Autonome Nationalisten
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Als Autonome Nationalisten (AN) bezeichnen sich jugendliche Neonazis aus den Reihen der freien Kameradschaften. Sie greifen seit etwa 2002 bei Auftreten und Aktionsformen bewusst auf das Vorbild der linksradikalen autonomen Bewegung zurück, ohne jedoch den Begriff auch inhaltlich füllen zu können.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Entstehung und Entwicklung
Ihren Ursprung hat diese Strömung im Jahr 1990, als Neonazis aus dem Umfeld der Nationalen Alternative (NA) in Berlin-Lichtenberg ein Haus besetzten und damit besonders augenfällig eine Aktionsform der linken Hausbesetzer-Bewegung übernahmen. Mitte der 1990er Jahre entwickelten Christian Worch und Thomas Wulff als Reaktion auf die Verbote mehrere rechtsextremer Parteien und Organisationen das Konzept der „Freien Kameradschaften“. Diese nur lose organisierten, „autonomen“ und regional operierenden Kleinstgruppen aus meist nicht mehr als 20 bis 25 Personen wurden in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zu dominierenden Organisationsform der Neonaziszene, wobei die Mitglieder in Auftreten, Kleidung, Habitus und skandierten Parolen nahezu ausschließlich dem Bild des rechtsextremen Skinheads („Bonehead“) entsprachen.
Davon deutlich abweichend traten erstmals 2002 die „Autonomen Nationalisten Berlin“ (ANB) als loser Zusammenhang von Aktivisten aus der Freien Kameradschaftsszene hervor. Zu ihnen gehörten Angehörige der „Kameradschaft Tor“, der „Kameradschaft Pankow“ und der „Vereinigten Nationalisten Nordost“, die zunächst von dem Berliner Neonazi Oliver Schweigert unterstützt wurden. Sie versuchten, mit einer Serie von Aufklebern und Sprühereien eine Drohkulisse gegen Antifaschisten aufzubauen und traten auf Neonazi-Kundgebungen wie der von der NPD organisierten Demonstration am 1. Mai 2003 in Berlin mit einem eigenen Transparent mit der Aufschrift „Organisiert den nationalen schwarzen Block – Unterstützt örtliche Anti-Antifa-Gruppen - Wehrt Euch und schlagt zurück - Autonome Nationalisten Berlin“ auf. Eine größere Bekanntheit zunächst nur innerhalb der extrem rechten Szene riefen die ersten Versuche hervor, auch die militanten Aktionsformen der linksautonome Szene zu übernehmen. So wurden am 1. Mai 2004 in Berlin und am 1. Mai 2005 in Leipzig erstmals versucht, „schwarze Blöcke“ in den ersten Reihen der Neonazi-Aufmärsche zu formieren und damit (erfolglos) durch die Polizeiketten zu brechen.
In den Folgejahren übernahmen in der gesamten Bundesrepublik einzelne junge Neonazis und Kleingruppen die Bezeichnung und den Stil der „Autonomen Nationalisten“. Schwerpunkte bilden Großstädte und Ballungsräume, neben Berlin insbesondere das Ruhrgebiet („Autonome Nationalisten Östliches Ruhrgebiet“, „Autonome Nationalisten Westliches Ruhrgebiet“, „Autonome Nationalisten Wuppertal/Mettmann“, „Autonome Nationalisten Marl“) und München um die Neonazi-Kader Hayo Klettenhofer und Philipp Hasselbach.
