KZ Neckarelz
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Das KZ Neckarelz war von März 1944 bis März 1945 eine Außenstelle des KZ Natzweiler-Struthof in Neckarelz und betrieb u. a. im Rahmen der U-Verlagerung mehrere Stollen, in denen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von Häftlingen Flugzeugmotoren in Zwangsarbeit gefertigt wurden. Heute erinnert ein Museumsraum in der ehemals zum Häftlingslager gehörenden Schule von Neckarelz und der Geschichtslehrpfad Goldfischpfad bei Obrigheim (Baden) mit den Stollen „Goldfisch“ und „Brasse“ an das Lager. Markant sind die auffälligen Betonfundamente des Kesselhauses der Stollenanlage am Hang des Neckars bei Obrigheim.
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[Bearbeiten] Geschichte
[Bearbeiten] Planung
Die Daimler-Benz Motoren GmbH fertigte seit 1941 in ihrem Flugzeugmotorenwerk in Genshagen die 1500 PS starken Zwölfzylinder-Flugzeugmotoren „DB 603“ und „DB 605“. Anfang 1944, als die Luftangriffe auf Genshagen häufiger wurden, beschloss der Jägerstab – eine Koordinationsstelle aus SS, Luftwaffe und Rüstungsministerium und Rüstungsbetrieben – die Produktion in unterirdische Stollen zu verlegen. Die Gipsgruben „Friede“ und „Ernst“ im badischen Obrigheim boten sich nach einer Erkundung im Februar 1944 hierfür an, da sie in Süddeutschland vermeintlich sicher vor gegnerischen Bomben wären, in einem Seitental des Neckaruferhanges, der Luttenbachschlucht bzw. im Karlsberg, versteckt im Wald lagen, aber dennoch über die – heute nicht mehr bestehende – Neckarbrücke der Bahnstrecke Meckesheim–Neckarelz zwischen Neckarelz und Obrigheim gut an den Verkehr angebunden waren.
Die Stollen der Gruben erhielten die Tarnnamen Goldfisch (Friede) und Brasse (Ernst). Am 7. März erging an den Stuttgarter Architekten Kiemle von Daimler-Benz und SS der Planungsauftrag für eine 50.000 m² große unterirdische Produktionsfläche im Goldfisch, die binnen sieben Wochen errichtet werden sollte. Nachträglich wurde im benachbarten Stollen Brasse eine 9.000 m² große Produktionsstätte geplant, die jedoch nach schweren Luftangriffen im Februar und März 1945 nicht fertiggestellt werden konnte. In das Handelsregister von Mosbach wurde eine Goldfisch GmbH eingetragen, die zum größten „Arbeitgeber“ der Region wurde.
[Bearbeiten] Errichtung
Am 15. März 1944 wurden 500 Häftlinge des KZ Dachau in Neckarelz einquartiert. Das dortige Schulgebäude wurde zur Außenstelle Neckarelz I des KZ Natzweiler. Die Strecke von Neckarelz nach Obrigheim mussten die Häftlinge täglich zu Fuß über die damals bestehende Eisenbahnbrücke zurücklegen. Die Aufgabe der ersten Häftlinge war es, die Zufahrtswege zu den Stollen auszubauen und den Tunnelboden zu befestigen und zu ebnen, um dort schnellstmöglich Maschinen betreiben zu können. Das benötigte Baumaterial (die Firma Hochtief, die die Arbeiten überwachte, rechnete mit ca. 750 Tonnen Eisen und 3200 Tonnen Zement) musste auf dem Rücken über 40 Höhenmeter transportiert werden. Außerdem mussten die Häftlinge mehrere Barackenlager zur Unterbringung von Zwangsarbeitern errichten. Im Mai 1944 wurden weitere 500-700 Häftlinge aus dem KZ Oranienburg nach Neckarelz verbracht. Weitere Lager in Mosbach und Neckarelz (Neckarelz II) entstanden.
Unter unmenschlichen Bedingungen und strengem Termindruck wurden die Stollen ausgebaut, wobei weitere Verbindungs- und Belüftungsstollen zu graben waren. Außerhalb der Stollen entstanden der Heizbunker Kesselhaus, ein starker Bunker-Vorbau am Stollen Goldfisch mit Flak-Geschütz und Küchen- und Unterkunftsbaracken am Eingang zur Brasse. Für die Versorgung der Stollen wurde parallel zur Bahnstrecke am Hang entlang der nicht-öffentliche Haltepunkt „Finkenhof“ und ein Ladegleis erbaut, das sich teilweise geschützt im zweigleisig ausgelegten, aber bisher nur eingleisig genutzten 147 m langen Kalksbergtunnel[1] befand. Der Abschnitt zwischen Neckarelz und Obrigheim wurde zum Sperrgebiet erklärt, so dass das Öffnen der Fenster in den vorbeifahrenden Zügen nicht gestattet war. [2].
