Versal-Eszett
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Das Versal-Eszett bezeichnet die umstrittene Großbuchstabenform des Buchstaben ß (Eszett). Die offizielle Aufnahme dieses Buchstaben in das deutsche Alphabet wurde Anfang des 20. Jahrhunderts und nun aktuell Anfang des 21. Jahrhunderts diskutiert, aber letztendlich immer wieder verworfen. Die eine Fraktion ist der Meinung, die Tatsache, dass ein versales Eszett historisch existierte, wäre Grund genug, es in das deutsche Alphabet aufzunehmen. Die andere Fraktion weist darauf hin, dass das Eszett eine Ligatur aus zwei Kleinbuchstaben ist, und daraus anschließend entwickelte Formen im Versalsatz nie zu den Großbuchstaben passen werden.
Der Keinbuchstabe (die Minuskel) ß ist historisch aus einer Ligatur entstanden, die in deutschsprachigen Wörtern nur im Wortinnern oder am Wortende vorkommt, und existiert deswegen nur als Kleinbuchstabe.[1] Sobald aber deutschsprachiger Text in Kapitälchen oder Versalien ausgezeichnet wird, meinen manche, es bestünde der Bedarf nach einem Versal-Eszett. Die meisten Deutschen verwenden jedoch einfach zwei Großbuchstaben: SS.
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[Bearbeiten] Regeln für ß im Versalsatz
Noch im 19. Jahrhundert verzichteten die Brüder Grimm im Antiquasatz ganz auf ß. Sie ersetzten ß durch sz. Der Reformtext von 1901 orientierte sich an diesem Vorbild und schrieb für den Versalsatz die Ersetzung von ß durch SZ vor. So wurde „Preußen“ im Versalsatz zu „PREUSZEN“.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts bürgerte sich aber immer mehr die Ersetzung durch SS ein. Die Entwicklung der Rechtschreibregeln im Duden spiegelt die Koexistenz der beiden Formen wider. Kurz vor der Rechtschreibreform von 1996 war die Schreibweise SZ nur noch in Ausnahmefällen möglich, wenn eine Ersetzung durch SS zu Verwechslungen führen würde. So wurde „Masse“ zu „MASSE“, aber „Maße“ zu „MASZE“. Die Neue deutsche Rechtschreibung schreibt seit 1996 für den Versalsatz die einheitliche Ersetzung von ß durch den Doppelbuchstaben SS vor. Das Wort „Straße“ wird im Versalsatz als „STRASSE“ geschrieben.
Die Ersetzung des ß durch Großbuchstaben führt insbesondere bei Eigennamen zu Mehrdeutigkeiten. Der Name „WEISS“ könnte für „Weiß“ oder „Weiss“ stehen, der Name „LISZT“ für „Lißt“ oder „Liszt“. Deswegen bildete sich als dritte Möglichkeit der Mischsatz heraus. Das ß wird nicht ersetzt. Der Name „Weiß“ wird versal zu „WEIß“, was leider typografisch katastrophal ist, da hier Groß- und Kleinbuchstaben gemischt werden. Diese Regel wird seit den 1980er Jahren bei deutschen Reisepässen und Personalausweisen angewandt. Auch die Deutsche Post empfiehlt, beim Ausfüllen von Formularen in Großbuchstaben das ß beizubehalten.
[Bearbeiten] Versal-Eszett
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts haben nur sehr wenige Schriftgestalter für ihre Schriftarten eine zusätzliche Glyphe entworfen, die das Eszett im Versalsatz repräsentieren soll. Es gibt kaum Beispiele für Versal-Eszett in Beschriftungen und im Druck. [2]
Der Bedarf nach einer Normierung eines Versal-Eszett wurde zwar Anfang des 20. Jahrhundert formuliert. So steht in Duden von 1925: „Für ß wird in großer Schrift SZ angewandt, z. B. MASZE (Maße) – aber MASSE (Masse), STRASZE, PREUSZEN, MEISZNER, VOSZ. Die Verwendung zweier Buchstaben für einen Laut ist nur ein Notbehelf, der aufhören muss, sobald ein geeigneter Druckbuchstabe für das große ß geschaffen ist.“ [3] Die überwiegende Mehrheit der Schriftgestalter sah in der Gestaltung eines solchen Buchstabens aber keinen Sinn.
Der Interessensverband Rat für deutsche Rechtschreibung e.V. rief 2005 dazu auf, Abhilfe zu schaffen.
Im Jahr 2004 beantragte Andreas Stötzner beim Unicode Consortium die Aufnahme eines Latin Capital Letter Double S in Unicode. [4] Der Antrag wurde verworfen, da die Existenz dieses Buchstabens nicht ausreichend bewiesen war, sowie aus technischen Gründen. [5][6]
Die Medieval Unicode Font Initiative erarbeitet Zeichenbelegungen für Mittelalterforscher. Im Entwurf zur Version 2.0 der Zeichenbelegung wird geplant Latin Capital Letter Sharp S als Zeichen U+E3E4 zu codieren. [7]
Der Vorschlag eines Versal-Eszett führt weiterhin zur Verwirrung, da die Form im Deutschen Text mit einem B verwechselt werden kann. Statt dem Text "DAS GROßE ESZETT" kann man fälschlicherweise auch lesen: "DAS GROBE ESZETT".
[Bearbeiten] Ausgewählte Schriften mit Versal-Eszett
[Bearbeiten] Historische Schriften
Anfang des 20. Jahrhunderts gab es einige Schriften mit einem Versal-Eszett-Entwurf. Bei vielen modernen Schriften, wie der Futura, gab es einen solchen Entwurf nicht.
