Rettung der dänischen Juden
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Die Rettung der dänischen Juden während der Zeit des Nationalsozialismus, im Oktober 1943, durch den deutschen Diplomaten Georg Ferdinand Duckwitz (1904-73) ist in der Geschichte der im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebiete in Europa ohne Beispiel. Sie verhinderte den Mord an vielen Juden im Zuge des Holocaust.
Duckwitz, seit 1932 Mitglied der NSDAP, hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon lange vom Nationalsozialismus abgewandt und hatte gute Kontakte zu führenden dänischen Sozialdemokraten. Am 29. September 1943 erfuhr er vom deutschen Reichsbevollmächtigten für Dänemark, Dr. Werner Best von der für die Nacht vom 1. auf den 2. Oktober 1943 bevorstehenden Deportation der dänischen Juden über Deutschland in die Konzentrationslager. Über seine dänischen Bekannten bei den Reedern informierte er den Oberrabiner von Kopenhagen Marcus Melchior, einem aus dem oberschlesischen Beuthen geflüchteten Rabbiner. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich die Nachricht in ganz Dänemark unter den Juden dank eines jüdischen Feiertages herumgesprochen. Duckwitz reiste heimlich nach Schweden, wo er dortige Regierungsstellen über die bevorstehende Massenflucht informierte, so dass diese die Möglichkeit hatte, sich durch Bereitstellung der Ferienheime auf die Situation sehr kurzfristig einzustellen. Für seine Tat wurde Duckwitz 1971 in Yad Vashem als "Gerechter unter den Völkern", einer der höchsten Auszeichnungen des Staates Israel, ausgezeichnet. Eine politisierende Geschichtsschreibung hat seine Rettungstat, an der zahlreiche Dänen mitwirkten, später undifferenziert "dem dänischen Volk" zugeschrieben.
7.000 der 8.000 dänischen Juden konnten damals in einer Nacht- und Nebelaktion über den Öresund und das Kattegat nach Schweden geschmuggelt werden. Vor allem Ärzte, Pastoren und Studenten konnten die allermeisten dänischen Juden verstecken, als am 1. Oktober mit der Deportation in Konzentrationslager begonnen werden sollte. Dänische Fischer spielten dann eine zentrale Rolle bei der Organisation der Flucht über das Meer in das sichere Schweden. Polizei und Küstenschutz der Dänen sowie die deutsche Wehrmacht schauten bewusst weg.
Die Wehrmachtsführung in Dänemark war gegen die Deportation der Juden, um die bisher weitgehend harmonische Zusammenarbeit dänischer und deutscher Dienststellen nicht zu gefährden. Deshalb hatte der Reichsbevollmächtigte Best ausdrücklich angeordnet, dass die Gestapo bei ihrer Razzia keine Türen aufbrechen durfte, wenn sie bei ihren nächtlichen Entführungszügen niemanden antraf, woran sie sich offenbar hielt. Insgesamt konnten die Nazis 481 dänische Juden finden und in das KZ Theresienstadt deportieren. 116 von ihnen wurden dann in deutschen KZ ermordet (nach Wolfgang Benz).
Einer der Orte, über die die Flucht organisiert wurde, war das kleine Hafenstädtchen Gilleleje auf der Insel Seeland. Gerade als eine größere Zahl jüdischer Flüchtlinge ein dänisches Schiff zu ihrer Rettung besteigen wollte, kam die Nachricht von einer unmittelbar bevorstehenden Verhaftung. Das Schiff legte fluchtartig ab. Die Flüchtlinge, die nicht an Bord gelangt waren, suchten fieberhaft in der ihnen fremden Kleinstadt nach Verstecken. Ein Pastor kam auf die Idee, die meisten Flüchtlinge auf dem Dachboden der Dorfkirche unterzubringen. Die meisten Dorfbewohner kannten das Versteck und brachten spontan Decken, Kleidung und Essen dorthin. Doch das Versteck wurde verraten und in den frühen Morgenstunden verhafteten die Deutschen etwa 70 Flüchtlinge. Dennoch blieb Gilleleje in den folgenden Nächten ein wichtiger Fluchthafen, denn dort waren lediglich 2 Wehrmachtssoldaten als Besatzungsmacht stationiert und der deutsche Chef der Hafenpolizei hatte seinen Mitarbeitern ausdrücklich nächtliche Jagd auf Flüchtlinge verboten.
Die dänische Regierung erreichte für die Deportierten einen Besuch des Roten Kreuzes in Theresienstadt. Der dänisch-jüdische Überlebende von Theresienstadt, Salle Fischermann, berichtet im Jahre 2003:
- Spontan ergriffen viele, viele Dänen die Initiative - alle halfen mit, wo sie nur konnten, Verstecke oder Fluchtwege zu organisieren: in Krankenwagen, ja sogar in Müllwagen, alles, was fahren konnte. Auch Krankenhäuser und Kirchen waren wichtige Verstecke. Die Dänen haben sogar Geld gesammelt, um die Fischer für die gefährliche Fluchtüberfahrt zu bezahlen. Sie hatten ja während dieser Zeit keine Einnahmen. Selbst die dann Deportierten vergaßen sie nicht und sammelten Geld für Hilfspakete, die sie in die Lager schickten. Ich möchte behaupten, dass wir nur dadurch überlebt haben. [1]
Allein diese Rettungsaktion erklärt die relativ geringe Opferzahl im Vergleich mit anderen europäischen Ländern, welche mindestens 20 % (Frankreich) bis 84 % (Niederlande) ihrer jüdischen Bevölkerung verloren (Deutschland: 165.000 von 499.000, also 33 %).
Diese Hilfsaktion war eine wichtige Erfahrung im dänischen Widerstand gegen die Besatzung und wird bis heute als Indikator für die Stärke der demokratischen Zivilgesellschaft in Dänemark angesehen. Die neuere dänische Geschichtsschreibung blendet allerdings auch die umfangreiche Kollaboration mit Deutschland nicht mehr aus; beispielsweise überstieg die Zahl der dänischen Freiwilligen in der Waffen-SS die Zahl der Widerstandskämpfer um ein mehrfaches.
Best wusste von der geplanten Rettung und deckte sie vermutlich, obwohl er zur Deportation Schiffe angefordert hatte. Am 3. November 1943 meldete er an Adolf Hitler: Dänemark ist judenfrei! – er hatte nicht ganz unrecht.
[Bearbeiten] Literatur
- Herbert Pundik: Die Flucht der dänischen Juden 1943 nach Schweden. Husum 1995, ISBN 3-88042-734-8
- Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–1989. Habilitationsschrift. Dietz, Bonn 1996, ISBN 3-8012-5030-X
[Bearbeiten] Weblinks
- Artikel bei hagalil.com
- Dänisch-Jüdisches Museum (dänisch und englisch: Oktober 1943 mit genauer Chronologie)
- The Rescue of the Danish Jews from Annihilation (sehr ausführlicher Artikel auf der Website der dänischen Botschaft in den USA)
- Über die Tat von G.F.Duckwitz