Jüdisches Leben in Wien
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[Bearbeiten] Mittelalter
Juden sind in Wien ab 1194 nachweisbar, der erste bekannte war Schlom, der Münzmeister von Herzog Friedrich I.. Sie waren zunächst in der Umgebung der Seitenstettengasse ansässig, ab etwa 1280 um den Judenplatz. Am Judenplatz befand sich das Zentrum der Wiener Juden vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, bevor sie in der „Wiener Geserah“ (1420/21) hingerichtet wurden oder Selbstmord begingen, um der Zwangstaufe zu entgehen. 1238 verlieh ihnen Kaiser Friedrich II. ein Privileg und ab dem 14. Jahrhundert sind alle Einrichtungen der Gemeinde wie Synagoge, Spital, Fleischhof und andere nachweisbar. Das Wiener Stadtrecht sah für Streitigkeiten zwischen Christen und Juden einen eigenen Judenrichter vor. Für Konflikte von Juden untereinander war er nicht zuständig, außer eine der beiden Parteien erhob bei ihm Klage. Die erste Vertreibung der Juden erfolgte 1420/21 durch Albrecht V..
[Bearbeiten] Neuzeit
Obwohl es bis 1624 ein Ansiedlungsverbot gab, wurde es durch zahlreiche Ausnahmegenehmigungen durchbrochen, so dass 1582 ein neuer Friedhof in der Seegasse errichtet werden konnte. 1637 wurden die Rechte der Juden wieder beschränkt, was 1669/1670 zur zweiten Vertreibung durch Leopold I. führte. Allerdings bewirkte die Zweite Wiener Türkenbelagerung 1683, dass Samuel Oppenheimer nach Wien berufen wurde, der auch für die Wiederherstellung des Friedhofes sorgte. Durch Vermittlung von Oppenheimer ließ sich 1684 auch Samson Wertheimer aus Worms in Wien nieder und wurde später kaiserlicher Hoffaktor. Hier konnte er jedoch seine rabbinischen Funktionen nicht ausüben, sondern ging jeweils zu diesem Zweck nach Eisenstadt, das zu den sieben Gemeinden gehörte, in denen auf Einladung von Paul I. Fürst Esterházy jüdisches Leben willkommen war.
Seit 1736 gab es in Wien eine kleine türkisch-jüdische Gemeinschaft sephardischer Herkunft, die schon unter Maria Theresia eine Religionsgemeinde mit einer eigenen Synagoge besaß, was der überwältigenden aschkenasischen Mehrheit erst durch Franz Joseph gewährt wurde.
Unter dem Eindruck der Aufklärung erließ Kaiser Joseph II. sein Toleranzedikt, das den Weg zur Emanzipation der Juden eröffnete. Erstmals werden ihnen bestimmte bürgerliche Rechte zugestanden und diskriminierende Bestimmungen aufgehoben. Weiterhin verboten bleibt allerdings die Bildung einer Gemeinde und das öffentliche Abhalten von Gottesdiensten.
[Bearbeiten] 19. Jahrhundert
1824 wird auf Fürsprache von Michael Lazar Biedermann der Rabbiner Isaak Mannheimer von Kopenhagen nach Wien geholt. Da es offiziell keine Gemeinde gibt, wird er als „Direktor der Wiener kaiserlich-königlich genehmigten öffentlichen israelitischen Religionsschule“ angestellt. Mannheimer setzt in Wien vorsichtig Reformen durch, ohne die Gemeinde zu spalten, wie das in den meisten jüdischen Gemeinden Europas des 19. Jahrhunderts der Fall ist.
Am 12. Dezember 1825 erfolgt durch Mannheimer die Grundsteinlegung des von Joseph Kornhäusel geplanten Wiener Stadttempels in der Seitenstettengasse 4, und am 9. April 1826 wird die Synagoge von ihm eingeweiht. Im selben Jahr wird Salomon Sulzer von Hohenems als Oberkantor an den neuen Stadttempel berufen und übt dieses Amt 56 Jahre lang aus.
Die bürgerliche Revolution von 1848 war für viele jüdische Intellektuelle der willkommene Anlass, sich im Rahmen der revolutionären Bewegung für die Emanzipation der Juden zu engagieren. 1867 wird durch das Staatsgrundgesetz den Juden erstmals in ihrer Geschichte in ganz Österreich der ungehinderte Aufenthalt und die Religionsausübung gestattet. Die Jüdische Gemeinde wuchs als Folge dieser Entwicklungen sehr rasch: Registrierte die Israelitische Kultusgemeinde Wien 1860 6.200 jüdische Einwohner, so waren es 1870 bereits 40.200 und zur Jahrhundertwende 147.000. Auf den sich zunehmend verbreitenden Antisemitismus reagierte Theodor Herzl mit der Begründung des politischen Zionismus, die Kultusgemeinde wurde aber um diese Zeit vornehmlich von Assimilanten geführt.
