Hermann und Dorothea
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Hermann und Dorothea ist ein Epos in neun Gesängen von Johann Wolfgang von Goethe. Zwischen dem 11. September 1796 und dem 8. Juni 1797 entstanden, lag es im Oktober 1797 im Erstdruck vor. Die Gesänge tragen die Namen der antiken griechischen Musen.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Inhalt
[Bearbeiten] I. Kalliope. Schicksal und Anteil
Ein Treck deutscher Flüchtlinge zieht, den Feind auf den Fersen, ostwärts, überquert den Rhein und nähert sich dem Ort der Handlung im Sommer kurz vor der Getreideernte. Dieser Ort ist eine rechtsrheinische Kleinstadt. Von ihr aus ist Straßburg mit dem Pferdegespann erreichbar. Lieschen, Gattin des Wirts zum Goldenen Löwen, schickt ihren Sohn Hermann mit Gaben für die Notleidenden aus.
[Bearbeiten] II. Terpsichore. Hermann
Im Lager der Flüchtlinge trifft Hermann auf Dorothea, die sich um eine erst entbundene Frau kümmert. Dorothea nimmt Hermanns Gaben mit gemischten Gefühlen. Aber sie dränget die Not. Hermann gibt Dorothea alle seine Schätze - Schinken, Brote, Flaschen Weines und Biers, obwohl er sie eigentlich unters Volk verteilen wollte.
Nach Hause zurückgekehrt, gesteht Hermann der Mutter, dass er das junge hübsche Mädchen Dorothea vom Fleck weg heiraten möchte. Die Mutter ist einverstanden, denn auch sie und ihren Ehemann, den Wirt, knüpfte die traurigste Stunde zusammen. Beide fanden sich seinerzeit nach einem Stadtbrand auf rauchenden Trümmern dicht vor Lieschens Vaterhaus. Der Wirt aber meint, die Zeiten der Liebe vergehen. Er besteht auf einer Braut mit schöner Mitgift und nennt auch gleich Kandidatinnen aus dem Städtchen. Die aber mag Hermann nicht, weil sie ihn gekränkt und sogar ausgelacht haben wegen seiner Unbeholfenheit. Hermann will Dorothea. Wenig Freud erleb ich an dir! grollt der Vater. Er ist mit Hermann unzufrieden, weil sein einziges Kind nicht höher hinauf will.
[Bearbeiten] III. Thalia. Die Bürger
Der Vater hat Großes mit Hermann vor. Zuerst soll Hermann die Welt kennen lernen - Straßburg, Frankfurt und das freundliche Mannheim und sich dann an Bauprojekten des Städtchens beteiligen. Die Mutter meint, Hermann muss von den Eltern so geliebt werden, wie er ist. Die Mutter weiß es, Hermann ist der Güter, die er dereinst erbt, Wert. Darauf bezeichnet der Vater als ein wunderlich Volk die Weiber, sowie die Kinder und bleibt bei seiner Überzeugung: Wer nicht vorwärts geht, der kommt zurück.
[Bearbeiten] IV. Euterpe. Mutter und Sohn
Die Mutter sucht Hermann im hauseigenen Weinberg. Als sie ihn auf der Bank unterm Birnbaum findet, da sieht sie ihm Tränen im Auge. Der trotzige Sohn will nicht wieder nach Hause kehren, sondern in den Krieg ziehen. Die Mutter redet ihm das aus: ...dich ruft nicht die Trommel, nicht die Trompete. Hermann gesteht, er will wegen einer anderen Sache gehen. Die Mutter hat ihn so heftig bewegt noch niemals gesehn. Hermann weint laut an der Brust der Mutter und gesteht ihr, des Vater Wort habe ihn kränkend getroffen. Alles liegt so öde vor mir: ich entbehre die Gattin. Die Mutter ist erleichtert, weil ihr Hermann sein Herz ausgeschüttet hat, forscht, wer das Mädchen denn sei und hat auch gleich eine Vermutung: Jenes Mädchen ists, das vertriebene, die du gewählt hast.
Hermann will nicht mehr nach Hause zurückkehren, wenn der Vater das Mädchen ausschließt, das er allein nach Haus zu führen begehrt. Die Mutter hat schon einen Plan und einen Helfer - den Pfarrer: besonders wird uns der würdige Geistliche helfen.
[Bearbeiten] V. Polyhymnia. Der Weltbürger
Hermann bittet den Vater um Heiratserlaubnis, aber der schweigt. Da springt der Pfarrer ein und lobt:
- Rein ist Hermann, ich kenn ihn von Jugend auf; und er streckte
- Schon als Knabe die Hände nicht aus nach diesem und jenem. (V, 63)
Der Pfarrer will hinausgehen übers Feld zu den Flüchtlingen und Erkundigungen über Dorothea einziehen. Der Vater erklärt sich mit dem Vorschlag einverstanden, und der Pfarrer tut es. Er wird von Hermann kutschiert. Hermann beschreibt dem Pfarrer Erkennungsmerkmale der geliebten Frau: der rote Latz erhebt den gewölbeten Busen, schön geschnürt, und es liegt das schwarze Mieder ihr knapp an. Sie erreichen das Dorf, wo in Gärten und Scheunen und Häusern die Menge von Menschen wimmelt, Karrn an Karrn. Der Pfarrer findet den Richter, das Oberhaupt der Flüchtlinge und wendet sich an ihn.
