Ralph Giordano
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Ralph Giordano (* 20. März 1923 in Hamburg) ist ein deutscher Journalist, Schriftsteller und Regisseur.
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[Bearbeiten] Leben
Ralph Giordano stammt aus einer Hamburger Musikerfamilie. Unter den Nazis wurde er verfolgt, 1940 musste er die Schule verlassen; er wurde mehrmals von der Gestapo verhaftet und gefoltert. Als die Nazis versuchten, Giordanos jüdische Mutter zu deportieren, tauchte die Familie in Hamburg unter und überlebte so den Holocaust.
In einem Kapitel des Buchs Neger, Neger, Schornsteinfeger! von Hans-Jürgen Massaquoi wird die enge Freundschaft beschrieben, die zwischen Ralph, seiner Familie und Hans-Jürgen Massaquoi bestand. Ralph und sein Bruder Eugen kannten Hans-Jürgen aus dem Hamburger Swing-Café König. Als Ralph während seiner Untergrund-Zeit Hans-Jürgen zufällig auf der Straße traf, wusste er, dass er dem dunkelhäutigen „Halbafrikaner“ trauen und ihn in sein Versteck mitnehmen konnte, wo er ihn seiner Familie vorstellte, die dort in einem Kellerverlies lebte. Gleiches wird übrigens auch in Ralph Giordanos Buch Die Bertinis beschrieben, jedoch hat Giordano die Namen geändert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann Giordano seine journalistische Tätigkeit bei der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung. Er absolvierte eine journalistische Ausbildung am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Von 1946 bis 1957 war er Mitglied der KPD. 1955 übersiedelte Giordano trotz wachsender Zweifel am Stalinismus in die DDR, wo er zwei Jahre lang blieb; seine Abrechnung mit dem Stalinismus veröffentlichte er 1961 in seinem Buch Die Partei hat immer Recht. 1961 bis 1988 arbeitete er als Fernsehjournalist und produzierte seitdem über 100 Dokumentationen für verschiedene Sender (vor allem NDR und WDR).
1982 veröffentlichte er Die Bertinis, die Lebensgeschichte einer Familie, ein teilweise autobiographisches Werk, an dem er fast 40 Jahre gearbeitet hatte. 1988 wurde die Geschichte um eine jüdische Familie in der Zeit des Nationalsozialismus vom ZDF verfilmt.
1987 erschien sein Buch Die zweite Schuld oder Von der Last, Deutscher zu sein, in dem Giordano sich mit dem Fortleben des Nationalsozialismus in der BRD auseinandersetzt. Als zweite Schuld bezeichnet er den Unwillen breiter Teile der deutschen Öffentlichkeit zu einer Aufarbeitung der Verbrechen und Entschädigung der Opfer sowie die politischen Entscheidungen, die es Mittätern ermöglichten, auch in der Demokratie wieder in Amt und Würden zu gelangen. Mit dieser Schrift zog er in besonderem Maße den Hass von Neonazis auf sich, und über die zunehmende Bedrohung schrieb er Bücher wie Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte (1989) und eine Übersicht über Leserbriefe zur „zweiten Schuld“ (Wie kann diese Generation eigentlich noch atmen?, 1990).
Die Erfahrungen mit dem offenen militanten Rechtsextremismus, insbesondere die Brandanschläge von Hoyerswerda und Mölln, bewegten Giordano 1992 dazu, einen offenen Brief an Bundeskanzler Kohl zu schreiben. Darin deutete er an, dass er bereit sei, „bis in den bewaffneten Selbstschutz hinein“ gegen den militanten Rechtsextremismus vorzugehen, da die Regierung offensichtlich nicht bereit sei, Minderheiten den notwendigen Schutz zu gewähren. Dieser Brief führte zu einer heftigen öffentlichen Diskussion. 2000 veröffentlichte er Die Traditionslüge, worin er sich mit den undemokratischen Wurzeln der Bundeswehr auseinandersetzte. In der durch Jürgen Möllemann ausgelösten Antisemitismus-Debatte sagte er im Juni 2002, sein Fluchtgefühl sei seit der Befreiung vom Nationalsozialismus nicht mehr so stark gewesen. 2003 kritisierte er die Positionen der Friedensbewegung zum 3. Golfkrieg, der er unter anderem „Anti-Amerikanismus“ vorwarf.
