Johannische Kirche
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Die Johannische Kirche ist eine 1926 von dem Sensitiven Joseph Weißenberg (1855-1941) gegründete nachchristliche Neuoffenbarungsreligion auf spiritistischer Grundlage, die sich selbst als christliche Kirche versteht. In Berlin und Brandenburg hat sie den Status einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts“. Die 1934 noch über 100000 Mitglieder zählende Gemeinschaft in ehemals 400 Gemeinden mit zahlreichen Predigern, Vereinen und eigener Siedlung bei Trebbin[1] hat heute im deutschen Sprachraum um die 3000 Mitglieder.
1904 wurde von Joseph Weißenberg die Christliche Vereinigung ernster Forscher von Diesseits nach Jenseits, wahrer Anhänger der Christlichen Kirchen gegründet. Obwohl diese Vereinigung aus der evangelischen Kirche hervorgegangen ist, führte die scharfe Kritik Weißenbergs an der Kirche, die personenbezogene zentralistische Führung innerhalb seiner Vereinigung sowie kirchliches Unverständnis bezüglich einer Reihe von dokumentierten Heilungen und prophetischen Aussagen schließlich zum Bruch mit der Mutterkirche. Weißenberg trat aus der Kirche aus und gründete am 15. April 1926 die Evangelisch-Johannische Kirche nach der Offenbarung St. Johannis. Seit 1975 trägt sie den Namen Johannische Kirche.
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[Bearbeiten] Struktur
Die hierarchisch-theokratische Glaubensgemeinschaft wird von einem „Oberhaupt“ geleitet. Erstes Oberhaupt war Joseph Weißenberg. Er berief seine Tochter Frieda Müller (1911-2001) 1932 zur Nachfolgerin, die ihrerseits ihre Tochter Josephine Müller 1961 als nachfolgendes Oberhaupt einsetzte. Die Johannische Kirche ist ähnlich den evangelischen Kirchen in Regionalbezirke geteilt, in Kirchenbezirke und Gemeinden. Den Spitzen der Kirchenbezirke stehen Bezirksleiter vor, den Gemeinden Gemeindeleiter.
[Bearbeiten] Finanzierung
Die Johannische Kirche finanziert sich überwiegend aus Spenden und Beiträgen von Mitgliedern, Freunden und Förderern. Die Mitglieder setzen die Höhe ihrer Beiträge selbst fest. Im Wesentlichen wird die Kirche von der ehrenamtlichen Mitarbeit vieler Helfer getragen.
[Bearbeiten] Johannische Glaubenslehre
Die Lehre ist von starker Nähe zum Jenseits mit seiner Geisterwelt gekennzeichnet. In sogenannten „Geistfreundreden“ wenden sich jenseitige „Lichtfreunde“ durch Medien an die Gemeinde. Aus solchen Kundgebungen ist ein sogenanntes „drittes Testament“ im Entstehen begriffen, das als Ergänzung und Fortführung des Alten und Neuen Testaments verstanden wird. Geistfreundreden finden vierzehntägig immer in Anwesenheit des Oberhauptes (derzeit Josephine Müller) in Berlin statt und werden überwiegend in der monatlich erscheinenden für alle zugänglichen Zeitung „Weg und Ziel“ regelmäßig veröffentlicht. Joseph Weißenbergs Glaubenslehre umfasst eine eigene Reinkarnationslehre („Seelen können schon mehrere Male als Menschen auf dieser Erde gelebt haben, um im Sinne Gottes zu reifen.“ Zitat aus „Wir glauben“). Zu Lebzeiten Weißenbergs spielten durch Weißenberg gewirkte Heilungen des 1903 in Berlin als Heilmagnetiseur tätigen späteren Religionsgründers eine maßgebliche Rolle. Ihm werden auch Totenerweckungen, Exorzismen und Kardiognosie zugeschrieben. Nach dem Glaubensbekenntnis der Johannischen Kirche ist: Joseph Weißenberg nach unserem Glauben der von Jesus verheißene Tröster und Geist der Wahrheit, womit Weißenberg als Inkarnation des heiligen Geistes verstanden wird.
