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Zahlenverständnis bei Tieren - Wikipedia

Zahlenverständnis bei Tieren

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Ein Zahlenverständnis bei Tieren ist in zahlreichen verhaltensbiologischen Experimenten nachgewiesen worden. Insbesondere einige in Japan und in den USA mit Schimpansen - den nächsten Verwandten des Menschen - durchgeführte Studien lassen den Schluss zu, dass einfache mathematische Fähigkeiten nicht auf den Menschen beschränkt sind. Der Nachweis, dass Tiere bestimmter Arten fähig sind, Zahlen und Mengen zu erkennen und zu benennen, könnte, wenn eines Tages hinreichend viele Studien vorliegen sollten, einen Hinweis darauf geben, wie sich die Fähigkeit zum Rechnen im Verlauf der Stammesgeschichte der Arten entwickelt hat.

Exaktes Rechnen und die Anwendung komplexer mathematischer Formeln sind zwar kulturelle Leistungen und kommen vermutlich nicht ohne die Fähigkeit zum Benutzen einer Sprache aus. Ein Gespür für „mehr“ oder „weniger“ sowie die Fähigkeit, die Größe einer Menge zu schätzen, sind hingegen nicht an Sprache gekoppelt. Das Erkennen und Unterscheiden von Mengen unterschiedlicher Größe dürfte sogar eine der elementarsten Voraussetzungen dafür sein, dass Tiere zum Beispiel bei der Futtersuche angemessen auf ihre Umwelt reagieren können.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Erste Studien

Untersuchungen zum Lernvermögen von Tieren wurden bereits zu Beginn der Etablierung des akademischen Faches „Tierpsychologie“ durchgeführt und bildeten im Grunde die Brücke zur „Menschenpsychologie“. Allerdings musste sich diese neue Forschungsrichtung in den 1920er- und 1930er-Jahren den Rang einer ernstzunehmenden Wissenschaft erst mühsam erkämpfen, da ihre Tierexperimente und -dressuren gewissermaßen in Konkurrenz standen zu pseudowissenschaftlichen Jahrmarktsdarbietungen. Zu besonderer Bekanntheit brachte es der Kluge Hans, ein Pferd, von dem es hieß, es könne zählen. Bernhard Hassenstein schrieb 1974[1] beispielsweise in seinem Nachruf auf Otto Koehler:

„Besonderes Aufsehen erregten die so genannten klugen Tiere: die Elberfelder Pferde, sowie Rolf [2], Lumpi, Fips, Kurwenal, Isolde und - bis 1938 - weitere rund 80 Hunde, die scheinbar jedes Menschenwort verstanden, rechneten, Wurzeln zogen und buchstabierten. Auf die Frage eines Theologiepropfessors: Welches ist deine Weltanschauung? antwortete der Dackel Kurwenal: Meine ist die Eure! - Dass diese Wundertiere nur so lange klopften oder bellten, bis ihnen ihre Besitzer, meistens unbewusst, ein Zeichen gaben aufzuhören, ihnen also ihre eigenen Antworten diktierten, war mehrfach erwiesen. Um so entschiedener setzen sich die Gekränkten für ihre Lieblinge ein, und selbst ein Professor der Zoologie diskutierte mit Überzeugung "Die zahlensprechenden Hunde als Domestikationserscheinung...“

Trotz dieser „Konkurrenz“ hat Otto Koehler ab 1928 in zahlreichen Veröffentlichungen das Zählvermögen speziell von Vögeln dokumentiert, das er wiederholt mit naturwissenschaftlichen, exakten Methoden untersucht hatte. So lernten Tauben und Wellensittiche beispielsweise, je nach verschiedenfarbigen Anweisern, entweder 2 oder 4 Köder aufzunehmen. Einem gezähmten Raben brachte Koehler bei, unter mehreren Gefäßen dasjenige auszuwählen, auf dessen Deckel sich fünf Punkte befanden. Von Versuch zu Versuch wurden Form, Größe und Lage der Punkte verändert, so dass man diese Leistung nur auf das Erfassen der Menge 5 zurückführen konnte.[3]

Ferner lernten Eichhörnchen, unter mehreren Deckeln mit gleicher Punktzahl den einzig anderen zu wählen. Der Graupapagei Jako reagierte auf akustische und visuelle Reize, indem er beispielsweise nach 3 Lichtblitzen 3 Köder aus den dargebotenen Schälchen entnahm, ferner unterschied er Ein- von Zweiklängen.

