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Nationalsozialismus - Wikipedia

Nationalsozialismus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Heute in einigen Staaten, darunter in Deutschland, Österreich und der Schweiz, verbotene Nationalflagge des Deutschen Reiches (1935–1945) mit NS-Hakenkreuz
Heute in einigen Staaten, darunter in Deutschland, Österreich und der Schweiz, verbotene Nationalflagge des Deutschen Reiches (1935–1945) mit NS-Hakenkreuz

Der Nationalsozialismus ist eine Weltanschauung und politische Bewegung, die in Deutschland seit 1918 entstand. Ihre in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) organisierten Anhänger gelangten 1933 zur Herrschaft und errichteten eine totalitäre Diktatur, den NS-Staat bzw. das „Dritte Reich“, das bis 1945 bestand. Sie begründeten und vollzogen die deutschen Eroberungskriege seit 1939, die den Zweiten Weltkrieg auslösten, und die Verbrechen des Holocaust.

Dieser Artikel behandelt die Entstehung, Bestandteile, Vertreter und Wandlungen der nationalsozialistischen Ideologie. Die Epoche ihrer politischen Herrschaft in Deutschland behandelt der Artikel Zeit des Nationalsozialismus; für Österreich: Österreich in der Zeit des Nationalsozialismus. Verschiedene Ziele und Programme eines „nationalen Sozialismus“ in anderen Ländern behandelt Nationaler Sozialismus. Alle mit der Ideologie und Epoche verbundenen Themen findet man im Portal:Nationalsozialismus.

Die Propagierung und Fortsetzung nationalsozialistischer Ideen und Ziele - auch mit den damaligen Symbolen - gilt heute in Deutschland als strafbare Volksverhetzung, ähnlich in Österreich und weiteren europäischen und außereuropäischen Staaten.

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Die Person Adolf Hitler wird oft als Inbegriff des Nationalsozialismus angesehen
Die Person Adolf Hitler wird oft als Inbegriff des Nationalsozialismus angesehen

Die Propagandabezeichnung „Nationalsozialismus“ (auch „Nationaler Sozialismus“) stammt aus der Programmatik der 1919 gegründeten Deutschen Arbeiterpartei (DAP), die ein Jahr später in NSDAP umbenannt wurde. Der Nationalsozialismus sollte einen völkisch-rassistischen Nationalismus mit einzelnen dem Sozialismus entlehnten antikapitalistischen Forderungen verbinden. Damit grenzte er sich von konservativen und linksgerichteten Parteien ab und bot ihren Wählerschichten - Arbeitern und Mittelstand - eine Alternative. Zudem stellten die Nationalsozialisten ihre Ideologie als „Bewegung“, nicht als Partei dar, um so Protestwähler und Politikverdrossene zu erreichen.

Heute bezeichnet der Begriff meist die besondere Ideologie Adolf Hitlers und seiner Gefolgschaft in der NSDAP. Dabei definierte Hitler die Begriffe Nationalismus und Sozialismus auf ungewöhnliche Art und Weise, um die sonst unvermeidlichen Widersprüche zwischen beiden zu umgehen: Nationalismus nannte er die Hingabe des Individuums für seine Volksgemeinschaft, während er Sozialismus als Verantwortung der Volksgemeinschaft für das Individuum definierte. Besonders die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, die ein Hauptziel originärer Sozialisten war und ist, lehnte Hitler entschieden ab. [1]

Zudem wollten die Ideologen der NSDAP sich mit dem Begriff Nationalsozialismus vom italienischen Faschismus unterscheiden. Der Faschismusbegriff wurde jedoch vor allem in der Sowjetunion seit 1925, nach 1945 im ganzen Ostblock, aber auch in westdeutschen Forschungsansätzen, als gemeinsamer Oberbegriff für den Nationalsozialismus („Hitlerfaschismus“), den italienischen Faschismus und andere ihnen verwandte antikommunistische Ideologien, Regimes und Systeme verwendet.

