Freier Wille
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Der freie Wille ist wie Willensfreiheit und freiwillig eine Bezeichnung für das Wollen eines Menschen, welches dieser von sich aus, also selbst, und vor allem frei zu bestimmen hat. Die Definition der Selbstbestimmung erscheint hier weniger problematisch als die Frage, wovon das eigene Wollen frei zu sein hat, damit von einem freien Willen gesprochen werden kann. Diese Frage ist der zentrale Streitpunkt zwischen den verschiedenen Freiheitskonzepten.
[Bearbeiten] Psychologische Bedeutung
Die fachpsychologische Verwendung des Begriffs Wille in der emotiven oder Willenspsychologie ist grundsätzlich auf bewusste Entscheidungsprozesse bezogen.
Demnach ist ein Tun erst und nur dann gewollt wenn...
- zwei oder mehr zur Auswahl stehende Handlungsalternativen von einem Menschen in Betracht gezogen wurden,
- von ihm eine davon aus für ihn wichtigen Gründen oder Motiven ausgewählt wurde,
- er sich entschlossen hat, sich auf diese festzulegen
- und sie im weiteren – auf ebenfalls von ihm festgelegte Weise und zu einem von ihm bestimmten Zeitpunkt – in die Tat umgesetzt wird.
Diese Definition des Wollens wird mit den Begriffen: Entscheidungsfreiheit und Handlungsfreiheit benannt. Das Ausmaß der Freiheit wird mit Worten wie: Handlungsspielraum, Bewegungsfreiheit, Vertragsfreiheit, Meinungsfreiheit, Gedankenfreiheit, Religionsfreiheit und Pressefreiheit spezifiziert.
Das gelegentlich vertretene vermeintliche „Gegenkonzept“ zum freien Willen, der mehrdeutige Ausdruck „der unfreie Wille“ verdankt sich offensichtlich der umgangssprachlichen Redeweise, nach der man dann, wenn man sich auf Drohung oder anderen Druck hin zu einer Handlung entschlossen hat, sagen kann, man habe unfreiwillig gehandelt. Psychologisch gesehen ist dagegen jede wie immer zustande gekommene Handlung gewollt. Bei allem nicht gewollten Tun eines Menschen handelt es sich um reflexhafte Reaktionen.
[Bearbeiten] Von Wünschen über den Willen zur Handlung
Bei einer anstehenden Entscheidung gibt es oft konkurrierende Wünsche, die der Mensch gegeneinander bewertet und abwägt. In dem rechts gezeigten Beispiel plant eine Person ihre Tagesaktivität und entscheidet sich zwischen einem Besuch bei Freunden, einem Familienausflug und Sport. Nach dem Überlegen unter Berücksichtigung der Bewertung der Alternativen (Gewichtung 3, 7, 4 - siehe Grafik) bildet sich aus mehreren Wünschen der eindeutige Wille einen Ausflug mit der Familie zu unternehmen. Ein Wille wird immer handlungsaktiv und wird immer ausgeführt, solange die Handlungsfreiheit den Willen betreffend nicht eingeschränkt ist.
Damit ergibt sich folgende Verkettung von Wirkungen:
- Aufgrund der Art wie man überlegt wird ein bestimmter Wunsch zum Wille.
- Aufgrund des gefassten Willens wird dieser in die entsprechende Handlung umgesetzt.
Der kausale Bedingungskomplex
Dem kausalen Bedingungskomplex(B) folgt immer eine notwendig herbeigeführte Wirkung(W). Dabei gibt es außer den in B erfassten Voraussetzungen nichts, das sich hinderlich auswirken oder eine Rolle spielen würde. Darüber hinaus enthält B keine überflüssigen Voraussetzungen, die tatsächlich gar nicht für das Eintreten von W relevant sind. In der Praxis kann B eine sehr lange Liste von Bedingungen enthalten. Um das Beispiel leicht verständlich zu halten wird B auf die Darstellung der wesentlichen Punkte reduziert.
Intuitive Alltagserfahrung
Im Alltag erlebt der Mensch seinen Willen als frei. Im oben beschriebenen Entscheidungsfall „sieht“ sich der Mensch die verschiedenen Aktivitäten abwägen und eine Entscheidung (Willen) nach seinem Belieben treffen. Der Punkt dabei ist, dass man die getroffene Entscheidung nur als eine Möglichkeit ansieht und davon ausgeht, dass man sich in der selben Situation auch für etwas anderes - in unserem Beispiel z.B. den Sport - hätte entscheiden können. Man betrachtet sein Selbst - und nicht eine zwingende kausale Verbindung zwischen den eigenen Motiven und der Entscheidung (Wille) - als den Erstauslöser des Willens. Es soll also sowohl in der Lage sein, die aus dem Überlegen folgenden Gründe für eine Entscheidung zu akzeptieren, als auch die Gründe entgegen jeder Logik zu verwerfen und sich anderes zu entscheiden. Somit scheint dieses Selbst eine von unserer normalen Vernunft unabhängige Wesenheit zu sein, die stärker ist als die zwingende Kopplung von Bedingungskomplex und daraus resultierenden Handlungen.
Einer tiefergehenden Betrachtung hält dieses Verständnis vom Erstauslöser aber kaum stand. Es stellt sich direkt die Frage, welcher Natur dieses Selbst eigentlich sein soll, in welcher Art es auf die Entscheidung Einfluss nimmt und aus welchen Beweggründen dieses Selbst wiederum seine Entscheidungen trifft. Man verschiebt also bei dieser Art von Modell die Erklärung der Willensbildung nur um eine Ebene tiefer (von der Person auf das innere Selbst).
[Bearbeiten] Bewusste und reflexhafte Bewegungen
Je nach dem Beweggrund für die Aktionen einer Person werden diese in die folgenden Kategorien eingeteilt:
- Bewusst gewollte Handlungen stehen mit einem Entschluss oder Vorsatz, Zwecken oder Zielen und damit verbundenen Wünschen, Absichten oder Motiven in Zusammenhang.
- Die reflexhaften Reaktionen kommen aufgrund von außen wahrgenommener Reize verschiedener Art, sowie innerer Impulse (Drang, Begierde) zustande.
- Außerdem können äußere Ereignisse wie z.B. ein Stoß die Ursache von Bewegungen sein.
Das Tätigkeitswort „wollen“ und das dazu sinngleiche Hauptwort „der Wille“ werden demnach oft mehrdeutig verwendet. Insbesondere wenn zwischen Reflexen und kurzentschlossen, aber bewusst, zustande gekommenem Handeln nicht genau unterschieden wird.
