Willehalm
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Der Willehalm ist eine Verserzählung Wolframs von Eschenbach, die zu den bedeutendsten epischen Werken der mittelhochdeutschen Literatur zählt. Er entstand zwischen 1210 und 1220 am Hof des Thüringer Landgrafen Hermann, vermutlich wurde es 1212 begonnen, bis über den Tod des Auftraggebers (1217) weitergeführt, dann aber fragmentarisch hinterlassen.
Das Werk geht zurück auf die Chanson de Guillaume um das Leben Wilhelms des Heiligen und auf die Chanson d’Aliscans. Der Dichter verbindet darin Züge der heldenepischen Chanson de geste, die in die deutsche Literatur des Mittelalters kaum Eingang fand, mit der höfischen Epik. Die Erzählung interpretiert den Stoff einerseits im Rückgriff auf die Epik um Karl den Großen während der Auseinandersetzungen um die Reichseinheit nach dem Tode Heinrichs VI.; andererseits deutet sie die Auseinandersetzung von Christen und Heiden eschatologisch vor dem Hintergrund der Kreuzzüge. Die Darstellung des Islam ist von ungewöhnlicher Toleranz geprägt. Wolframs Erzählkunst erreicht im Willehalm ihre höchste Reife, was sich vor allem an seiner Wortkenntnis zeigt.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Handlung
[Bearbeiten] Prolog
Ein Eingangsgebet an den dreieinigen Gott eröffnet das Epos. Der Dichter zeigt damit gleich zu Beginn, dass den Hörer kein Artusroman erwartet, sondern ein religiöses Werk. Dies Gebet ist Konrads des Pfaffen Übersetzung des Rolandsliedes nachgebildet, es gibt einen ersten Hinweis, dass der Willehalm an der älteren Erzählung anknüpft.
Der Dichter bittet nun um Beistand, um die Geschichte richtig zu erzählen; in dem er das Bücherwissen ablehnt und seine Erkenntnisfähigkeit ganz in Gottes Hand legt, formuliert er zugleich eine werkbezogene Poetik. Dies gleicht nicht nur der „Selbstverteidigung“ am Ende des zweiten Parzival-Buchs, es stellt auch den Unterschied zwischen weltlichem Wissen und dem von Gott empfangenen „Sinn“. Der Dichter ist ein poeta illiteratus.
Nach der Vorstellung des Helden – Willehalm ist ein kampferprobter Ritter von hoher Geburt, der im irdischen Leben und als Heiliger Vorbild bleibt – nennt Wolfram das eigentliche Thema des Werks: Leid in Liebe und anderen Dingen. Gemeint ist damit, dass viele Menschen wie Willehalm und Gyburg um ihres religiösen Bekenntnisses willen leiden mussten.
[Bearbeiten] Das 1. Buch
Graf Heimrich von Narbon hat seine sieben Söhne enterbt und einen Patensohn zum Erben gemacht. Die Söhne sollen im Dienst hoher Herren wie Karl dem Großem ein Lehen erwerben. Willehalm, der älteste der Brüder, gerät im Kampf gegen König Tybalt in Kriegsgefangeschaft und wird nach Arabi verschleppt. Im Gefängnis begegnet er Arabel, der Frau Tybalts. Er flieht mit ihr, überzeugt sie, zum Christentum zu konvertieren, und heiratet sie. Nach ihrer Taufe trägt sie nun den Namen Gyburg. Willehalm besetzt Tybalts Land in der Provence und gründet in Oransche seine Grafschaft.
Tybalts Schwiegervater, der heidnische Großkönig Terramer, setzt ein riesiges Heer in Bewegung, das an der Küste der Provence landet. Es kommt zur Schlacht in Alischanz. Die provenzalischen Christen schlagen zwar die ersten Angriffe der Könige Halzebier und Nöupatris zurück; letzterer wird von Willehalms Neffen Vivanz erschlagen. Als Terramer und sein Bruder Arofel zum Heer stoßen, die christlichen Truppen versprengen, wobei Vivianz tödlich verwundet wird, erleidet das Christenheer eine vernichtende Niederlage.
