Nutzenfunktion
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Die Nutzenfunktion ist in der Volkswirtschaftslehre eine häufig gewählte Modellierung der Präferenzen einzelner Wirtschaftssubjekte. Grundlegende Annahme des Konzepts ist, dass der Akteur als homo oeconomicus gesehen wird, der danach strebt, aus der Menge ihm zur Verfügung stehender Alternativen die von ihm meistpräferierte auszuwählen. Werden Präferenzen durch Nutzenfunktionen repräsentiert, so bedeutet dies, dass ein Individuum jene Entscheidungen trifft, für die es – gegeben die Restriktionen, denen sein Handeln unterliegt – den größtmöglichen Nutzen erwartet.
Das Konzept der Nutzentheorie wird dabei sowohl in der Mikroökonomie als auch in der Makroökonomie eingesetzt. Geht es in der Mikroökonomie darum, das Verhalten einzelner Wirtschaftssubjekte zu erklären, werden in der Makroökonomie die Präferenzen wirtschaftspolitischer Entscheidungsträger mit Hilfe von Nutzenfunktionen dargestellt.
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[Bearbeiten] Nutzentheorie in der Mikroökonomie
In der mikroökonomischen Theorie geht man davon aus, dass Individuen Präferenzen über die ihnen potenziell zur Verfügung stehenden Auswahlalternativen (z. B. Konsumgüterbündel) haben. Mathematisch lassen sich derartige Präferenzen (die sehr allgemein sein können) als binäre Relationen darstellen. Diese Relation ordnet je zwei Alternativen A und B die Aussagen „A wird vom Individuum mindestens so hoch geschätzt wie B“, „B wird vom Individuum mindestens so hoch geschätzt wie A“, oder „A und B sind aus Sicht des Individuums nicht vergleichbar“.
Eine häufig getroffene Annahme ist, dass Präferenzen Ordnungen sind, d. h. dass die ihnen zugrunde liegenden binären Relationen vollständig (es gibt keine Nichtvergleichbarkeiten von Alternativen), reflexiv (jede Alternative wird mindestens so hoch geschätzt wie sie selbst) und transitiv sind (Wenn A vom Individuum mindestens so hoch geschätzt wird wie B und B mindestens so hoch geschätzt wird wie C, dann wird A auch mindestens so hoch geschätzt wie C).
Existiert eine Präferenzordnung über einer Alternativenmenge, so lässt sie sich durch eine reellwertige Funktion mit folgender Interpretation darstellen: Eine Alternative A wird genau dann mindestens so gut eingeschätzt wie eine Alternative B, wenn der Wert der Funktion für A nicht kleiner ist als der Wert der Funktion für B. Diese Funktion heißt dann Nutzenfunktion. Sie ist eine bequeme mathematische Abbildung individueller Präferenzen.
Von besonderer analytischer Bedeutung ist für eine (beliebige) Alternative A die Menge aller Alternativen, die mindestens so gut eingeschätzt werden wie A. Diese Menge heißt Bessermenge von A. Ihr Rand, d. h. die Menge aller Alternativen, die von einem Individuum als gleichwertig zu A eingeschätzt werden, heißt Indifferenzmenge zu A. Bei Repräsentation der Präferenzen durch eine Nutzenfunktion stiften alle Elemente der Indifferenzmenge zu A denselben Nutzen wie A. Graphisch wird die Indifferenzmenge zu einer Alternative als Indifferenzkurve dargestellt; inhaltlich kann man auch von einer Indifferenzkurve zu einem bestimmten Nutzenniveau (statt zu einer Alternative) sprechen.
In der mikroökonomischen Theorie der Konsumgüternachfrage (Haushaltstheorie) gibt die (direkte) Nutzenfunktion das Nutzenniveau an, das ein individueller Konsument durch den Konsum bestimmter Gütermengen erreicht:
- .
Dabei bezeichnet u das Nutzenniveau, Ci die konsumierten Mengen der einzelnen Güter und n die Anzahl der Konsumgüter. Da als Güterraum oft die n-dimensionalen reellen Zahlen modelliert werden, unterstellt man oft, dass U stetig differenzierbar ist.
Eine Indifferenzkurve zum Nutzenniveau ist die Menge aller Konsumgüterbündel , für die gilt: .
[Bearbeiten] Grenznutzen
Die erste Ableitung der Nutzenfunktion nach der Menge eines der Konsumgüter wird auch Grenznutzen dieses Gutes genannt. Umgangssprachlich beantwortet der Grenznutzen die Frage, wieviel zusätzlichen Nutzen eine weitere Einheit des Gutes i stiften würde.
Ein Grenznutzen von 0 bedeutet, dass für dieses Gut Sättigung eingetreten ist.
[Bearbeiten] Allgemeine Annahmen
Bei normalen Gütern geht man oft davon aus, dass zusätzlicher Konsum grundsätzlich einen höheren Nutzen stiftet, selbst wenn die bereits konsumierte Menge sehr groß ist. Das heißt, dass die Nutzenfunktion in jedem ihrer Argumente streng monoton steigt beziehungsweise dass der Grenznutzen auch für große Ci positiv ist.