[Bearbeiten] VI. Klio. Das Zeitalter
Der Richter beschreibt Dorothea als treffliche Jungfrau, die sich in den Revolutionswirren bewährte, als sie einen Trupp verlaufnen Gesindels, der über liebliche Mädchen, noch eher Kinder zu heißen herfallen wollte, mit dem Säbel in die Flucht schlug. Dorothea pflegte Kranke und verlor den Verlobten während der Revolution.
Hermann schickt den Pfarrer mit der Kutsche zurück ins Städtchen und will zu Dorothea gehen, sein Schicksal selber erfahren.
[Bearbeiten] VII. Erato. Dorothea
Hermann geht Dorothea freudig entgegen. Er findet sie aufs neue beschäftigt. Dorothea holt für ihre Leute am Brunnen frisches Wasser. Da kommt es zur ersten Begegnung am Quell:
- Und sie sahen gespiegelt ihr Bild in der Bläue des Himmels
- Schwanken und nickten sich zu und grüßten sich freundlich im Spiegel. (VII, 43)
Weder erkennt Hermann die aufkeimende Liebe der Frau an seiner Seite, noch erklärt er sich. Denn er fürchtet von Dorothea einen Korb. Aus seiner Rede muss Dorothea entnehmen, zu Hause bei Hermann werde eine Magd gesucht. Dorothea willigt ein. Bei der Verabschiedung von ihren Landsleuten sagt sie und alle müssen wir endlich uns im fremden Lande zerstreun, wenn die Rückkehr versagt ist ... Also folg ich ihm gern; er scheint ein verständiger Jüngling. Keiner erhebt Einspruch. Jemand flüstert: Wenn aus dem Herrn ein Bräutigam wird, so ist sie geborgen. Hermann zieht sie hinweg. Die Kinder schreien, wollen die zweite Mutter nicht lassen.
[Bearbeiten] VIII. Melpomene. Hermann und Dorothea
Hermann und Dorothea schreiten entgegen der sinkenden Sonne und freuen sich beide des hohen, wankenden Kornes. Dorothea will Genaueres über Hermanns Eltern wissen. Hermann hat noch nie über seine Eltern geschwätzt, doch er lobt seine Mutter, muss beim Vater aber einräumen, dieser liebet den Schein auch. Unterm Birnbaum dann nutzt Hermann wiederum nicht die Gunst der Stunde, weil er den Korb fürchtet. Als beide im Dunkeln Stufen hinabsteigen, verknackst sich Dorothea den Fuß, droht zu fallen. Hermann streckt den Arm aus und sie sinkt ihm leis auf die Schulter. Brust an Brust und Wang an Wange stehen sie. Hermann stemmt sich gegen die Schwere. Und so fühlt' er die herrliche Last, die Wärme des Herzens und den Balsam des Atems, an seinen Lippen verhauchen.
[Bearbeiten] IX. Urania. Aussicht
Goethe greift direkt das Ende des achten Gesangs auf, ruft die Musen an, jene neun Titelfiguren seiner Gesänge und bittet um einen glücklichen Ausgang der Geschichte von Hermann und Dorothea:
- Musen, die ihr so gern die herzliche Liebe begünstigt,
- Auf dem Wege bisher den trefflichen Jüngling geleitet,
- An die Brust ihm das Mädchen noch vor der Verlobung gedrückt habt:
- Helfet auch ferner den Bund des lieblichen Paares vollenden,... (IX,1)
Als das herrliche Paar eintritt, erstaunen die Freunde und auch die liebenden Eltern. Hermann wendet sich sogleich an den Pfarrer. Hermann fürchtet Verwirrung, weil er nicht um Dorothea geworben hat und sie sich als künftige Magd wähnt. Bevor der Pfarrer klärend eingreifen kann, geschieht es auch schon. Die erste Äußerung des Vater, gerichtet an Dorothea, muss diese als Spott über ihr Flüchtlingselend auffassen. Dorothea bringt das zusammen mit heiß vergossenen Tränen zur Sprache und will kehrtmachen. Die Mutter aber hält Dorothea auf: Nein, ich lasse dich nicht; du bist mir des Sohnes Verlobte. Nur der Vater sträubt sich noch ein wenig gegen die Verbindung: ich gehe zu Bette. Hermann hält ihn zurück und bittet den Pfarrer neuerlich um Hilfestellung. Der Pfarrer ermuntert Hermann: Rede darum nur selbst! Und Hermann redet: ...ich kam, um deine Liebe zu werben. Das Liebespaar umarmt und küsst sich. Dann küsst Dorothea auch die zurückgezogene Hand des Vaters. Dieser umarmt sie gleich, die Tränen verbergend. Der Pfarrer zieht den Eltern die Trauringe von den Fingern und will damit die Kinder verloben. Bei der Gelegenheit sieht er den Ring am Finger der Braut. Dorothea, charakterfest, steht zu ihrem ersten Verlobten, der in Paris Kerker und Tod fand. Sie steckt die Ringe nebeneinander. Der Bräutigam heißt das gut: wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich.
