Charta der Grundrechte der Europäischen Union
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist eine noch nicht rechtlich bindende Kodifizierung der Grundrechte auf Ebene der Europäischen Union. Mit der Charta sind die Grundrechte erstmals umfassend schriftlich und in einer verständlichen Form niedergelegt. Sie orientiert sich an der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Die Charta wurde ursprünglich vom ersten europäischen Konvent unter dem Vorsitz von Roman Herzog erarbeitet. Sie wurde anschließend von einer Reihe von Organen, unter anderem dem Europaparlament und dem Rat der Europäischen Union gebilligt und zur Eröffnung der Regierungskonferenz von Nizza am 7. Dezember 2000 von den Staats- und Regierungschefs feierlich proklamiert - sie bleibt jedoch zunächst unverbindlich.
Die Charta bildet den Teil II des Europäischen Verfassungsvertrages, wie er am 29. Oktober 2004 unterzeichnet wurde und 2007 in Kraft treten sollte. Durch In-Kraft-Treten des Vertrages über eine Verfassung für Europa würde die Charta rechtlich verbindlich für die Europäische Union und die Mitgliedstaaten sein, soweit sie EU-Recht ausführen. Durch die gescheiterten Referenden zum Verfassungsvertrag ist nun auch die Zukunft der Charta ungewiss.
[Bearbeiten] Entstehungsgeschichte
Nach den auf Initiative der deutschen Bundesregierung gefassten Beschlüssen des Europäischen Rats in Köln (3./4. Juni 1999) und Tampere (15./16. Oktober 1999) erarbeitete ein Konvent aus den 16 Beauftragten der Staats- und Regierungschefs und des Präsidenten der Europäischen Kommission, 16 Mitgliedern der Europäischen Parlaments und 30 nationalen Parlamentariern (zwei aus jedem Mitgliedstaat) den Entwurf einer Charta der Grundrechte der EU. Bundespräsident a. D. Prof. Dr. Roman Herzog wurde auf der konstituierenden Sitzung des Konvents am 17. Dezember 1999 zum Vorsitzenden des Konvents gewählt. Deutschland war durch den Abgeordneten Prof. Jürgen Meyer (SPD) bzw. dessen Stellvertreter im Konvent, Peter Altmaier (CDU) und durch den Minister für Europaangelegenheiten des Landes Thüringen, Jürgen Gnauck, bzw. dessen Vertreter, den früheren Landesminister für Europaangelegenheiten Niedersachsens, Dr. Wolf Weber, vertreten.
Nach neun Monaten intensiver Debatten im Konvent und breitgefächerter Anhörungen gesellschaftlicher Gruppen, der Beitrittsländer und maßgeblicher Institutionen billigte der Konvent in seiner feierlichen Abschlusssitzung am 2. Oktober 2000 den Entwurf der Charta. Die Öffentlichkeit war über Veranstaltungen, Medien und Internet und zahlreiche schriftliche Eingaben beteiligt. Auch die Vertreter des Europäischen Gerichtshofs, des Europarats und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte begrüßten den Entwurf als mitberatende Beobachter ausdrücklich.
Der Europäische Rat (Biarritz 13./14. Oktober 2000) und das Europäische Parlament (14. November 2000) erklärten ihre Zustimmung. Der Deutsche Bundestag (28. November 2000) und der Bundesrat (1. Dezember 2000) verabschiedeten jeweils Anträge, die die Charta begrüßen und ihre Aufnahme in die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union empfehlen. Dies wird nun durch die Europäische Verfassung erreicht.
Im Europäischen Konvent befasste sich die Arbeitsgruppe II "Charta" mit der Frage, in welcher Form diese rechtsverbindlicher Teil der Verfassung werden sollte (vgl. Abschlussbericht). Die Charta der Grundrechte wurde nun als Teil II in den Vertrag über eine Verfassung für Europa integriert. Hierbei wurde die Charta nahezu unverändert übernommen. Die Nummerierung der Artikel wurde angepasst.
