Violoncello piccolo
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Als "Violoncello piccolo" wird heute ein fünfsaitiges Violoncello bezeichnet. Die Frage, welches Instrument damit zur Zeit des Barock gemeint ist, ist ungeklärt. Historisch korrekter wäre es vermutlich, die Viola pomposa so zu benennen, und zwar aus folgendem Grund:
Der Begriff „Violoncello piccolo“ findet sich in einigen Kantaten von Johann Sebastian Bach, in deren Arien der Komponist häufiger die Singstimme mit einem ungewöhnlichen Melodieinstrument kombiniert, deren genaue Art nicht immer zweifelsfrei aus der Bezeichnung ersichtlich ist.
Für die Deutung des historischen Violoncello piccolo als Viola pomposa sprechen die folgenden Umstände:
- In seinen sechs Suiten für Violoncello solo hat Bach angesprochen, was zur Entstehungszeit (um 1720) unter dem Begriff „Violoncello“ verstanden werden konnte, nämlich in den Suiten 1 – 4 ein Instrument ähnlich dem heute üblichen, in der fünften Suite ein Instrument in der „alten“ Stimmung, wie sie bis 1700 in Bologna üblich war (CGDg), und in der sechsten Suite ein „violoncelle à 5 cordes“, ein fünfsaitiges Instrument (Stimmung CGDae').
Da das Violoncello erst nach 1650 in der Gegend von Bologna entstand und seine Entstehungsgeschichte eng damit verbunden war, dass die Viola da Gamba außer Gebrauch kam, gab es in der Anfangszeit viele „Hybride“ aus Gambe und Violoncello, so auch die fünfsaitige Bauform. Diese war vermutlich in Frankreich und England gebräuchlicher; eine Karikatur des Londoner Cellovirtuosen Cervetto zeigt ihn mit einem fünfsaitigen Violoncello, und manche Cellomusik, z. B. von Michel Corrette und von Georg Philipp Telemann, war offensichtlich für dieses Instrument gedacht. Mit dem sich entwickelnden Spiel in höheren Lagen kam das fünfsaitige Instrument bis 1750 außer Gebrauch. - Es ist bekannt, dass Bach, der selbst Bratsche spielte, ein Instrument bauen ließ, dass als „Viola pomposa“ bezeichnet wird. Es ist größer als eine Bratsche, aber in Kinnhaltung spielbar. Es ist fünfsaitig und in der Stimmung identisch mit dem fünfsaitigen Violoncello der 6. Solosuite.
Für die 6. Solosuite ist sehr wahrscheinlich, dass Bach ein fünfsaitiges Violoncello gemeint hat. Dafür spricht die Zusammenstellung mit 5 anderen Suiten für das Violoncello, aber auch die Faktur der Suite, die hohe und tiefe Lagen gleichermaßen in den Vordergrund stellt.
Für das in den Kantaten als „Violoncello piccolo“ bezeichnete Instrument hingegen gilt das nicht. Hier reicht der Tonumfang manchmal kaum unter die Bratschenlage, und wenn tiefere Töne vorkommen, so sind sie eher Farbe als Kontur. Dagegen spricht auch der Umstand, dass in der 6. Solosuite das Instrument eben nicht als „Violoncello piccolo“ bezeichnet wird, und dass das fünfsaitige Violoncello vielleicht manchmal, aber nicht zwangsläufig kleiner gebaut wurde als sein viersaitiges Schwesterinstrument. Die Viola pomposa bietet schon optisch den Eindruck eines „kleinen Violoncellos“ und unterstützt klanglich das, was die Kantaten benötigen.
Während also für Bachs Kantaten wohl die Viola pomposa gemeint ist, hat es sich doch heute eingebürgert, das fünfsaitige Violoncello als „Violoncello piccolo“ zu bezeichnen. Und da beide Instrumente ähnlich klingen (fein, näselnd, süß), muss es auch musikalisch keine Einwände geben, sie für dieselbe Aufgabe im Wechsel zu verwenden.