[Bearbeiten] Philosophische Positionen
Bereits im griechischen Altertum, aber besonders seit Beginn der Aufklärung sah sich die Vorstellung eines freien Willens zahlreichen Anzweiflungen ausgesetzt. Der eigentliche Grund für die andauernde kontroverse Diskussion ist die Definition des Begriffs Willensfreiheit. Es ist also nicht so, dass man sich in der selben Frage nicht einig würde, sondern es gibt zwei verschiedene Auffassungen davon, was Willensfreiheit bedeutet.
Die bedingte Willensfreiheit sieht den Willen als frei, wenn die Person ihren Willen nach ihren persönlichen Motiven und Neigungen gebildet hat, tun kann, was sie will (Handlungsfreiheit), und auch anders hätte handeln können, wenn sie es denn nur gewollt hätte. Welcher unserer konkurrierenden Wünsche sich als Wille herausbildet, hängt von äußeren Faktoren (Genetik, Sozialisation, Umwelteinflüssen) in Verbindung mit unserer Persönlichkeit (anders ausgedrückt, dem Zustand unseres Gehirns) ab. In der selben Entscheidungssituation ist es der selben Person also nicht möglich, unterschiedliche Entscheidungen zu treffen. Andersherum ausgedrückt: In einer konkreten Situation gibt es für eine Person nur eine Möglichkeit, sich zu entscheiden. Aufgrund der Komplexität der Umstände, die zur Willensbildung führen, ist dieser zwar für uns nicht vorhersehbar, aber objektiv steht im Vorhinein fest, welchen Willen wir fassen werden. Dennoch wird hier von Freiheit gesprochen, weil die getroffene Wahl, den Neigungen und Motiven der Person entspricht und somit ihren eigenen Willen repräsentiert. Keine wissenschaftliche Position spricht dem Menschen Freiheit in diesem Sinne ab, es ist nur fraglich, ob der Begriff Freiheit hier angebracht ist, wo es zu dem tatsächlichen Wollen keine Alternative gibt.
Die Forderung nach einem Konzept, das diese Beschränkung der Freiheit überwindet, liegt der unbedingten Willensfreiheit zu Grunde. Gedacht werden kann eine solche Freiheit nur dann, wenn das Wollen von absolut nichts abhängt oder bedingt ist. Dann nämlich kann sich der Wille in derselben Situation sowohl für das Eine als auch für das Andere entscheiden. Diese freie Wahlmöglichkeit geht verloren, sobald es irgendeine Verbindung zwischen Motiven und dem Wollen gibt, dann nämlich werden diese Motive darüber entscheiden, welcher Wille sich bildet. Damit ist das Wollen nicht mehr unbedingt frei, gleichgültig welcher Art diese Abhängigkeit ist oder wie komplex sie auch sein mag. Das Problem bei dieser Freiheit ist, dass der Wille, wenn er durch nichts bedingt ist, als zufällig und unmotiviert zu gelten hat.
Es unterliegt dann also dem reinen Zufall, welcher unserer Wünsche sich zum Willen herausbildet. Dieses Szenario erfüllt zweifellos die Forderung nach der echten Freiheit, welche dem bedingt freien Willen fehlt. Dafür steht der ohne Motive gewählte Wille nicht mehr (oder allenfalls durch zufällige Übereinstimmung) in Einklang mit der Natur und den Neigungen der handelnden Person. Er ist von ihr losgelöst und ihr auch nicht mehr zurechenbar - wie kann man für etwas verantwortlich sein, das rein zufällig geschieht.
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[Bearbeiten] Die Vereinbarkeit von Determinismus und Willensfreiheit
- siehe auch den Hauptartikel Determinismus und Kompatibilismus und Inkompatibilismus.
Determinismus
Dem Determinismus liegt die Annahme zugrunde, dass alle Ereignisse, die geschehen, eine zwangsläufige und eindeutige Folge aus vorangegangenen Ereignissen sind. Wenn der gesamte Zustand eines Systems zu einem beliebigen Zeitpunkt definiert ist und die darin geltenden Gesetze eindeutig sind - d.h. dass sie bei identischen Anfangsbedingungen immer das gleiche Ergebnis hervorbringen -, so ist der Zustand des Systems zu jedem zukünftigen Zeitpunkt festgelegt. Für unser Universum bedeutet das, dass alle dem Urknall folgenden Ereignisse bis heute zwangsläufige Wirkungen von vorangegangenen Ereignissen sind und dass es zu dem Verlauf, den das Universum genommen hat, nie eine Alternative gab. Das gilt auch für die Lebensläufe aller darin lebenden Individuen. Im Jahr 1814 wurde von Pierre-Simon Laplace, als anschauliches Gedankenexperiment zum Determinismus, der Laplace'sche Dämon vorgeschlagen.
Die einzige realistische Alternative zum Determinismus sind Ereignisse, die auf echtem Zufall basieren, der sich als creatio ex nihilo - sich selbst aus dem Nichts erschaffend - darstellt.
Indeterminismus
Als Indeterminismus bezeichnet man die gegensätzliche Auffassung, nämlich dass es (zumindest einige) Ereignisse gibt, die nicht durch vorangegangene Ereignisse festgelegt sind. Mit dem Beginn der modernen Naturwissenschaft setzte sich in der Wissenschaft die Auffassung durch, die Welt sei deterministisch. In deren weiterer Entwicklung, insbesondere durch die Erforschung der Quantenphysik seit Beginn des 20. Jahrhunderts, gehen heute viele Wissenschaftler von einem indeterministischen Weltbild aus. Dabei ist der Begriff des Indeterminismus mehrdeutig. Er bedeutet zum einen eine echte creatio ex nihilo, in anderem Zusammenhang bedeutet er nur, dass es keine Möglichkeit der Vorhersage gibt. Beides ist nicht identisch, da es Gesetzmäßigkeiten gibt, denen keine Konstanten auf der gleichen Betrachtungsebene zugrunde liegen, z.B. bei den Ziffernfolgen irrationaler Zahlen. Es gibt keine Möglichkeit, aus den bekannten Ziffern der Zahl Pi oder aus bekannten Primzahlen die nächste Ziffer oder Primzahl „vorherzusagen“, gleichwohl folgt sie nicht „zufällig“.
Wenn die bedingte und die unbedingte Willensfreiheit zusammen mit dem Determinismus betrachtet werden, so spricht man im Falle der mit dem Determinismus in Einklang stehenden bedingten Willensfreiheit von einer kompatibilistischen Sicht. Unbedingte Willensfreiheit ist nicht kompatibel mit dem Determinismus und wird deshalb als Inkompatibilismus bezeichnet.
