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Ernst Topitsch

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Ernst Topitsch (* 20. März 1919 in Wien; † 26. Januar 2003 in Graz) war ein österreichischer Philosoph und Soziologe.


Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Leben

Ernst Topitsch wurde 1919 als Sohn von Franz und Johanna Topitsch, geborene Kuppmann geboren. Er studierte an der Wiener Universität Klassische Philologie, Philosophie Geschichte und Soziologie u.a. bei dem Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Victor Kraft, dem letzten in Wien lehrenden Angehörigen des berühmten "Wiener Kreises". Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, an dem er als Soldat teilgenommen hatte, promovierte er 1946. 1951 habilitierte er sich und nahm eine Lehrtätigkeit an der Universität Wien auf. 1956 wurde er dort zum Professor berufen. Von 1962-1969 lehrte Topitsch als Universitäts-Professor für Soziologie an der Universität Heidelberg, danach bis zu seinem Tod als Universitäts-Professor für Philosophie an der Universität Graz.

[Bearbeiten] Werk

Schon in seinen frühen Arbeiten findet sich das zentrale Grundmotiv seines späteren wissenschaftlichen Programms: die ideologiekritische Weltanschauungsanalyse im Horizont der "wissenschaftlichen Weltauffassung". Obwohl er dem Wiener Kreis und insbesondere dessen wissenschaftlicher Peripherie (zu nennen wären hier etwa die Namen Hans Kelsen und Karl Popper) viel verdankt, verfolgt Topitsch einen durchaus eigenständigen Ansatz. Dem eigenen Selbstverständnis nach knüpft Topitsch an die Religions- und Ideologiekritik Hans Kelsens an. Insbesondere ist Kelsens wissenschaftliche Methode, die in der Ideologiekritik vor allem am Nachweis logischer Widersprüche, Leerformeln und Projektionen orientiert ist (Beispiel: Naturrechtskritik) für ihn zum wissenschaftlichen Vorbild geworden.

[Bearbeiten] Wissenschaftliche Grundpositionen

Bekannt wurde Ernst Topitsch vor allem durch detaillierte erkenntnistheoretische Analysen einer Vielzahl religiöser, politischer und philosophischer Heilslehren der Vergangenheit und Gegenwart. Er präzisiert die darin nach seiner Ansicht jeweils auffindbaren zentralen Leerformeln, zeigt wie diese durch zeitbedingte Projektionen ausgefüllt wurden oder werden und nimmt eine Einteilung der diversen Projektionsmodelle in anthropomorph, biomorph, soziomorph und technomorph vor. Die Methode der Dialektik (Hegel, Marxismus) knüpft nach Topitsch methodisch nicht direkt am klassischen Verfahren zentraler Leerformeln an. Sie erhebe anstelle zunächst schlicht leerer (nichtssagender) Aussagen zwei nicht leere, aber einander widersprechende Aussagen (These und Antithese) zum Ausgangspunkt und mache deren Synthese zum methodischen Grundprinzip. Mit der "Synthese" werde der logische Widerspruch allerdings selbst zur Methode. Logisch Widersprüchliches sei inhaltsleer und die Dialektik damit ebenfalls in die Kategorie der Leerformeln einzuordnen.

Durch Leerformeln und intentionale Projektionen vermeintlich gewonnene Erkenntnisse und Argumente sind laut Topitsch nicht vom Willen zur Wahrheit, sondern von Wünschen geleitet (intentional, final). Werde „der wahre Charakter und damit die sachliche Unhaltbarkeit der intentionalen Denkformen bewusst gemacht, so werden sie psychologisch unwirksam und damit auch politisch-pragmatisch unbrauchbar.

