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Wolfgang von Kempelen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Selbstporträt Kempelens, Kohlezeichnung mit Signatur
Selbstporträt Kempelens, Kohlezeichnung mit Signatur

Johann Wolfgang Ritter von Kempelen de Pázmánd (ungarisch Kempelen Farkas, slowakisch Ján Vlk Kempelen) (* 23. Januar 1734 in Pressburg; † 26. März 1804 in der Alservorstadt, heute Wien) war ein österreichisch-ungarischer Erfinder, Architekt, Schriftsteller und Staatsbeamter.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Biografie

Kempelen stammte aus einer angesehenen österreichischen Familie irischer Herkunft und war der Sohn des Hofkammerrats Engelbrecht von Kempelen und Bruder des Generalmajors Johann Nepomuk von Kempelen.

Er besuchte die Grundschule in Pressburg (Pozsony, heute: Bratislava) und ab 1850 eine weiterführende Schule in Raab (Győr), anschließend soll er in Wien Philosophie und Rechtswissenschaften studiert haben, doch ist eine Immatrikulation dort nicht nachweisbar. Nach ausgedehnten Reisen in Italien wurde er Mitglied einer Kommission, die den Codex Theresianus, den lateinischen Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches unter Maria Theresia, ins Deutsche (nach anderen Angaben ins Ungarische) übertrug. Durch diese Arbeit empfahl er sich der Kaiserin, die ihn zum "Concipisten" der ungarischen Hofkammer und einige Jahre später zum Hofkammerrat beförderte. 1765 wurde er Beauftragter für das Salzwesen und Siedlungswesen im Banat, 1766 Beauftragter für die Sicherheit der Salzminen in Ungarn und 1767 Beauftragter für die Wiederbesiedlung des Banat.

In letzterer Funktion hatte er wesentlichen Anteil daran, die Besiedlung und Infrastruktur des durch Kriegszerstörungen und Naturkatastrophen verwüsteten Banat zu organisieren. Er war verantwortlich für die Ansiedlung von rund 37.000 Familien, beteiligte sich am Entwurf geeigneter Wohngebäude für die Siedler, führte den Anbau von Flachs ein und errichtete eine Seidenfabrik. In der Umgebung von Timişoara (Temeswar) ließ er Sümpfe trocken legen, Straßen wiederherstellen und Schulen bauen, außerdem führte er eine Schulpflicht ein. In Anerkennung dieser Tätigkeit stattete die Kaiserin ihn 1771 mit einer jährlichen Leibrente von 1000 Gulden aus.

1776 überzeugte er den Hof von der Notwendigkeit, die Universität von Nagyszombat (Tyrnau) aus ihrem nicht mehr ausreichenden Gebäude in geeignetere Räumlichkeiten der Universität von Buda im Schloss von Buda umzusiedeln. Er wurde persönlich mit der Leitung des Umzug beauftragt und betreute dabei besonders die Überführung der Universitätsbibliothek.

1786 wurde er zum Hofrat bei der vereinigten siebenbürgisch-ungarischen Hofkanzlei ernannt. 1789 ging er mit dem Titel eines Ritters des Heiligen Römischen Reiches und einer Jahresrente von 5000 Gulden in den Ruhestand. Kurz vor seinem Tod, am 26. März 1804, wurde ihm diese Rente, möglicherweise wegen reformpolitischer Neigungen, von Joseph II. wieder entzogen.

Kempelen war zwei mal verheiratet, aus seiner zweiten, 1762 geschlossenen Ehe gingen fünf Kinder hervor, von denen nur zwei das Erwachsenenalter erreichten.

[Bearbeiten] Schaffen

[Bearbeiten] Der Schachtürke

Europaweite Bekanntheit erlangte Kempelen durch die Konstruktion seines Schachtürken (siehe auch Schachcomputer), eines Schach- oder Trickautomaten, in dem ein in dem Gerät verborgener menschlicher Schachspieler mithilfe einer kunstreichen Mechanik die Schachzüge einer türkisch gekleideten Puppe steuerte.

