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Verstärkung (Psychologie)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Verstärkung ist ein Begriff aus der Verhaltensbiologie und der Psychologie, speziell aus dem Behaviorismus. Er beschreibt einen Prozess, bei dem die Folgen einer Verhaltensweise dazu führen, dass sich die Auftretenswahrscheinlichkeit dieses Verhaltens erhöht. Ein Ereignis, das dem Verhalten unmittelbar folgt, ein positiver Verstärker erhöht die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Verhaltens in einer gleichen oder ähnlichen Situation; auch ein negativer Verstärker (oder, synonym, ein aversiver Reiz oder ein Strafreiz) erhöht die Auftretenswahrscheinlichkeit, wenn er als Folge des Verhaltens beendet oder vermieden wird, man spricht dann von negativer Verstärkung. Als Bestrafung bezeichnet man den Vorgang, bei dem die Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens sinkt, wenn auf dieses Verhalten ein negativer Verstärker folgt bzw. einsetzt. Zudem gibt es noch die Extinktion, das Ausbleiben eines positiven Verstärkers, welches zu einer Abnahme der Verhaltenshäufigkeit führt. Die Konsequenzen eines Verhaltens wirken also auf das Verhalten zurück; der Fachbegriff für diese Form des Lernens lautet: Operante Konditionierung.

Mit Verstärkung bezeichnet man die gesamte Prozedur oder den Vorgang, der zur Folge hat, dass die Häufigkeit des Verhaltens ansteigt. Davon zu unterscheiden ist der Verstärker als das Ereignis (die Veränderung in der Umwelt oder im Zustand des Organismus), das auf ein Verhalten folgt. Die Konsequenz des Verhaltens muss nicht durch das Verhalten verursacht worden sein. Nach Skinner ist allein das zeitliche Aufeinanderfolgen entscheidend ("conditioning takes place presumably because of the temporary relation only", p. 168[1]). Die Verhaltensanalyse definiert Verstärkung und Verstärker rein formal, über den Effekt auf die Rate des Verhaltens. Bezüglich der Theorien, warum ein Verstärker als Verstärker wirkt, siehe den Artikel Verstärker (Psychologie).

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Positive Verstärkung

Man spricht von positiver Verstärkung, wenn auf ein Verhalten ein Ereignis in der Umwelt des Organismus folgt und die Auftretenswahrscheinlichkeit dieses Verhaltens daraufhin ansteigt. Das Ereignis in der Umwelt des Organismus wird als positiver Verstärker bezeichnet. Was ein positiver Verstärker ist, kann nur an den Folgen, die er für die Auftretenswahrscheinlichkeit des Verhaltens hat, erkannt werden. Positive Verstärker sind somit nur formal definiert, nicht inhaltlich. Man kann strenggenommen nicht im Voraus sagen, ob ein bestimmtes Ereignis ein positiver Verstärker, ein negativer Verstärker oder irrelevant ist. Dennoch kann man begründete Vorannahmen machen: Ob ein Ereignis (z.B. eine Futtergabe) ein positiver Verstärker ist, hängt u.a. davon ab, ob der Organismus davon depriviert ist (Deprivation), d.h. das Ereignis (z.B. der Futtergabe) längere Zeit nicht mehr eingetreten ist. Verstärker können primär (artspezifisch angeboren, z.B. Nahrung, angemessene Temperatur, Gelegenheit zu sexueller Aktivität) oder konditioniert sein (in der Ontogenese erworben, bei Menschen z.B. Lob, Erfolg, Geld). Als umgangssprachliches Äquivalent zu "positiver Verstärker" wird oft "Belohnung" oder "angenehme Konsequenz" verwendet. Dies widerspricht jedoch der rein formalen Definition von "positiver Verstärker" nach B. F. Skinner, da diese Begriffe Mutmaßungen über vermeintliche mentale Zustände des Organismus enthalten.