Willehalm kann sich mit einigen Männern nach Oransche retten. Er lässt Gyburg hier zurück, und als der Rest seiner Leute von König Poufameiz getötet wird, muss er alleine fliehen.
[Bearbeiten] Das 2. Buch
Auf der Flucht sieht Willehalm den sterbenden Vivianz, dem er die Beichte abnimmt und das Abendmahl erteilt; Vivianz stirbt als christlicher Märtyrer.
Nach der Totenwache reitet er weiter. Er trifft auf fünfzehn Heidenkönige, von denen er sieben tötet. Einzig Ehmereiz verschont er, weil der als Sohn von Arabel-Gyburg sein Stiefsohn ist. Er tötet auch Arofel und Tenebruns. Als Kriegslist legt er Arofels Rüstung an und besteigt dessen Pferd, um für einen Araber gehalten zu werden und zwischen den feindlichen Linien hindurch reiten zu können. Die Treue seines eigenen Pferdes Puzzat verrät ihn, denn es trabt neben ihm her. Er wird von König Tesereiz angegriffen und tötet ihn im Kampf.
Die Rüstung wird ihm zum Verhängnis, als er nach Oransche gelangt. Gyburg hält ihn für einen Heiden. Willehalm muss zuerst zum Beweis die gefangenen Christen befreien, die in diesem Augenblick vorbeigeführt werden. Als sie ihm auch dann nicht glaubt, nimmt er schließlich den Helm ab – Gyburg erkennt ihn an der im Kampf verstümmelten Nase.
In der Nacht bricht Willehalm auf, um in Munleun beim französischen König Loys, d. h. Ludwig dem Frommen, Beistand zu erbitten. Die Rüstung und seine Kenntnis des Arabischen helfen ihm dabei.
[Bearbeiten] Das 3. Buch
Der Belagerungsring um Oransche schließt sich. Terramer droht seiner Tochter Gyburg mit dem Tod; sie antwortet, indem sie sich erneut zum Christentum bekennt.
Willehalm ist in Orlens eingetroffen und verbirgt sich in einer kleinen Herberge. Gleich gerät er mit einem königlichen Beamten in Streit, der ihm den Wegzoll abverlangt, und erschlägt diesen. Dessen Witwe sucht Beistand bei einem Ritter, der Willehalm zum Kampf herausfordert. Auch der Verteidiger unterliegt und wäre fast erschlagen worden, hätte er nicht seinen Namen genannt – es ist einer von Willehalms Brüdern, der ihm mitteilt, dass die ganze Familie beim Hoftag in Munleun anwesend sein wird. Willehalm verbringt eine Nacht im Kloster und lässt dort Arofels Schild zurück. Dann reitet er nach Munleun. Hier wird Willehalm völlig missachtet, keiner empfängt ihn mit höfischen Ehren. Seine Schwester Irmenschart, die inzwischen Königin ist, befiehlt sogar, man solle direkt vor ihm die Tore schließen. Der Kaufmann Wimar nimmt ihn schließlich auf. Ein standesgemäßes Mahl und ein bequemes Nachtlager lehnt Willehalm aber ab, weil er an Gyburgs Situation denkt.
Er reitet am folgenden Tag zornig zum Königshof, wo die anderen Fürsten vor ihm zurückweichen. Als Heimrich von Narbon mit seiner Familie einzieht, tritt Willehalm vor den König und weist ihn mit unhöflicher Rede darauf hin, dass der ihm seine Herrschaft verdanke. Der König antwortet ihm jedoch trotzdem gemessen. Irmenschart verweigert ihm jede Hilfe, worauf es zum Eklat kommt: er reißt ihr die Krone vom Kopf und hätte sie wohl getötet, wenn nicht ihre gemeinsame Mutter sie in Schutz genommen hätte. Erst als sie erfahren, dass Vivianz tot und das ganze Heer verloren ist, sagen sie ihre Hilfe zu. Willehalms Nichte, die schöne Prinzessin Alyze, klärt schließlich die Missstimmung. Sie bittet Loys um Vergebung, weil sich ihre Mutter ungebührlich verhalten habe.
