Werturteilsfreiheit
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Werturteilsfreiheit in der Wissenschaft, ist die Anforderung an eine Aussage, von den Wünschen und Zielen dessen, der sie trifft, gänzlich abzusehen. Es gilt, dem Gebot der Neutralität möglichst zu entsprechen, also nur zu sagen, was ist, nicht aber, was sein – oder nicht sein – soll. Dies ist in der Wissenschaft die gängige Prämisse, verlässlich wahre Aussagen zu erarbeiten. Weitestgehende Werturteilsfreiheit ist demnach ein erkenntnistheoretisches Prinzip.
Einfach gesprochen, Wunschvorstellungen sind genauso suspekt, wie die bekannte Maxime, dass "nicht sein kann, was nicht sein darf".
Von der Werturteilsfreiheit innerhalb einer „wissenschaftlichen“ Aussage abzuweichen, gilt als Haupteinfallstor von Ideologien. Sich dieser zu enthalten und das allgemeine Vertrauen darauf, dass dies wirklich geschehe, ist – soziologisch gesehen – die Basis der Sonderstellung und des sozialen Ansehens von Gelehrten (Wissenschaftlern), Universitäten u. dergl.
Daraus ergeben sich viele Formalismen der Wissenschaft (z.B. die Aufforderungen, mit definierten Begriffen zu arbeiten, den Pfad der Logik nie zu verlassen, stets seine Quellen anzugeben). Dies wiederum prägt den wissenschaftlichen Rede- und Schreibstil stark, obwohl hier große Unterschiede bestehen, je nach dem, ob natur- oder geisteswissenschaftliche Themen behandelt werden.
Weil aber eine absolute Werturteilsfreiheit nicht erreichbar sei – dies lehrt z.B. die Wissenssoziologie –, da jeder soziale Akteur in Gesellschaft lebe und gar nicht umhin könne, darin immer auch etwas zu wollen, kann jede angeblich wertfreie Aussage erfolgreich der Ideologiekritik unterzogen werden. Die Hoffnung, dass mit Hilfe von Computern Ideologien vermieden werden könnten, muss trügen, weil nicht auszuschließen ist, dass Gewolltes in die Programmierung einfließt. Es ist dies ein Sonderfall des allgemeinen wissenschaftlichen Dilemmas, dass man mit seinen Ausgangspunkten („Axiomen“) immer irren kann: Denn hat man sie einmal gewählt, so bleiben die Voraussetzungen zur Gewinnung der Ausgangspunkte ungeprüft. Vgl. dazu "Gödel's proof".
Die Standardannahme in den Wissenschaften ist mithin, Werturteile könnten also gar nicht vermieden werden, sollten aber stets ausdrücklich als solche gekennzeichnet werden.
Unter Wissenschaftlern wird jedoch auch die Position vertreten, dass wertende Aussagen – so lange es die 'richtigen' Werte seien – sogar geboten seien. Ein klassischer Fall dieser Position innerhalb des Wissenschaftsbetriebes ist von alters die Theologie („Erkenntnis kann auch auf Offenbarung bauen“), aber auch z.B. der Marxismus („Erkenntnis wird immer durch das Klasseninteresse parteiisch verzerrt, nur beim Proletariat fällt dieses Interesse mit der Wahrheit zusammen“).
Dessentwegen ist es innerhalb der Geschichte der Soziologie mehrfach zu einem „Werturteilsstreit“ gekommen.
Siehe auch: Objektivität
[Bearbeiten] Literatur
- Max Weber: Die 'Objektivität' sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. v. Johannes Winckelmann, Tübingen 1988. ISBN 3-8252-1492-3 sowie in: Schriften zur Wissenschaftslehre, Reclam, Stuttgart 1991. ISBN 3-15-008748-1