Unformatierten Text hier einfügenUnformatierten Text hier einfügen== Ziel und Inhalt der Charta ==
Die Charta enthält die auf Ebene der Union geltenden Grundrechte, die bisher nur als allgemeiner Verweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention und auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Vertrag genannt werden (Artikel 6 Absatz 2 des EU-Vertrags). Damit werden die Grundrechte für den Einzelnen transparenter. Zugleich sollen Identität und Legitimität der Europäischen Union gestärkt werden.
In sechs Kapiteln (Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte und justizielle Rechte) fasst die Charta die allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte und die wirtschaftlichen und sozialen Rechte in einem Dokument zusammen. Ein weiteres Kapitel regelt die so genannten horizontalen Fragen; es enthält die Regeln, die querschnittsartig für alle Grundrechte gelten (Adressaten der Grundrechte, Grundrechtsschranken, Verhältnis zu anderen Grundrechtsgewährleistungen, insbesondere zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Missbrauchsverbot).
In 54 Artikeln werden den europäischen Bürgern umfassende Rechte zugesichert. Artikel II-61 VVE sieht man deutlich die Handschrift des deutschen Verfassungsrechtlers und Bundespräsidenten a. D. Roman Herzog an: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (entspricht Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes). Doch ist die Charta im Schutzbereich weiter als die Rechte im deutschen Grundgesetz; sie sichert neben den klassischen Bürgerrechten wie Rede-, Meinungs- oder Versammlungsfreiheit auch den Verbraucherschutz, den Datenschutz, ein „Recht auf eine gute Verwaltung“ und weitgehende Rechte von Kindern, Behinderten und Alten. Auch soziale Rechte wurden in die Charta aufgenommen. So sind unter anderem „würdige Arbeitsbedingungen“ und eine kostenlose Arbeitsvermittlung garantiert.
Die Reichweite der Grundrechte wird aus der Charta selbst heraus nicht ersichtlich. Die Schranken - also die jeweiligen Grenzen - der einzelnen Grundrechte ergeben sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, auf die insoweit verwiesen wird. Der Artikel II-112 VVE ist insofern von weitreichender Bedeutung.
[Bearbeiten] Literatur
- Hans D. Jarass: EU-Grundrechte. Verlag C. H. Beck, 1. Auflage, München 2005, ISBN 3-406-53215-2
- Jürgen Meyer (Hrsg.): Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Kommentar. Nomos, 2. Auflage, Baden-Baden 2005, ISBN 3-8329-1583-4
- Hans-Werner Rengeling [1] / Peter Szczekalla [2] : Grundrechte in der Europäischen Union. Charta der Grundrechte und Allgemeine Rechtsgrundsätze. Carl Heymanns Verlag, Köln u.a. 2005, ISBN 3-452-25567-0
- Peter J. Tettinger, Klaus Stern: Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechte-Charta, Verlag C.H.Beck, 1. Auflage, München 2006
- Georg J. Schmittmann: Rechte und Grundsätze in der Grundrechtecharta, Carl-Heymanns-Verlag, 1. Auflage 2007, Herausgegeben von Ulrich Pieper, Volker Epping, ISBN 3-452-266-168
[Bearbeiten] Weblinks
- Offizieller Text der Charta als Teil der Europäischen Verfassung (pdf)
- Das Auswärtige Amt informiert: Entstehungsgeschichte und Inhalt
- Schlussbericht der Gruppe II über die Charta (Europäischer Konvent)
- html-Version (Alte Version vor Verfassung)
- Der Europäische Bürgerbeauftragte zur Charta
- Telepolis: EU-Dokumente: Blockaderecht statt mehr Transparenz
- IG-EuroVision - Initiativ-Gesellschaft zur Förderung der europäischen Integration durch neue Ideen und demokratische Projekte
- Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechts-Charta
- Ergänzende Materialien zu "Grundrechte in der Europäischen Union" (Texte, neuere Literatur, Rechtsprechung und Gesetzgebung)
Bitte beachten Sie den Hinweis zu Rechtsthemen! |