[Bearbeiten] Das 4. Buch
Irmenschart hat ihre Haltung überdacht und sagt Willehalm jede Hilfe zu, stellt einen Teil ihres Vermögens zur Verfügung und redet auch ihrem Mann zu. Doch Loys ist zunächst beleidigt wegen Willehalms Beleidigung und will zuvor das Hoffest zu Ende bringen.
Nach dem Mahl kommt es erneut zum Aufruhr; Loys vertröstet Willehalm erneut, so dass dieser auf die Festtafel springt und droht, seine Lehen zurückzugeben, was eine große Schmach für den König ist. Diesmal greifen die Brüder hilfreich ein, indem sie gemeinsam mit Graf Heimrich endliche eine Zusage erreichen. Die Kämpfer werden mobilisiert, innerhalb von zehn Tagen soll sich ein Heer einfinden.
Willehalm bleibt in Munleun. Ihm begegnet eines Abends ein riesenhafter und starker Küchenknecht, den die Edelleute verspotten. Sein Name ist Rennewart. Er muss niedrige Dienste verrichten, weil er sich weigert, die Taufe anzunehmen. Willehalm erbittet sich vom König den Jungen, um ihn für den bevorstehenden Kampf ritterlich auszurüsten – Rennewart verlangt jedoch lediglich eine schwere Stange statt der Waffen.
Da nach zehn Tagen das Heer versammelt ist, begleitet König Loys die Kämpfer bis Orlens, wo er Willehalm die Reichsfahne übergibt. Dieser hat nun den Oberbefehl. Rennewart küsst Prinzessin Alyze zum Abschied. Als sie sich Oransche nähern, erblicken sie die Stadt in Flammen.
[Bearbeiten] Das 5. Buch
Die Belagerung von Oransche dauert an. Terramer hat nochmals vergeblich versucht, Gyburg zu bewegen, dass sie zum Islam zurückkehrt. Nach einem Sturmangriff ging die Stadt in Flammen auf, nur die Burg Glorjet blieb verschont. Das heidnische Heer zog ab, um sich an den Schiffen neu zu versorgen.
Gyburg meint, einen neuen heidnischen Angriff zu sehen; es ist zu ihrer großen Freude aber Willehalm mit dem Christenheer. Die Heerführer schlagen ihre Lager vor der Stadt auf; Gyburg und Willehalm bereiten die Verpflegung vor. Die Truppenverbände nähern sich Oransche von verschiedenen Seiten, unter ihnen Willehalms Brüder und sein Vater. Sie kommen alle zum Festmahl in die Burg Glorjet. Gyburg beklagt dem alten Heimrich den Tod von heidnischen und christlichen Kämpfern. Viele Ritter aus Willehalms Familie sind in Terramers Gefangenschaft. Sie berichtet von einem Wunder während der Schlacht: viele gefallene christliche Ritter wurden in Sarkophage gebettet, die nicht von Menschenhand geschaffen sind.
[Bearbeiten] Das 6. Buch
Das Festmahl ist in vollem Gange, als Rennewart den Saal betritt. Die Gesellschaft ist von seiner Größe und Kraft sichtlich beeindruckt. Aber er trinkt zu viel vom gesüßten Wein. Als zwei Schildknappen seine Stange nehmen, verliert er die Beherrschung und schlägt auf sie ein. Die Knappen fliehen, das Mahl endet in Aufruhr.
Willehalm geleitet die Fürsten in ihr Lager, dann geht er mit Gyburg zur Ruhe. Rennewart nächtigt in der Küche von Glorjet. Der Koch sengt dem Schlafenden mit einem glühenden Scheit den Bart – diesen bösen Streich bezahlt er mit seinem Leben. Willehalm erfährt am nächsten Morgen davon und bittet Gyburg, sich Rennewarts anzunehmen. Sie hat eine Ahnung, dass er ihr Bruder sein könnte; doch verweigert der jede Antwort auf Fragen nach seiner Familie. Gyburg lässt die Rüstung König Synaguns holen, die dieser trug, als er Willehalm gefangennahm. Sie überredet ihn, die Rüstung anzulegen und auch ein Schwert zu tragen.