[Bearbeiten] Folgenanalysen und politisches Engagement

Ernst Topitschs ideologiekritische Arbeiten beschränken sich nicht auf die logische und erkenntnistheoretische Analyse im Sinne des Wiener Neupositivismus. Fundierte historische Überblicke, die in seinem Werk Vom Ursprung und Ende der Metaphysik (1958) vom Altertum bis in die Neuzeit reichen (Hegel, Marxismus, Nazismus, Sozialismus, Stalinismus), vermitteln ein reichhaltiges Bild von den praktisch-politischen und sozialen Folgen verschiedener Ideologien, Weltanschauungen oder Religionen in Vergangenheit und Gegenwart (Folgenanalyse, kritische Kultursoziologie). Die vom Logischen Empirismus eingeführte Metaphysik-Kritik wird nicht nur postuliert, sondern auch konkret durchgeführt (vgl. in diesem Kontext besonders seine Kritik an Kant, Hegel, Marx, Carl Schmitt, Jürgen Habermas, Frankfurter Schule und Auswüchsen der 68er „Studentenrevolte“).

Die Politisierung des Hochschulbereichs, insbesondere seines Faches, durch die 68er veranlasste Topitsch, auch auf politischer Ebene als vehementer Kritiker des Marxismus hervorzutreten. Zuvor hatte er im so genannten Positivismusstreit der deutschen Soziologie auf der Seite von Karl Popper und Hans Albert gegen die Neomarxisten der Frankfurter Schule (Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas usw.) für die Neutralität der Wissenschaft und insbesondere der Soziologie gestritten. Als Erzliberaler, als der er sich zeitlebens sah, geriet er seit den 70er Jahren nicht nur in Gegensatz zur Neuen Linken und ihren späteren Metamorphosen; er nahm auch die Wandlung des ideologischen Diskurses hin zur Hegemonie von political correctness und Antifa-Ideologie als schleichende Korrumpierung des liberalen Klimas wahr, als eine neue, sanfte Form des Totalitarismus. Sein gegen die „politisch korrekte“ Zeitgeschichte geschriebenes Buch Stalins Krieg wurde - Topitsch meinte, weil es Hitler zu entlasten schien - von der Mehrzahl der Historiker als inakzeptabel abgelehnt. Die Diskussionsverweigerung und das „moralische Anathema“, das er gegen sich verhängt sah, brachten Topitsch dazu, in rechtsgerichteten Zeitschriften wie Junge Freiheit und Die Aula zu publizieren, schließlich sogar in einer Festschrift für den später als Holocaustleugner verurteilten britischen Publizisten David Irving. In seinem Beitrag dazu, Wider ein Reich der Lüge, bezeichnet er sich als „Liberaler im klassischen Sinn“ und „Partisan der Geistesfreiheit“.

[Bearbeiten] Spätwerk

In seinem zeitgeschichtlichen Spätwerk (Stalins Krieg 1985) vertritt Topitsch die Ansicht, Hitlers Krieg sei in Wahrheit Stalins Krieg, nämlich ein Präventivkrieg gegen „Moskaus Griff nach der Weltherrschaft“ gewesen. Stalin habe die deutschen Truppen nur als Trick bis kurz vor Moskau vordringen lassen, um später als Angegriffener in der moralisch besseren Position da zu stehen. Topitsch sieht dabei „die sowjetische Langzeitstrategie gegen den Westen als rationale Machtpolitk“.

[Bearbeiten] Würdigung und Einordnung, Verhältnis zum „Kritischen Rationalismus“

Topitsch gilt als einer der wichtigsten Erkenntnistheoretiker und Ideologiekritiker des 20. Jahrhunderts. Politisch gehört er wohl am ehesten zum liberalen Lager, auch wenn er sich seit den 1960ern zunehmend der konservativen Rechten zugewandt hat, weil er liberale Werte durch die politische Linke in Gefahr sah. Topitsch wird zum Kritischen Rationalismus gerechnet, zumal da ihn vieles mit dem bekanntesten deutschen Kritischen Rationalisten Hans Albert (mit dem er seit den 50er Jahren auch persönlich befreundet war) verbindet. Topitsch und Albert gehörten in den 50er Jahren zum sogenannten „Kraft-Kreis“, gleichsam dem „Nachfolge-Organ“ des einstigen, von den Nazis aus Wien vertriebenen Wiener Kreises. An den Zusammenkünften des Kraft-Kreises, einem Zirkel junger Wissenschaftler, die sich um den Wiener Philosophen Victor Kraft gruppierten, nahmen u.a. auch Georg Henrik von Wright, Ludwig Wittgenstein, Paul Feyerabend und Elizabeth Anscombe teil. Jedoch decken sich die erkenntnistheoretischen und politischen Positionen nicht. "Konsequenter Fallibilismus" im Sinne Karl Poppers ist Topitschs Sache nicht. Er stand Popper wissenschaftlich und teilweise auch politisch sehr kritisch gegenüber - wie auch einigen launigen Gedichten im Gästebuch Hans Alberts zu entnehmen ist, in denen Popper sich bis in die Nähe Hegels gerückt sieht:

