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Wilhelm Heinrich Riehl - Wikipedia

Wilhelm Heinrich Riehl

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Wilhelm Heinrich Riehl, ab 1883 von Riehl (* 6. Mai 1823 in Biebrich; † 16. November 1897 in München) war ein deutscher Journalist, Novellist und Kulturhistoriker. In seinen Werken betonte er früh soziale Strukturen und gewann so Einfluss auf die Entwicklung der Volkskunde im 19. Jahrhundert, als deren wissenschaftlicher Begründer er gilt.


Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Leben

Wilhelm Heinrich Riehl wurde als Sohn des herzoglich nassauischen Schlossverwalters Friedrich August Riehl und seiner Gattin Elisabeth in Biebrich geboren. In Wiesbaden besuchte er die Lateinschule und setzte danach seine Ausbildung am Gymnasium in Weilburg fort, wo er 1841 die Reifeprüfung ablegte.

Zwischen 1841 und 1843 studierte er Theologie in Marburg, Tübingen und Gießen. Motive zu diesem Studium waren der Selbstmord seines Vaters August und die schlechte Finanzlage. Nach bestandenem Examen wandte er sich der Philosophie, Geschichte und Kunstgeschichte zu, die er u.a. in Bonn studierte, wo zu seinen akademischen Lehrern Ernst Moritz Arndt gehörte. Unter dem Einfluss Arndts beschloss Riehl, der nach dem Bestehen des theologischen Kandidatenexamens eigentlich Dorfpfarrer werden wollte, sich als freier Schriftsteller mit der Kulturgeschichte und sozialer Politik zu befassen.

Wilhelm Heinrich Riehl
Wilhelm Heinrich Riehl

Seit 1841 war er bereits schriftstellerisch und journalistisch tätig. Auch Themen wie Volkswirtschaft, Kirchenpolitik und Forst- und Agrarwirtschaft sollten folgen. Riehl schrieb Zeitungsaufsätze in Frankfurt am Main, Karlsruhe und Wiesbaden und gab 1848-51 die konservative Nassauische allgemeine Zeitung heraus, während er zugleich mit der musikalischen Leitung des Hoftheaters in Wiesbaden betraut war. Von 1851 bis 1854 arbeitete er in Augsburg als Redakteur der dort ansässigen Allgemeinen Zeitung.

1854 holte ihn Maximilian II. an den Münchener Hof, wo er "Oberredakteur für Preßangelegenheiten des kgl. Hauses und des Äußeren" wurde und eine Honorarprofessur an der staatswirtschaftlichen Fakultät erhielt, die 1859 zu einer ordentlichen Professur für Kulturgeschichte und Statistik wurde. Er war ein erfolgreicher Ordinarius, denn seine Vorlesungen gehörten zu den meistbesuchten. 1862 wurde er Mitglied der Akademie der Wissenschaften. 1883 wurde Riehl geadelt und durfte sich von nun an von Riehl nennen. 1885 wurde er zum Direktor des bayerischen Nationalmuseums und zum Generalkonservator der Kunstdenkmäler und Alterthümer Bayerns ernannt.

Riehl hatte zwei Kinder. Seine Tochter Helene machte sich als Landschaftsmalerin bekannt; sein Sohn Berthold war Dozent der Kunstgeschichte an der Münchener Universität. Riehl starb im Alter von 74 Jahren in München.

[Bearbeiten] Persönliche Anschauungen

Riehls wissenschaftliches Interesse galt der "Gesittung" des deutschen Volkes. Methodisch war er bahnbrechend (der Forscher solle sein Feld erwandern). Er war einer der ersten, der sich mit gesellschafts- und kulturgeschichtlichen Themen wissenschaftlich befasste und u.a. den Versuch unternahm, eine "Volkskunde als Wissenschaft" bzw. eine "Wissenschaft vom Volke" zu etablieren. Sein berühmtestes Werk ist die "Naturgeschichte des deutschen Volkes als Grundlage einer deutschen Socialpolitik" (4 Bände, 1851-1869), in dem geographische Faktoren, soziale Verhältnisse und deutsche Kultur- und Lebensweise hervorgehoben werden. Im dritten Band, "Die Familie" (1854), analysierte Riehl die Familie als die Basis für alle sozialen Entwicklungen und als Keimzelle der Gesellschaft. Er sah die Verstädterung in einer Zeit der Industrialisierung nicht nur kritisch, sondern behauptete sogar, sie zerstöre die Familien. Des weiteren dürfe der städtische Raum "Wald, Weide und Wasser" nicht verdrängen, womit er ganz klar die Zustandsänderung der Landschaft durch die Herausbildung einer naturfernen Zivilisationsgesellschaft angriff. Riehl sah im städtischen Raum auch den "Nährboden für den socialistischen Geist der Gleichmacherei" als Folge der Vereinzelung verzweifelter Individuen, die wiederum auf die Zerstörung der Familien zurück zu führen sei. Hierbei werden auch die subjektiven Generalisierungen seiner Theorien und sein Konservativismus ersichtlich.

Riehl wandte sich jedoch nicht gegen jegliche Entwicklungen aus den Städten. Er konstatierte, dass "Trägheit" vom sozialen Konservatismus der bäuerlichen Bevölkerung und "Bewegung" von der progressiven Haltung der Stadtbewohner beide grundlegend für die Gesellschaft seien.