Die Fürsten versammeln sich zu einem Kriegsrat, dem auch Gyburg beiwohnt. Willehalm eröffnet den Rat, indem er die Leiden schildert, die die heidnischen Krieger über Frankreich gebracht haben. Er verheißt den Kämpfern doppelten Lohn, den Himmel und die Gunst edler Frauen. Seine Brüder und sein Vater sind entschlossen, den Kampf in Alischanz aufzunehmen, doch die Fürsten des französischen Reichsheeres verweigern Willehalm die Gefolgschaft. Mit der Entsetzung von Oransche ist für sie die Mission erfüllt. Willehalm dringt in sie, sich nicht an Christus zu versündigen und den Heiden das Land zu lassen, worauf auch die Reichsfürsten ihre Teilnahme zusagen. Gyburgs Bitte um Schonung der besiegten Heiden, die wie die Christen Geschöpfe Gottes seien, beschließt den Kriegsrat.
Die Fürsten nehmen eine letzte Mahlzeit ein, zu der Rennewart in Synaguns Rüstung erscheint. Dann bricht das Heer auf.
[Bearbeiten] Das 7. Buch
Die Kämpfer haben bereits eine Tagsreise in Richtung Alischanz hinter sich, als Rennewart bemerkt, dass er seine Stange in Oransche vergessen hat. Willehalm lässt sie durch einen Boten ins nächste Nachtquartier nachbringen. Wieder vergisst Rennewart seine Stange – diesmal läuft er selbst zurück, beschämt über seine Vergesslichkeit und beim Gedanken, man könnte seine Eile als Flucht missverstehen. Er findet seine Stange, die nun im Feuer gehärtet ist, und kehrt schnell zurück.
Das Heer ist beim heidnischen Lager, von einer Anhöhe aus überblicken Willehalm und seine Gefolgsleute Terramers ungeheuer großes Heer. Willehalm spricht den Fürsten Mut zu: nicht einer dürfe fliehen. Doch er erreicht das Gegenteil, die französischen Fürsten ziehen mit ihren Truppen ab, Ruhm und Ehre wollen sie lieber im Turnier erwerben. Willehalm lässt sie seinen Groll spüren, den verbliebenen Ritter versichert er, dass Gott sie noch an diesem Tage belohnen werden.
Die abziehenden Fürsten schaffen es nur bis zur Schlucht von Petit Punt, dort begegnet ihnen Rennewart, der einen Wortwechsel gar nicht erst abwartet, sondern gleich mit seiner Stange auf die Abtrünnigen einschlägt. 45 von ihnen tötet er, bis sie einsichtig werden und begreifen, dass es die Hand Gottes ist, die sie trifft. Einer der Kämpfer, der als weise erscheinen will – während er doch in Wahrheit der dümmste von allen ist und lediglich gut reden kann – versucht Rennewart zur Umkehr zu überreden; der könne doch den ganzen Tag in der Schenke liegen, statt in den Kampf zu ziehen. Das entfacht Rennewarts Zorn nur noch mehr, er erschlägt weitere flüchtige Ritter und hält erst ein, als sie ihm einen Eid leisten, ihm unter seinem Befehl nach Alischanz zurückzukehren.
Dort hat Willehalm unterdessen die Reichsfahne eingeholt und sein eigenes Banner gehisst. Gemeinsam mit dem Bruder Arnalt führt er die erste der fünf Heeresgruppen; diese bekommt ihren Sold von seiner Mutter und seiner Schwester. Die zweite leitet der alte Heimrich, die dritte die Brüder Buov und Bernart, die vierte Gybert und Bertram, die letzte schließlich der jüngere Heimrich und dessen Freund König Schilbert. Rennewart trifft mit den übrigen Rittern ein und wird zur sechsten Abteilung, die Reichsfahne wird mit der Rückkehr der französischen Fürsten wieder enthüllt.