[Bearbeiten] Betrieb
Bereits am 26. Juni 1944 wurden die ersten 21 Maschinen aus Genshagen antransportiert. Im Juli 1944 befanden sich ca. 1400 Häftlinge und 400 Mann Arbeiter und Wachpersonal in Neckarelz und Obrigheim. Da der Ausbau der Stollen schwieriger war als geplant, konnte die Produktion nur schleppend anlaufen, so dass erst im Oktober 1944 die ersten Flugzeugmotoren ausgeliefert wurden. Die Planungen sahen monatlich 500 Motor-Neubauten und 350 Instandsetzungen vor, diese Zahlen wurden allerdings nie erreicht.
In unmittelbarer Umgebung befanden sich noch weitere unterirdisch ausgelagerte Rüstungs-Produktionsanlagen, in denen KZ-Häftlinge Zwangsarbeit verrichteten, so z.B. im 690 m langen Mörtelsteiner Tunnel der Bahnlinie zwischen den heutigen Obrigheimer Ortsteilen Asbach und Mörtelstein (Tarnname Kormoran) und in einer Grube in Haßmersheim-Hochhausen (Tarnname Rotzunge). Ein Arbeitskommando war auch in der Gurkenfabrik in Diedesheim eingesetzt. Ein im September 1944 von Neckarelzer Häftlingen in Neckarbischofsheim errichtetes Auffanglager für etwa 150 Häftlinge des bereits von den Alliierten erreichten KZ Natzweiler wurde dem Lager in Neckarelz als Unterkommando angegliedert, ebenso Kommandos in Asbach/Bd., Neckargerach, Bad Rappenau und in der Heeresmunitionsanstalt in Siegelsbach. Mit 2.500 Personen war das Lager in Neckarelz zum größten der Außenkommandos von Natzweiler geworden, die Häftlinge waren in insgesamt sieben so genannten Neckarlagern untergebracht. Insgesamt waren insgesamt etwa 10.000 Gefangene in einem der zum Neckarelzer Lager gehörigen Kommandos, wenn auch nicht alle zur selben Zeit, da die Häftlinge je nach Bedarf zwischen den Kommandos verschoben und nicht mehr arbeitsfähige Menschen selektiert wurden.
Aufgrund der harten Arbeits- und Lebensbedingungen waren während des Betriebs der Anlagen zahlreiche Tote zu beklagen, u. a. beim teilweisen Einsturz eines der Stollen im September 1944 mit über 20 Toten und bei einer Typhus-Epidemie im Herbst 1944. Nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge wurden nach Natzweiler, Dachau oder Vaihingen deportiert. Allein bis Oktober 1944 waren dies bei drei Transporten mindestens 750 Personen.
Ein benachbarter, aber separater Produktionsstollen und Lager mit ähnlicher Funktion war das KZ Kochendorf (Bad Friedrichshall).
[Bearbeiten] Todesmarsch
Am 28. März wurden wegen des Vorrückens amerikanischer Truppen in den Neckarraum die zu diesem Zeitpunkt dort befindlichen 4.000 gehfähige Häftlinge des Außenlagers Neckarelz über Neuenstadt und Kupferzell zum Bahnhof in Waldenburg in Marsch gesetzt. Von Waldenburg aus erfolgte gruppenweise der Bahntransport nach Dachau, eine Gruppe von 400 Häftlingen musste den gesamten Weg bis Dachau zu Fuß absolvieren. Der Marsch sollte als „Todesmarsch“ traurige Berühmtheit erlangen, da ca. 600 Häftlinge die Strapazen nicht überlebten. Knapp 900 nicht mehr gehfähige Häftlinge aus Neckarelz sollten per Zug nach Dachau verbracht werden, blieben aber wegen zerstörter Bahngleise mit dem Zug bereits in Osterburken liegen, wo bis zum Eintreffen der Amerikaner über 40 weitere Tote zu beklagen waren.
[Bearbeiten] Befreiung und Demontage
Am 30. März 1945 sprengten die nach Osten hin abrückenden deutschen Truppen die Eisenbahnbrücke, um den Alliierten ein Überschreiten des Neckars an dieser Stelle unmöglich zu machen. Drei Tage danach, am 2. April 1945, wurden die Stollen von amerikanischen Truppen besetzt und noch einige wenige zurückgebliebene Häftlinge befreit. Die in den Stollen befindlichen ca. 2.000 Maschinen wurden teilweise ins benachbarte Diedesheim (heute ein Ortsteil von Mosbach) verbracht, wo der eingesetzte Treuhänder mit Genehmigung der Besatzungsbehörde mit etlichen ehemaligen Goldfisch-Mitarbeitern die Maschinenfabrik Diedesheim gründete. Teilweise gingen die Maschinen aber auch als Reparationsleistung in die UdSSR.
[Bearbeiten] Heutige Verwendung
Nach 1948 wurde der Gipsbau in der Grube Goldfisch wieder aufgenommen. Brasse wurde stillgelegt. Küchenbaracke und Verladebahnhof wurden nach dem Krieg von verschiedenen Unternehmen zu verschiedensten Produktions- und Lagerzwecken genutzt. Die Neckarbrücke wurde nicht wieder errichtet, und die Bahnstrecke von Meckesheim endete seitdem in Obrigheim.