[Bearbeiten] Johannisches Glaubensleben
Zu sonntäglichen Gottesdiensten gesellt sich die abendliche „Feierstunde des Geistes“. Die Prediger erhalten in der Regel keine besondere Ausbildung und sind überwiegend hauptberuflich für die Gemeinde tätig. Zumeist ehrenamtliche Seelsorger betreuen alte, kranke und behinderte Menschen, spenden die Sakramente und geben Trost und Ausrichtung. Religions- und Konfirmandenunterricht, Jugendgruppen und Zusammenkünfte der Erwachsenen sind wichtiger Teil der Arbeit in den Gemeinden. Darüber hinaus gibt es viele Interessengruppen und kulturelle Veranstaltungen.
Die Möglichkeit zur Mitarbeit im Johannischen Sozialwerk und der Aufbau der Friedensstadt Joseph Weißenberg dienen dem Einzelnen und der Gemeinschaft.
[Bearbeiten] Glaubensbekenntnis
Ich glaube an Gott den Vater, ich glaube an Gott den Sohn, ich glaube an Gott den Heiligen Geist und an Gottes Offenbarungen durch Moses, Jesus Christus und Joseph Weißenberg.
[Bearbeiten] Sakramente
Durch die vier Sakramente, das Sakrament der Kindertaufe durch Handlauflegung, das einmal im Jahr gefeierte Sakrament des Abendmahls, das Sakrament der geistigen Heilung und des Sterbens werden Kraftströme aus der jenseitigen Welt übermittelt.
[Bearbeiten] Lebensregeln
Joseph Weißenberg verordnete das tägliche Gebet und regelmäßigen Gottesdienstbesuch, um Kraft und Ausrichtung für den Alltag zu erhalten. Er brachte das urchristliche Heilen durch Handauflegen wieder. Es wird in der Johannischen Kirche regelmäßig als Sakrament der geistigen Heilung gespendet. Jeder Mensch sollte sich bemühen, auch in seinen Gedanken, Gutes zu bewirken; denn Gedanken sind Kräfte. In der Gemeinschaft kann und soll der Mensch in seiner geistigen Erkenntnis wachsen.
Zwei Lebensstützen brechen nie, Gebet und Arbeit heißen sie.
Bete so, dass es Gott gefällt, und arbeite so, dass du deinem Nächsten nutzen kannst.
Kartenspiele mit französischen und deutschen Karten sind verboten.
[Bearbeiten] Verhältnis zu Menschen anderen Glaubens
Mitgliedern anderer Glaubengemeinschaften wird Toleranz entgegengebracht. Joseph Weißenberg forderte seine Anhänger bei der Gründung der Johannischen Kirche auf: »Johannische Christenheit, erkenne dein Ziel in der Überbrückung der Konfessionen durch die Liebe.« Bei fester Mitgliedschaft wird ein Kirchenaustritt verlangt. Die Johannische Kirche ist Mitglied der Berliner »Arbeitsgemeinschaft der Kirchen und Religionsgesellschaften« (AKR). Hier pflegt sie die Zusammenarbeit mit anderen Religionen und Konfessionen. Kontakt zu anderen Kirchen und Glaubensgemeinschaften entsteht darüber hinaus durch gegenseitige Besuche oder die gemeinsame Nutzung von Räumen.
[Bearbeiten] Kirchengeschichte
Weithin bekannt wurde die Johannische Kirche durch ein Projekt Weißenbergs, das er Friedensstadt nannte. Nach dem Kauf von 400 ha Land in den Glauer Bergen bei Trebbin in Brandenburg entstand ab 1920 eines der größten und modernsten privaten Siedlungswerke. Bereits der erste Bauabschnitt war für 15 000 Einwohner konzipiert. Der Erfolg begründete sich in der unbegrenzten Zusammenarbeit zwischen Leitung und Genossen (Zeitung "Neubau und Siedlung", 1932).