Terramer erblickt das königliche Banner und meint, Loys selbst griffe ihn an. Er definiert sein Kriegsziel neu: Rache für den Tod der vielen heidnischen Könige in der ersten Schlacht von Alischanz. Dies tilge die Schande, die seinem Glauben angetan worden war – die jüngeren Krieger sollten den Kampf als Minnedienst, die älteren als Dschihad verstehen. Nun enthüllt Terramer auch seine eigentlichen Kriegsmotive: die Niederlage seines Onkels Baligan gegen Karl den Großen solle gerächt werden. Außerdem sei er ein Nachfahre des Pompeius, dem deshalb auch die Herrschaft über das Reich gebühre. Er wolle Oransche und Paris zerstören, um dann den Thron in Aachen zu besetzen und das Christentum zu vernichten. Terramer teilt sein Heer in zehn Verbände und nennt jeden der Führer mit einer rühmenden Rede. Er lässt die Kämpfer Standbilder der heidnischen Gottheiten mit in die Schlacht führen; diese sind so schwer, dass man sie an Pfählen befestigen und auf Rinderkarren transportieren muss. Terramers ältester Sohn Kanliun soll die Wagen schützen – der lässt sie aber während des Kampfes im Stich. Schließlich lässt sich Terramer von den Königen in einer feierlichen Zeremonie wappnen. Hier erwähnt er die Sarkophage, die wohl „der Zauberer Jesus“ über das Schlachtfeld verteilt haben müsse.
[Bearbeiten] Das 8. Buch
Der Angriff Halzebiers eröffnet die Schlacht, er trifft auf die fünfte Abteilung. Jede der zehn Gruppen des heidnischen Heeres fällt nach und nach ein. Schließlich befinden sich alle, Heiden und Christen, im Kampf. Die Übermacht von Terramers Truppen zersprengt die ganze Schlachtordnung Willehalms, schließlich überrennen die Heiden mit dem letzten Angriff das ganze Feld. Das Reichsheer sieht sich ausweglos und schon der Niederlage gegenüber.
[Bearbeiten] Das 9. Buch
Die Schlachtordnung löst sich auf. Der alte Heimrich wehrt einen Angriff von König Cernubile ab, den er mit einem einzigen Schwerthieb erschlägt. Fürsten des Reichsheeres fallen, doch Rennewart greift ein und tötet allein fünf Heerführer aus Terramers Gefolge. Halzebier weicht zurück, um Kraft zu schöpfen. Rennewart geht ihm nach, erreicht das Schiff mit den Kriegsgefangenen und überwältigt allein die heidnischen Krieger, die in den Rüstungen der Gegner und auf deren Pferden in die Schlacht ziehen. Gemeinsam erschlagen sie Halzebier.
Der alte König Oukin beklagt den Tod seines Sohnes Poydwiz; er greift Willehalm an und wird von ihm niedergestreckt. Rennewart ruht sich vom Kampf aus. Unterdessen greifen Purrel und seine 14 Söhne das Reichsheer an. Rennewart eilt mit seiner Stange in die Schlacht und schlägt ihn nieder; dabei zerbricht seine Stange. Purrel überlebt mit schweren Verletzungen, Gefolgsleute tragen ihn zu den Schiffen. Zunächst kämpft Rennewart mit den Fäusten weiter, doch dann besinnt er sich auf Gyburgs Ratschlag und zieht sein Schwert. Er schlägt Tybalt und seine Truppe in die Flucht.
Ektor von Salenie, der Fahnenträger der heidnischen Armee, wird von Bernart getötet; dies leitet die Niederlage ein. Das ganze Heidenheer ergreift die Flucht, die Krieger retten sich zu den Schiffen oder fliehen in die umliegenden Berge. Viele werden von den Verfolgern eingeholt und erschlagen, die übrigen legen hastig vom Ufer ab. Im letzten Zweikampf treffen endlich die Führer Terramer und Willehalm aufeinander. Der heidnische Großkönig wird schwer verwundet, seine Gefährten retten ihn auf das Schiff. Noch immer kämpft Rennewart, zuletzt erschlägt er seinen Halbbruder Kanliun und greift König Poydjus an, dann verliert sich seine Spur im Kampfgetümmel.