Inkompatibilismus
Einige Philosophen sahen das Konzept der Willensfreiheit und den Determinismus als unvereinbar an. Wenn der Wille, wie alles andere in der Welt auch, dem Determinismus unterläge, so könne der Wille und damit alle von ihm ausgehenden Entscheidungen und Handlungen nicht frei sein. Diese philosophische Auffassung bezeichnet man als Inkompatibilismus. Inkompatibilisten gehen davon aus, dass eine Person genau dann frei handele (einen freien Willen besitze), wenn sie der einzige verursachende Grund (Erstauslöser) für die Handlung sei und in der selben Entscheidungssituation auch eine andere Entscheidung hätte treffen können; das entspricht der Beschreibung des unbedingt freien Willens. Wenn der Determinismus zuträfe, wäre jede Wahl, die wir treffen, bereits durch frühere Ereignisse vorherbestimmt. Unsere Entscheidungen wären nur ein weiteres, seit Urzeiten vorherbestimmtes Ergebnis der determinierten Weltordnung und der freie Wille lediglich eine Illusion, die das menschliche Gehirn hervorbringt.
Vertreter des „Harten Determinismus“ wie Baron d'Holbach gehören zu den Inkompatibilisten, sie akzeptieren den Determinismus und bestreiten, dass es so etwas wie einen freien Willen gibt. Als Libertarianer werden Inkompatibilisten wie van Inwagen bezeichnet, die den freien Willen bejahen und Anhänger des Indeterminismus sind.
Kompatibilismus
Es gibt auch die Position, dass der Determinismus mit dem freien Willen verträglich sei. Kompatibilisten wie Thomas Hobbes definieren die Willensfreiheit so, dass eine Person dann frei handelt, wenn sie eine Handlung wolle und auch anders handeln könnte, wenn sie anders handeln wolle - entspricht der bedingten Willensfreiheit. Ob ihre Entscheidung deterministisch längst festgelegt ist, spielt dabei keine Rolle, da der freie Wille die determinierte Zukunft nicht kenne. Für Kompatibilisten bedeutet die Freiheit des Willens letztlich, nach Gründen zu handeln, die dem Handelnden nicht bewusst sind.
Einschränkung der Handlungsfreiheit
In der Diskussion um den freien Willen wird manchmal auf die Fälle hingewiesen, in denen eindeutig kein freier Wille vorliegt (z.B. Gewaltverbrechen, körperliche Behinderung). Der freie Wille ist hierbei aber nicht dadurch eingeschränkt, dass die Vergangenheit die Zukunft bestimmt, sondern indem die Handlungsfreiheit der Person eingeschränkt ist. Die Frage des Determinismus bei der Willensbildung spielt hier keine Rolle. Wichtig ist, dass unsere Entscheidungen das Resultat unserer Wünsche und Neigungen sind und nicht durch Einschränkungen in der Handlungfreiheit aufgehoben werden.
[Bearbeiten] Kausalität und Quantenphysik
Philosophisch wird meist zwischen einem epistemischen Indeterminismus und einem ontologischen Indeterminismus zu unterscheiden.
Der epistemische Indeterminismus bezieht sich auf unsere Erkenntnisfähigkeit, d.h. wir können nicht eindeutig bestimmen, welcher Sachverhalt zutreffen wird. Eine spezielle Form dieser These ist, dass epistemisch nicht entscheidbar ist, ob ontologischer Determinismus gilt oder nicht.
Ein ontologischer Indeterminismus dagegen bezieht sich auf „die Sache selbst“, also unsere Welt, und bedeutet, dass nicht alle zukünftigen Sachverhalte bereits feststehen. Warum, kann unterschiedlich dargestellt werden.
Bestimmte Deutungen der Quantenphysik, darunter die populäre, aber kaum genau zu rekonstruierende Kopenhagener Deutung, legen einen ontologischen Indeterminismus nahe. Die Ereignisse in unserem Universum erscheinen als Resultat von Zufallsprozessen mit bestimmten Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Ergebnisse bei Wiederholungen von Prozessen gleichen Typs. Daneben existieren zahlreiche andere Interpretationen, welche einen vollständigen kausalen Determinismus beinhalten. Manche davon schließen epistemischen Indeterminismus ein. Eine nichtdeterministische Interpretation der Quantenmechanik scheint aber, so die Mehrheitsmeinung, gerade keinen Nutzen für das Problem der Willensfreiheit zu haben. Denn freier Wille scheint gerade vorauszusetzen, dass der Ausgang von Entscheidungen kein bloßes Zufallsergebnis ist.
Auch unabhängig von quantenmechanischen Theorien sah bereits Arthur Schopenhauer in der Verletzung des Kausalitätsprinzips, einer Grundfeste des menschlichen Denkens, ein Argument gegen die Willensfreiheit. Der freie Wille sei eine Illusion, in Wahrheit sei der Wille durch chaotische (also äußerst komplexe) Einflüsse außerhalb des Subjekts gesteuert. Unter die äußeren Einflüsse fallen Sozialisation, genetische Faktoren, und sämtliche Umwelteindrücke.
[Bearbeiten] Ethische Bedeutung
Da der freie Wille und damit jede gewollte Handlung in unserer Gesellschaft auf das Subjekt selbst zurückgeht, ist der freie Wille in vielen Situationen mit unserer moralischen Verantwortlichkeit verknüpft. Es gilt, dass der Mensch für jede seiner Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen und mit den entsprechend positiven bzw. negativen Sanktionen zu konfrontieren ist.
Nachdem gezeigt wurde, dass eine handelnde Person in einer tatsächlichen Situation faktisch nur eine Möglichkeit des Handelns hat (entweder durch den universalen Determinismus oder durch die Bedingtheit des Überlegens), stellt sich die Frage, ob bzw. in welchem Sinne man für die eigene Handlung moralisch verantwortlich ist.
Bei einem von außen zugefügten Stoß würde man die gestoßene Person für ihre darauf folgende Bewegung (z.B. Hinfallen) sicher nicht verantwortlich machen - es ist eine kausale Folge eines Ereignisses (der Stoß), für das sie nichts kann. Aber die einzigen beiden Unterschiede zu einer bewussten Handlung und des ihr zu Grunde liegenden Eregnisses des Überlegens - für die eine Person sehr wohl verantwortlich gemacht wird - sind, dass das Ereignis des Stoßes außerhalb der Person liegt und dass wir den Mechanismus, welcher die auf den Stoß folgenden Bewegung auslöst, gut verstehen können. Die Gemeinsamkeit der beiden betrachteten Fälle besteht darin, dass der Handelnde nicht der Urheber, sondern nur das ausführende Organ einer unausweichlichen Ereigniskette ist.