Doch auch in kleineren Städten und sogar ländlichen Räumen sind einzelne Anhänger und Kleingruppen zu verzeichnen. So beteiligten sich in Gera im Dezember 2004 die „Autonomen Nationalisten Gera“ an den Montagsdemonstrationen gegen Sozialabbau und traten mit eigenen Pressemitteilungen in die Öffentlichkeit. Nach der Selbstauflösung des neonazistischen „Aktionsbündnisses Mittelhessen“ ebenfalls Ende 2004 treten ehemalige Mitglieder im Raum Marburg als „autonome Nationalisten“ in Erscheinung. Bei einer Demonstration in Bützow am 26. Februar 2005 trat eine Gruppierung von Rostocker Neonazis auf, die als „Autonome Nationalisten Rostock“ (ANR) mit einem entsprechenden Transparent und typischem Autonomen-Outfit firmierten. Die Personen waren hier bislang als „Hatecrew 88“ bekannt und traten 2003 auf den von Christian Worch organisierten Demonstrationen in Mecklenburg-Vorpommern erstmalig in Erscheinung. Bei der Führungsperson der „Hatecrew 88“ bzw. der „Autonomen Nationalisten Rostock“ handelt es sich um einen 2002 von Nordrhein-Westfalen nach Rostock zugezogenen Neonazi, der sich gleich nach seinem Zuzug in der Rostocker Szene etablierte und Szenepersonen um sich gruppierte.[1]
[Bearbeiten] Auftreten
„Autonome Nationalisten“ zeichnen sich durch eine direkte Übernahme und Umwandlung des Kleidungsstils und der Aktionsformen der linksradikalen Autonomen aus. Sie treten bei Demonstrationen weitgehend geschlossen in einheitlicher schwarzer Kleidung, bestehend aus schwarzen Windbreakern mit Kapuze, Kapuzenpullovern und Baseball-Kappen. Häufig tragen sie zusätzlich ein so genanntes Palästinensertuch, das auch zur Vermummung dienen kann. Bisweilen werden auch schwarze Handschuhe mit Protektoren getragen oder demonstrativ in den Gesäßtaschen eingesteckt, die wie in Teilen der Autonomen oder bei Hooligans als demonstratives Zeichen der Gewaltbereitschaft zu deuten sind.
Wie bei dem modischen Vorbild der Autonomen werden die Kleidungsstücke mit Buttons und Aufnähern besetzt, auf den politische Slogans oder Abzeichen zum Ausdruck gebracht werden. Häufig werden dabei Parolen, Slogans, Layout-Stil und Duktus aus der autonomen Antifa-Bewegung und alternativen Jugendkulturen verwendet und nur leicht verändert, so z.B. das Logo der Antifaschistischen Aktion mit zwei schwarzen statt einer schwarzen und roten Fahne und der Umschrift „Nationale Sozialisten“ bzw. „Autonome Nationalisten - Bundesweite Aktion“ mit Bezug auf die 2001 aufgelöste „Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation“ (AA/BO). Das Logo antifaschistischer Hardcore Punk-Anhänger mit dem Schriftzug „Good night – white pride“ wurde ebenfalls übernommen und durch den Slogan „Good night – left side“ ersetzt.
Bei Demonstrationen und Kundgebungen der rechtsextremen Szene, die meist von der NPD oder Freien Kameradschaften organisiert werden, bilden sie eigene Gruppen, die bisweilen den Anspruch haben, als „Black Block“ aufzutreten, was jedoch aufgrund der geringen Teilnehmerzahlen nur selten eingelöst werden kann. Sie bevorzugen die vordersten Reihen und treten mit eigenen Transparenten auf, die sich mit englischsprachigen Slogans wie „Fight the system“ oder “Fuck the law“, populären Comicfiguren, grellen Farben und aufwändig gestalteten Schriftzügen im Graffiti-Stil wiederum an den Transparenten der Antifa-Bewegung orientieren. Durch die häufige Verwendung von Angliszismen und Elementen der Hip-Hop-Kultur unterscheiden sie sich damit deutlich vom Auftreten der traditionellen rechtsextremen Skinhead- und Altnazi-Szene. Hinzu kommt das Übernehmen von Stücken linker Bands und Musiker wie Rio Reiser, Ton Steine Scherben oder Die Ärzte.