Otto Koehler zufolge reichte das Erfassen von Anzahlen stets bis zu bestimmten oberen Grenzen: bei Tauben 5, bei Wellensittichen und Dohlen 6, bei Amazonenpapageien, Elstern und Kolkraben 7, beim Graupapagei 8. Bernhard Hassenstein leitete aus diesen - später von anderen Forschern im Wesentlichen bestätigten - Daten 1974 ab, dass das Vermögen, Anzahlen zu erfassen, bei Menschen und Tieren „einer gemeinsamen Wurzel entstammt", da unter gleichartigen Versuchsbedingungen „Menschen etwa dasselbe leisten wie diese Tiere."[4]

[Bearbeiten] Ratten

Die Experimente Otto Koehlers mit Vögeln wurden in den 1930er- und 1940er-Jahren von anderen Forschergruppen nicht reproduziert, was zum Teil eine Folge des Zweiten Weltkriegs war, da kaum irgendwo eine Neigung bestand, die Glaubwürdigkeit deutscher Forscher zu überprüfen. Vor allem in den USA war die Verhaltensforschung zudem durch behavioristische Forschungsansätze geprägt, die zunächst kein Interesse an Fragestellungen zu angeborenen, gleichsam kognitiven Leistungen von Tieren aufkommen ließen. Ironischerweise war es dann aber gerade einer die Pioniere des aus dem Behaviorismus abgeleiteten, so genannten programmierten Lernens, der US-amerikanische Psychologe Francis Mechner von der Columbia-Universität, der Anfang der 1960er-Jahre ein überzeugendes Nachweisverfahren zum Zahlenverständnis entwickelte, und zwar bei Ratten.[5]

Mechner schloss jeden möglichen Einfluss des Versuchsleiters auf das Verhalten der Testtiere dadurch aus, dass er eine so genannte Skinner-Box benutzte. Hungrige Ratten fanden in dieser geschlossenen Versuchsapparatur zwei Hebel vor, die sie mit Schnauze oder Pfoten drücken konnten. Wurde Hebel 2 gedrückt, gab ein Automat ein wenig Futter frei – allerdings nur dann, wenn zuvor auch Hebel 1 gedrückt worden war. In unterschiedlichen Versuchsansätzen wurde die Zahl der nötigen Hebeldrücke auf Hebel 1 variiert: Einige Tiere erhielten ihre Futterbelohnung erst, wenn sie zum Beispiel viermal Hebel 1 und danach Hebel 2 drückten, andere Tiere mussten achtmal Hebel 1 und dann erst Hebel 2 drücken, um etwas Futter zu erhalten.

Nach einigem Training drückten die Testtiere tatsächlich im Mittel vier- bzw. achtmal Hebel 1 und dann erst Hebel 2; auch 12- und 16-faches Hebeldrücken konnten ihnen beigebracht werden, wobei aber nicht jedes Testtier immer genau die vom Versuchsleiter vorgegebene Anzahl drückte. Rund 75 Prozent der „4er-Gruppe“ drückten drei bis sechs Mal den Hebel, in der „8er-Gruppe“ drückten ca. 75 Prozent der Testtiere sieben bis elf Mal den Hebel. Hieraus kann man ableiten, dass Ratten nur relativ grob eine bestimmte, erforderliche Anzahl von Aktionen erlernen können. Um auszuschließen, dass die Testtiere statt der Anzahl der Hebeldrücke eine bestimmte Zeitdauer kontinuierlichen Hebeldrückens lernten, wurden unterschiedlich hungrige Ratten getestet: Je hungriger die Tiere waren, desto hektischer drückten sie zwar die Hebel, ohne dass sich dies aber auf die Anzahl der Hebeldrücke auswirkte.