Dieser Gedanke der Verantwortung und der Urheberschaft findet sich in juristischen aber auch in sozialen Fragestellungen wieder. Das Handeln von Mitmenschen, zu dem es nie eine Alternative gibt, führt dazu, dass man Sympathie oder Abneigung ihnen gegenüber empfindet und andere solche Gefühle einem selbst entgegenbringen.
Betrachtet man die sozialen- und besonders die strafrechtlichen Konsequenzen, die unser Tun nach sich ziehen kann, so drängt sich die Frage auf, warum sich in der Gesellschaft das Bild des wirklich frei handelnden Menschen behaupten konnte. Der vielleicht wichtigste Grund ist das Selbstverständnis des Menschen und wie wir uns gerne sehen möchten - nämlich ganz sicher nicht als ein zwar denkendes Wesen, aber eines, dessen letztendlicher Entschluss bereits vor der Überlegung schon feststeht. Ein zweites großes Problem wäre die Krise der öffentlichen Ordnung, wenn z.B. Gewaltverbrechen, mit der Begründung „Er konnte ja nicht anders handeln“, ohne Konsequenzen blieben. Juristische Sanktionen dienen jedoch nicht ausschließlich der Bestrafung für eine illegale Handlung verantwortlicher Täter, sondern bilden auch ein abschreckendes Beispiel für potentielle Täter. Bei straffällig Gewordenen wird versucht, z.B. durch psychotherapeutische Maßnahmen oder abschreckende Erlebnisse wie Freiheitsentzug oder Geldstrafen, das zukünftige Überlegen des Täters (das in der Zukunft seine Handlungen bestimmen wird) in eine gewünschte Richtung zu beeinflussen.
Beim strengen Determinismus ist die gesamte Welt ein geschlossenes System von Regelkreisläufen, so dass in einem sozialen Komplex sozialwidrige Verhaltensweisen automatisch damit ebenfalls determiniert bestimmte Gegenreaktionen innerhalb des sozialen Organismus „Gesellschaft“ hervorrufen. Eine dieser Gegenreaktionen ist die Ausbildung eines Strafrechts.
[Bearbeiten] Positionen der philosophischen Denkrichtungen
Inkompatibilisten (Determinismus ohne freien Willen) tendieren dazu, Determinismus und moralische Verantwortlichkeit für unverträglich zu halten. Wie kann man jemanden verantwortlich machen für eine Tat, die vom Beginn aller Zeiten an vorbestimmt war?. Harte Deterministen verwerfen daher das Konzept der moralischen Verantwortlichkeit. Wie kann man jemanden verantwortlich machen, wenn er in jeder Situation aufgrund der Bedingtheit des Willens immer nur eine Möglichkeit zu handeln hat? Die Tatsache, dass die Entscheidungen eines Handelnden nicht unter Einschränkung der Handlungsfreiheit entstehen, ändert nichts an der Tatsache, dass der Determinismus den Handelnden von der Verantwortlichkeit entbindet. In diesem Sinne bedeutet der Begriff „Verantwortlichkeit“ nur, dass eine Person Adressat von Reaktionen des sozialen Organismus „Gesellschaft“ ist.
Kompatibilisten (Determinismus mit freiem Willen) argumentieren dagegen, dass der Determinismus gerade eine Vorbedingung für moralische Verantwortlichkeit ist. Man könne niemanden für etwas verantwortlich machen, es sei denn, seine Handlungen wurden durch seinen Charakter, seine Motive und Werte bestimmt (David Hume).
Schließlich gilt, dass im Falle des Indeterminismus diejenigen Ereignisse, die nicht determiniert sind, rein zufällig sind. Wie kann man jemanden loben oder tadeln für etwas, das rein zufällig seinen Bewegungen entsprang (Handlungen sind nur bewusst geplante Bewegungen)? Stattdessen wird argumentiert, dass man, um eine Person für etwas verantwortlich zu machen, zeigen müsse, wie die Handlung durch die Wünsche und Präferenzen der Person begründet wurden – durch den Charakter der Person.
Libertarianer meinen, dass undeterminierte Handlungen nicht rein zufällig sind, sondern aus einem substantiellen Willen entspringen, dessen Entscheidungen undeterminiert sind. Dieser Ansatz wird weithin als nicht zufriedenstellend angesehen, da er das Problem nur einen Schritt weiter zurück verlagert (zu dem substantiellen Willen) und nicht erklären kann, was dieser substantielle Wille ist und welchen Gesetzen er im Unterschied zu unserem herkömmlichen Geist unterworfen ist.
[Bearbeiten] Juristische Sichtweise
Der deutsche Gesetzgeber setzt den freien Willen des erwachsenen Menschen voraus: Die freie Willensbestimmung kann nur im Zustand der Bewusstlosigkeit oder „krankhafter [oder vorübergehender] Störung der Geistestätigkeit“ dauerhaft oder vorübergehend unmöglich sein (§ 104 f. BGB) (mit Folge der Geschäftsunfähigkeit).
Auch im Strafrecht gilt das Postulat des freien Willens: Nur „wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln“, handelt gem. § 20 StGB nicht vorwerfbar.
Aus einem Beschluss des BayObLG (BayObLGR 2001,19 (LS)= BtPrax 2001,79 = FamRZ 2001,1249): „Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen, also ohne Antrag des Volljährigen und, wie hier, gegen seinen Willen, setzt aber voraus, dass der Betreute aufgrund einer psychischen Erkrankung seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Dies sagt das Gesetz zwar nicht ausdrücklich, ergibt sich aber aus einer verfassungskonformen Auslegung des Gesetzes. Denn der Staat hat von Verfassungs wegen nicht das Recht, seine erwachsenen und zur freien Willensbestimmung fähigen Bürger zu bessern oder zu hindern, sich selbst zu schädigen (BVerfGE 22, 180/219 f.; BayObLGZ 1994, 209/211)“. Siehe auch die Neufassung von § 1896 Abs. 1 a BGB (seit 1. Juli 2005). Im Grundsatz muss jede Entscheidung des Betreuers im Sinn des freien Willens des Betreuten getroffen werden. Das gebietet das in Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetz (GG) verankerte Grundrecht auf Selbstbestimmung. Grundsätzlich hat der natürliche Wille des Betreuten daher Vorrang vor einem angenommenen freien Willen.
Bei dieser Position ist zu bedenken, dass sie sich auf einer anderen Ebene bewegt, als die philosophische Position. Denn nach dem strengen Determinismus stellt die juristische Sicht nur eine sprachliche Ausformung der notwendig eintretenden gesellschaftlichen Reaktion dar.