Ziel ist es zum einen, dem Bedürfnis auch Jugendlicher und junger Erwachsener mit rechtsextremen und neonazistischen Weltbildern nach einem modernisierten Lifestyle entgegenzukommen und nicht dem Image des Ewiggestrigen und den Klischees vom „Stiefel-Nazi“ und „Skinhead“ zu entsprechen. Zum anderen sind die es dieselben Absichten, die auch bei den Autonomen mit der Verwendung einheitlicher schwarzer Bekleidung verbunden wurden. So hieß es in dem Aufruf zur 1.-Mai-Kundgebung: „Die schwarze Kleidung ermöglicht uns, dass wir von ANTIFAS, Bullen und anderen nicht mehr auseinander gehalten und erkannt werden können.“
Sie zeigen häufig ein gegenüber den traditionellen Rechtsextremisten noch aggressiveres Auftreten gegenüber Teilnehmern antifaschistischer Gegendemonstrationen und der Polizei und begründen dies mit einer Bedrohung durch Staat und Antifa. So schrieben beispielsweise die „Autonomen Nationalisten Wuppertal/Mettmann“ in einer Selbstdarstellung, man werde sich „nicht von diesem Besatzersystem rumschubsen lassen“. Mit „rechtskonservativen Organisationen“, die nach der Devise „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte auch die andere Wange hin“ handeln würden, will man nichts zu tun haben: „Wer uns auf die rechte Wange schlägt, der bekommt anschließend Rechts und Links eine!“.
Auch die Praxis der autonomen Antifa-Bewegung, die sich häufig auf die Neonazis als einzigen Gegner fokussiert - was wiederum in der autonomen Antifa-Bewegung seit Jahren umstritten ist -, wurde in gewisser Weise übernommen und führte zu intensiven Anti-Antifa-Tätigkeit und gewalttätigen Übergriffen auf politische Gegner. In Berlin versuchen die Aktivisten der ANB, linke Veranstaltungen zu observieren, Daten von politischen Gegnern zu sammeln und Antifaschisten durch Drohungen einzuschüchtern. Ein führendes ANB-Mitglied hatte während seiner Beschäftigung beim Finanzamt Friedrichshain/Prenzlauer Berg den Computer angezapft, um Daten von Polizisten und politischen Gegnern zu entnehmen. Bei einem weiteren ANB-Mitglied wurden 2004 bei einer Hausdurchsuchung zahlreiche Namen und Anschriften von vermeintlichen Antifaschisten und Polizisten gefunden. Mittlerweile versuchen Kameradschafts-Aktivisten aus dem Umfeld der „autonomen Nationalisten“ mit mehr oder weniger gezielten Aktionen, ihre politischen Gegner aus der autonomen Antifa-Bewegung auch direkt anzugreifen. So gab es Angriffe auf die Wohnhäuser vermeintlicher Antifa-Aktivisten und linke Jugendclubs, Angriffe auf eine antifaschistische Ausstellung und Veranstaltungen und (spontane) Angriffe auf bekannte Antifaschisten. Alternative Jugendliche berichteten, dass sie von Neonazis im autonomen Outfit gezielt aufgelauert und angegriffen worden sind. Auch weitere Aktionsformen der Autonomen wie symbolische Hausbesetzungen werden kopiert, verbunden mit der Forderung nach „nationalen Jugendzentren“. Neben den Demonstrationen versuchen sie, durch Aufkleber und Sprühereien öffentlich auf sich aufmerksam zu machen.
