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Tochter Zion

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Der Begriff Tochter Zion (hebräisch בת ציון) bezeichnet in der hebräischen Bibel (dem Alten Testament) die Stadt Jerusalem. Es handelt sich um einen Stadttitel, der zurückgeht auf eine personifizierende Redeweise von der Stadt.
Während die ältere Bibelforschung hierin nur einen weiteren Heilstitel des jüdischen Volkes oder der Gemeinde fand, hat sich in der neueren Forschung die Erkenntnis durchgesetzt, dass diesem personifizierenden Stadttitel eine eigene metaphorische Qualität anhaftet, die sich an den meisten Belegstellen mit bestimmten Motiven, Formen und Inhalten verbindet und auch einen eigenen theologischen Aussagewillen erkennen lässt.


Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Belege

Die Belege für die Personifikation beschränken sich auf die Prophetenbücher, die Klagelieder Jeremias und einige Psalmen. Sie verteilen sich auf drei Textsorten, die sich hinsichtlich Motiven und Gattung deutlich unterscheiden.
Das sind zum einen Texte, die von der Klage geprägt sind (Jes 22,4; Jer 4,19-21; 6,22-26; 8,18-23; 10,17-20; Thr 1 und 2): hier ist Jerusalem leidendes Kriegsopfer, Witwe und verlassene Mutter. Zum anderen handelt es sich um Texte, in denen die Stadt Adressatin von Anklagen ist (Jer 2; 3,1-5 ; 13,20-27; Jes 1,21-26; Ez 16 und 23): als Abtrünnige, Hure und Ehebrecherin. Schließlich findet sich eine Reihe von Texten, die der Heilsankündigung zuzurechnen sind (Jer 30-31; Jes 40,9-11; 49; 51; 54; 60-62): hier ist Zion Braut Jahwes, Königin und geachtete Mutter vieler Kinder.
Die Besonderheit all dieser Texten liegt darin, dass Zion als eigene Person in Relation sowohl zu Gott als auch ihrer Bevölkerung in Erscheinung treten kann und weitgehend anthropomorphe Züge annimmt.

[Bearbeiten] Religionsgeschichtlicher Hintergrund

Die Personifikation Jerusalems hat ihre kulturellen Vorläufer in der orientalischen Umwelt des Alten Israel. So finden sich im westsemitischen Raum Quellen, die der Stadt weibliche Titel als Ausdruck der Verehrung beilegen. Es scheint, dass der Übergang von weiblich vorgestellter Stadt und Stadtgöttin soweit verschwimmen konnte, dass der Stadt auch göttliche Eigenschaften zugewiesen wurden – eine Tradition, die auch in Israel bekannt gewesen sein dürfte.
Aussagekräftiger für die genannten Texte der hebräischen Bibel sind aber mesopotamische Traditionen der Stadtklage. Hier handelt es sich um eine Klagegattung, die ihren historischen Ort zunächst in der Zerstörung mehrerer Großstädte (Ur, Nippur, Uruk, Eridu) gegen Ende der Periode Ur III (Ende des 3. Jt v. Chr.) im sumerischen Reich hatte. Sie liegen in sumerischer Sprache vor und wurden mindestens bis zur Mitte des 2. Jt. kopiert und verbreitet. Das kennzeichnende Merkmal dieser Texte ist das Auftreten der Stadtgöttin, die die Zerstörung ihrer Stadt und ihres Tempels beklagt. Sie betrauert ihre eigene Vertreibung, den Verlust ihrer „Kinder“ als Tod und Vertreibung ihrer Bevölkerung und den Verlust ihrer göttlichen Protektion und damit jeglicher politischen und religiösen Ordnung in der Stadt.
Diese Elemente werden in den folgenden Jahrhunderten bis ins 1. Jt v. Chr. in religiösen Gebrauchstexten wieder aufgenommen, die vermutlich im Zuge von Tempelabriss- und Wiederaufbaufeiern benutzt wurden. Auch sie sind geprägt vom Auftritt der „klassischen“ Figur der klagenden Göttin (vor allem Inanna als mesopotamischer Mutter- und Schutzgöttin überhaupt). Auch wenn in Isarel eine eigenständige Gattung der „Stadtklage“ nicht nachzuweisen ist, so dürften entsprechende Klagetraditionen doch auch in Israel bekannt gewesen sein.