[Bearbeiten] Naturwissenschaftliche Positionen
Im Verlauf der Geschichte der Naturwissenschaften wurden viele Versuche gemacht, die Frage des freien Willens unter Verwendung naturwissenschaftlicher Prinzipien zu beantworten. Frühe wissenschaftliche Vorstellungen sahen die Welt oft als deterministisch an, und es gab die Auffassung, dass bei genügend genauer Information die Zukunft beliebig genau vorhergesagt werden kann. Dagegen ist es in der Quantenmechanik nicht mehr möglich, den Ablauf eines Vorgangs hinsichtlich aller messbarer Größen vorherzusagen, selbst wenn alle prinzipiell zugänglichen Informationen über seinen Anfangszustand bekannt sind. Dass es in der Praxis nicht möglich ist, heißt aber nicht, dass die Vorgänge nicht theoretisch einem tieferen „Naturgesetz“ unterliegen, was wieder zum Determinismus führen würde. Nach gängiger Interpretation ist damit das Naturgeschehen nicht vollständig determiniert sondern unterliegt in einem fundamentalen Sinne partiell dem Zufall, wobei nicht zwischen epistemischen und ontologischem Zufall unterschieden werden kann. Die experimentelle Verletzung der Bellschen Ungleichung legt ferner nahe, dass die Quantenmechanik und der ihr inhärente Zufall niemals durch eine tieferliegende deterministische Physik ersetzt werden können. Diese Annahme betrifft aber nur die Suche nach einer hinter den statistischen Ereignissen liegenden Konstanten.
Unter Determinismus wird derjenige der klassischen Physik verstanden. Auch psychologischer Determinismus ist letzten Endes nichts anderes. Unser Erlebnis von „freiem Willen“ und Verantwortung für unser Handeln resultiert aus der Unergründlichkeit der Motivketten bis zum Beginn unserer Sozialisation und noch davor, die uns die Einsicht in eine Kausalität in unserer Person versperren.
Auch die Biologen haben versucht, die Frage des freien Willens zu erhellen. Eine der hitzigen Debatten der Biologie ist die Frage Natur vs. Prägung. Wie wichtig sind Genetik und biologische Grundlagen für das menschliche Verhalten im Gegensatz zur Prägung durch Kultur und Umgebung? Genetische Studien haben viele spezifische genetische Faktoren identifiziert, die die Persönlichkeit eines Individuums beeinflussen, von offensichtlichen Fällen wie dem Down-Syndrom bis hin zu eher subtilen Effekten wie der statistischen Disposition für Schizophrenie. In allen Fällen ist es ein Wechselspiel zwischen Disposition und Umwelt.
Es wurde in den letzten Jahren auch möglich, das lebende Gehirn zu untersuchen, und es gibt verschiedene Methoden, den Prozess der Entscheidungsbildung zu beobachten, den man gemeinhin mit dem freien Willen identifiziert. Dabei mehren sich die Indizien, dass eine „Entscheidung“ im Gehirn bereits getroffen wird, bevor sie der Person bewusst wird. Diese Ansicht vertritt auch der Neurobiologe Prof. Henrik Walter und sagt: „Willensfreiheit im absoluten Sinne kann es daher nicht geben. Hinzu kommt, dass auch die Gründe für eine Entscheidung im Gehirn bereits festgelegt sind.“ Auch Wolf Singer, schließt sich dieser Aussage an: „Welche Argumente allerdings ins Bewusstsein gelangen, hängt von zahlreichen Faktoren ab, die größtenteils ebenfalls unbewusst ablaufen. Im Klartext: Angeborene und erworbene, im Gehirn abgelegte Informationen, spielen ein autonomes Spiel, dessen Ausgang feststeht, bevor der Mensch seine bewusste Entscheidung getroffen hat.“
Es stellt sich dann die Frage der gerichtlichen Bestrafung. Dazu sagt Prof Wolf Singer: „Natürlich müssen wir alle Wissensfortschritte in der Neurobiologie bei der gerichtlichen Beurteilung berücksichtigen. Es geht jedoch nicht um die positive Bestimmung von Freiheit, sondern um die Suche nach Einschränkungen der Freiheit im Empfinden, Beurteilen, Entscheiden und Handeln.“ Dabei darf aber nicht außer Betracht bleiben, dass sowohl die Entscheidungen eines Richters als auch die Äußerungen Singers selbst den gleichen Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Somit ist das Strafrecht unter diesem Aspekt ein gesetzmäßiger Regelmechanismus der Gesellschaft, der auf gesellschaftliche Unzuträglichkeiten mit Erzeugung neuer Ursachen, den Strafen, reagiert, die als Wirkung diese Unzuträglichkeiten sowohl bei dem Täter (Spezialprävention) als auch in der Gesellschaft (Generalprävention) eindämmen sollen.
[Bearbeiten] Positionen der Neurowissenschaften bzw. Hirnforschung
[Bearbeiten] Experimente von Libet und Pascual-Leone
Ein viel diskutiertes Experiment (Libet-Experiment) auf diesem Gebiet wurde von Benjamin Libet in den 1980er Jahren durchgeführt. Die Probanden wurden gebeten, zu einem beliebigen Moment das Handgelenk zu bewegen, während sie eine Art Uhrzeiger verfolgten. Gleichzeitig wurde die Gehirnaktivitäten aufgezeichnet.
Nach Libets Deutung zeigt das Experiment, dass die Gehirnaktivität, die dazu führte, dass die Person ihr Handgelenk bewegt, etwa eine halbe Sekunde vor dem Moment einsetzte, in dem die Person sich bewusst dazu entschloss. Ob dieser Befund zutrifft, ist schon wegen der Konstruktion des Experiments umstritten. Auch unter der Annahme das Experiment ließe sich in diese Richtung deuten, ist kontrovers, welche Konsequenzen daraus zu ziehen wären. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise zu postulieren, dass die Entscheidung unbewusst stattfindet und erst verspätet als bewusste repräsentiert wird.
Ein ähnliches Experiment wurde später von Alvaro Pascual-Leone durchgeführt, bei dem die Probanden gebeten wurden, zufällig die rechte oder die linke Hand zu bewegen. Er fand heraus, dass durch die Stimulation der verschiedenen Hirnhälften mittels magnetischer Felder die Wahl der Person stark beeinflusst werden konnte. Normalerweise wählen Rechtshänder die rechte Hand in ca. 60% aller Fälle. Wurde jedoch die rechte Hirnhälfte stimuliert, wurde die linke Hand in 80% aller Fälle ausgewählt (die rechte Hemisphäre des Hirns ist im wesentlichen für die linke Körperhälfte zuständig und umgekehrt). Trotz dieses nachweislichen Einflusses von außen berichteten die Probanden weiterhin, dass sie der Überzeugung waren, die Wahl frei getroffen zu haben.