Besonders in den USA, teilweise auch in der Bundesrepublik, wurde der Nationalsozialismus nach 1945 als Totalitarismus begriffen. Diese Theorie stellt ihn mit Ideologie und System des Stalinismus auf eine Ebene und betont deren gemeinsame Herrschaftsformen. Die verallgemeinernden Einordnungen als Faschismus und Totalitarismus sind in der Forschung umstritten; vielfach wird der Nationalsozialismus heute als eigenständiges und singuläres Phänomen betrachtet.

Der Begriff Nazismus ist die eingedeutschte Version des englischen Wortes nazism. Es wird in Deutschland jedoch kaum verwendet; als negativ besetztes Kurzwort dient oft der Begriff Nazi oder Neonazi für einen alten oder neuen Anhänger des Nationalsozialismus.

Entstehung

Der Nationalsozialismus entstand 1920 als Zusammenschluss mehrerer älterer Gruppen mit ähnlicher Ideologie, die wie etwa die Thulegesellschaft schon im Ersten Weltkrieg entstanden waren. Sie lehnten gemeinsam die durch die Novemberrevolution von 1918 entstandene demokratische Verfassung der Weimarer Republik ab und definierten ihre Weltanschauung als strikten Gegensatz zum Marxismus der Linksparteien, zum politischen Katholizismus der Zentrumspartei und zu ihrer Fiktion eines „Weltjudentums“.

Zu den geistigen und politischen Wegbereitern zählten vor allem die Völkische Bewegung, der Rassismus, der Antisemitismus, Militarismus und Imperialismus des Kaiserreichs. Nach Gründung der Weimarer Republik konzentrierte sich die nationalsozialistische Propaganda zunächst auf den Vertragsrevisionismus, also die Forderung nach Wiederaneignung der infolge der deutschen Kriegsniederlage verlorenen Gebiete und damit nach Aufhebung oder Bruch des Versailler Vertrags. Dieser wurde als „Schmach von Versailles“ oder „Versailler Schanddiktat“ diffamiert.

Programm

Das erste Programm der NSDAP war das 25-Punkte-Programm von 1920. Es blieb bis zur Machtergreifung 1933 gültig und enthielt einige antikapitalistische Elemente, darunter Forderungen nach:

  • Verstaatlichung einiger Industriezweige,
  • Gewinnbeteiligung an Großbetrieben,
  • „Brechung der Zinsknechtschaft“.

Dieses Schlagwort beruhte auf der seit dem Frühsozialismus bekannten Unterscheidung und Bewertung eines „schaffenden“ (guten) von einem „raffenden“ (bösen) Kapital. Dabei setzten die Nationalsozialisten Letzteres mit dem Judentum gleich. Ihr Antikapitalismus war also von Beginn an nicht vom Antisemitismus zu trennen. Dies unterschied ihn von allen damaligen Programmen sozialistischer Parteien, auch wo diese ähnliche Begriffsunterscheidungen trafen.

Die Anleihen an sozialistischer Rhetorik und Programmatik sollten vor allem die Arbeiterschaft für die Ziele der Partei anwerben. Wesentliche Leitidee für diesen „nationalen Sozialismus“ war die „Volksgemeinschaft“. Sie bildete ein Gegenkonzept zum Ziel einer klassenlosen Gesellschaft, die der Marxismus, aber auch die Sozialdemokratie und die von der Oktoberrevolution Lenins inspirierten Parteien theoretisch damals anstrebten.

Der Nationalsozialismus begriff sich als radikaler Gegner jedes marxistischen, sozialistischen und kommunistischen Internationalismus und bekämpfte dessen Parteien vehement. Hitler nannte diesen ideologischen Gegner „Bolschewismus“ und setzte ihn ebenso wie den Kapitalismus mit dem „Weltjudentum“ gleich, in dem er den größten Feind der „arischen Rasse“ erblickte. Deshalb war eine seiner allerersten Maßnahmen nach der Machtergreifung die gewaltsame Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung in Form der Parteien von KPD und etwas später auch der SPD, ebenso die Gleichschaltung der Gewerkschaften.