  • Beispiel: Eine 24 Stunden ohne Futter gehaltene Ratte sitzt in einem Käfig mit einheitlich glatten Wänden, in dem sich als einziges abweichend gestaltetes Objekt ein kleiner beweglicher Hebel befindet und in dessen Nähe ein Ausgabeschacht für Futter angebracht ist. Wenn die Ratte diesen Hebel drückt, fallen automatisch einige Futterkörner in den Ausgabeschacht: Das Verhalten (= zufälliges Hebeldrücken) der hungrigen Ratte hat also (in Form der Futterausgabe) eine (für die Ratte) positive Konsequenz. Dies hat mittelfristig zur Folge, dass die Ratte sich häufiger als zuvor in der Nähe des Ausgabeschachts aufhalten wird und sich so auch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Ratte erneut den Hebel drückt. Nach zwei oder drei Dutzend Hebeldrücken hat der Beobachter den Eindruck, dass die Ratte gezielt den Hebel drückt, um Futter zu bekommen. - Das Verhalten des Hebeldrückens wurde verstärkt, oder umgangssprachlich formuliert: Die Ratte hat "gelernt", wie sie sich Futter beschaffen kann. Der Verstärker war dabei das Ereignis der Futtergabe.

Diese kontingente Verstärkung wird auch als Dreifachkontingenz bezeichnet, da wie folgt gelernt wird: Bei Vorhandensein von Stimulus A folgt auf Reaktion B der Verstärker C. Die Organismen lernen somit, dass bei Vorliegen des Reizes A, nicht aber eines anderen Reizes, ihre Reaktion (ihr Verhalten) mit großer Wahrscheinlichkeit eine bestimmte - angenehme - Konsequenz seitens der Umwelt haben wird.

[Bearbeiten] Negative Verstärkung

Eine Verstärkung kann auch darin bestehen, dass ein Ereignis in der Umwelt des Organismus vermieden oder beendet wird und die Rate des Verhaltens daraufhin ansteigt. Man spricht dann von negativer Verstärkung ("Negative reinforcement is the procedure of following a behavior with a negative reinforcer. A negative reinforcer is any event that meets two criteria. It is terminated or prevented by a behavior, and it causes the rate of that behavior to increase", p. 387[2]).

  • Beispiel: Eine Ratte sitzt im Käfig, der Eisenboden steht unter Strom. Die Ratte zeigt nun verschiedene Verhaltensweisen, u.a. drückt sie den Hebel. Als Konsequenz auf das Verhalten "Hebel drücken", wird der Strom abgeschaltet. Wird in späteren Durchgängen wieder der Boden unter Strom gesetzt, drückt die Ratte den Hebel früher als zuvor (und beendet damit den Stromstoß). Schließlich drückt die Ratte den Hebel noch bevor Strom fließt, der aversive Reiz (der Stromstoß) wird somit vermieden.

Aus verhaltenstherapeutischer Sicht kann auch die Aufrechterhaltung von Phobien als ein Fall von negativer Verstärkung angesehen werden. Ein Hundephobiker wechselt z.B. die Straßenseite, wenn ihm ein Hund entgegenkommt. Durch das Wechseln der Straßenseite beendet oder vermeidet er den angstauslösenden Kontakt mit dem Hund. Das phobische Verhalten "Wechseln der Straßenseite" wird dadurch jedoch verstärkt, d.h. hier: aufrechterhalten.

Die Negative Verstärkung wird nicht deshalb als "negativ" bezeichnet, weil etwas "Negatives" (z.B. ein Stromstoß oder die Anwesenheit eines angstauslösenden Objekts) beendet wurde. Vielmehr leitet sich der Begriff von der gewissermaßen inversen Anwendung (etwas wird weggenommen) der Verstärkungsprozedur her ("We call it negative because you take it away rather than give it", p.387[2]).

[Bearbeiten] Bestrafung

Als Bestrafung (im verhaltenswissenschaftlichen Sinn) kann beispielsweise der Stromschlag bezeichnet werden, den ein Weidetier erhält, wenn es den Draht des elektrischen Weidezauns berührt (sofern das Tier das Verhalten "Berühren des Weidezauns" in Zukunft seltener zeigt; man spricht dann von einer "Bestrafung", wenn aufgrund einer Verhaltenskonsequenz die Rate dieses Verhaltens sinkt). Ein anderes Beispiel für Bestrafung ist das laute "Pfui!", wenn ein Hund etwas Unerlaubtes tut (sofern das Pfui ein konditionierter Strafreiz für den Hund ist).