Auch zu diesem Experiment gibt es die unterschiedlichsten Kommentare. Letztlich lässt sich nur sagen, dass solche Experimente bisher in Einklang mit jeder Auffassung über Willensfreiheit zu bringen waren.
[Bearbeiten] Deutung des erreichten Erkenntnisstandes
Ein Teil derjenigen Neurowissenschaftler, welche aus ihren Experimenten Schlussfolgerungen weitreichender philosophischer Art ziehen, meint, der freie Wille sei eine Illusion. Diese vertreten etwa Gerhard Roth, Henrik Walter und Wolf Singer. Nach ihrer Auffassung geht der Willensakt neuronalen Prozessen nicht voraus. Stattdessen ergibt sich nachträglich die bloße Illusion, sich frei entschieden zu haben. Das Empfinden, etwas zu wollen - der „Willensakt“ also - resultiere als illusionäres Epiphänomen aus den corticalen und subcorticalen Prozessen, die bei der Vorbereitung einer Willkürhandlung ablaufen.
Nach den Erkenntnissen der Hirnforschung über die Steuerung der Willkürmotorik haben - auf der Ebene des Gehirns - die eigentlichen Antriebe für unser Verhalten einen subcorticalen Ursprung, entstehen also im limbischen Bewertungs- und Gedächtnissystem. Dieses aktiviert die Basalganglien und das Kleinhirn, die wiederum die corticalen Prozesse in Gang setzen. Dann erst setzt die Empfindung ein, etwas zu wollen. Damit stimmt überein, dass bei Willkürhandlungen zuerst in den Basalganglien und im Kleinhirn neuronale Aktivität auftritt und dann im Cortex.
Andererseits ist es durchaus möglich, dass andere corticale Prozesse, die ebenfalls von Bewusstsein begleitet sind, mit diesen ersteren Prozessen interferieren, sie beeinflussen oder blockieren, wie es von Libet beschrieben wurde. Bewusste corticale Handlungsplanungsprozesse, wie sie etwa im präfrontalen Cortex ablaufen, können durchaus die subcorticalen Prozesse beeinflussen. Allerdings führen bewusste Planungen keineswegs automatisch zu Handlungen. Wir können uns bekanntlich bewusst etwas stark vornehmen, ohne dass eine entsprechende Handlung folgt (s. auch Willensschwäche). Der unmittelbare Anstoß, etwas zu tun, entsteht also nicht (cortical) aus diesem bewussten Vorsatz, sondern subcortical im limbischen System. Unsere bewussten Planungen gehen also nur als eine von mehreren Determinanten in die Handlungssteuerung ein, und häufig sind sie keineswegs entscheidend.
Ein Fazit aus diesen Untersuchungen und Erkenntnissen könnte lauten: Die Autonomie menschlichen Handelns ist nicht im subjektiv empfundenen Willensakt begründet, sondern in der Fähigkeit des Menschen, aus innerem Antrieb Handlungen auszuführen und diese bewusst und - mehr oder weniger - rational, also unter Bezugnahme auf Gründe, zu steuern. Diese bewusste Steuerung (Bezugnahme auf Handlungsgründe und -folgen, rationale Abwägung etc.) kann jedoch im Einzelfall besser oder schlechter ausgeprägt sein, je nachdem, in welchem Umfang cortikale und insbesondere frontale Hirnprozesse in die Handlungsvorbereitung und -steuerung eingehen. Wenn die Handlungssteuerung im wesentlichen auf (cortical bzw. frontal nicht kontrollierte) subcorticale Prozesse zurückgeht, unterliegt sie nicht oder nur unzureichend bewussten Willensentscheidungen.
Das „autonome System“ ist also der ganze Mensch, nicht nur das empfindende Ich. Der „Steuerungsapparat“, der dem Menschen zu seiner Fähigkeit der - mehr oder weniger bewussten bzw. rationalen - Handlungssteuerung verhilft bzw. diese biologisch realisiert, ist das Gehirn.
[Bearbeiten] Theologische Positionen
- Siehe auch: Theodizee
[Bearbeiten] Freiheitsverständnis in der Bibel
Im heutigen westlichen Kulturkreis wird Freiheit oft mit Selbstverwirklichung und Ungebundenheit verbunden, hin und wieder auch als Hedonismus kritisiert. Aus den biblischen Texten lässt sich nicht gewaltlos ein einsinniger Freiheitsbegriff herausdestillieren. Dennoch wird hin und wieder pauschal formuliert, dass biblisch wahre Freiheit stets zugleich Abhängigkeit von Gott meine. Als unfrei dagegen gelte vor allem, wer an anderem, Innerweltlichem hängt. Nur im Rahmen der Bindung an Gott sei daher auch ein freier Wille denkbar. Derartige Thesen hängen stark von der Einzelinterpretation der Texte und der Explikation des Gemeinten ab.
[Bearbeiten] Theologische Diskussion
Das Wort Freiheit findet in theologischen Diskussionen i.a. nicht genau dieselbe Verwendung wie in philosophischen, sondern schließt bestimmte Aspekte ein, die von einem religiösen Verständnishorizont abhängen. Ein Konsens bezüglich der Details des Freiheitsbegriffs besteht ebenso wenig wie in der Philosophie.
Religionsphilosophisch und theologisch stellen sich zahlreiche Probleme, wenn Freiheit vor dem Hintergrund bestimmter Formen religiösen Glaubens widerspruchsfrei bestehen soll.
- Wenn Gott allwissend ist, wie kann dann der Mensch frei in seinen Entscheidungen sein? Denn wenn Gott alle Fakten kennt, weiß er auch, welche Entscheidung ein Mensch zu einem bestimmten Zeitpunkt treffen wird. Es bestehen also keine alternativen Handlungsmöglichkeiten. Diese werden von einigen Theoretikern aber als notwendig vorausgesetzt, um von Freiheit zu sprechen.