Eintrag 20: Unser alter Freund Poppeur / Ward geadelt nun zum "Sir"! / Wär' geblieben er zu Haus, / Wär' er apl. - o Graus! / Oder wäre - liebe Zeit! - / Gar zur Hilfskraft rückgereit. / Die Moral von der Geschicht': / Wiener, bleib zu Hause nicht!
Eintrag 46: Den Hegel manche grimmig hassen, / Doch andre wollen davon nicht lassen. / Zum Frieden rat ich euch die Regel / Sir Popper ist der wahre Hegel.
Eintrag 54:Alles sich zum Besten lenkt, / ist der Hegel erst gesprengt.

[Bearbeiten] Werke (Auswahl)

  • Vom Ursprung und Ende der Metaphysik, Wien 1958, 2. Aufl. München 1972
  • Probleme der Wissenschaftstheorie, (Hg.) Festschrift für Victor Kraft, Wien 1960
  • Hans Kelsen: Aufsätze zur Ideologiekritik (mit einer Einl. hg. v. Ernst Topitsch), Neuwied 1964
  • Die Sozialphilosophie Hegels als Heilslehre und Herrschaftsideologie, Neuwied 1967, 2. erw. Aufl. München 1981
  • Gottwerdung und Revolution, München 1973
  • Die Voraussetzungen der Transzendentalphilosophie: Kant in weltanschauungskritischer Beleuchtung, Hamburg 1979
  • Erkenntnis und Illusion, Hamburg 1979, 2. erw. Aufl. Tübingen 1988
  • Ideologiekritik und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, Berlin 1982 (hrsg. mit Werner Krawietz und Peter Koller)
  • Stalins Krieg. Moskaus Griff nach der Weltherrschaft., Herford 1985, 3. Aufl. 1998 (Ergänzungsheft Herford 2001)
  • Heil und Zeit. Ein Kapitel zur Weltanschauungsanalyse, Tübingen 1990
  • Wider ein Reich der Lüge. In: Reinhard Uhle-Wettler (Hg.): Wagnis Wahrheit. Festschrift für David Irving. Kiel 1998, S. 85-95, ISBN 3-88741-199-4
  • Im Irrgarten der Zeitgeschichte. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 2003
  • Überprüfbarkeit und Beliebigkeit, die beiden letzten Abhandlungen des Autors, m. wiss. Würdigung u. Nachruf, hg. v. Karl Acham, Wien 2005, ISBN 3-205-77278-4

[Bearbeiten] Literatur

  • Kahl, Joachim: Positivismus als Konservatismus. Eine philosophische Studie zu Struktur und Funktion der positivistischen Denkweise am Beispiel Ernst Topitsch. Pahl-Rugenstein-Verlag Köln 1976 (Kleine Bibliothek 81)
  • Aufklärung und Kritik. Zeitschrift für freies Denken und humanistische Philosophie. Sonderheft 8 (2004). Schwerpunkt: Ernst Topitsch. ISSN 0945-6627 (mit Beiträgen von Hans Albert, Werner Becker, Norbert Hoerster, Hans Lenk, Gerard Radnitzky, Kurt Salamun, Ernst Topitsch u.a.) Inhalt

[Bearbeiten] Weblinks

Siehe auch: Ideologie, Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie

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