Hauptmerkmale

Der Nationalsozialismus bildete als Sammelbewegung völkischer, rassistischer und revisionistischer Gruppen zunächst keine konsistente Ideologie. Hans Frank erklärte daher in den Nürnberger Prozessen, es habe „so viele Nationalsozialismen wie Nationalsozialisten“ gegeben. Dennoch lassen sich - gestützt auf Hitlers Mein Kampf von 1923 - wesentliche gemeinsame Hauptmerkmale benennen:

  • die Rasse als Zentralbegriff der nationalsozialistischen Weltanschauung. Rassentheorien begründeten die Verherrlichung der „arischen“ oder „germanischen Herrenmenschen“ gegenüber dem „jüdischen Untermenschen“. Es wurde die „Überlegenheit der arischen Rasse“ über andere Rassen postuliert, wobei „Arier“ fälschlicherweise mit Indogermanen gleichgesetzt wurden. Die „Reinheit des Blutes“ sollte vor schädlicher „Rassenmischung“ bewahrt werden: Dazu erließen die Nürnberger Gesetze 1935 u.a. strenge Heiratsverbote von Deutschen mit Partnern „überwiegend anderer Rasse“. Deutschen Juden wurden ihre Staatsbürgerrechte entzogen.
    Antisemitismus, 1. April 1933
    Antisemitismus, 1. April 1933
  • die antisemitische Verschwörungstheorie. Die Nationalsozialisten machten Juden pauschal für alle möglichen Missstände wie Massenarbeitslosigkeit, Verstädterung, Zersiedelung der Landschaft, Individualismus, Egoismus usw. verantwortlich. Juden wurden als Hintermänner sowohl des Sowjetkommunismus wie auch von dessen Todfeind, dem angloamerikanischen Finanzkapitalismus, dargestellt. Beide hielten Deutschland angeblich in einer tödlichen Umklammerung fest und trachteten nach seiner Vernichtung.
  • der rassistisch untermauerte Sozialdarwinismus und Eugenik. Er beruht auf der antiegalitären Ideologie von natürlicher Ungleichheit und leitet daraus die Möglichkeit einer „Höherzüchtung“ einer Herrenrasse ab. Die Sterilisation und Ermordung von geistig Behinderten, psychisch Kranken und von Schwerverbrechern sollte verhindern, dass sie vermeintlich krankes Erbgut weitervererben konnten (siehe Nationalsozialistische Rassenhygiene und Geschichte der Euthanasie).
  • Staatlicher Interventionismus im Bereich der Wirtschaft (vgl. Vierjahresplan, Wirtschaft im nationalsozialistischen Deutschland)
  • die durch Blutsverwandtschaft und Abstammung definierte „Volksgemeinschaft“, in der es keine Klassengegensätze mehr geben soll und deren Selbstbehauptung sich alle Individuen unterordnen sollen. Diese Theorie lieferte mit Formeln wie Lebensraum im Osten, „Blut und Boden“ auch die Rechtfertigungen für imperialistische Eroberungs- und Versklavungspläne.
  • vom italienischen Faschismus übernommene politische Strukturen wie das Führerprinzip: Alle Autorität wird in einer zentralen Führungsperson konzentriert, diese pyramidenartige Hierarchie wird auf alle Untergliederungen übertragen
  • primäre Rolle von Propaganda und Massen-Inszenierungen als Mittel zur Herrschaft und ihrer Sicherung nach innen und außen
  • Totalitarismus: Benutzung und Zerschlagung der Demokratie, Einparteienherrschaft, Aufhebung der Gewaltenteilung, Instrumentalisierung aller politischen Kontrollinstanzen und Medien, weitreichende Vollmachten für Geheimdienste und Denunzianten, Polizeistaat
  • Militarismus und Imperialismus: Schon während des Aufstiegs der NSDAP wurden Waffenlager eingerichtet, bewaffnete Schlägerbanden ausgebildet, die Straßengewalt einübten, um politische Gegner einzuschüchtern. Ab 1933 wurde Aufrüstung betrieben, zunächst geheim, dann offen, und die vertraglichen Bindungen an Völkerbund und Völkerrecht erst unterlaufen, dann gebrochen. Sobald die Wehrmacht stark genug sein würde, plante das NS-Regime gezielte Angriffskriege zur Wiederherstellung und Erweiterung eines auf militärische Machtentfaltung gebauten Großdeutschlands. Dabei sollte ein Land nach dem anderen isoliert und einzeln niedergekämpft werden. Das Endziel war nach Meinung einiger Historiker die Eroberung des kontinentalen Festlands, der Sowjetunion bis zur Linie Archangelsk–Uralgebirge–Kaukasus sowie die Besiedelung dieser Gebiete durch die Deutschen, andere Forscher glauben Belege dafür zu haben, dass Hitler die Weltherrschaft anstrebte. Die Herrschaft über die besetzten Gebiete sollte durch Vertreibung unerwünschter Bevölkerungsgruppen gestärkt werden.
  • Antiliberalismus: Die NS-Ideologie ertrug keinen Pluralismus der Meinungen und Organisationen neben sich, sie allein sollte alle Lebensbereiche total durchdringen.
  • Männerherrschaft und Männlichkeitskult, also Propagierung von Werten wie Tapferkeit und soldatischer Härte. Weibliche Werte werden bei Männern als Feigheit, Krankheit und „Zersetzung der Wehrkraft“ denunziert.