Die Stollen und Tunnels bestehen bis heute. Im Goldfisch wird weiterhin Gips abgebaut, Brasse und der Bahntunnel bei Obrigheim sind aus Sicherheitsgründen nicht zugänglich. Kormoran erfüllte bis zur Stilllegung des Streckenabschnitts Aglasterhausen-Obrigheim im Jahr 1971 wieder seine ursprüngliche Funktion als Eisenbahntunnel und verwilderte danach; Mitte der 2000er Jahre wurden seine Portale vermauert. Die Küchenbaracke wurde im Jahr 2000 wegen hochgiftiger Pflanzenschutzmittelreste der Nutzung der Nachkriegszeit abgerissen, ihre Fundamente sind noch sichtbar. Der Verladebahnhof fungiert als Lagerhalle. Die markantesten Überreste des gesamten Komplexes sind die massiven, treppenförmigen Fundamentes des Kesselhauses, die an exponierter Stelle nahe des Schnittpunkts der Bundesstraßen 27, 37 und 292 am Mosbacher Kreuz auffällig aus der sonstigen Busch- und Waldvegetation des Neckaruferhanges bei Obrigheim ragen.
Aus den Baracken des Unterkommandos in Neckarbischofsheim, die nach dem Krieg eine Sägerei beherbergten und zu Wohnzwecken umgenutzt wurden, entstand die heutige Schwarzbachsiedlung.
[Bearbeiten] Erinnerung
Regionale Forscher und die Daimler-Benz AG haben seit den späten 1980er Jahren begonnen, die Geschichte der Stollen und der Zwangsarbeit in Neckarelz, Obrigheim und Umgebung zu recherchieren und zu publizieren. 1993 wurde der Verein „KZ-Gedenkstätte Neckarelz“ gegründet, der 1998 die Gedenkstätte in der Clemens-Brentano-Grundschule von Neckarelz, die einst Hauptgebäude des Lagers Neckarelz I war, eröffnete. Museal und pädagogisch aufbereitet sind dort Modelle der Anlage, Fundstücke von Häftlingen und Einrichtung sowie Zeitdokumente zu sehen. Auf dem Gelände der Schule ist auch noch eine Typhus-Baracke erhalten.
1999 wurde mit Unterstützung durch die Europäische Kommission, das Land Baden-Württemberg, die Gemeinde Obrigheim, die Firmen Heidelberger Zement und DaimlerChrysler sowie durch zahlreiche weitere Firmen in Obrigheim und Mosbach der „Goldfischpfad“ angelegt, der die erhaltenen oberirdischen Fragmente der Stollenanlage Goldfisch und Brasse verbindet und erklärt. Rund ein Dutzend Tafeln mit Informationen und Bildern der Anlage befinden sich an den Stationen des Pfades.
In Binau befindet sich auf dem örtlichen Judenfriedhof noch eine Grabstätte von ehemaligen Zwangsarbeitern des Lagers, in Neckargerach erinnert ein Gedenkstein an das dortige Außenkommando, und nahe der aus dem Unterkommando Neckarbischofsheim entstandenen Schwarzbachsiedlung wurde ein Mahnmal errichtet.
[Bearbeiten] Quellen und Anmerkungen
- ↑ offiziell von der Bahn vergebener, aber eigentlich fehlerhafter Name des Tunnels, da der unterquerte Berg der Karlsberg ist
- ↑ Hans-Wolfgang Scharf: Eisenbahnen zwischen Neckar, Tauber und Main. Bd. 2: Ausgestaltung, Betrieb und Maschinendienst. EK-Verlag, Freiburg 2001, ISBN 3-8825-5768-0
[Bearbeiten] Weblinks
- Website des Vereins KZ-Gedenkstätte Neckarelz e.V.
- Bilder der Stollen
- Artikel zur Gedenkstätte im Staatsanzeiger Baden-Württemberg
- Artikel zum Stollen "Kormoran" in Asbach
- Artikel zum Unterkommando in Neckarbischofsheim
- Zum Todesmarsch und der Rolle des SS-UStF H. Wickers; P. Koppenhöfer
[Bearbeiten] Literatur
- Neil Gregor: Stern und Hakenkreuz. Daimler-Benz im Dritten Reich. Propyläen, Berlin 1997, ISBN 3-549-05604-4
- Arno Plock: Damals ... in jenen dunklen Jahren. Als KZ-Häftling Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie. 2. überarb. Fassung, 1994, 95 S.
- Hans-Werner Scheuing: „ ... als Menschenleben gegen Sachwerte gewogen wurden.“ Die Anstalt Mosbach im Dritten Reich. Universitätsverlag Winter, Heidelberg. 1997 und 2. Auflage 2004. 543 Seiten, ISBN 3825316076 (enthält Hinweise auf Nutzung und den Zukauf von Gebäuden bei den Johannes-Anstalten Mosbach in Schwarzach)
- Schmid, Michael: Goldfisch, Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Eine Lokalhistorie zum Umgang mit Menschen. In: Das Daimler-Benz-Buch. Ein Rüstungskonzern im "Tausendjährigen Reich". GRENO, Nördlingen 1987, 829 S. (Hrsg: Schriften der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 3), S. 482ff, ISBN 3891909500