Atheologie
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Die Atheologie, Lehre des Atheismus, ist der philosophische Widerpart der Theologie.
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[Bearbeiten] Definition
Grundlage der Theologie ist der Glaube an die reale Existenz Gottes und ggf. anderer Geisteswesen, der Glaube an eine Welt hinter der Welt, der Glaube an ein Jenseits. Dabei beruft sich der theologische Glaube auf göttliche Offenbarung.
Die Atheologie hingegen versucht, sich ausschließlich auf rational-wissenschaftliche, empirisch überprüfbare Erkenntnisse zu beziehen. Religionskritisch betrachtet, sind Religionen, Götter, gute oder böse Geister, Gott und Teufel Konstruktionen der menschlichen Phantasie. Der alttestamentliche Satz: "So schuf Gott den Menschen nach seinem Bilde" (Gen 1,27) wird so umgekehrt zu: "Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde" (Ludwig Andreas Feuerbach). Im Anschluss an die Aufklärung wird 'Gott' als personifizierter Begriff, Hypostasierung, als anthropomorphe Projektion zur Wunscherfüllung verstanden (z.B. Schutzbedürfnis, Versöhnung mit dem Tod, Garantie der Moral). Dies führte in letzter Konsequenz zu Friedrich Nietzsches Nihilismus ("Gott ist tot").
[Bearbeiten] Dekonstruktion der Theologie und aller Religionen
Innerhalb der gegenwärtigen Diskussion um die 'Wiederkehr von Religion im 21.Jhd.' fallen der Atheologie, welche Religionen nicht als Phänomene überirdischer Herkunft, sondern als Produkte der menschlichen Einbildungskraft betrachtet, vier Hauptaufgaben zu:
1. Rekonstruktion der Philosophiegeschichte des Atheismus,
2. Dekonstruktion von Theologie, von Metaphysik und Entmythisierung aller Religionen, insbesondere die Dekonstruktion der drei großen monotheistischen Religionen: Judentum, Christentum, Islam
3. Enttheokratisierung: Aufdeckung theokratischer, fundamentalistischer Tendenzen (Instrumentalisierung von Religion zu politischen Zwecken; vg. hierzu auch die Arbeiten des deutschen Ägyptologen Jan Assmann)
4. Aufdecken von Selbstimmunisierungsstrategien in Religionen und Heilslehren.
Die Atheologie versucht, durch Sprachkritik eine eigene Terminologie zu entwickeln, um sich vom Befangensein in der theologischen Begrifflichkeit zu lösen. In diesem Zusammenhang besteht eine Verbindung zu Jacques Derridas Dekonstruktion (allerdings von Michel Onfray im Rahmen seiner Atheologie als Vertreter von "talmudischen und dekonstruktiven Hanswurstiaden" diffamiert) und Rudolf Karl Bultmanns Entmythologisierungsprogramm.
[Bearbeiten] Zur Begriffsgeschichte
Der griechisch-lateinische Ursprungsbegriff taucht bereits im Werk von Esdras Edzardus "Collegii theologici in alma Universitate Rostochiensi Decanus, Doctores & Professores ad solennem panegyrin inauguralis disputationis Judaeorum et Socinianorum atheologiae oppositae, clarissimi" (1656) auf. Auch Christoph Sonntag benutzt den Begriff in seiner Schrift "O kartēsios antigraphos, tutesi ta tu kartēriu lēmmata pente atheologa kai aphilosopha" (1712).
Der französischen Philosoph und Soziologe Georges Bataille betitelte seine 1943-45 erschienene religionskritische Trilogie mit "Somme athéologique" in ironischer Anspielung auf Thomas von Aquins theologische Schrift Summa theologica.
[Bearbeiten] Literatur
- Jan Assmann: Monotheismus und die Sprache der Gewalt", Picus Verlag 2006, ISBN 3854525168
- Georges Bataille: La Somme athéologique. (deutsch: "Atheologische Summe"), 3 Bde.: L'Expérience intérieure, 1943; Le Coupable, 1944; Sur Nietzsche, 1945
- Ludwig Andreas Feuerbach: Das Wesen der Religion. Leipzig ab 1846 (obiges Zitat stammt aus der 20. Vorlesung)
- François Nault: La déconstruction et le jeu de l'athéologie. (Nietzsche, Bataille, Derrida). In: Studies in Religion/Sciences Religieuses, Volume 27, 3/1998
- Michel Onfray:Traité d'athéologie. Paris 2005, ISBN 2-246-64801-7. (Dt.: Wir brauchen keinen Gott. Warum man jetzt Atheist sein muss, Piper 2006, ISBN 3492048528
- Laurens Ten Kate: De lege plaats revoltes tegen het instrumentele leven in Batailles atheologie; een studie over ervaring, gemeenschap en sacraliteit in 'De innerlijke ervaring' . 1994
- Roberto Tessari: Pinocchio. Summa atheologica di Carmelo Bene. 1982
- Mark C. Taylor: Errance. Lecture de Jacques Derrida; une athéologie postmoderne. 1985
- Ernst Topitsch: Vom Ursprung und Ende der Metaphysik. Eine Studie zur Weltanschauungskritik. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1982. ISBN 3423041056