Andere Ratten wurden in einem Tunnelsystem darauf dressiert, jeweils die vierte Abzweigung nach links zu wählen, und zwar unabhängig von den Abständen zwischen den Abzweigungen.[6]

Zwei Forscher der Brown University, Russell Church und Warren Meck, veröffentlichten 1984 eine Studie, die nahelegt, dass Ratten nicht nur lernen können, eine bestimmte Anzahl von Hebeldrücken in einer bestimmten Situation auszuführen. Vielmehr können sie das Gelernte auch auf eine neue Situation übertragen; vermenschlichend ausgedrückt könnte man sagen: Die Tiere verallgemeinern das gelernte Verhalten. Die Forscher brachten den Tieren zunächst bei, nach zwei Tönen den linken Hebel zu drücken und nach vier Tönen den rechten. Danach lernten die Tiere zusätzlich, nach zwei Lichtblitzen den linken Hebel zu drücken und nach vier Lichtblitzen den rechten. Schließlich wurden den Ratten während einiger Tests sowohl Töne als auch Lichtblitze präsentiert, und die Ratten drückten den linken Hebel auch dann, wenn ihnen ein Lichtblitz plus ein Ton bzw. den rechten, wenn zwei Lichtblitze plus zwei Töne dargeboten wurden.[7]

[Bearbeiten] Amphibien

Bereits Salamander der Art Plethodon cinereus, also bei Amphibien, können unterschiedlich große Mengen von einander unterscheiden. Dies geht aus einer Studie hervor, die eine Forschergruppe um Claudia Uller[8] von der University of Louisiana (Lafayette) im Jahr 2003 in der Zeitschrift Animal Cognition publizierte.[9] Den Testtieren wurden jeweils gleichzeitig in zwei Glasröhren eine unterschiedlich große Anzahl von Fruchtfliegen als Futter dargeboten, zum Beispiel 1 Fliege im einen Röhrchen und 2 Fliegen im anderen Röhrchen. Die Testtiere waren spontan, also ohne vorheriges Training in der Lage, diese unterschiedlich großen Futtermenge zu erkennen und gezielt das Röhrchen mit der größeren Anzahl anzusteuern. Sie waren in der Lage, das Verhältnis 1:2 und 2:3 zu unterscheiden, nicht aber das Verhältnis 3:4 und 4:6.

Die Forscher deuten die Ergebnisse ihrer Arbeit als Ausdruck einer im Tierreich weit verbreiteten Neigung, jeweils die größere Futtermenge aufzusuchen. Diese Neigung sei angeboren, da sie ohne Übung auftrete und setze mindestens das Abschätzen von Mengen-Unterschieden voraus. Bei kleinen Mengen beruhe diese Unterscheidungsfähigkeit aber nicht auf bloßem Abschätzen, sondern auf genauem Erkennen der Unterschiede. Da das Verhältnis 2:3 unterschieden werde, nicht aber das Verhältnis 4:6 gehen die Forscher davon aus, dass tatsächlich die genaue Anzahl der Objekte erkannt wird und nicht allein das mengenmäßige Verhältnis der Futtertiere in den beiden Glasröhrchen. Bei Salamandern scheint die zuverlässig unterscheidbare Anzahl von Objekten also bei maximal 3 zu liegen.