2005 räumte Giordano gegenüber dem Magazin Stern ein, dass seine schwer an Krebs erkrankte Frau durch aktive Sterbehilfe zu Tode gekommen sei.
Im Frühjahr 2005 kritisierte Ralph Giordano Rolf Hochhuth in massiver Weise wegen seiner Äußerungen in einem Interview mit der Jungen Freiheit über den Historiker Irvin. Später räumte er ein, dass er seine Kritik formuliert hatte, ohne den vollständigen Text des Interviews zu kennen. In einem Artikel, der in der Berliner Zeitung veröffentlicht worden ist, nahm er sein vernichtendes Urteil zurück und bezeugte Hochhuth gegenüber seine Solidarität. Dass Hochhuth mit seinen Äusserungen über Irvin aber, gelinde gesagt, "heftig daneben gehauen" hatte, das bliebe bestehen. [1] Hochhuth selbst hatte sich bereits zuvor entschuldigt, allerdings empfand er das Wort Entschuldigung für seine Bemerkungen als unpassend.
Im Oktober 2006 definierte Giordano einen rechtsextremistischen Vorfall an der Sekundarschule "An der Elbe" in Parey (Sachsen-Anhalt) dergestalt, dass ganz Deutschland an dieser Untat beteiligt sei. Grund für diese Ansicht ist, seiner Meinung nach, der Mangel an Zivilcourage, welchen er sogar als Merkmal deutscher Geschichte ansieht.
Giordano unterstützt das Zentrum gegen Vertreibungen, das das Ziel verfolgt, die Vertreibungen des 20. Jahrhunderts aufzuarbeiten.
Für sein journalistisches Werk, aber auch für sein politisches Engagement wurde Ralph Giordano vielfach mit Preisen ausgezeichnet. 1990 erhielt er das Bundesverdienstkreuz, 1994 den Siebenpfeiffer-Preis, 1995 den Schubart-Literaturpreis, 2001 den Hermann-Sinsheimer-Preis, 2003 den Leo-Baeck-Preis [2] und 2006 den Rheinischen Literaturpreis Siegburg.
Giordano war zweimal verheiratet, beide Frauen starben an Krebs:
- Helga (1913–1984),
- seit 1994 Roswitha, geb. Everhan (1944−2002).
[Bearbeiten] Werke
- Morris. Geschichte einer Freundschaft. Berlin 1948. (Als Taschenbuch bei Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000, ISBN 3-462-02945-2.)
- Die Partei hat immer recht. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1961. (Erschienen als Neuauflage bei Herder, 1990, ISBN 3451084139.)
- Die Bertinis. Roman. Fischer, Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-10-026005-8. (Als Taschenbuch bei S. Fischer, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3596259614.)
- Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein. Rasch und Röhring, Hamburg 1987, ISBN 3-89136-145-9. (Rezension)
- Ralph Giordano, Friedrich Heyer, Raffi Kantian, Wilm Sanders, Tessa Hofmann, Hagop Guektchian, Ernst E. Pioch: Armenien - Kleines Volk mit großem Erbe. (1989) ISBN 3928750178
- Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. Die Pläne der Nazis nach dem Endsieg. (1989) ISBN 3462029444
- Wie kann diese Generation eigentlich noch atmen? Briefe zu dem Buch Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein. (1990) ISBN 3891362897
- Israel, um Himmels willen. (1991) ISBN 346202129X
- Wolfgang Weirauch, Arfst Wagner, Ralph Giordano, Imanuel Geiss, Thomas Höfer, Christoph Lindenberg: Anthroposophen und Nationalsozialismus. (1991) ISBN 392684132X
- Als Hrsg.: Deutschland und Israel: Solidarität in der Bewährung Bilanz und Perspektive der deutsch-israelischen Beziehungen. (1993) ISBN 3883500291
- Wird Deutschland wieder gefährlich? Mein Brief an Kanzler Kohl, Ursachen und Folgen. (1993) ISBN 3462022911
- Ich bin angenagelt an dieses Land. Reden und Aufsätze über die deutsche Vergangenheit und Gegenwart. (1994) ISBN 3426800241
- Ostpreußen ade. Reise durch ein melancholisches Land. (1994) ISBN 3462023713 (Rezension)
- Ralf Dahrendorf, Margarete Mitscherlich, Ralph Giordano: Hamburg 1945: Zerstört. Befreit. Hoffnungsvoll? Bürgerschaftliche Veranstaltungsreihe zum 50. Jahrestag des Kriegsendes. (1995) ISBN 3767212439
- Clemens Lindemann, Ignatz Bubis, Manfred Buchwald, Ralph Giordano: Dokumentation der 4. Preisverleihung am 16. November 1994 an Ralph Giordano; Schriftenreihe der Siebenpfeiffer-Stiftung. (1995) ISBN 3980161129
- Mein irisches Tagebuch. (1996) ISBN 3462025686
- Hier war ja Schluß. .. Was von der deutsch-deutschen Grenze geblieben ist. (1996) ISBN 3891365918
- Der Wombat und andere tierische Geschichten. (1997) ISBN 3423203285
- Deutschlandreise. Aufzeichnungen aus einer schwierigen Heimat. (1998) ISBN 3462027395
- Wir sind die Stärkeren. Reden, Aufrufe, Schriften zu deutschen Themen und Menschen unserer Zeit. (1998) ISBN 389136671X
- Martin Schmidt, Brigitte Reimann, Ralph Giordano: Hoyerswerda - Literarische Spiegelungen. (1998) ISBN 398089570X
- Die Traditionslüge. Vom Kriegerkult in der Bundeswehr. (2000) ISBN 3462029215
- Sizilien, Sizilien! Eine Heimkehr. (2002) ISBN 3462031406·
- Ralph Giordano, Uwe Laugwitz: Von den Schwierigkeiten, zu leben, zu denken und zu schreiben. Gespräch aus dem Jahre 1986. (2003) [[1]] ISBN 3933077125
- Ein Glücksfall, ein Wunder, ein Mirakel in: Martin Doerry (Hg): Nirgendwo und überall zu Haus. Gespräche mit Überlebenden des Holocaust DVA, München 2006 ISBN 3421042071 (auch als CD) S. 172 - 185
- Erinnerungen eines Davongekommenen. Kiepenheuer & Witsch, 2007 ISBN 3462037722
[Bearbeiten] Zitate
Man kann die political correctness auch übertreiben. Gibt es doch eine Art des Nachtretens, die nicht den Getretenen, sondern den Treter charakterisiert.
- --Giordano in der Berliner Zeitung vom 26. März 2005
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Ralph Giordano im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- [2] Ralph Giordano im Gespräch mit Thomas Vogel, aus der SWR 2-Sendereihe Zeitgenossen vom 24. Oktober 2004 (ca. 44 Min.) (zum Abhören mit dem Real Player neben dem Audio-Symbol anklicken: "Gespräch mit Ralph Giordano hören")
- [3] Ralph Giordano im Gespräch mit Lore Kleinert im Nordwestradio vom 25. Februar 2007 (zum Abhören mit Real Audio)
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ "Diese Verdammnis hat der Mann nicht verdient". Ralph Giordano nimmt Rolf Hochhuth in Schutz, Berliner Zeitung vom 26. März 2005
- ↑ Rede von Ralph Giordano zur Preisverleihung am 17. September 2003 in Berlin
Personendaten | |
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NAME | Giordano, Ralph |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Journalist, Schriftsteller und Regisseur |
GEBURTSDATUM | 20. März 1923 |
GEBURTSORT | Hamburg |