Die Bibel enthält Verse, die sowohl die Freiheit des Menschen, selbst zu entscheiden, unterstreichen, aber auch solche, die diese Freiheit dem Menschen absprechen. Wie man akzentuiert und unterscheidet, ist darum interpretations- und theorieabhängig. Über Jahrhunderte haben die Analysen des Augustinus im 4. Jahrhundert die theologische Diskussion geprägt. Neuzeitlich lassen sich im protestantischen Kontext etwa die Positionen von Johannes Calvin und Jacobus Arminius als zwei Extrempole benennen. Calvin lehrt die doppelte Prädestination, nach der Gott vorherbestimmt hat, wer gerettet und wer verdammt ist. Armin lehnt die Lehre Calvins entschieden ab und gesteht dem Menschen die Freiheit zu, die Gnade Gottes zurückzuweisen, allerdings verfügt auch nach seiner Meinung Gott über das Vorauswissen, welcher Mensch den Glauben annimmt oder nicht; seine Anhänger werden Remonstranten genannt. Innerhalb des breiten Spektrums christlicher Kirchen neigen Theologen mancher Konfessionen stärker dazu, den freien Willen zu betonen als andere. So betonen römisch-katholische Theologen den freien Willen des Menschen stärker. Es liege an jedem Einzelnen, die Gnadengaben Gottes anzunehmen und er könne sich auch in Freiheit dazu entscheiden, sie abzulehnen (dies betont etwa Karl Rahner). Auch die meisten Freikirchen, die nicht aus dem Pietismus entstanden sind, sehen einen freien Willen des Menschen als gegeben an. Lutherische und calvinistische Kirchen stehen dem tendenziell entgegen. Das sind freilich nur grobe Tendenzen, denen zahlreiche Einzelentwürfe auch entgegenlaufen. Eine genaue Beurteilung des „freien Willens“ ist jedoch in all diesen Gemeinschaften und ihren diversen theologischen Schulen kontrovers und auch für einzelne Theologen, etwa Luther, umstritten.
Die Auseinandersetzung um den freien Willen führte in der Zeit der Reformation zum öffentlichen Bruch zwischen Martin Luther und Erasmus von Rotterdam. In seiner Abhandlung über den freien Willen (De libero arbitrio diatribe sive collatio) legte Erasmus 1524 seine Auffassung dar: Er nimmt eine Mittelposition ein, wonach die ersten Regungen des Herzens gegenüber Gott der göttlichen Gnade zugeschrieben werden müssten, aber zwischen Anfang und Vollendung „einiges“ dem menschlichen Willen zufalle. Luther antwortete darauf 1525 mit seiner Schrift „Über den geknechteten Willen“ (De servo arbitrio).
[Bearbeiten] Freier Wille im Islam
Siehe dazu Glaubensfreiheit im Islam und Al-amr bi'l ma'ruf wa n-nahy 'an al-munkar.
[Bearbeiten] Zitate
„Warum sollte denn der von Gott unmittelbar geschaffene autonome und selbstbewusste Geist ein Gehirn oder gar die Beeinflussung von Wahrscheinlichkeitsfeldern synaptischer Transmitterausschüttung nötig haben, um in der materiellen Welt zu leben? “
– Gerhard Roth: 1997
„Das Verlangen nach “Freiheit des Willens,” in jenem metaphysischen Superlativ-Verstande, wie er leider noch immer in den Köpfen der Halb-Unterrichteten herrscht, das Verlangen, die ganze und letzte Verantwortlichkeit für seine Handlungen selbst zu tragen und Gott, Welt, Vorfahren, Zufall, Gesellschaft davon zu entlasten, ist nämlich nichts Geringeres, als eben jene causa sui zu sein und, mit einer mehr als Münchhausen’schen Verwegenheit, sich selbst aus dem Sumpf des Nichts an den Haaren in’s Dasein zu ziehn.“
„Ich lache eures freien Willens und auch eures unfreien: Wahn ist mir das, was ihr Willen heißt, es giebt keinen Willen. “
– Friedrich Nietzsche: Nachlass, Sommer 1883, 13 [1-36], Zarathustras heilige Gelächter
„Die Daumenschraube eines jeden finden: Dies ist die Kunst, den Willen Anderer in Bewegung zu setzen. Es gehört mehr Geschick als Festigkeit dazu. Man muss wissen, wo einem Jeden beizukommen sei. Es gibt keinen Willen, der nicht einen eigentümlichen Hang hätte, welcher, nach der Mannigfaltigkeit des Geschmacks, verschieden ist. Alle sind Götzendiener, Einige der Ehre, Andere des Interesses, die meisten des Vergnügens. Der Kunstgriff besteht darin, dass man diesen Götzen eines Jeden kenne, um mittels desselben ihn zu bestimmen. Weiß man, welches für jeden der wirksame Anstoß sei, so ist es, als hätte man den Schlüssel zu seinem Willen. Man muß nun auf die allererste Springfeder oder das primum mobile in ihm zurückgehen, welches aber nicht etwa das Höchste seiner Natur, sondern meistens das Niedrigste ist: denn es gibt mehr schlecht- als wohlgeordnete Gemüter in dieser Welt. Jetzt muss man zuvörderst sein Gemüt bearbeiten, denn ihm durch ein Wort den Anstoß geben, endlich mit seiner Lieblingsneigung den Hauptangriff machen; so wird unfehlbar sein freier Wille schachmatt.“
– Baltasar Gracián: Handorakel und Kunst der Weltklugheit, 1647, Übersetzung: Arthur Schopenhauer
„Ich weiß ehrlich nicht, was die Leute meinen, wenn sie von der Freiheit des menschlichen Willens sprechen. Ich habe zum Beispiel das Gefühl, dass ich irgend etwas will; aber was das mit Freiheit zu tun hat, kann ich überhaupt nicht verstehen. Ich spüre, dass ich meine Pfeife anzünden will und tue das auch; aber wie kann ich das mit der Idee der Freiheit verbinden? Was liegt hinter dem Willensakt, dass ich meine Pfeife anzünden will? Ein anderer Willensakt? Schopenhauer hat einmal gesagt: „Der Mensch kann tun was er will; er kann aber nicht wollen was er will.“
– Albert Einstein: Ich vertraue auf Intuition. Der andere Albert Einstein. - Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg, Berlin, Oxford, Seite 176.