In der traditionellen Nutzentheorie unterstellt man häufig, dass der Nutzengewinn durch den Konsum einer zusätzlichen Einheit eines Gutes mit der Höhe der bereits konsumierten Menge diesen Gutes abnimmt, wie dies bereits im ersten gossenschen Gesetz festgestellt wird. Man spricht dabei von einem abnehmenden Grenznutzen beziehungsweise einer konkaven Nutzenfunktion. Diese Annahme ist im Allgemeinen unnötig. Benötigt wird als Annahme gemeinhin nur die Quasi-Konkavität der Nutzenfunktion (abnehmende Grenzrate der Substitution zwischen je zwei Gütern; konvexe Bessermengen bzw. Indifferenzkurven).
[Bearbeiten] Quasilineare Nutzenfunktionen
Eine Nutzenfunktion ist quasilinear, wenn sie die Form u(x,p) = v(x) − p besitzt. p wird dabei als zu zahlende Geldsumme interpretiert. Ist das Ergebnis eines Spieles für einen Agenten also (x,p), so berechnet sich der Nutzen für den Agenten aus seinem Nutzen aus x, vermindert um die Geldzahlung p.
Quasilineare Nutzenfunktionen spielen eine bedeutende Rolle im Mechanismusdesign und der Auktionstheorie.
[Bearbeiten] Indirekte Nutzenfunktion
Die indirekte Nutzenfunktion (V) gibt das Nutzenniveau an, das ein Konsument bei einer bestimmten Einkommenshöhe und bei bestimmten Konsumgüterpreisen maximal erreichen kann:
- .
Dabei bezeichnet M das Einkommen des Konsumenten und Pi den Preis des Konsumgutes i. Der indirekten Nutzenfunktion liegt (hier im Zusammenhang mit der Konsumgüternachfrage) die Idee zugrunde, dass Individuen nutzenmaximierend agieren, d.h., aus den ihnen zur Verfügung stehenden Alternativen (hier begrenzt durch das Einkommen) die ihnen am besten erscheinende auswählen.
[Bearbeiten] Intertemporale Nutzenfunktion
Eine intertemporale Nutzenfunktion bildet Präferenzen über Konsumalternativen ab, die zu verschiedenen Zeitpunkten zur Verfügung stehen. Mit ihr kann u.A. erklärt werden, warum und in welcher Höhe Menschen sparen oder Kredite aufnehmen.
In Einklang mit empirisch beobachtbarem Verhalten geht man bei intertemporalen Präferenzen oft davon aus, dass Individuen einen zeitnäheren Konsum gegenüber einem zeitfernerer Konsum in gleicher Höhe vorziehen; man spricht hier von einer positiven Zeitpräferenz. In Nutzenfunktionen wird dies positive Zeitpräferenz häufig durch Diskontfaktoren abgebildet, wobei man vereinfachend oft von einer konstanten Zeitpräferenzrate auch bei Einkommensveränderungen ausgeht. Vermutlich hat der Gegenwartskonsum aber bei niedrigeren Einkommen einen höheren Nutzen, und bei einen Pro-Kopf-Einkommen an der Armutsgrenze ist die Zeitpräferenzrate entsprechend sehr hoch.
Die Zeitpräferenzrate eines Wirtschaftssubjektes ist die private Zeitpräferenzrate, während die einer Gesellschaft als soziale Zeitpräferenzrate bezeichnet wird.
Die Konzepte der Bessermenge oder der Indifferenzkurve lassen sich analog anwenden.
[Bearbeiten] Erwartungsnutzenfunktion
Die Erwartungsnutzenfunktion gibt den Nutzen von riskanten Alternativen wieder. Hierbei liegt es eine (typischerweise eindimensionale) Nutzenfunktion über den einzelnen Alternativen zugrunde, über welche dann der Erwartungswert bezüglich der Wahrscheinlichkeitsverteilung über der Alternativenmenge gebildet wird.
[Bearbeiten] Recoverability-Problem
Als Recoverability-Problem bezeichnet man die Fragestellung aus einer Nutzenfunktion die Präferenzordnung zu bestimmen, die die vorgelegte Nutzenfunktion erzeugt. Dies ist die Umkehrung des Problems, zu einer Präferenzordnung eine Nutzenfunktion mit bestimmten Merkmalen zu finden.
[Bearbeiten] Makroökonomische Nutzentheorie
Im makroökonomischen Zusammenhang finden gesamtwirtschaftliche Nutzenfunktionen Verwendung, um die Vorteilhaftigkeit bestimmter politischer und ökonomischer Entwicklungen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu messen.
In der Makroökonomie wird das Konzept ebenfalls genutzt, um die Verhaltensweise wirtschaftspolitischer Akteure zu modellieren. In diesem Kontext werden im Rahmen der Public-Choice-Theorie beispielsweise Nutzenfunktionen für wiederwahlorientierte Politiker erstellt. Demnach werden Politiker diejenige politische Alternative wählen, die ihren Wiederwahlchancen am meisten nützt.