Das christliche Reichsheer hat den Sieg errungen, doch es beklagt schwere Verluste. Die Krieger suchen das Schlachtfeld nach ihren Verwandten ab und bemächtigen sich der kostbaren Rüstungen der Gegner. Am Abend fallen sie über das feindliche Lager her und halten eine große Siegesfeier.
Am folgenden Tag werden die Toten der Schlacht zusammengetragen. Die einfachen Männer werden begraben, die Edelleute einbalsamiert. In einer Klagerede betrauert Willehalm den Verlust Rennewarts, den er als „seine rechte Hand“ preist; Bernart wirft ihm vor, seine Pflichten als Heerführer zu missachten und schlägt vor, den sicher nur entführten Rennewart gegen 25 gefangene Heidenkönige auszutauschen. Willehalm willigt ein und lässt sie frei. Den König Matribleiz beauftragt er damit, die Leichname der Gefallenen beider Schlachten in ihre Heimat zu überführen, damit sie nach muslimischem Ritus bestattet werden können. – Hier bricht die Erzählung ab.
[Bearbeiten] Literaturgeschichtliche Einordnung
Wolfram verbindet im Willehalm je zwei Quellen und zwei Themenkreise mit zwei Intentionen zu einem homogenen Ganzen; darin liegt die eigentliche literarische Leistung.
[Bearbeiten] Quellentexte
Die eine Quelle ist der Sagenstoff um Guillaume d’Orange, d. h. den Grafen Wilhelm von Toulouse, eines Enkels Karl Martells. Unter Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen gegen die hatte Guillaume gegen Basken und Sarazenen gekämpft, die Spanische Mark gesichert, sich dann aber aus dem weltlichen Leben zurückgezogen und ist 812 im Kloser Gellone, heute Saint-Guilhem-du-Désert, gestorben. Im Jahr 1066 wurde er heiliggesprochen. Seine Verehrung hielt bis ins 12. Jahrhundert an. Die Chançun de Willame, die sich um diesen Stoff rankte und zu einem Zyklus von Heldenepen wuchs, wurde Wolframs Ausangspunkt. Hier fand er auch die historisch verbürgte Figur Gyburg.
Die andere Quelle ist die Chanson d’Aliscans, ein altfranzösisches Heldenepos um eine Schlacht zwischen Christen und Muslimen in der Provence, das zu mehreren historischen Erzähltexten um den Grafen gehört. Die Erinnerung an die Sarazenenschlacht fand man noch weiterhin auf dem römisch-christlichen Friedhof in Arles; der Name Alischanz (von afrz. Aliscans zu lat. elysium campii „elyseische Felder“, vgl. Champs-Élysées) zeugt davon. Der Inhalt beider Quellen ist bei Wolfram weitestgehend erhalten, ähnlich wie im Parzival überformte der Dichter den Stoff durch Kommentare und interpretierte ihn neu.
[Bearbeiten] Entstehungshintergrund und Quelleninterpretation
Die Neuinterpretation der Chanson-Stoffe geschieht bei Wolfram unter drei Gesichtspunkten; er berührt die Lehre vom gerechten Krieg, die Kreuzzugspropaganda der Kirche und die mittelhochdeutsche Rolandslied-Übertragung des Pfaffen Konrad (ca. 1170).
Zur Rechtfertigung der Kreuzzüge hatte die Kirche den christlichen Pazifismus verlassen und die von Thomas von Aquin auf augustinischer Vorlage formulierte Theorie vom bellum iustum etabliert. Göttliche Liebe und Barmherzigkeit, die Wiederherstellung der Ordnung und die Autorität des Papstes legitimierten damit Kriegshandlungen. Die Kreuzzüge erfüllten diese Kriterien; die Sünde, einen Krieg führen zu müssen – und damit gegen ein christliches Grundgebot zu verstoßen – wurde mit der heidnischen Bedrohung begründet. Zugleich gewannen die Kreuzzüge für die Ritterkaste mit ihrem hohen Aggressionsdrang und ihrer Habgier als religiöse Bußübung und zugleich als Gewaltrechtfertigung an Attraktivität.