[Bearbeiten] Tauben

Aus vielen Tierexperimenten – auch an Tauben – ist bekannt, dass kleine Mengen präziser erkannt werden als große Mengen. Der kanadische Forscher William Roberts versuchte, für eine analoge Form der Reizverarbeitung – die Zeitwahrnehmung – eine Erklärung zu finden.[10] Er dressierte Tauben darauf, gegen einen roten Hebel zu picken, wenn eine Lichtquelle „kurz“ (z. B. 1 Sekunde) leuchtete. Wenn die Lichtquelle aber „lang“ (z. B. 16 Sekunden) leuchtete, mussten sie gegen einen grünen Hebel picken. Man hätte nun erwarten können, dass bei mittlerer Leuchtdauer von 8 oder 9 Sekunden von „kurz“ auf „lang“ (d.h. vom roten auf den grünen Hebel) gewechselt wird bzw. dass die Testtiere verwirrt sind und nur rein zufällig mal gegen rot und gegen grün picken. Tatsächlich geschah der Wechsel (die Verwirrung) aber bei 4 Sekunden. Ferner wurde beobachtet, dass die Tiere eine Lichtdauer von 1 zu 4 Sekunden besser unterscheiden konnten als eine Lichtdauer von 13 zu 16 Sekunden, während sie 9 gegen 10 Sekunden besser unterscheiden konnten als 7 zu 8 Sekunden. Der Forscher deutete diese Befunde dahingehend, dass Tauben eine Zeitspanne nicht gleichförmig (linear) wahrnehmen, sondern gewissermaßen logarithmisch. Würden die Tauben Zeitintervalle linear wahrnehmen, müssten sie 1- oder 4-Sekunden-Intervalle jeweils gleich genau unterscheiden können. Bei einer logarithmus-ähnlichen Reizverarbeitung hingegen würden ein 13:16-Intervall „kleiner“ wahrgenommen als ein 1:4-Intervall, was die beobachtete Ungenauigkeit beim Unterscheiden des 13:16-Intervalls im Vergleich zum 1:4-Intervall erklären würde.

[Bearbeiten] Graupapageien

Die Fähigkeiten von Graupapageien, unterschiedlich große Mengen von einander zu unterscheiden, untersucht seit mehr als 25 Jahren die US-Amerikanische Wissenschaftlerin Irene Pepperberg. Ihr Papagei Alex lernte - ihren Publikationen in angesehenen Fachzeitschriften zufolge - u.a., bis zu 6 ihm dargebotene Objekten korrekt durch eine spezielle Lautäußerung zu bezeichnen. Ihren Angaben zufolge soll Alex auch einfache Additionen vornehmen und nicht vorhandene Gegenstände als „nicht vorhanden“ bezeichnen können, was sie als „zero-like concept“ bezeichnet (auf deutsch etwa: eine Benennung, die dem Begriff Null ähnelt). Die Forscherin räumt allerdings selbst ein, dass „nicht vorhanden“ und „Null“ keinesfalls mit einander gleichzusetzen sind.[11]

[Bearbeiten] Waschbären

Stanislas Dehaene berichtet in seinem Buch Der Zahlensinn von einem Experiment, in dem Waschbären lernten, Rosinen aus einem durchsichtigen Kasten zu entnehmen – und zwar immer aus jenem Kasten, der drei Rosinen enthielt und nicht aus einem der benachbarten Kästen, in denen zwei oder vier Rosinen lagen.

[Bearbeiten] Rhesusaffen

Der Psychologe Prof. Marc Hauser von der Harvard Universität erforschte auf der zu Puerto Rico gehörenden Insel Cayo Santiago das Zählvermögen von frei lebenden Rhesusaffen. Für die Testtiere gut sichtbar, wurde jeweils eine bestimmte Anzahl Auberginen hinter einen Sichtschutz gelegt. Dann wurde der Sichtschutz entfernt, so dass die Tiere freien Blick auf die hingelegten Früchte hatten. Der Test bestand darin, dass nach Wegnahme der Abschirmung gelegentlich mehr Früchte zu sehen waren, als die Versuchsleiter hingelegt hatten und gelegentlich weniger.

Ähnliche Experimente mit kleinen Menschenkindern hatten ergeben, dass die Kinder deutlich länger auf die sichtbar gewordenen Gegenstände schauen, wenn deren Anzahl nicht der zuvor hingelegten Anzahl entsprach, wenn also die Erwartungen enttäuscht wurden. Ganz ähnlich reagierten die Rhesusaffen: Aus ihrer Reaktion ließ sich ableiten, dass sie 1+1 = 2 verstehen, desgleichen 2 + 1 = 3, 2 - 1 = 1 und 3 - 1 = 2, nicht aber 2 + 2 = 4.

