente, die sich keineswegs mit der Relativitätstheorie befassen, sondern nur Bestandteile ihrer bildhaft konkretisierenden populärwissenschaftlichen Auslegungen widerlegen, die einhergehend mit der Ikonifizierung Einsteins zum Pop-Star zeitweise sehr in Mode waren.
Literatur
- Walter Theimer: Die Relativitätstheorie. Lehre, Wirkung, Kritik. Francke, Bern und München 1977, ISBN 3-7720-1260-4.