Gesamtkunstwerk
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Als Gesamtkunstwerk bezeichnet man ein Werk, in dem verschiedene Künste, wie Musik, Dichtung, Tanz/Pantomime, Architektur und Malerei, vereint sind. Dabei ist die Zusammenstellung nicht beliebig und illustrativ, sondern die Bestandteile ergänzen sich notwendig. Das Gesamtkunstwerk hat eine „Tendenz zur Tilgung der Grenze zwischen ästhetischem Gebilde und Realität“ (Odo Marquard). Es ist kein demütiger Hinweis auf die göttliche Schöpfung, wie bei aller Pracht noch die Kunst zwischen Gotik und Barock, sondern es erhebt Anspruch auf eigene Geltung.
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[Bearbeiten] Geschichte
Der Ausdruck wird erstmals vom Schriftsteller und Philosophen Eusebius Trahndorff in dessen Schrift Ästhetik oder Lehre von der Weltanschauung und Kunst (1827) verwendet. 1849 taucht er in Richard Wagners Schrift Die Kunst und die Revolution wieder auf. Ob Wagner Trahndorffs Werk kannte, lässt sich nicht nachweisen.
Wagner bezeichnet die attische Tragödie als das „große Gesamtkunstwerk“. In seiner kurz danach entstandenen Schrift Das Kunstwerk der Zukunft weitet Wagner die Bedeutung des Begriffes aus. In seinem Konzept eines Musikdramas werden die einzelnen Künste einem gemeinsamen Zweck untergeordnet, der eine soziale Utopie verfolgt. Die zunehmende Arbeitsteilung (etwa bei der Spartentrennung im Theater) und die egoistische Vereinzelung in der Gesellschaft sollen aus seiner Sicht aufgehoben werden. Als Vorbild und Feindbild zugleich hatte er die französische Grand opéra vor Augen, in der alle Bühnenkünste auf ihrem neusten technischen Stand vereinigt waren.
Wagners Geschwister waren noch zugleich Schauspieler, Sänger und auch Tänzer gewesen, was durch die Spezialisierung der Theaterberufe nach 1850 nicht mehr möglich war. Auf einem anderen Weg sollte diese Universalität zurückgewonnen werden: durch gleichberechtigte Arbeit der Ausführenden am Kunstwerk im Dienste seines Autors. Wagner spricht von einer „Genossenschaft aller Künstler“. Er geht dabei von ästhetischen Vorstellungen der Romantik, von der Philosophie Arthur Schopenhauers sowie von politischen Vorstellungen im Umkreis der Märzrevolution aus.
- Das große Gesammtkunstwerk, das alle Gattungen der Kunst zu umfassen hat, um jede einzelne dieser Gattungen als Mittel gewissermaßen zu verbrauchen, zu vernichten zu Gunsten der Erreichung des Gesammtzweckes aller, nämlich der unbedingten, unmittelbaren Darstellung der vollendeten menschlichen Natur, – dieses große Gesammtkunstwerk erkennt er nicht als die willkürlich mögliche Tat des Einzelnen, sondern als das nothwendig denkbare gemeinsame Werk der Menschen der Zukunft.
- (Richard Wagner, Das Kunstwerk der Zukunft, 1849, Kap. 5)
[Bearbeiten] Aktuelle Bedeutungen
In der Ausstellung „Der Hang zum Gesamtkunstwerk“ von Harald Szeemann, die 1983 im Kunsthaus Zürich und im Museum des 20. Jahrhunderts in Wien gezeigt wurde, wurden diverse Gesamtkunstwerke der Öffentlichkeit vorgestellt:unter anderem. der Merzbau von Kurt Schwitters, die Kathedralen wie Sagrada Família von Antonio Gaudi, der Monte Verità bei Ascona, Il Vittoriale degli Italiani am Gardasee. In der Ausstellung sind europäische Utopien seit 1800 versammelt, die sich nicht auf die Kunst beschränken, sondern eine Umwandlung der sozialen Wirklichkeit in die Richtung einer erneuerten Gemeinschaft im Sinn haben.
In neuerer Zeit überschneidet sich der Begriff Gesamtkunstwerk mit dem der (synthetischen) Intermedialität. Ob Kunstwerke, die zugleich verschiedene Sinne ansprechen, freie Zusammenstellungen im Sinne von Multimedia oder en:Mixed-media sind oder ob sie dem Anspruch einer Vereinigung zum Gesamtkunstwerk genügen, ist eine Sache der Interpretation.
[Bearbeiten] Literatur
- Udo Bermbach: Der Wahn des Gesamtkunstwerks. Richard Wagners politisch-ästhetische Utopie. 2. Aufl., Stuttgart: Metzler 2004. ISBN 3-476-01868-7
- Daniel Schneller: Richard Wagners "Parsifal" und die Erneuerung des Mysteriendramas in Bayreuth. Die Vision des Gesamtkunstwerks als Universalkultur der Zukunft, Bern: Lang 1997. ISBN 3-906757-26-9
- Harald Szeemann (Hrsg.): Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800, Ausstellungs-Katalog, Kunsthaus Zürich 1983
- Karl Friedrich Eusebius Trahndorff: Aesthetik oder Lehre von der Weltanschauung und Kunst. Berlin: Maurer 1827