- Schelter kursiv (Schelter & Giesecke, Leipzig 1906)
- Ehmcke-Antiqua von Fritz Helmuth Ehmcke (ehem. Flinsch, Frankfurt am Main, 1909); auch unter dem Namen ITC Carlton* hier aber schlechte Umsetzung und ohne Versal-ß
- Ehmcke-Kursiv von Fritz Helmuth Ehmcke (ehem. Flinsch, Frankfurt am Main, 1910)
- Erbar-Grotesk (Ludwig & Mayer, Frankfurt a. M. 1910)
- Kleukens-Antiqua von F.W. Kleukens (Bauersche Gießerei, Frankfurt a. M. 1910)
- Journal-Antiqua von Hermann Zehnpfundt (E. Gursch, Berlin 1910)
- Grimm-Antiqua von Richard Grimm-Sachsenberg (Jul. Klinkhardt 1911, Leipzig (1920 von H. Berthold übernommen)
- Tauperle (Schelter & Giesecke, Leipzig 1912)
- Belwe-Antiqua von Georg Belwe [4 Schnitte] (Schelter & Giesecke, Leipzig ca. 1913, 1951 mit Schriftguß AG zu VEB Typoart verschmolzen)
- Koralle breitmager (Schelter & Giesecke, Leipzig 1913)
- Koralle breithalbfett (Schelter & Giesecke, Leipzig 1913)
- Belwe-Kursiv von Georg Belwe 1914
- Ehmcke-Rustika von Fritz Helmuth Ehmcke (D. Stempel AG, Frankfurt 1914)
- Roland-Grotesk (Schelter & Giesecke, Leipzig um 1914?)
- Koralle (Schelter & Giesecke, Leipzig 1915)
- Lichte Koralle-Vers. (Schelter & Giesecke, Leipzig 1916)
- Schneidler-Latein von F.H. Ernst Schneidler (Schelter & Giesecke, Leipzig 1919)
- Schneidler-Kursiv von F.H. Ernst Schneidler (Schelter & Giesecke, Leipzig 1920)
- Koralle mager (Schelter & Giesecke, Leipzig 1919)
- Koralle kursiv mager (Schelter & Giesecke, Leipzig 1923)
- Shakespeare-Mediaeval von Georg Belwe (Schelter & Giesecke, Leipzig 1927)
- Shakespeare-Kursiv von Georg Belwe (Schelter & Giesecke, Leipzig 1928)
- Schmale fette Koralle (Schelter & Giesecke, Leipzig vor 1931)
- Parcival (in Papier und Druck 1955/9)
- Diverse Hausschriften von der Schriftgießerei Klinkhardt (Leipzig)
[Bearbeiten] Heute verfügbare Computerschriften mit Versal-Eszett
Es gibt nur sehr wenige Schriften mit Versal-Eszett. Die überwiegende Mehrheit der Schriftschöpfer sieht keinen Bedarf für ein Versal-Eszett.
- P22 Underground Bold von Edward Johnston (1916). Diese Schrift wurde für die Londoner U-Bahn entworfen. Digitalisiert 2001
- Missale Incana von Andreas Seidel (2004). Basiert auf der Schrift „Erler Versalien” von Herbert Thannhaeuser, 1953.
- Adana von Andreas Seidel (2005). Basiert auf der Schrift „Divana” des Grafikers Wilhelm Berg, Schriftguss AG 1925 – 1930. Die Versalien und Kapitälchen sind neu
- Missale Lunea, Uncialschrift von Andreas Seidel
- Prillwitz von Ingo Preuß (2005)
- Phoenica von Ingo Preuß (2007)
- Battista von Ingo Preuß (2005)
Vier kostenlose Schriftfonts von Andreas Stötzner, die im Zusammenhang mit dem Thema von Signa Nr. 9 „Das große Eszett“ frei zur Verfügung gestellt werden, und die jeweils das komplette Großbuchstaben-Alphabet inklusive Umlaute und Versal-ß enthalten, außerdem sind Ziffern und Interpunktion vorhanden . Alle Rechte bleiben vorbehalten. Diese Schriften werden im OpenType-Format (CFF) und als *.zip verpackt angeboten, und das Schriftpaket kann hier heruntergeladen werden.
- Eszett-Anna von Andreas Stötzner (Mai 2006)
- Eszett-Timo von Andreas Stötzner (Mai 2006)
- Eszett-Linea von Andreas Stötzner (Mai 2006)
- Eszett-Enge von Andreas Stötzner (Mai 2006)
[Bearbeiten] Einzelnachweise
- ↑ Regeln und Wörterverzeichnis. Überarbeitete Fassung des amtlichen Regelwerks 2004. Rat für deutsche Rechtschreibung, München und Mannheim, Februar 2006. Online
- ↑ Stötzner, Andreas: Dokumentation „Das versale ß“ (PDF)
- ↑ Vorbemerkungen, XII in: Duden - Rechtschreibung. 9. Auflage, 1925
- ↑ Stötzner, Andreas: Vorschlag zur Kodierung eines versalen ß in Unicode (PDF) (Englisch)
- ↑ Unicode Consortium: Rejected Characters and Scripts [1] (Englisch)
- ↑ Michael Kaplan: Every character has a story #15: CAPITAL SHARP S (not encoded) [2] (Englisch)
- ↑ MUFI Character Recommendations [3]
[Bearbeiten] Literatur
- Das große Eszett. In: Signa, Heft Nr. 9. Edition Waechterpappel, Grimma 2006, ISBN 3-933629-17-9.
[Bearbeiten] Weblinks
Weiterführendes Material
- Artikel im typeFORUM zur DDR-Duden-Ausgabe von 1965
- Das „Versal-Eszett“ im Typowiki
- Diskussion um das Aussehen des zukünftigen versalen Eszett beim typeFORUM (Deutsch)
Anbieter kommerzieller Computerschriften mit Versal-Eszett