Die Lehre der Johannischen Kirche, die in Joseph Weißenberg eine Offenbarung Gottes sieht, hatte innerhalb der Kirche größten Enthusiasmus zur Folge, führte aber auch zu vielen Anfeindungen von außen. Bis Anfang der 1930er Jahre stieg die Anhängerzahl auf über 60 000 in Berlin, Brandenburg und Schlesien.
Deutschnationale Gefühle ließen viele Anhänger Weißenbergs die faschistische Machtergreifung begrüßen. Doch bereits 1934 verfügte die Gestapo weitgehende Einschränkungen der Arbeit und des Selbstverständnisses der Kirche. Ab 1935 wird Weißenberg mehrmals verhaftet und vor Sondergerichten verurteilt. Er stirbt 1941 in der Verbannung in Schlesien. Die Johannische Kirche wurde 1935 verboten, die Friedensstadt in mehreren Etappen bis 1945 widerrechtlich enteignet, und von der Waffen-SS besetzt.
Unmittelbar nach Kriegsende begann der Wiederaufbau der Johannischen Kirche. In Verhandlungen mit den Alliierten konnte die Aufhebung des Kirchenverbots erwirkt werden. Am 3. Februar 1946 fand in Berlin der erste johannische Gottesdienst nach der Verbotszeitstatt. In die von der SS beschlagnahmte Friedensstadt war die Rote Armee eingezogen, eine Rückgabe wurde abgelehnt. Lediglich die Kirche der Friedensstadt auf dem Waldfriedengelände in Blankensee wurde zurückgegeben. Nach Verhandlungen mit der sowjetischen Besatzungsmacht konnte dort am 30. Juni 1946 wieder ein Gottesdienst stattfinden. Bei der Übergabe bat der sowjetische Kommandant: „Beten Sie auch für Russland!“ Am 25. August 1946 vereinte in Berlin der erste Kirchentag zahlreiche Kirchenmitglieder aus allen Teilen des Landes, doch es dauerte noch mehrere Jahre, bis die verstreuten Anhänger – viele kamen aus den ehemaligen Gemeinden östlich von Oder und Neiße – wieder gesammelt und betreut werden konnten.
Dem Beispiel Joseph Weißenbergs, tätiges Christentum zu leben und dies auch von seinen Anhängern zu erwarten, folgte seine 1932 eingesetzte Nachfolgerin Frieda Müller in selbstloser Weise. Unter dem Leitwort: „Tausend Worte ergeben noch nicht eine einzige Tat“, half sie jedem ohne Ansehen der Person. Dabei stand ihr als Vorbild die Menschlichkeit ihres Vaters vor Augen. Doch die johannischen Christen kümmerten sich nicht nur um die Sorgen ihrer Glaubensgeschwister: Am 1. Dezember 1946 wurde das Soziale Hilfswerk der Kirche gegründet. Viele folgten dem Aufruf, im Geiste der Nächstenliebe Notleidenden mit Sachspenden und tätiger Mitarbeit zu helfen. Im Jahre 1954 wurde das „Johannische Aufbauwerk e.V.“ gegründet, das seit 1990 den Namen „Johannisches Sozialwerk e.V.“ trägt. 1976 erhielt Frieda Müller anlässlich ihres 65. Geburtstages für ihr soziales Engagement vom Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz erster Klasse, das sie, wie sie sagte, stellvertretend für alle Glieder der Kirche annahm. Dass der Johannischen Kirche 1990 im Land Berlin und 1996 im Land Brandenburg die Anerkennung als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ verliehen wurde, ist nicht zuletzt ihrem sozialen Engagement zu verdanken.
Die mit der Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahre 1949 erfolgte Teilung Deutschlands hatte auch für die Johannische Kirche ernste Folgen. Mit dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 war die gemeinsame Teilnahme aller Mitglieder an kirchlichen Veranstaltungen nicht mehr möglich. Obwohl in den folgenden Jahren die Johannische Kirche in beiden deutschen Staaten eigene Organisationsformen herausbildete, blieben die Einheit der Kirche und der enge Zusammenhalt der Kirchenmitglieder bestehen. In Ost und West konnte die Kirche in den Folgejahren eigene Gemeindehäuser und Andachtsstätten errichten. Außerdem war sie bei anderen Kirchen zu Gast oder gewährte anderen Glaubensgemeinschaften das Gastrecht.