Ob und wieweit auch religiöse Elemente für die nationalsozialistische Ideologie konstitutiv waren, ist in der historischen Forschung umstritten. Verschiedene Strömungen in der NSDAP reichten vom Atheismus und Nihilismus über Bestrebungen eines rassistischen Neopaganismus bis zur Bejahung oder taktischen Vereinnahmung eines „positiven Christentums“ (siehe dazu Religion während des Nationalsozialismus, Deutsche Christen und Kirchenkampf). Dass Elemente der NS-Propaganda, etwa der Führerkult, religionsähnliche Züge trugen, wurde oft beobachtet.

Grundlagen und Weiterentwicklungen

Eine ideologische Grundlage des Nationalsozialismus ist die Anfechtung der Menschenwürde, nach welcher der Mensch seinen Wert als solcher besitzt, das heißt ohne alle Leistung. Die Grundwerte des Nationalsozialismus waren darum weder neu noch auf eine bestimmte historische Zeit beschränkt. Sie sind die der Leistungsgesellschaft, nur eben radikal und total. Die Inszenierung der Arbeit, des Körpers, der Technik, das Absinken der Künste auf die Beschwörung des Willens ist genauso Ausdruck dieser Sicht des Menschen, wie das System der Arbeitslager und die Vernichtung sogenannten „unwerten Lebens“ (siehe auch Aktion T4). Der Versailler Vertrag und die Folgen der Weltwirtschaftskrise der zwanziger Jahre öffneten der Leistungsideologie und dem Gefühl, um die eigene Leistung betrogen zu sein, weit die Tore. Anders aber zeigt das Beispiel des Antisemitismus, gegründet auf dem Mythos, die jüdische Kultur lebe auf Kosten der deutschen, die geringe Bindung der Leistungswerte zur Wirklichkeit. Wesentliche Elemente der NSDAP-Ideologie wurden von Adolf Hitler in seinem Buch Mein Kampf niedergeschrieben. Das Buch galt als Grundlage aller anderen Schriften des Nationalsozialismus. Als bedeutender NS-Ideologe gilt zudem Alfred Rosenberg, dessen Buch Der Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts sich gegen das Christentum, besonders den römischen Katholizismus[2], richtete und weite Verbreitung fand. Gleichwohl nahmen führende NSDAP-Politiker sein Buch nicht ernst und machten es nicht zur Grundlage ihrer Kirchenpolitik. Besonders Goebbels soll über Rosenberg immer wieder gespottet haben.