[Bearbeiten] 20. Jahrhundert
In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen häufen sich nach einem Jahrhundert jüdischer Emanzipationsbemühungen die von Christlichsozialen, Deutschnationalen und Nationalsozialisten geschürten antisemitischen Ausschreitungen. Manche erkannten bereits damals die Zeichen der Zeit, wie etwa Hugo Bettauer, auf dessen gleichnamigen Roman der Film Die Stadt ohne Juden (1924) basiert. Bereits am Tag nach der Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich im März 1938 werden Juden schikaniert, man treibt sie durch Wien, plündert ihre Wohnungen und Geschäfte. Einen Höhepunkt erreichen diese Ausschreitungen in der "Reichspogromnacht" vom 9. auf den 10. November 1938: Alle Wiener Synagogen und Bethäuser werden vernichtet - einzig der Stadttempel wird nicht vollständig zerstört, da er sich in einem Wohnhaus befindet. Die meisten jüdischen Geschäfte werden geplündert und dann geschlossen, über 6.000 Juden werden in dieser Nacht verhaftet und zum Großteil in den folgenden Tagen ins KZ Dachau verschleppt. Die Nürnberger Gesetze haben ab Mai 1938 auch im besetzten Österreich Gültigkeit, verschärft durch zahllose antijüdische Verordnungen. Sie führen Schritt für Schritt zur vollständigen Beraubung der Freiheitsrechte, zur Ausschaltung aus nahezu allen Berufszweigen, zum Ausschluss von Schulen und Universitäten, zur sichtbaren Diskriminierung durch das erzwungene Tragen des Judensterns.
Die jüdischen Organisationen und Institutionen werden aufgelöst. Damit wollen die Nationalsozialisten die Juden zunächst zur Emigration zwingen – mit Erfolg. Unter Zurücklassung nahezu ihres gesamten Vermögens, gegebenenfalls mit finanzieller Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen gelingt bis Ende 1941 mehr als 130.000 Juden die Flucht, mehr als 30.000 emigrieren in die USA. Nach der Wannseekonferenz im Jänner 1942, bei der die vollständige Vernichtung der Juden beschlossen wird, fallen die meisten der noch in Wien verbliebenen Juden der Tötungsmaschinerie des NS-Regimes zum Opfer: Von den mehr als 65.000 Wiener Juden, die in Konzentrationslager gebracht worden waren, überlebten nur wenig über 2.000.
Nach dem Zweiten Weltkrieg dauert es lange, ehe man sich in Österreich zu einer klaren Position über den Anteil der Schuld des Landes an den Greueln des Dritten Reichs durchdringen kann. Erst in den 80er Jahren setzt langsam ein Umdenken ein, das den historischen Fakten Rechnung trägt und zur Stellungnahme der österreichischen Bundesregierung im Juli 1991 führt, als Bundeskanzler Vranitzky vor dem Parlament erstmals ausdrücklich auf die Beteiligung von Österreichern an den Verbrechen des Dritten Reichs eingeht.
Zählte die Wiener Jüdische Gemeinde vor 1938 noch über 185.000 Mitglieder, so sind Ende der 1990er Jahre kaum mehr als 7.000 bei der Kultusgemeinde als Mitglieder registriert. Viele sind erst in den letzten Jahrzehnten als Flüchtlinge nach Wien gekommen und haben hier ein neues Leben begonnen.
[Bearbeiten] Synagogen
Im Laufe der Geschichte bestanden in Wien 93 Synagogen. Die einzige, die die Zeit des Nationalsozialismus in Österreich überstanden hat, ist der Stadttempel. Weitere Synagogen in Wien waren:
- Hietzinger Synagoge
- Leopoldstädter Tempel
- Storchenschul
- Synagoge Atzgersdorf
- Synagoge Döbling
- Synagoge Kluckygasse
- Synagoge Neudeggergasse
- Synagoge Siebenbrunnengasse
- Synagoge Turnergasse
- Synagoge Währing
- Türkischer Tempel
- Vereinsbethaus Neubau
- Vereinssynagoge Müllnergasse
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Weblinks
- 150 Jahre IKG: Rede von Ariel Muzicant anlässlich des 150jährigen Bestehens der IKG Wien
- Das österreichische Judentum
[Bearbeiten] Literatur
- Michaela Feurstein, Gerhard Milchram: Jüdisches Wien, Böhlau Verlag, Wien 2001, ISBN 3-205-99094-3
- Felicitas Heimann-Jelinek; Gabriele Kohlbauer-Fritz (Red.): Jüdischer Stadtplan Wien. Einst und jetzt. Stadtplan. (Hrsg.: Jüdisches Museum der Stadt Wien). Freytag-Berndt und Artaria, Wien 1993
- János Kalmár, Alfred Stalzer: Das Jüdische Wien, Pichler Verlag, Wien 2000, ISBN 3-85058-182-9