Die Arbeitsgruppe Primaten-Neurokognition von Dr. Andreas Nieder (Hertie-Institut für klinische Hirnforschung an der Universität Tübingen) untersuchte ebenfalls nicht-sprachliche Vorformen von numerischer Kompetenz bei Rhesusaffen.[12] So trainierte sein Team in einem Test zwei Rhesusaffen darauf, bestimmte Mengen von Punkten zu unterscheiden, die ihnen auf einem Computerbildschirm gezeigt wurden. Zum Beispiel zeigte man den Tieren einen Kreis mit vier Punkten und nach einer Pause einen anderer Kreis, in dem sich entweder ebenfalls vier oder aber drei oder fünf Punkte befanden. Wenn die als zweites gezeigte Menge mit der ersten identisch war, ließ der Affe einen Hebel los und bekam eine Belohnung. War die Punktzahl unterschiedlich, hielt das Testtier den Hebel weiterhin und so lange gedrückt, bis ihm die identische Punktzahl präsentiert wurde.

Zugleich registrierten die Forscher mit Hilfe implantierter Mikroelektroden die Aktivität einzelner Nervenzellen in bestimmten Gehirnbereichen der Testtiere, in denen numerische Informationen verarbeitet werden: im intraparietalen Sulcus - einem Bereich im Scheitellappen der Großhirnrinde - sowie um den Präfrontalen Cortex, einem Bereich des Stirnlappens. Nieders Team fand heraus, dass numerische Informationen zunächst im intraparietalen Sulcus verarbeitet werden und von diesem „vermutlich zum Präfrontalkortex weitergeleitet“ werden, wo sie verstärkt und im Kurzzeitgedächtnis behalten werden und so für die Kontrolle des Verhaltens bereitstehen. Ferner konnte auf diese Weise nachgewiesen werden, dass einzelne Nervenzellen auf die Verarbeitung bestimmter Mengen „geeicht“ sind: Sie feuern dann besonders intensiv, wenn dem Tier „ihre“ Zahl präsentiert wird Bestimmte Neurone haben demnach eine bestimmte „Lieblingszahl“.[13]

[Bearbeiten] Schimpansen

David Premack veröffentlichte 1981 zusammen mit Guy Woodruff in der Zeitschrift nature eine Studie, die nahe legt, dass Schimpansen mit Bruchteilen von Mengen operieren können. Den Testtieren wurde beispielsweise ein halbvolles Glas gezeigt, und sie mussten dann auf ein anderes halbvolles Glas deuten und nicht auf ein zu Dreivierteln gefülltes. Nachdem die Tiere dies gelernt hatten, wurde ihnen ein halbvolles Glas gezeigt, danach aber ein halber Apfel und ein Dreiviertel-Apfel. Obwohl Äpfel und Gläser völlig anders aussehende Gegenstände sind, wiesen die Testtiere auf den halben Apfel; vermenschlichend ausgedrückt könnte man sagen: Die Schimpansen wussten, dass sich ein halber Kuchen zu einem ganzen Kuchen verhält wie das zur Hälfte gefüllte Glas zu einem ganzen Glas. Mit ähnlichem Erfolg konnten sie 1/4 und 3/4 unterscheiden. Wurde den Tieren in einem weiteren Experiment ein halbvolles Glas und zugleich ein Viertel-Apfel gezeigt, wurde anschließend sogar häufiger auf einen Dreiviertel-Kreis gedeutet als auf einen ganzen Kreis.[14]