[Bearbeiten] Ideologie
Das Verhältnis der „autonome Nationalisten“ zum politischen System der Bundesrepublik Deutschland wie auch zu der übrigen rechtsextremen Bewegung wurde in dem ersten Demonstrationsaufruf 2004 definiert: „Der nationalrevolutionäre, schwarze Block unterscheidet sich nicht hauptsächlich durch sein Äußeres von den anderen Demonstrationsteilnehmern, sondern durch die revolutionären Inhalte und seine Aktionen (Blockaden, Besetzungen, Verweigerungen, etc.): Wir glauben nicht daran, dass das kapitalistische System reformiert oder verbessert werden kann - das vorherrschende System IST der Fehler und muss durch eine neue, freie, gerechte und NATIONAL UND SOZIALE Gesellschaftsform ersetzt werden.“
„Autonome Nationalisten“ sehen sich selbst als bewusste Provokateure der Altnazis und lehnen deren „schwarz-weiß-rote Deutschtümelei“ oder „1933er-Romantik“ ab. Ziel ist eine breite Unterwanderung der Jugend und ein Aufbrechen der extrem rechten subkulturellen Identität der Skinhead-Szene. So formulierten die „Autonomen Nationalisten Wuppertal/Mettmann“ ihr Alternativkonzept: „Wir setzen uns dafür ein, alle relevanten Teile der Jugend und der Gesellschaft zu unterwandern und für unsere Zwecke zu instrumentalisieren. Es spielt keine Rolle welche Musik man hört, wie lang man seine Haare trägt oder welche Klamotten man anzieht.“ Der bekannte Neonaziaktivist Axel Reitz beschrieb diese Strategie: „Diese ‚Autonomen‘ kopieren den Stil und die Aufmachung der linken Strukturen und von linken bisher agitierten Jugendkulturen, dabei werden die bekannten Symbole und Outfits mit unseren Inhalten besetzt und in unserem Sinne interpretiert. ... Mittels dieses Auftretens besteht die Möglichkeit sozusagen unerkannt, da dem bekannten Bild des ‚Faschisten‘ entgegen laufend, in die bisher von gegnerischen Lagern beherrschte Gebiete vorzudringen, politisch und kulturell. Graffitis sprühen, unangepasst und ‚hip`sein können nicht nur die Antifatzkes, sondern auch wir, damit erreichen wir ein Klientel welches uns bis dato verschlossen geblieben ist.“
Gleichzeitig halten die „autonomen Nationalisten“ an der nationalsozialistischen Ideologie fest und propagieren Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus. Nach ihrer eigenen Stilisierung knüpfen die „Autonome Nationalisten“ ideologisch an den „linken Flügel“ der NSDAP, vertreten durch Gottfried Feder sowie Otto und Gregor Strasser an.
Besondere Schwierigkeiten bereitet es ihnen, den Begriff autonom auch inhaltlich zu füllen. Reitz beantwortete die Frage „Wieso überhaupt ‚Autonome Nationalisten?’“ in dem Neonazi-Internetforum „Freier Widerstand“ Ende 2004 zunächst nur mit einem knappen „Was sind ‚autonome Nationalisten’, eigenständige Nationalisten, Punkt, Aus, Ende, das war’s.“. Christian Worch definierte an der selben Stelle den Begriff „autonom“ als Notlösung, da mehrere „freie Nationalisten“ mittlerweile NPD-Parteiangehörige geworden seien und daher der Begriff „frei“ verwässert wäre. Im Juli 2005 meinte Reitz: „Nationalautonom ist zu allerst ein Begriff und je nach Apologet dieses an sich oberflächlichen Wortkonstruktes wird er anders definiert (...) Eine verbindliche Definition über den Begriff kann Dir also niemand geben (...)“
[Bearbeiten] Auseinderandersetzungen innerhalb der rechtsextremen Szene
Das Auftreten der „Autonome Nationalisten“ stößt innerhalb der extremen Rechten auf unterschiedliche Reaktionen. So schrieb z.B. Christian Worch, der die Herausbildung der AN zunächst begrüßt hatte, im Forum der Internetpräsenz „Freier Widerstand“: „Tatsache ist, daß ein Kreis von angeblich oder tatsächlich führenden Leuten aus Zusammenhängen des freien Widerstandes mindestens erwogen hat, bei Demonstrationen gegen den Block mit gewaltsamen Mitteln vorzugehen oder beispielsweise diese Netzwerkseite nebst Forum entweder zu hacken oder aber gegen die Moderatoren mit körperlicher Gewalt vorzugehen.“