Qualitative und Quantitative Sozialforschung
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Qualitative und Quantitative Sozialforschung sind das (zumindest gedachte) Gegensatzpaar der Methoden der empirischen Sozialforschung. Die Unterscheidung stammt aus dem Methodenstreit. Heute werden die Methoden eher pragmatisch je nach Situation verwendet.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Methodenstreit und Entwicklung
In der Diskussion um die Begründung und Berechtigung quantitativer und qualitativer Methoden in der Sozialforschung finden sich viele Aspekte des alten Methodenstreits wieder, der seit den Anfängen der Soziologie als wissenschaftlicher Disziplin zwischen den Anhängern des naturwissenschaftlichen Methodenideals und den Gegnern seiner Übernahme in den Sozialwissenschaften geführt wurde. Der als Positivismusstreit bekannt gewordene Disput spitzte sich in den 60er Jahren in Folge von auf einer Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 1961 von K.R.Popper und Th.W.Adorno vorgetragenen Referaten zur "Logik der Sozialwissenschaften" zu. Die qualitative Sozialforschung, die sich im Rahmen historisch-hermeneutischer Verfahren radikalisierte und zeitweise generell die Anwendung quantitativer Verfahren in den Sozialwissenschaften ablehnte, existierte in der folgenden Zeit als Randerscheinung neben der sich expansiv entwickelnden quantitativen Sozialforschung.
Seit den 70er Jahren reduzierte sich der Methodenstreit auf die Gegenüberstellung von quantitativen und qualitativen Verfahren in der Sozialforschung. Es setzten sich quantitativen Verfahren auf der Basis naturwissenschaftlicher Methodik weitgehend durch. Qualitative Ansätze, die sich in der Tradition historisch-hermeneutischer Verfahren etablierten, waren lediglich eine Randerscheinung. Das Programm Max Webers, erklärendes Verstehen ohne Werturteil als sozialwissenschaftliche Methodik grundzulegen, wurde vielfach aufgegeben zugunsten eines rein deskriptiven Nachvollziehens des subjektiven Sinns. Gleichzeitig entwickelte sich aber auch Verfahrensansätze wie die objektive Hermeneutik oder die qualitative Inhaltsanalyse, die die Spannung zwischen subjektiv gemeintem Sinn und objektiver Rekonstruktion von Sinnzusammenhängen methodisch zu fassen suchten.
Seit den 80er Jahren ist eine Besinnung auf qualitative Verfahrensweisen in der Sozialforschung zu beobachten, die teilweise aus einer Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der Surveyforschung entstand. Auf der anderen Seite hatten Vertreter der quantitativen Sozialforschung den Wert qualitativer Methoden für die Vorbereitung von quantitativen Erhebungen, bei der Bildung von Hypothesen und der Interpretation der Erhebungsergebnisse erkannt und schrittweise in die eigenen Verfahren integriert. Die zunehmende Anerkennung und Relevanz qualitativer Verfahren führte schließlich 2003 zur offiziellen Einrichtung einer Sektion für Qualitative Methoden in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. In der Sektion wird nun daran gearbeitet, qualitative Methoden in die Lehrangebote, Studiengänge und Studienordnungen zu integrieren.
Seit den 80er Jahren erlangte die qualitative Methodologie eine zunehmende Aufmerksamkeit und qualitativ orientierte Projekte und Forschungsansätze eine zunehmende Verbreitung, so dass Mayring 1990 eine "qualitative Wende" diagnostizierte. Es entwickelte sich auf beiden Seiten eine wachsende Bereitschaft, die jeweilige Relevanz der unterschiedlichen Forschungsansätze für eine bestimmte Fragestellung zu akzeptieren und die Grenzen der eigenen Richtung zu erkennen. Diese Entwicklung fand schließlich Ausdruck in der Einrichtung einer Arbeitsgruppe "Methoden der qualitativen Sozialforschung" in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) im Oktober 1997 und der Einrichtung einer gleichnamigen Sektion im November 2003.
Seit etwa Mitte der 90er Jahre werden in Deutschland sowohl qualitative als auch quantitative Verfahren als Online-Verfahren (meist im und mit dem Internet) vermehrt eingesetzt. Obwohl sich aus der Anwendung online-basierter Verfahren zahlreiche neue Aufgaben- und Problemstellungen ergeben, versteht sich die Online-Forschung als Teil der empirischen Sozialforschung.
[Bearbeiten] Gegenüberstellung
Wichtig ist dabei immer das eigene Erkenntnisinteresse, das die Auswahl der Methoden bestimmt. D.h. eine Methode besitzt keinen Eigenwert, sondern kann immer nur hinsichtlich einer bestimmen forschungsleitenden Fragestellung bzw. eines Erkenntnisinteresses eingesetzt werden.