Im Jahre 1988 wurde die Schimpansin Sheba von Prof. Sally Boysen im Ohio State University Chimpanzee Center im Umgang mit Mengen und Zahlen trainiert. Sie war das erste Tier, bei dem man das Verständnis der Bedeutung von Null nachweisen konnte. Sie beherrscht die Zahlen bis 8 und hat in diesem Zahlenraum spontan Additionen ausgeführt. Nach Sheba wurden an der Ohio State University auch andere Schimpansen in vergleichbarer Weise mit dem Zählen und dem Benennen von Mengen vertraut gemacht. Dies geschah dadurch, dass den Tieren zum Beispiel beigebracht wurde, zunächst eine gewisse Anzahl Orangen einzusammeln und danach auf jene Zahl zu deuten, die der Menge an Orangen entsprach - also zum Beispiel nach dem Aufsammeln von vier Orangen auf die Zahl „4“ zu deuten. Sheba ist zudem das einzige bisher bekannte Tier, das Zahlen auch rein symbolisch addieren konnte: Wurde ihr die Ziffer 2 auf einem Bild gezeigt und die Ziffer 4 auf einem anderen, war sie vom ersten Versuch an in der Lage, anschließend auf die Ziffer 6 zu deuten.[15] Anfang 2006 wurde das 1983 von Sally Boysen gegründete Ohio State University Chimpanzee Center aus Geldmangel aufgelöst und die Tiere in einem Primatenzentrum in Texas untergebracht.[16]

Am Primate Research Institute der Universität von Kyoto wurden gleichfalls Tests mit mehreren Schimpansen durchgeführt, die vergleichbare Ergebnissen erbrachten: Die Schimpansin Ayumu und fünf weitere Tiere können die auf einem Bildschirm beliebig angeordneten Zahlen von 1 bis 9 aufsteigend und in korrekter Reihenfolge mit dem Finger anzeigen, und eines der Tiere mit Namen Ai kann dies sogar von 0 bis 9.[17]

Dieser Erfolg wurde allerdings erst nach jahrelangem Training erzielt. Ai hatte zunächst die Bedeutung der arabischen Ziffer 1 gelernt. Als dann auch die Ziffer 2 eingeführt wurde, stellte sich heraus, dass „2“ zunächst von ihr im Sinne von „mehr als 1“ aufgefasst wurde. Nachdem sie die arabische Zahl 2 sicher anwenden konnte, wurde die Ziffer 3 ins Trainingsprogramm aufgenommen: Auch die Zahl „3“ wurde von dem Tier zunächst im Sinne von „mehr als 2“ benutzt. Jede einzelne Zahl bis hin zur „9“ musste auf diese Weise in langen Trainingsphasen erlernt werden.

Dieses Lernverhalten ist vergleichbar mit dem ca. 30 Monate alter Menschenkinder. Fünfjährige Kinder hingegen verfügen bereits über ein hinreichend großes Abstraktionsvermögen, das es ihnen ermöglicht, selbst sehr große Zahlen kreativ zu benutzen, die außerhalb ihrer normalen Erfahrungswelt liegen.

[Bearbeiten] Biologische Grundlagen beim Menschen

Über das Zahlenverständnis oder gar die mathematischen Fähigkeiten der Vormenschen und der frühen, nicht-schriftlichen Kulturen ist nichts bekannt. Die ersten Nachweise beim Menschen sind Aufzeichnungen der Sumerer und alten Ägypter. Sie entwickelten u.a. Systeme zum Umgang mit großen Zahlen, zum Beispiel für die Vorratswirtschaft. Sicher ist allerdings, dass die Fähigkeit zum Umgang mit Mengen und Zahlen auch beim Menschen auf bestimmten angeborenen Eigenschaften des Gehirns beruht. Sind die hierfür tätigen Bereiche des Gehirns zum Beispiel durch eine Verletzung gestört, kann dies zum Krankheitsbild der Dyskalkulie führen.