1769 hatte Kempelen auf Einladung Maria Theresias einer Vorführung magnetischer Experimente beigewohnt, mit der der Franzose Jean Pelletier am Wiener Hof auftrat. Kempelen äußerte sich abfällig über diese Vorführung, kündigte aber an, binnen eines halben Jahres eine wesentlich bessere Maschine konstruieren zu können und führte diese dann zu einem nicht genau bezeugten Zeitpunkt der Kaiserin in Wien vor. Der Schachtürke erregte in kurzer Zeit europaweites Aufsehen und wurde von Kempelen auch in den 1780er-Jahren noch einmal auf einer zweijährigen Reise in deutschen und europäischen Städten vorgeführt. Er geriet dann zeitweise in Vergessenheit, bis er rund zwanzig Jahre nach dem Tod seines Erfinders von Johann Nepomuk Mälzel aus dem Nachlass Kempelens erworben und erneut weltweit vorgeführt wurde. Durch Mälzel kam der Automat in die USA, wo er 1854 bei einem Feuer im Peale's Museum in Philadelphia verbrannte.

Nach einer der verschiedenen Etymologien für den Ausdruck "getürkt" (gefälscht, vorgetäuscht) soll dieser sich von Kempelens Schachtürken herleiten.

[Bearbeiten] Die Sprechmaschine

Während der Schachtürke eine vorwiegend zur Unterhaltung gedachte Erfindung war, erbrachte Kempelen eine wissenschaftsgeschichtlich bedeutende Leistung durch seine Entwicklung einer Mechanik zur Hervorbringung menschlicher Sprachlaute. Erste Untersuchungen stellte er hierzu bereits 1796 an verschiedenen Musikinstrumenten an, in der Folgezeit ergänzte er seine mechanischen Beobachtungen durch ein gründliche autodidaktische Analyse menschlicher Sprache und Artikulationsvorgänge. Die Ergebnisse seiner Forschungen, bei denen er unter anderem auf Vorarbeiten von Albert von Haller, Denis Dordat und Christian Gottlieb Kratzenstein zurückgreifen konnte, publizierte er 1791 in seiner Schrift Mechanismus der menschlichen Sprache nebst der Beschreibung einer sprechenden Maschine.

Die Funktionsweise seiner Sprechmaschine basierte auf einem möglichst naturgetreuen Nachbau der menschlichen Sprechorgane. Dabei wird die Lunge durch einen Blasebalg, die Stimmbänder durch eine Zungenpfeife, die Nase durch ein zusätzliches kleines Rohr und der Mund durch einen Gummitrichter simuliert. Durch Verformen des Gummitrichters lassen sich unterschiedliche Vokale erzeugen, da das Verformen des Resonanzraumes die die Vokale charakterisierenden Formanten verändert. Wird das Nasenrohr zugehalten, können Nasallaute hervorgebracht werden.

[Bearbeiten] Hilfsmittel für den Blindenunterricht

1778 wurde Kempelen Marie-Thérèse Paradis vorgestellt, Maria Theresias blinde Patentochter, die eine begabte Sängerin und Pianistin war, aber wegen ihrer Blindheit Analphabetin geblieben war. Auf Bitten der Kaiserin erfand Kempelen als Hilfsmittel einen dreidimensional tastbaren Letternsatz und brachte der Blinden damit das Lesen und Schreiben bei. 1779 baute er für sie eine Druckmaschine mit beweglichem Letternsatz und einen Setzkasten, wofür sie ihm am 16. August 1779 in einem auf dieser Maschine geschriebenen Brief überschwenglich dankte.