[Bearbeiten] Alttestamentliche Theologiegeschichte

Literar- und tradtionsgeschichtliche Untersuchungen des Alten Testamentes zeigen, dass von den oben genannten Texten die klagenden die ältesten sind, die eine Personifikation Jerusalems zeigen. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Entwicklung der Personifikation der Stadt in Israel ihren Ausgangspunkt bei der Stadtklage nahm. Ob Israel allerdings eine eigenständige Gattung der Stadtklage kannte, lässt sich nicht mehr zuverlässig rekonstruieren, auch wenn manches dafür spricht.
Jerusalem personifizierende Klageelemente finden sich in ihrer frühesten Form in prophetischen Unheilsansagen wie Jesaja 22,4; Jeremia 4,19-21 oder 8,18-23. Von dort aus finden sie ihren Weg in die sogenannten Klagelieder Jeremias (Threni), in denen die „Tochter Zion“ zur trauernden und verlassenen Mutter, zur vergewaltigten Frau und zur entehrten Geliebten wird. Die Entstehung dieser Klagetexte gehört historisch in die Zeit der Bedrohung und schließlichen Eroberung Jerusalems im 7. und 6. Jh. v. Chr. durch das assyrische und dann babylonische Großreich und der Verarbeitung dieser für Israel traumatischen Erfahrungen (Babylonische Gefangenschaft.
Die Threni legen der Stadt auch schon Schuldbekenntnisse in den Mund, die sich dem Reflex auf die schon genannten Anklagen der „Tochter Zion“ verdanken. Schon früh scheint nämlich ein Prozess begonnen zu haben, in dem die klagenden Texte überformt wurden durch Anklagen: Die Stadt wird zur Ehebrecherin und Hure erklärt, weil sie ihren Gott Jahwe verlassen und anderen Göttern gedient habe. Diese Abwendung von ihrem Herrn wird in geradezu drastisch-sexuellen und erniedrigenden Bildern entfaltet (Ezechiel 16 und 23).
Die Stadt, die in den Klagen Opfer war, wird somit in der Reflexion zur Täterin.
Ihre Annahme dieser Schuldzuweisung wiederum ermöglicht die erneute Zuwendung Jahwes. Dies wird spürbar in den nachexilischen Texten, die der „Tochter Zion“ neues Heil, eine neue Brautzeit mit ihrem Herrn Jahwe, die Wiederkehr ihrer Kinder und ihre Erhöhung zur endzeitlichen Königin verheißen (Jesaja 49; 54; 60; 62). Die Freudenaufrufe an die „Tochter Zion“ werden so zu einem wiederkehrenden Thema auch der späten israelitischen Prophetie (Sacharja 9,9-12). Die messianischen Motive vom Friedenskönig in Sach 9 werden in den Evangelien schließlich zur Folie für die Gestaltung des Berichtes von Jesu Ankunft in Jerusalem (Matthäus 21,1-9) – und halten von da aus Einzug in christliche Kirchengesangbücher („Tochter Zion, freue dich“).

[Bearbeiten] Literatur

  • F.W. Dobbs-Allsopp, Weep, O Daughter of Zion. A Study of the City-Lament Genre in the Hebrew Bible, BibOr 44, 1997
  • O.H. Steck, Zion als Gelände und Gestalt. Überlegungen zur Wahrnehmung Jerusalems als Stadt und Frau im Alten Testament, in: O.H.Steck, Gottesknecht und Zion. Gesammelte Aufsätze zu Deuterojesaja, FAT 4, 1992, 126-145
  • M. Wischnowsky, Tochter Zion. Aufnahme und Überwindung der Stadtklage in den Prophetenschriften des Alten Testaments, WMANT 89, 2001

[Bearbeiten] Siehe auch

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