„Die einzige Möglichkeit, einen wirklich freien Willen zu manifestieren, wäre, etwas zu tun, wozu es keinerlei Veranlassung gibt. Und da dies selbst die Veranlassung wäre, ist dies unmöglich.“
– Torsten de Winkel: 1999
„Nehmen wir an, Sie hätten einen freien Willen. Es wäre ein Wille, der von nichts abhinge: ein vollständig losgelöster, von allen ursächlichen Zusammenhängen freier Wille. Ein solcher Wille wäre ein aberwitziger, abstruser Wille. Seine Losgelöstheit nämlich würde bedeuten, dass er unabhängig wäre von ihrem Körper, ihrem Charakter, ihren Gedanken und Empfindungen, ihren Phantasien und Erinnerungen. Es wäre, mit anderen Worten, ein Wille ohne Zusammenhang mit all dem, was Sie zu einer bestimmten Person macht. In einem substantiellen Sinn des Wortes wäre er deshalb gar nicht Ihr Wille.“
– Peter Bieri: „Freiheit und Zufall“
[Bearbeiten] Literatur
[Bearbeiten] Klassiker
- Augustinus von Hippo: Der freie Wille. übersetzt von Carl Johann Perl. 4. Aufl., unveränd. Nachdruck, Paderborn 1986 ISBN 3-506-70462-1
- Arnold Gehlen: Theorie der Willensfreiheit und frühe philosophische Schriften. 1965
- Hans Jonas: Macht oder Ohnmacht der Subjektivität? - Das Leib-Seele-Problem im Vorfeld des Prinzips Verantwortung. Frankfurt: Suhrkamp 1987 ISBN 3-518-38013-3
- Max Planck: Vom Wesen der Willensfreiheit und andere Vorträge. 1991 ISBN 3596104726
- Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. I: 1818, I+II: 1844, ISBN 3458335730; Über die Freiheit des menschlichen Willens. In: Die beiden Grundprobleme der Ethik., Kleinere Schriften II, Zürich 1977 (Diogenes), ISBN 3257204264
[Bearbeiten] Systematische Darstellungen
- Kwame Anthony Appiah: Thinking it Through, Kapitel 9.10 (Free will and determinism) und 9.11 (Compatibilism and moral responsibility), 2003, ISBN 0-19-513458-3
- Peter Bieri: Das Handwerk der Freiheit. Über die Entdeckung des eigenen Willens. München: Hanser 2001 ISBN 3596156475, Lizenzausgabe als Fischer TB 15647 Frankfurt: Fischer 2003, ²2004
- Peter Bieri: Untergräbt die Regie des Gehirns die Freiheit des Willens? In: Martin Heinze et al. (Hrsg.): Willensfreiheit - eine Illusion? Naturalismus und Psychiatrie. Berlin/Lengerich: Parodos/Pabst Science Publishers 2006 ISBN 978-3-938880-07-4
- Daniel Dennett: Elbow Room: The Varieties of Free Will Worth Having. Cambridge. MA: MIT Press 1994.
- John Martin Fischer: The Metaphysics of Free Will Oxford: Blackwell 1994.
- John Martin Fischer: Responsibility and Control. Cambridge: Cambridge University Press 1999.
- Harry Frankfurt: Alternate Possibilities and Moral Responsibility In: Journal of Philosophy 66 (1969), 829-39.
- Christian Geyer (Hrsg.): Hirnforschung und Willensfreiheit. Zur Deutung der neuesten Experimente. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004 (es 2387) ISBN 3518123874
- Jürgen Habermas: Freiheit und Determinismus. DZPhil 52/6 (2004) 871-890; ern. in: Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze Frankfurt, Suhrkamp, 2005, S. 155-186 ISBN 3518584472
- Ted Honderich: How Free Are You? The Determinsm Problem. Oxford: Oxf.Univ.Press 1993; dt.: Wie frei sind wir? Das Determinismus-Problem. Stuttgart: Reclam 1995, ISBN 3-15-009356-2
- Robert Kane: A Contemporary Introduction to Free Will, 2005, ISBN 0-19-514970-X
- Robert Kane: The Significance of Free Will. New York: Oxford University Press 1996.
- Robert Kane (Hg.): Oxford Handbook on Free Will. New York: Oxford University Press 2002.
- Michael Pauen: Illusion Freiheit? Mögliche und unmögliche Konsequenzen der Hirnforschung. Fischer, Frankfurt 2004
- Gerhard Roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen. Suhrkamp Frankfurt 1997 (stw 1275) ISBN 3-518-28875-X
[Bearbeiten] Willensfreiheit in der Belletristik
- Martin Raether Der „Acte gratuit“. Revolte und Literatur: Hegel, Dostojewskij, Nietzsche, Gide, Sartre, Camus, Beckett Reihe Studia Romanica 37. Heidelberg: Winter, 1980 ISBN 3-8253-2921-6 (ausführl. Zusammenfassung des Kap. über Dostojewski durch den Autor: [1])
- Leslie Kaplan Fever
[Bearbeiten] Siehe auch
- Bewusstsein
- Handlungsfreiheit
- Natürlicher Wille (juristische Abgrenzung vom „freien Willen“)
- Wille
- Willensbildung (juristische Definition von „freier Wille“)
- Selbstbestimmung
- Gödel, Escher, Bach - ein Buch von Douglas Hofstadter zu diesem Thema
- Philosophie des Geistes
- Prädestination - die theologische Abgrenzung von den Begriffen De- und Indeterminismus
- Zufall - das Grundprinzip des Indeterminismus
- Neuroethik
- Der freie Wille (Kinofilm)
[Bearbeiten] Weblinks
[Bearbeiten] Grundlegende Information
- Michael Maher (1909): Free Will Artikel in der Catholic Encyclopedia (auf englisch)
- Julian Nida-Rümelin: Über menschliche Freiheit - Korreferat zum Symposium I: Der freie Mensch - Nur eine Illusion? (WZNW Kongress Neuro2004 - Hirnforschung für die Zukunft
- Timothy O'Connor (2006): Free Will Eintrag (englisch) in der Stanford Encyclopedia of Philosophy (inkl. Literaturangaben)
- Kevin Timpe (2006): Free Will, in: Internet Encyclopedia of Philosophy
- Willensfreiheit im Projekt Philosophie verständlich
[Bearbeiten] Spezielleres
- Jördis Alex: Implikationen der Hirnforschung für das Bewusstsein kritische Bilanz der Debatte um Willensfreiheit und Bewusstsein
- Dirk Hartmann: Willensfreiheit und die Autonomie der Kulturwissenschaften
- Thomas Zenk: Kritik der Willensfreiheit bei Friedrich Nietzsche (Darstellung der Freiheitskritik Nietzsches anhand seines Buches 'Menschliches, Allzumenschliches')
[Bearbeiten] Kommentare, Essays, Berichte, Kritiken, Interviews
- Interview von Markus C. Schulte v. Drach mit Wolf Singer: Hirnforschung und Philosophie - „Der freie Wille ist nur ein gutes Gefühl“ (SZ vom 19. Juli 2006)
- Ulrich Kühne: SZ-Forum Wissen - „Wie frei ist der Mensch?“ (SZ vom 17. Mai 2004)
- Alexander Kissler: Weicher Naturalismus - Habermas und die Willensfreiheit (SZ vom 19. Januar 2006)
[Bearbeiten] Videos
- Prof. Wolfgang Prinz über den freien Willen (RealMedia). Geistesblitze. BR-alpha.