Kirchliche Zentren waren im Ostteil das Waldfrieden-Gelände und im Westteil das St.-Michaels-Heim. 1972 wurde mit dem Kauf des Stempferhofes in Gößweinstein der Grundstein für das soziale und kirchliche Engagement in der Fränkischen Schweiz gelegt. 1976 konnte dort mit dem Erwerb von Gut Schönhof in Eichenbirkig auch an ein weiteres Arbeitsfeld Joseph Weißenbergs angeknüpft werden, das er bereits in der Friedensstadt erschlossen hatte: die Landwirtschaft.
Die Öffnung der Berliner Mauer am 9. November 1989 ermöglichte auch die Einheit der Johannischen Kirche und ihres Sozialwerks. Pfingsten 1990 versammelten sich Geschwister aller Gemeinden der Kirche nach über fünf Jahrzehnten zu einem gemeinsamen Dankgottesdienst auf dem Waldfriedengelände. Im März 1994 kam es zur Verabschiedung der russischen Soldaten aus der Friedensstadt und zur symbolischen Schlüsselübergabe an Josephine Müller. Kurz darauf wurde die endgültige Rückgabe der Friedensstadt verfügt.
Am 10. Juni 2001 verstarb Frieda Müller. Nachfolgerin im Amt des Oberhauptes wurde ihre Tochter Josephine Müller. Sie setzt den Weg ihrer Mutter fort, die Johannische Kirche allen Menschen zu öffnen. Ein äußerlich sichtbarer Schritt hierbei ist die Neugestaltung des Altares im Kirchenzentrum Waldfrieden in Blankensee (südlich von Berlin, unweit Trebbin) zum 6. März 2002. Mit der Inschrift: „Gott ist Liebe“. Es stammt aus dem 1. Johannes-Brief, Kapitel 4,16: „Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Damit schlägt die Johannische Kirche eine Brücke zu allen Menschen, Konfessionen und Religionen, für die der Schöpfer ein Gott der Liebe ist. Dieses Gotteshaus wurde 1928/29 nach Entwürfen Joseph Weißenbergs als zweibögige Hallenkirche in Holzbauweise erbaut und gilt als das geistige Zentrum der Johannischen Kirche.
Zugleich ist seit diesem Tag der Empfang des heiligen Abendmahls nicht mehr mit dem johannischen Glaubensbekenntnis verbunden. Josephine Müller sagte dazu: „Möchte das Sakrament des Abendmahls für alle zur Kraftquelle werden, die bekennen können: ,Ich glaube an Gott, der Liebe ist.’“
[Bearbeiten] Quellen
[Bearbeiten] Literatur
[Bearbeiten] Primärliteratur
- Joseph Weißenberg: Das Fortleben nach dem Tode, Berlin 1912;
- Joseph Weißenberg: Meine Verhaftung und Internierung, o.J.;
- Joseph Weißenberg: Ein Lebensbild von meinem Dornenpfad, 1931.
[Bearbeiten] Sekundärliteratur
- Ulrich Linse: Geisterseher und Wunderwirker. Heilssuche im Industriezeitalter. Fischer TB 60164, 1996, 253 S., ISBN 3-596-60164-9, Studie über J. Weißenberg S. 89-211
- Kirchenlexikon. Christliche Kirchen, Freikirchen und Gemeinschaften im Überblick, hrsg. von Sigrid und Karl-Wolfgang Tröger, Berlin 1990; München 1990. Artikel über Johannische Kirche von Prof. Dr. Helmut Obst (Emeritus)
- Hans Gasper (Autor), Joachim Müller (Autor), Friederike Valentin (Autorin): Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen. Fakten, Hintergründe, Klärungen., Herder, Freiburg; Auflage: 7 (September 2001), 1255 S., (530-531)