Wirtschaftsgeschichte
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Die Wirtschaftsgeschichte ist eine Brückendisziplin zwischen den Wirtschaftswissenschaften und der Geschichtswissenschaft. Sie untersucht die historische Wirtschaftsentwicklung in Zusammenhang mit anderen Kulturveränderungen.
Dies macht, je nach Betrachtungsweise, Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre zu Hilfswissenschaften der Wirtschaftsgeschichte, oder aber die Wirtschaftsgeschichte zum Untersuchungsfeld für wirtschaftswissenschaftliche Studien zur epochenübergreifenden Gültigkeit ihrer Theorien.
Ein besonderer Zweig ist die Cliometrie, die Anwendung von Wirtschaftsstatistik und Ökonometrie auf historische Zusammenhänge.
In der universitären Lehre in den deutschsprachigen Ländern ist die Wirtschaftsgeschichte meist zusammen mit der Sozialgeschichte als Sozial- und Wirtschaftsgeschichte gekoppelt.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Quellen der Wirtschaftsgeschichte
Quelle der Wirtschaftsgeschichte kann jede Art von Überlieferung sein, die Informationen über wirtschaftliche Umstände und Vorgänge in der Vergangenheit offenbart.
- veröffentlichte und archivalische, schriftliche serielle Quellen (z. B. historische Bilanzen, Kurszettel, Preiscouranten, Rechnungen und Rechnungsbücher, Testamente, statistische Veröffentlichungen wie Zollregister)
- Quellen zur Wirtschaftsverfassung und zu wirtschaftlichen Handlungsweisen (z. B. Protokolle, Verträge, Briefkopierbücher, Gesetze, Zunftordnungen, etc.)
- Archäologische Quellen (z. B. Münzen, Möbel, Werkzeuge, Fabriken, Werkstätten, Marktorte, Handelsstraßen)
- Geografische Befunde, Landkarten, etc.
- so genannte Metaquellen, die der Wirtschaftshistoriker selbst aus vorgefundenen Quellen konstruiert, z. B. genealogische Datenbanken, historische Datensammlungen (z. B. Preisreihen, rekonstruierte Nationalproduktrechnungen, etc.)
[Bearbeiten] Methoden der Wirtschaftsgeschichte
Als Brückendisziplin befindet sich die Wirtschaftsgeschichte zwischen den methodologischen Ansätzen der Geschichts- und der Wirtschaftwissenschaften.
Auf der einen Seite steht die eher induktive historische Methode (z. B. Hermeneutik), auf der anderen die eher deduktiven, mathematisch-analytisch orientierten Theorien und Methoden der Wirtschaftswissenschaften. In gewisser Weise spiegelt sich hier der Methodenstreit der Nationalökonomie, der besonders im deutschsprachigen Raum um die Wende zum 20. Jahrhundert zwischen der Historischen Schule und der neoklassischen Österreichischen Schule der Nationalökonomie ausgetragen wurde, wider. In Großbritannien und den USA dominiert die neoklassisch orientierte New Economic History die wirtschaftsgeschichtliche Forschung, während in anderen, vor allem europäischen Ländern verschiedenste, häufig stark mit der Sozialgeschichte verzahnte Ansätze (z. B. Annales-Schule) von Bedeutung sind.
Die von verschiedenen Forschern verwendeten Methoden differieren demnach entsprechend ihrer Herangehensweise und ihrer Fragestellung. Häufig ist ein der Fragestellung angepasster Methodenpluralismus vorzufinden.
[Bearbeiten] Teildisziplinen und Forschungsrichtungen
Teildisziplinen und Forschungsfelder der Wirtschaftsgeschichte befinden sich oft in engem Zusammenhang bzw. in Überlappung zu anderen Disziplinen. Einige wichtige Felder sind:
- Agrargeschichte
- Cliometrie
- Handwerksgeschichte
- Handelsgeschichte
- Unternehmensgeschichte
- Bankengeschichte
- Geschichte der Wirtschaftspolitik
- Geschichte der Weltwirtschaft und der Globalisierung bzw. Geschichte internationaler Wirtschaftsbeziehungen
- Entwicklungsgeschichte (Stufentheorie, Wirtschaftsstilforschung)
- Historische Demographie
- Migrationsgeschichte
[Bearbeiten] Benachbarte Fächer
[Bearbeiten] Wirtschaftsgeschichte und Genealogie
Veränderungen in den Häufigkeiten von Berufen und Erwerbszweigen, wie sie sich aus allen genealogischen Arbeiten belegen lassen, sind das wichtigste Begegnungsfeld zwischen den Disziplinen Wirtschaftsgeschichte und Genealogie für die vorstatistische Zeit vor 1850.
Ein weiteres Begegnungsfeld ist die Unternehmensgeschichte, für die es z. B. die Persönlichkeit des Gründers und seine Geldquellen, oft aus verwandtschaftlichen Beziehungen zu Kaufmannsfamilien herrührend bzw. einer Geldheirat, zu erhellen gilt (siehe auch Gründerfamilie, Heiratskreis, soziale Mobilität).
Auch ein tieferes Verständnis handwerklicher Traditionen ist ohne Genealogie undenkbar.