[Bearbeiten] Zitate
- Vieles wünscht sich der Mensch, und doch bedarf er nur wenig;
- Denn die Tage sind kurz, und beschränkt der Sterblichen Schicksal. (V, 13)
- Der Augenblick nur entscheidet
- Über das Leben des Menschen und über sein ganzes Geschicke. (V, 57)
- Niemand weiß, wie lang er es hat, was er ruhig besitzet. (VI, 203)
Über die Französische Revolution:
- Grundgesetze lösen sich auf der festesten Staaten,
- Und es löst der Besitz sich los vom alten Besitzer,... (IX, 264)
- Alles regt sich, als wollte die Welt, die gestaltete, rückwärts
- Lösen in Chaos und Nacht sich auf und neu sich gestalten. (IX, 273)
[Bearbeiten] Hintergrund
Goethe bekam eine Kalendergeschichte aus dem Jahre 1731 in die Hände. Die handelte von einem jungen protestantischen Mädchen, das mit den Ihren aus dem Erzbistum Salzburg nach Ostpreußen vertrieben wurde und dort angesiedelt, einen wohlhabenden jungen Mann heiratete. Goethe verlegte das Geschehen von Ostpreußen in eine rechtsrheinische Kleinstadt des Jahres 1796. Während seiner Teilnahme an der Kampagne in Frankreich hatte Goethe 1792 die Flucht linksrheinischer Deutscher nach Osten miterlebt.
[Bearbeiten] Illustration und Bildhauerei
Daniel Chodowiecki, Joseph von Führich, Arthur von Ramberg, Benjamin Vautier und Ludwig Richter schufen Illustrationen zum epischen Idyll Hermann und Dorothea.
Eine Gruppe Hermann und Dorothea schuf Johann Werner Henschel für Potsdam und eine schuf Carl Steinhäuser für Karlsruhe.
[Bearbeiten] Die Musen
[Bearbeiten] Rezeption
Hier darf nicht übersehen werden, dass Goethe dies Werk (wie schon den Reineke Fuchs) bewusst gegen den deutschen anerkannten Meister des Epos in Hexametern, Johann Heinrich Voß und sein Epos Luise, konkurrierend schrieb.
- Ich habe Goethes »Hermann und Dorothea« in bessere Hexameter umgeschmolzen, wozu ich vierzehn angestrengte Tage gebraucht. Goethe hat mir seinen Beifall gegeben und mich gelobt, daß ich so schonend verfahren... (Johann Heinrich Voß im April 1805)
[Bearbeiten] Selbstzeugnisse
- In Hermann und Dorothea habe ich, was das Material betrifft, den Deutschen ihren Willen gethan und nun sind sie äußerst zufrieden. (Brief Goethes aus dem Jahre 1798 an Schiller)
- "Hermann und Dorothea", sagte er [Goethe] unter anderm, "ist fast das einzige meiner größern Gedichte, das mir noch Freude macht; ich kann es nie ohne innigen Antheil lesen. Besonders lieb ist es mir in der lateinischen Übersetzung; es kommt mir da vornehmer vor, als wäre es, der Form nach, zu seinem Ursprunge zurückgekehrt."
- Da wollen sie wissen, welche Stadt am Rhein bei meinem Hermann und Dorothea gemeint sei. Als ob es nicht besser wäre, sich jede beliebige zu denken. Man will Wahrheit, man will Wirklichkeit und verdirbt dadurch die Poesie. (Goethe im Dezember 1826 im Gespräch mit Eckermann)
[Bearbeiten] Literatur
[Bearbeiten] Sekundärliteratur
Geordnet nach dem Erscheinungsjahr
- Richard Friedenthal: Goethe – sein Leben und seine Zeit. S.450 - 454. R. Piper Verlag München 1963
- Gerhard Schulz: Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. Teil 1. Das Zeitalter der Französischen Revolution: 1789 - 1806. S.323 - 328. München 1983, ISBN 3406007279
- Helmut de Boor (Hrsg): Die deutsche Literatur: Texte und Zeugnisse. Bd. 1. Mittelalter. S.738 -752. München 1988, ISBN 3-406-01948-X
- Gero von Wilpert: Goethe-Lexikon. S.467 - 469. Stuttgart 1998, ISBN 3-520-40701-9
- Karl Otto Conrady: Goethe - Leben und Werk. S.651 - 664. Düsseldorf und Zürich 1999, ISBN 3-538-06638-8
- Nicholas Boyle: Goethe. Der Dichter in seiner Zeit. Bd. 2: 1790 – 1803. S.636 - 653. Frankfurt a. M. 2004, ISBN 3-458-34750-X
[Bearbeiten] Quelle
- Johann Wolfgang von Goethe: Poetische Werke, Band 2. S.397 - 447. Phaidon Verlag Essen 1999, ISBN 3-89350-448-6