Tauwetter-Periode
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Tauwetter-Periode nennt man eine nach dem Tod Stalins von der Sowjetunion ausgehende Periode der Auflockerung und größerer Freiheit der inneren Kultur in den Staaten des Ostblocks. Der Name geht auf den Roman „Tauwetter“ von Ilja Ehrenburg zurück.
Auslöser war der Tod Stalins 1953. Nikita Chruschtschow hielt eine so genannte „Geheimrede“ auf dem 20. Parteitag der KPdSU im Jahre 1956, seine Kritik am Personenkult um Stalin und an den stalinistischen Verbrechen sowie der Kurs der „friedlichen Koexistenz“ in der sowjetischen Außenpolitik. So ging Chruschtschow auf Annäherungskurs zu Tito in Jugoslawien. Hintergrund war, dass bis zum Tode Stalins selbst höchste Parteifunktionäre, wenn sie in Ungnade fielen, um ihr Leben fürchten mussten. Daher war die Tauwetterpolitik durchaus im Interesse der Parteifunktionäre. Ein zweites Motiv für die Entspannungspolitik waren auch die hohen Verwaltungs- und militärischen Kosten, die die totalitäre Kontrolle über die Satellitenstaaten verursachte.
Während dieser Phase der Entstalinisierung schwächte sich die Zensur merklich ab, vor allem in Literatur, Kunst und Film wurde offener diskutiert. Wichtigste Plattform der Vertreter des Tauwetters war die Literaturzeitschrift Nowy Mir. Einige Werke dieser Periode gelangten auch im Westen zu größerer Bekanntheit, darunter Wladimir Dudinzews „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ und Alexander Solschenizyns Roman „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“. Weitere bedeutende Vertreter der Tauwetter-Periode waren die Schriftsteller Wiktor Petrowitsch Astafjew, Wladimir Fjodorowitsch Tendrjakow, Bella Achatowna Achmadulina, Robert Iwanowitsch Roschdestwenski, Andrej Andrejewitsch Wosnessenski und Anna Andrejewna Achmatowa.
Viele politische Gefangene in der Sowjetunion und anderen Ostblock-Staaten wurden freigelassen und/oder rehabilitiert. Auch die noch inhaftierten 30.000 deutschen Kriegsgefangenen wurden freigelassen. In manchen Ländern kamen vergleichsweise liberale Ministerpräsidenten an die Macht, in Ungarn zum Beispiel Imre Nagy. Am 15. Mai 1955 wurde der Österreichische Staatsvertrag zwischen den vier Besatzungsmächten (UdSSR, USA, Großbritannien, Frankreich) und Österreich unterzeichnet und die Besatzung beendet. Nach diesen ersten Signalen einer neuen Haltung kam es 1955 zur Genfer Gipfelkonferenz zwischen US-Präsident Eisenhower, Chruschtschow sowie den Regierungschefs Großbritanniens, Frankreichs und Bulgariens.
Die Tauwetter-Periode hielt jedoch nicht lange. Bereits mit der Niederschlagung des Volksaufstands in Ungarn 1956 wurden viele Hoffnungen auf eine weiter gehende Öffnung begraben. Chruschtschows Hetzkampagne gegen Boris Pasternak, dem 1958 der Nobelpreis für Literatur verliehen werden sollte, zeigte den russischen Künstlern deutlich die Grenzen der Liberalisierung. Spätestens mit der Entmachtung Chruschtschows durch Leonid Breschnew (1964) endete die Tauwetter-Periode. Dass Chruschtschow einfach abgesetzt und nicht etwa erschossen wurde, wäre ohne die Tauwetter-Periode zuvor nicht denkbar gewesen.
Nach Ende des Tauwetters konnten kritische Schriftstücke nur über nichtoffizielle Kanäle (Samisdat) verbreitet werden.