Dass die Wahrnehmung von unterschiedlich großen Mengen und die Fähigkeit zum Rechnen im Gehirn eng mit einander verbunden sind, legt eine Studie an Kleinkindern nahe, die im Jahr 2006 veröffentlicht wurde.[18] Sechs- bis neunmonatigen Kleinkindern hatten die Forscher der Ben-Gurion-Universität des Negev auf einem Bildschirm zunächst jeweils mehrfach die gleiche Anzahl von Puppen gezeigt (entweder eine Puppe oder zwei). Danach wurde ihnen jeweils eine Puppe zu viel bzw. zu wenig gezeigt. Diese Abweichung führte dazu, dass die Kleinkinder den Bildschirm ca. eine Sekunde länger fixierten als zuvor. Für die Forscher war das ein Hinweis darauf, dass die Kinder die unterschiedlichen Anzahlen wahrgenommen hatten. Solche Experimente hatte Michael Posner schon 15 Jahre zuvor mit gleichem Ergebnis durchgeführt, allerdings waren seine Deutungen immer wieder infrage gestellt worden. Daher hatte sein Team diesmal zusätzlich zur Beobachtung der Augen den Kindern ein spezielles Messsystem mit 128 Elektroden zur Aufzeichnung der Hirnströme angelegt. Wie die Forscher berichteten,[19] wiesen die Hirnstrommessungen erstaunliche Parallelen zu Messungen des erwachsenen Gehirns beim Rechnen auf.

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Literatur

  • Stanislas Dehaene: Der Zahlensinn oder Warum wir rechnen können. Birkhäuser Verlag, Basel, 1999, ISBN 3-7643-5960-9
  • Marc D. Hauser: What Do Animals Think About Numbers? American Scientist, Band 88, 2000.
  • Ute Seibt: Zahlbegriff und Zahlverhalten bei Tieren. In: Zeitschrift für Tierpsychologie Band 60, 1982, S. 325 - 341

[Bearbeiten] Quellen

  1. Zeitschrift für Tierpsychologie, Band 35, S. 449 ff.
  2. Eine detaillierte, kritische Analyse der angeblichen Denkleistungen von Rolf erschien in: Münchner Medizinische Wochenschrift Jahrgang 31 (1916), S. 1226 ff.
  3. Dehaene, Zahlensinn, S. 28
  4. Zeitschrift für Tierpsychologie, Band 35, S. 229 ff.
  5. F. Mechner: Effects of deprivation upon counting and timing in rats. Journal of the Experimental Analysis of Behavior, Band 5 (1962), 463-466
  6. Dehaene, Zahlensinn, S. 29
  7. R.M. Church und W.H.Meck: The numerical attribute of stimuli. In: H.L. Roitblat et al.: Animal cognition. Erlbaum Verlag, S. 445 ff.
  8. C. Uller u.a.: Salamanders (Plethodon cinereus) go for more: rudiments of number in an amphibian. Animal Cognition Band 6, 2003, S. 105-112
  9. Die Originalarbeit: Rudiments of number in an amphibian (pdf)
  10. William A. Roberts: How do pigeons represent numbers? Studies of number scale bisection. In: Behavioural Processes Band 69 (1) vom 29. April 2005, S. 33 – 43
    William A. Roberts: Evidence that pigeons represent both time and number on a logarithmic scale. In: Behavioural Processes Band 72 (3) vom 1. Juni 2006, S. 207 - 214
  11. Die Homepage von Alex
    Eine Übersicht über die Trainingsmethoden für Alex (in Englisch)
  12. A. Nieder, D.J. Freedman und E.K. Miller: Representation of the quantity of visual items in the primate prefrontal cortex. Science Band 297 (2002), S. 1708–1711
  13. Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften vom 10. Juli 2006 aus Anlass eines Vortrags von Andreas Nieder auf dem Forum 2006 der Federation of European Neuroscience Societies (FENS) in Wien
  14. G. Woodruff, D. Premack: Primative mathematical concepts in the chimpanzee. Nature Band 293 (1981), S. 568 ff.
  15. Dehaene, Zahlensinn, S. 50
  16. OHIO STATE TO CLOSE ITS PRIMATE CENTER, RETIRE ITS CHIMPANZEES
  17. Die Webseite der Schimpansin Ai in Kyoto
  18. Andrea Berger, Gabriel Tzur und Michael I. Posner: Infant brains detect arithmetic errors. Proceedings of the National Academy of Sciences, Band 103, S. 12649
  19. siehe auch: www.pnas.org:Infant brains detect arithmetic errors

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