[Bearbeiten] Qualitative Verfahren
Qualitative Verfahren werden oft benutzt, wenn der Forschungsgegenstand neu ist oder um das Forschungsgebiet zu explorieren und Hypothesen zu entwickeln. Unter qualitativer Sozialforschung verstehen die Sozialwissenschaften eine sinnverstehende, interpretative wissenschaftliche Verfahrensweise bei der Erhebung und Aufbereitung (Datenanalyse) sozial relevanter Daten. Qualitative Methoden sind dabei an der Rekonstruktion von Sinn orientiert (subjektive Faktoren, Intentionalität). Die qualitative Methodologie hat sich zu einem eigenständigen Paradigma entwickelt und inzwischen mehrere fundierte Forschungsansätze hervorgebracht. Mit ihrer Hilfe sollen Phänomene und Sichtweisen in ihrer inneren, argumentativen und praktischen Struktur erhellt werden. Wird ein qualitativer Ansatz im Zusammenhang mit einer quantitativen Erhebung verfolgt, so kann dieser eine inhaltliche Zuordnung des quantitativ Erhobenen ermöglichen. Dabei soll die Sicht der jeweils Betroffenen, und gelegentlich auch der Forschenden, systematisch reflektiert werden. Elaborierte Methoden der qualitativen Sozialforschung:
- biographische Methode
- Einzelfallstudie
- Diskursanalyse
- grounded Theory
- objektive Hermeneutik
- qualitative Inhaltsanalyse
- qualitatives Interview
- teilnehmende Beobachtung.
Kritiker von qualitativen Forschungsmethoden kritisieren insbesondere die Subjektivität der auf diese Weise erhobenen Daten und werfen ihr Unwissenschaftlichkeit vor. Dem gegenüber wird geltend gemacht, dass ein Verzicht der Soziologie auf eine qualitative Hermeneutik diese zu einer das eigentlich Menschliche verkennenden und damit verfehlenden Theorie machen würde. Über stark interpretative und schwerer nachvollziehbare Methoden wie die Hermeneutik hinaus sind auch besser dokumentier- und nachvollziehbare Methoden entwickelt worden. Dies ist von Bedeutung, da Nachvollziehbarkeit als eines der zentralen Qualitätskriterien qualitativer Sozialforschung gilt. Methoden die diesen Anspruch erheben sind die Qualitative Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring oder die Grounded Theory nach Strauss & Glaser. Als Begründung für die Notwendigkeit einer eigenen Methodologie der Sozialwissenschaften wird vor allem der sinnhaft und symbolisch vorstrukturierte Charakter des Gegenstandes der Sozialwissenschaften angeführt. Im Alltag und der von Wissenschaftlern und Nicht-Wissenschaftlern geteilten Lebenswelt sind Sinnkonstruktionen und Rationalität bereits vorgegeben, bevor sich die soziologische Analyse mit ihren Gegenständen befassen. Im Gegensatz zu einem naturwissenschaftlich gegebenen Sachverhalt ist der Gegenstand der Sozialwissenschaften selbst sinnkonstituierend und selbstreflexiv. Daher müssen diese Sinnkonstruktionen und der gegebene interaktive Prozess zwischen Forschung und Erforschtem in der soziologischen Analyse berücksichtigt werden und in einem besonderen Methodenansatz ihren Ausdruck finden.
[Bearbeiten] Quantitative Methoden
Quantitative Methoden setzen Hypothesen voraus, die dann getestet werden. Quantitative Methoden zielen auf eine systematische Messung und Auswertung von sozialen Fakten mit Hilfe verschiedener Erhebungsinstrumente. In der quantitativ verfahrenden Sozialforschung werden zählbare Eigenschaften gemessen. Die häufigsten Datenerhebungsverfahren in den Sozialwissenschaften sind die Befragung, die Beobachtung, das Experiment und die Inhaltsanalyse. Es sind aber durchaus andere Messmethoden anwendbar, wie beispielsweise die Lost-Letter-Technik, bei der frankierte Briefe absichtlich öffentlich ausgelegt ("verloren") werden. Die Anzahl der ankommenden Briefe wird erfasst. Der Forscher gewinnt Daten über die Hilfsbereitschaft der Finder (Wird ein Brief in den Kasten geworfen? Die Hilfsbereitschaft der Brieffinder hängt dabei oft vom Image des Absenders ab.)