Beide Vorstellungen waren im Rolandslied zu finden, das den Kampf Karls des Großen gegen die spanischen Mauren beschreibt. Die Darstellung weicht jedoch erheblich von den geschichtlichen Fakten ab, Karls Hauptheer erreicht hier einen großen Sieg über die Heiden, die christlichen Krieger sterben als Märtyrer, die Mauren werden exemplarisch in Rolands Stiefvater Genelun zu Verrätern erklärt. Die religiöse Motivierung der Gewalt und das „christliche“ Bild der Krieger treten viel stärker als in der französischen Quelle hervor, zur heilsgeschichtlichen Interpretation baut das Lied eine Antithetik von Christen und Heiden auf. Während der Bruch der Christen mit den Gewaltlosigkeitsgebot übergangen bzw. als bellum iustum erklärt wird, lässt der Autor die Muslime wider besseres Wissen bald als gottlos, bald als polytheistisch auftreten, auf jeden Fall als das Böse.
Der Krieg gegen Andersgläubige wurde im Mittelalter nie eindeutig behandelt. Willehalm bezieht erstmals Stellung und hebt sich von der allgemeinen Darstellung klar ab. Wolfram greift zwar die Stoffe auf, schildert das Kriegsgeschehen ebenso realistisch wie seine Vorgänger – wie alle seine Zeitgenossen – und billigt den christlichen Kriegern gerechte Motive zu, steht aber dem Thema des Religionskonflikts kritisch gegenüber.
Zum einen sieht er die Muslime wie die christlichen Ritter gleichwertig, wie er auch Saladin im Parzival als Vorbild an Weisheit hervorhebt. Er billigt ihnen die höfischen Tugendideale hôhiu werdekeit (gesellschaftliche Würde), riterlîhen prîs (Ruhm als Ritter), milte (Freigiebigkeit), clârheit (Rechtschaffenheit), tugent (moralisches Verhalten), êre (Ehrenhaftigkeit), manlîchiu güete (sämtliche Anzeichen eines Ehrenmannes), zuht (gute höfische Erziehung) und triuwe (Aufrichtigkeit) zu. Damit stellt er sie faktisch den idealen christlichen Rittern gleich. Er sieht sie als gläubige Menschen und achtet ihre Religion.
Zum anderen beschränkt sich Wolframs Darstellung des menschlichen Leidens nicht nur auf die Kreuzritter, sie bezieht ebenso die persönliche Sicht Gyburgs ein. Auch Rennewarts Verschwinden nach der Schlacht wird beklagt.
Schließlich rückt Wolfram das christliche wie auch muslimische Gebot der Feindesliebe gegen die bellum-iustum-Idee wieder in den Mittelpunkt, um ihm insbesondere in Gyburg Gestalt zu geben. Sie ruft in einer Rede dazu auf, die Krieger ungeachtet ihres Glaubens zu schonen. In einer Toleranzrede führt sie Adam, Elija, Henoch und die Heiligen Drei Könige an, die von Geburt an Heiden waren, durch die aber Gottes Barmherzigkeit sichtbar wurde. Damit wendet sich Wolfram durch die Figur Gyburg explizit gegen die Propaganda, die den Kreuzrittern erlaubte, die muslimischen Gegner im guten Glauben „wie Vieh“ (so Wolfram) zu töten. Mit dem Begriff handgetât verurteilt er ausdrücklich den Mord an Andersgläubigen als Frevel an Gottes einer Schöpfung (dem vater sîniu kint); insbesondere diese Formulierung ist umstritten, da sie außerhalb des christlichen Verständnisses prinzipiell alle Menschen als erlösbar sieht. Wolfram erteilt der Kreuzzugsideologie damit eine klare Absage. Zugleich zieht Wolfram Parallelen zwischen Glaube und Minne, in Gyburg sind beide untrennbar verbunden wie die theologischen Begriffe Schuld und Gnade.