[Bearbeiten] Bedeutung

Riehl gilt aufgrund seines Untersuchungsgegenstandes als Vordenker oder Begründer u. a. der Volkskunde, der Kulturgeschichte und der Soziologie. Trotz mancher subjektiver Generalisierungen, und wenn auch sein Wirken bis heute umstritten bleibt, ist sich die Wissenschaft einig, dass seine Theorien für die Entwicklung der kulturellen und sozialen Geschichte Deutschlands bedeutend und seine primäre Kenntnis zahlreicher, auch abgelegener Milieus umfassend waren (z.B. Wandertheater, Spitzbuben). Allerdings hat seine Methode, die Ablehnung von analytischen Verfahren und "Buchgelehrsamkeit" (des 19. Jahrhunderts!) zu Gunsten erwanderter Erfahrungen und literarischen Ausdrucks, weniger Schule gemacht (doch sind z.B. in der gegenwärtigen deutschsprachigen Kultursoziologie Girtler und Honer zu nennen).

[Bearbeiten] Werke (in Auswahl)

  • Die Geschichte vom Eisele und Beisele, Roman, 1848
  • Naturgeschichte des deutschen Volkes als Grundlage einer deutschen Socialpolitik, 1851-1869
    • 1. Land und Leute
    • 2. Die bürgerliche Gesellschaft
    • 3. Die Familie
    • 4. Wanderbuch
  • Musikalische Charakterköpfe, 1853
  • Culturgeschichtliche Novellen, 1856
  • Die Pfälzer. Ein rheinisches Volksbild, 1857
  • Kulturstudien aus drei Jahrhunderten, 1859
  • Die deutsche Arbeit, 1861
  • Geschichten aus alter Zeit, 1863-1864
  • Über den Begriff der bürgerlichen Gesellschaft, Vortrag, 1864
  • Neues Novellenbuch, 1867
  • Lessing als Universitätsfreund, 1873
  • Freie Vorträge, 1871 u. 1885
  • Aus der Ecke. 7 neue Novellen, 1874
  • Burg Neideck, Novelle, 1875
  • Am Feierabend. 6 neue Novellen, 1880
  • Lebensräthsel. 5 Novellen, 1888
  • Kulturgeschichtliche Charakterköpfe, 1891
  • Religiöse Studien eines Weltkindes, 1894
  • Ein ganzer Mann, Roman, 1897

[Bearbeiten] Literatur

  • Jasper von Altenbockum: Wilhelm Heinrich Riehl 1823-1897. Sozialwissenschaft zwischen Kulturgeschichte und Ethnographie. Köln u.a.: Böhlau 1994. (= Münstersche Historische Forschungen; 6) ISBN 3-412-09293-2
  • Viktor von Geramb: Wilhelm Heinrich Riehl. Leben und Wirken (1823-1897). Salzburg: Müller 1954.
  • Hannes Ginzel: Der Raumgedanke in der Volkskunde unter Berücksichtigung Wilhelm Heinrich Riehls. Würzburg: Univ. Diss. 1970.
  • Volker Hartmann: Die deutsche Kulturgeschichtsschreibung von ihren Anfängen bis Wilhelm Heinrich Riehl. Marburg: Univ. Diss. 1971.
  • Friedhelm Lövenich: Verstaatlichte Sittlichkeit. Die konservative Konstruktion der Lebenswelt in Wilhelm Heinrich Riehls "Naturgeschichte des Volkes". Opladen: Leske u. Budrich 1992. ISBN 3-8100-1022-7
  • Dennis MacCort: Perspectives on music in German fiction. The music-fiction of Wilhelm Heinrich Riehl. Bern u.a.: Lang 1974. (= German studies in America; 14) ISBN 3-261-00853-9
  • Robert Müller-Sternberg: W. H. Riehls Volkslehre. Ihre geistesgeschichtlichen Grundlagen und zeitgeschichtlichen Grenzen. Leipzig: Eichblatt 1939. (= Form und Geist; 41)
  • Siegfried A. Peter: Arbeit und Beruf bei Wilhelm Heinrich Riehl. Ein psychologisch-soziologischer Beitrag zur Entwicklung des Berufsgedankens im 19. Jahrhundert. Erlangen-Nürnberg: Univ. Diss. 1964.
  • Anna Schrott: W. H. Riehls Novellen im Dienste der Volkserziehung. Halle: Akadem. Verl. 1944. (= Pädagogik in Geschichte, Theorie und Praxis; 8)
  • Florian Simhart: Bürgerliche Gesellschaft und Revolution. Eine ideologiekritische Untersuchung des politischen und sozialen Bewußtseins in der Mitte des 19. Jahrhunderts; dargestellt am Beispiel einer Gruppe des Münchner Bildungsbürgertums. München: Komm. für Bayerische Landesgeschichte 1978. (= Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte; 9) ISBN 3-7696-9921-1
  • Peter Thiergen: Wilhelm Heinrich Riehl in Rußland (1856-1886). Studien zur russischen Publizistik und Geistesgeschichte der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Gießen: Schmitz 1978. (= Bausteine zur Geschichte der Literatur bei den Slaven; 11)
  • Klara Trenz: Wilhelm Heinrich Riehls "Wissenschaft vom Volke". Unter besonderer Heranziehung seiner Darstellung des saarpfälzischen Volkstums. Berlin : Junker u. Dünnhaupt 1937. (= Neue Deutsche Forschungen; 160; Neuere Geschichte; 5)
  • Kirsten Wiese: Erwanderte Kulturlandschaften. Die Vermittlung von Kulturgeschichte in Theodor Fontanes »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« und Wilhelm Heinrich Riehls »Wanderbuch«. Herbert Utz Verlag, München 2007, ISBN 3-8316-0664-1
  • Andrea Zinnecker: Romantik, Rock und Kamisol. Volkskunde auf dem Weg ins Dritte Reich. Die Riehl-Rezeption. Münster u.a.: Waxmann 1996. (= Internationale Hochschulschriften; 192) ISBN 3-89325-393-9

[Bearbeiten] Weblinks


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