[Bearbeiten] Bauten und mechanische Arbeiten

Teils im Rahmen seiner Amtsführung, teils aus privater Neigung oder auf persönliche Bitten von Mitgliedern des Hofes, vollbrachte Kempelen zahlreiche Leistungen auf dem Gebiet der Architektur und Mechanik:

  • 1770 Entwurf einer Ponton-Brücke über die Donau bei Pressburg
  • 1772 Entwurf der selbstregulierenden Wasserpumpe für die Fontäne und die Kaskaden im Schlosspark Schönbrunn
  • 1774 Erfindung eines mobilen Bettes, in dem die Kaiserin während ihrer Genesung von einer Pockenerkrankung liegen, sitzen, schreiben und ihren Regierungsgeschäften nachgehen konnte
  • 1777 und 1780 Bau zweier Dampfmaschinen, deren erste nahe dem Wiener Stubentor aufgestellt wurde und später für den Bau des Franzkanals eingesetzt wurde
  • 1788 oder 1789 Erhalt eines kaiserlichen Patents für den Entwurf einer Dampfturbine zum Betrieb von Mühlwerken und anderen Maschinen
  • Beteiligung am Wiederaufbau des Schlosses von Buda und Planung des Schlosstheaters, das am 25. Oktober 1790 eingeweiht wurde

[Bearbeiten] Künstlerische und literarische Arbeiten

Kempelen war ein begabter Zeichner und Radierer. Er schrieb Epigramme, Gedichte, Dramen und Singspiele, zu denen er selbst die Musik komponierte. Seine Komödie Das Zauberbuch wurde 1767 in Pressburg aufgeführt, sein Singspiel Andromeda und Perseus erschien 1780 in Wien und wurde dort 1781 öffentlich aufgeführt. Seit 1789 war er Ehrenmitglied der Wiener Akademie der Künste.

[Bearbeiten] Nachleben

Anlässlich von Kempelens 200. Todestag gab es mehrere Versuche, seine berühmten Maschinen nachzubauen. Der Wiener Künstler Jakob Scheid schuf einen Nachbau der Sprechmaschine, der den Anweisungen Kempelens unter Einsatz von modernen Materialien folgt und tatsächlich sprachliche Laute von sich geben kann. Auch Teile des Schachtürken wurden von Scheid nachgebaut (beide in Felderer/Strouhal 2004). Ein vollständiger Nachbau des Schachtürken wurde vom Heinz-Nixdorf-Museumsforum in Paderborn vorgenommen.

[Bearbeiten] Literatur

  • Marion Faber (Hrsg.): Der Schachautomat des Barons von Kempelen. Harenberg, Dortmund 1983, ISBN 3-88379-367-1
  • Brigitte Felderer, Ernst Strouhal: Kempelen – zwei Maschinen. Texte, Bilder und Modelle zur Sprechmaschine und zum schachspielenden Androiden Wolfgang von Kempelens. Sonderzahl, Wien 2004, ISBN 3-85449-209-X
  • Mária Gósy (Hrsg.): To the memory of Wolfgang von Kempelen. Graz 2004
  • Carl F. Hindenburg: Über den Schachspieler des Herrn von Kempelen. Müller, Leipzig 1784
  • Angéla Imre: On the personality of Wolfgang von Kempelen. In: Grazer Linguistische Studien 62 (2004), S. 61-64 (Online-Version)
  • Robert Löhr: Der Schachautomat. Piper, München 2005, ISBN 3-49204-7963
  • B. Pompino-Marschall: Wolfgang von Kempelen und seine Sprechmaschinen. In: Forschungsberichte des Instituts für Phonetik und Sprachliche Kommunikation der Universität München 29 (1991), S. 181-252
  • A. Reininger: Wolfgang von Kempelen. Eine Biographie. Dissertation, Universität für Angewandte Kunst, Wien 2003
  • T. Standage: Der Türke - Die Geschichte des ersten Schachautomaten und seiner abenteuerlichen Reise um die Welt. Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2004

[Bearbeiten] Weblinks

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