Der Willehalm entwirft eine neutestamentarische Perspektive der christlichen Nächstenliebe gegen den alttestamentarischen Vergeltungsgedanken. Der Protagonist selbst ist ein Vertreter des gewaltsamen Kriegeradels. Er tötet nicht nur Gyburgs Onkel Arofel, sondern auch einen Wehrlosen, der um Schonung fleht – nach mittelalterlichem Rechtsverständnis zwei todeswürdige Verbrechen. Er erscheint als realistisches Gegenbild zu den idealisierten Ritterfiguren der Artusepik. Eine Lösung ist nicht zu sehen, da die Erzählung abbricht; das Problem der Glaubenskonfronatation ist damit nicht gelöst, in der Gegenüberstellung zweier Entwürfe scheint lediglich eine Utopie auf.
Das Schicksal des Nebenhelden Rennewarts bleibt offen. Er lässt sich nicht taufen, kämpft aber als Heide auf christlicher Seite. Ein an die Quellen angelehnter Schluss legt nahe, dass er als Gyburgs Bruder analog zur Parzival-Handlung zum christlichen Glauben kommt und die Prinzessin Alize heiratet. Die Geschichte wird in Ulrichs von Türheim Rennewart fortgesetzt.
[Bearbeiten] Textausgaben
- Joachim Heinzle (Hrsg.): Willehalm. Nach der Handschrift 857 der Stiftsbibliothek St. Gallen. Tübingen 1994/Frankfurt am Main 1991
- Werner Schröder: Willehalm. Text und Übersetzung. Berlin/New York, 3. Aufl., 2003
[Bearbeiten] Literatur
[Bearbeiten] Allgemeine Darstellungen
- Samuel Singer: Wolframs Willehalm. Bern 1918
- John Greenfield, Lydia Miklautsch: Der „Willehalm“ Wolframs von Eschenbach. Eine Einführung. Berlin 1998 ISBN 3-11-014479-4
- Gillian Mary Humphreys: Wolfram von Eschenbach’s Willehalm. Göppingen 1999 ISBN 3-87452-903-7
- Martin H. Jones: Wolfram’s „Willehalm“. Fifteen essays. Columbia 2002 ISBN 1-57113-211-2
- Barbara Sabel: Toleranzdenken in mittelhochdeutscher Literatur. Wiesbaden 2003 ISBN 3-89500-272-0
[Bearbeiten] Einzelaspekte
- Joachim Bumke: Wolframs „Willehalm“. Studien zur Epenstruktur und zum Heiligkeitsbegriff der ausgehenden Bluetezeit. Heidelberg 1959
- Wolfgang Kuehnemann: Soldatenausdrücke und Soldatensarkasmen in den mittelhochdeutschen Epen bei besonderer Berücksichtigung von Wolframs „Willehalm“. (Dissertation) Tübingen 1970
- Carl Lofmark: Rennewart in Wolfram’s „Willehalm“. A study of Wolfram von Eschenbach and his sources. Cambridge 1972
- Jürgen Vorderstemann: Die Fremdwörter im „Willehalm“ Wolframs von Eschenbach. Göppingen 1974 ISBN 3874522415
- Marie-Noël Marly: Traduction et paraphrase dans Willehalm de Wolfram d’Eschenbach. Göppingen 1982
- Klaudia Grill: Das Frauenbild und das Heidenbild in Wolframs und in Ulrichs „Willehalm“. (Disseration) Wien 1988
- Christopher Young: Narrativische Perspektiven in Wolframs „Willehalm“. Figuren, Erzähler, Sinngebungsprozess. Tübingen 2000 ISBN 3-484-32104-0
- Karin Genser: Der Orient und die Heiden in Wolframs von Eschenbach „Parzival“ und „Willehalm“. Salzburg 2001