[Bearbeiten] Das Kontingenzschema

Holland und Skinner[3] veranschaulichen die genannten Begriffe im sogenannten Kontingenzschema (S. 245):

Darbietung Beseitigung
Positiver Verstärker positive Verstärkung Bestrafung (durch Verlust)
Negativer Verstärker Bestrafung negative Verstärkung

Umgangssprachlich könnte man diese Begriffe so umschreiben:

  • Ein positiver Verstärker ist ein angenehmes Ereignis (z.B. ein Geschenk oder Lob bekommen).
  • Ein negativer Verstärker ist der Wegfall/das Ausbleiben eines unangenehmen Ereignisses (z.B. ein Stromschlag bekommen oder kritisiert werden).
  • Positive Verstärkung heißt: Man tut etwas häufiger, weil man etwas Angenehmes dafür bekommt (Bsp: Ein Schüler meldet sich und wird gelobt; er meldet sich in Zukunft häufiger).
  • Negative Verstärkung heißt: Man tut etwas häufiger, weil etwas Unangenehmes dadurch beendet oder vermieden wird (Bsp: Ein Schüler macht seine Hausaufgaben vollständig und ein zuvor bestehendes Fernsehverbot wird aufgehoben; er macht seine Hausaufgaben in Zukunft häufiger vollständig).
  • Bestrafung(Typ I auch "direkte Bestrafung") heißt: Man tut etwas seltener oder gar nicht mehr, weil einem dann etwas Unangenehmes widerfahren würde und bereits einmal widerfahren ist (Beispiel: Ein Kind lügt, wird dafür geschimpft und lügt in Zukunft seltener; oder: ein Kind berührt eine heiße Herdplatte und verbrennt sich die Finger, das Kind berührt in Zukunft die heiße Herdplatte nicht mehr).
  • Bestrafung durch Verlust(Typ II auch "indirekte Bestrafung") heißt: Man tut etwas seltener, weil man ansonsten etwas Angenehmes verlieren würde (Bsp: Ein Kind lügt und bekommt dafür Taschengeldentzug und lügt in Folge seltener)

[Bearbeiten] Verhaltenswissenschaftliche und laienpsychologische Terminologie

Die genannten umgangssprachlichen Umschreibungen dienen lediglich der Verdeutlichung und vereinfachen die Dinge notwendigerweise. Sie ersetzen nicht die korrekten Definitionen (siehe oben) und können auch nicht synonym zu diesen verwendet werden.

Das (umgangssprachliche) "Belohnen" führt nicht immer zu einem Anstieg der Rate eines Verhaltens. Nicht jede (als solche gemeinte) Belohnung ist also ein Verstärker. Zudem wird eine Person belohnt, verstärkt werden kann nur ein Verhalten. Ebenso verhält es sich mit dem (umgangssprachlichen) Bestrafen: Nicht jede als solche gemeinte Bestrafung hat den Effekt, dass die Rate des Verhaltens sinkt. Zudem sind (umgangssprachliches) Belohnen und Bestrafen immer aktive Handlungen einer Person an einer anderen: die Mutter belohnt das Kind mit einer Tafel Schokolade, der Lehrer bestraft den Schüler mit einer Strafarbeit. Verstärkung findet aber auch in der Natur, ohne das Zutun eines Menschen statt. Das Umdrehen des Zündschlüssels durch den Autofahrer wird durch das Anspringen des Motors positiv verstärkt: Niemand muss neben dem Autofahrer sitzen und ihn dafür loben o.ä. Dass dies ein Fall von positiver Verstärkung ist, kann man erkennen, wenn der gewohnte Verstärker "Motor springt an" ausbleibt: Der Autofahrer wird nun das Verhalten "Zündschlüsselumdrehen" nicht mehr zeigen, das Verhalten wird extingiert (nicht ohne dass zuvor der übliche Extinktionsausbruch gezeigt wurde, d.h. der Autofahrer "orgelt" zunächst noch eine Weile, ehe er den Versuch, das Auto zu starten, aufgibt).

[Bearbeiten] Quellen

  1. Skinner, B.F. (1948). Superstition in the pigeon. Journal of Experimental Psychology, 38, 168-172.
  2. a b Miller, L.K. (1997). Principles of Everyday Behavior Analysis. Pacific Grove: Brooks/Cole Publishing Company.
  3. Holland, J.G. & Skinner, B.F. (1974). Analyse des Verhaltens. München: Urban & Schwarzenberg, S. 218.
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