[Bearbeiten] Vor- und Nachteile quantitativer Sozialforschung
Kritisiert wird an der quantitativen Sozialforschung häufig, dass sie sich zu wenig auf die Befragten einstellt. Die Tatsache, dass jeder Befragte die gleichen Fragen bekommt, stellt nicht sicher, dass jeder Befragte diese auch gleich interpretiert.
Des Weiteren wird die selektive Wahrnehmung der quantitativen Verfahren kritisiert. Man misst nur, was man vorher durch Items festgelegt hat. Bei qualitativen Verfahren erfolgt die Auswertung durch unabhängige Bewerter - bei quantitativen Verfahren hingegen wird häufig kritisiert, dass die Beobachter nicht wirklich unabhängig waren. Um dies auszuschließen sollten mehrere Personen als Bewerter gewählt werden die nicht zur Forschungsgruppe gehören. Die Übereinstimmung der Personen bei der Bewertung solcher Personen nennt man Interrater-Reliabilität.
Ein weiterer Punkt, weshalb oft von qualitativen Methoden abgesehen wird, sind die zum Teil enormen Kosten. Für viele Studien sind Stichproben von mehreren hundert Befragten notwendig, bei langen Interviews entsteht dadurch ein hoher Sach- und Personalaufwand. Die Auswertung der Ergebnisse ist bei quantitativen Methoden wesentlich billiger, da in diesem Falle vorhandene Ergebnisse einzig einer statistischen Analyse und Interpretation unterzogen werden. Im Bereich der quantitativ empirisch ausgerichteten Sozialforschung spielen auf diesem Gebiet zentrale Serviceanbieter wie in Deutschland die GESIS und die Methode der Sekundäranalyse eine wichtige Rolle. Beliebt sind z.B. die Allgemeine BevölkerungsUmfrage (ALLBUS), das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) oder die Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen e.V. Im europäischen Vergleich wird gern auf die im Auftrag der EU erhobenen Euro-Barometer Bezug genommen.
Der Vorteil quantitativer Methoden besteht darin, dass sich die Ergebnisse mittels einfacher stochastischer Verfahren (auf Chi-Quadrat basierende Maßzahlen, ANOVA, lineare/logistische Regression oder Multidimensionaler Skalierung) analysieren und auswerten lassen. So ist es möglich statistische Tests durchzuführen und Hypothesen zu prüfen und die Signifikanz zu berechenen. Explorativ lassen sich Daten zudem mittels Faktorenanalyse, Clusteranalyse und Multidimensionaler Skalierung auswerten.
[Bearbeiten] Siehe auch
- Methoden der empirischen Sozialforschung
- Kultursoziologie, Alfred Schütz,
- Theodor W. Adorno: Soziologie und empirische Forschung,
- Online-Forschung, GOR
[Bearbeiten] Literatur
- Bogner, Alexander/Littig, Beate/Menz, Wolfgang (Hg.): Das Experteninterview, VS Verlag 2. Auflage Wiesbaden 2005.
- Brüsemeister, Thomas: Qualitative Sozialforschung, Westdeutscher Verlag Wiesbaden 2000.
- Flick, Uwe/ von Kardorff, Ernst/ Steinke, Ines (Hg.): Qualitative Forschung - Ein Handbuch, Hamburg 2000.
- Flick, Uwe: Qualitative Sozialforschung. vollst. überarb. und erw. Neuausg., 3. Aufl. Reinbek bei Hamburg : Rowohlt-Taschenbuch-Verl., 2005 ISBN 3499556545
- Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung Bd.1 und 2, 3.korrigierte Auflage, Psychologie Verlag Union München, Weinheim 1995.
- Mayring, Ph: Einführung in die qualitative Sozialforschung, München 1990.
- Popper, K.R./Adorno, Th.W.: Die Logik der Sozialwissenschaften in: KZfSS 14 (1962), Heft 2.
- Bibliographie mit Online-Literatur zu Qualitativen Methoden: http://wiki.pruefung.net/Wiki/QualitativeMethoden
[Bearbeiten] Weblinks
- Forum Qualitative Sozialforschung
- DGS:AG Methoden der qualitativen Sozialforschung
- Berliner Methodentreffen Qualitative Forschung
- NetzWerkstatt. Integrierte Methodenbegleitung für qualitative Qualifizierungsarbeiten
- Transkriptionssoftware, Informationsportal zur digitalen Aufnahme und Transkription, Literaturauszüge usw.
- Sektion: Methoden der empirischen Sozialforschung der DGS
- Stellungnahme der Sektion zur Gründung einer separaten Arbeitsgruppe "Qualitative Methoden"
- PCS-Transcriber (Freeware) ermöglicht das schnelle und mühelose Transkribieren von Gesprächsaufzeichnungen