[Bearbeiten] Bedeutende Wirtschaftshistoriker
International:
- Fernand Braudel
- Alfred D. Chandler, Jr.
- Nicholas Crafts
- Robert W. Fogel, Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 1993
- Alexander Gerschenkron
- Eli Heckscher
- Charles P. Kindleberger
- Douglass North, Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 1993
In Deutschland (nach 1945)
- Wilhelm Abel
- Werner Abelshauser
- Knut Borchardt
- Hermann Kellenbenz
- Jürgen Kuczynski
- Hans Pohl
- Hansjörg Siegenthaler
- Reinhard Spree
- Richard Tilly
- Wolfgang Zorn
- Christoph Buchheim
- vor 1945: Wilhelm Heyd, Aloys Schulte
[Bearbeiten] Siehe auch
Volkswirtschaft, Wirtschaftsgeographie, Geschichtswissenschaft, Sozialgeschichte, Verkehrsgeschichte, Hanse
[Bearbeiten] Literatur
[Bearbeiten] Methodische Einführungen
- Rolf Walter: Einführung in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Paderborn 1994, ISBN 3-506-99432-8
- Gerold Ambrosius, Dietmar Petzina, Werner Plumpe (Hrsg.): Moderne Wirtschaftsgeschichte: Eine Einführung für Historiker und Ökonomen. München 1996, ISBN 3-486-56098-0
- Christoph Buchheim: Einführung in die Wirtschaftsgeschichte München 1997, ISBN 3-406-41901-1
- Ludwig Beutin / Hermann Kellenbenz: Grundlagen des Studiums der Wirtschaftsgeschichte. Köln [u.a.] 1973, ISBN 3-412-86373-4
- Wolfgang Zorn: Einführung in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit: Probleme und Methoden. 2., erweiterte Auflage. München 1974, ISBN 3-406-05484-6
[Bearbeiten] Thematische Einführungen
- Werner Abelshauser, Dietmar Petzina (Hg.): Deutsche Wirtschaftsgeschichte im Industriezeitalter. Konjunktur, Krise, Wachstum. Königstein/Taunus, 1981 (mit einer nach Sachgebieten gegliederten Bibliografie) ISBN 3-7610-7239-2
- Friedrich-Wilhelm Henning: Das vorindustrielle Deutschland 800 bis 1800. Paderborn: Schöningh, 1974 (in der Folgezeit mehrere Auflagen) ISBN 3-506-99162-0
- Friedrich-Wilhelm Henning: Das industrialisierte Deutschland 1914 bis 1976. Paderborn: Schöningh, 4. Aufl. 1978 (in der Folgezeit weitere Auflagen) ISBN 3-506-99168-X
- Hermann Kellenbenz: Deutsche Wirtschaftsgeschichte. 2 Bände. München 1977/1981, ISBN 3-406-06987-8/3406069886
- Hans-Heinrich Müller (Wiss. Redaktion): Produktivkräfte in Deutschland 1870 bis 1917/18. Herausgegeben von Rudolf Berthold u.a., Institut für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften, Berlin. Berlin: Akademie-Verlag, 1985 (o. ISBN, mit 122 Tabellen, 15 Abbildungen, 13 Karten und 153 Fotos)
- Rosemary Thorp: Progress, Poverty and Exclusion: An Economic History of Latin America in the 20th Century, Johns Hopkins University Press 1998
- Rolf Walter: Wirtschaftsgeschichte: vom Merkantilismus bis zur Gegenwart. 4., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Köln [u.a.] 2003, ISBN 3-412-11803-6
- Rolf Walter: Geschichte der Weltwirtschaft. Eine Einführung, UTB 2006, ISBN 3-8252-2724-3
- Wirtschafts-Ploetz. Die Wirtschaftsgeschichte zum Nachschlagen. Hg. von Hugo Ott und Hermann Schäfer. Freiburg, Würzburg: Verlag Ploetz, 1984 (unter Mitarbeit zahlreicher Fachwissenschaftler, mit gut 100 grafischen und tabellarischen Übersichten) ISBN 3-87640-073-2
[Bearbeiten] Wichtige Zeitschriften
International:
- Journal of Economic History [1]
- Economic History Review [2]
- Explorations in Economic History [3]
- Journal of European Economic History
- European Review of Economic History [4]
- Business History
- Business History Review [5]
In Deutschland:
- Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (VSWG) [6]
- Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte [7]
- Zeitschrift für Unternehmensgeschichte [8]
- Bankhistorisches Archiv [9]
[Bearbeiten] Quellen
- Adrian Beier der Jüngere: Allgemeines Handlungs-, Kunst-, Berg- und Handwercks-Lexikon. Zum Druck befördert durch Friederich Gottlieb Struven. Jena 1722
- Johann Georg Krünitz: Oeconomische Encyclopädie, 1773-1858, 242 Bände
[Bearbeiten] Weblinks
- Virtual Library Wirtschafts- und Sozialgeschichte (Sammlung von Internet-Seiten zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des deutschsprachigen Raumes)
- Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
- http://www.vwl.uni-mannheim.de/buchheim/VfS/Aus_uber.html Betrachtungen zum Fach von Prof. Dr. Toni Pierenkemper, Verein für Socialpolitik, Wirtschaftshistorischer Ausschuss.