Eine eigene Weiterentwicklung der nationalsozialistischen Ideologie nahm Heinrich Himmler vor. Die bereits bei Rosenberg vorhandenen Bezugspunkte zu Indien wurden in den SS-Einrichtungen wie den "Ordensburgen" (die Himmler als Elite des Systems verstand) ausgebaut. Esoterische Lehren mit deutlichen östlichen Einflüssen wurden teilweise von der SS übernommen. Himmler betrieb auch eine Europäisierung der Ideologie. Ein bekanntes Produkt dessen sind die Freiwilligen-Einheiten der "Europäischen SS" aus vielen Ländern.

Häufig nahm der Nationalsozialismus religiöse Züge an. Auf den Reichsparteitagen wurde der Nationalsozialismus zelebriert, was durch den Film "Triumph des Willens" der Regisseurin Leni Riefenstahl besonders herausgearbeitet und verstärkt wurde. Das Verhältnis des Nationalsozialismus zur christlichen Religion blieb daher auch zwiespältig. Einerseits gab es den Versuch, mit der evangelische Kirche ein „Deutsches Christentum" zu begründen. Andererseits aber gab es antichristliche Elemente bei Rosenberg und eine völlige Abwendung vom Christentum durch die Bezugnahme auf germanische Mythologie, Okkultismus, Hinduismus und Buddhismus durch Himmler. (siehe auch Religion während des Nationalsozialismus)

Hinzu kam der „Blut-und-Boden-Mythos" und die Verherrlichung des Bauernstandes (des „Nährstands") sowie eine gewisse Nostalgie. Viele Nationalsozialisten lehnten die Verstädterung und die zunehmende Industrialisierung ab und sehnten sich nach einem Land, das wie eh und je von Bauern bestellt wurde. Auch Himmler hatte solche Gedanken, als er vorschlug, die eroberten Gebiete der Sowjetunion mit Bauern zu besiedeln, die zugleich Soldaten („Wehrbauern") waren. Russen, Ukrainer und Polen sollten die Landarbeiter, das Hauspersonal, die Bauarbeiter oder die Hilfsarbeiter stellen.

Aufstieg

Nachdem sich Hitler von 1928 bis 1930 gegen den militant sozialrevolutionär auftretenden „linken“, also antikapitalistischen Flügel der NSDAP um Gregor und Otto Strasser durchgesetzt hatte, setzte er seine Hoffnungen in die Wählerschaft der Landbevölkerung und des Bürgertums, das er durch ein Zurückschrauben des gleichwohl weiterhin virulenten Antisemitismus in der nationalsozialistischen Propaganda und eine Betonung außenpolitischer Themen zu gewinnen hoffte.

Des weiteren suchte er ein Bündnis mit der Großindustrie, um sein Ziel einer legalen Machtergreifung zu erreichen, nachdem die rechten Putschversuche Anfang der 1920er Jahre (vgl. Kapp-Putsch und Hitler-Putsch) gescheitert waren. Abgesehen von wenigen Ausnahmen wie Fritz Thyssen oder Emil Kirdorf, die der Partei reichlich Spenden zukommen ließen, blieb die überwiegende Mehrzahl der Großindustriellen jedoch bis 1933 dem Nationalsozialismus gegenüber skeptisch bis abwartend. Dies zeigt ein Vergleich zwischen zwei politischen Aufrufen von Wirtschaftsführern aus dem Herbst 1932. Der Aufruf eines DNVP-nahen Kreises, der sich für die Unterstützung des Kanzlers Franz von Papen aussprach, wurde von über dreihundert Industriellen unterzeichnet, während die durch die DDR-Geschichtsschreibung berühmt gewordene Industrielleneingabe, die forderte, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, nur zwanzig Unterschriften aufweisen konnte.

Der größte Teil des traditionellen Arbeitermilieus ließ sich durch die Querfrontstrategie der NSDAP nicht beirren und wählte, solange freie Wahlen noch möglich waren, weiterhin die traditionellen, wenn auch zerstrittenen Arbeiterparteien SPD oder KPD. Bei der milieu-ungebundenen Arbeiterschaft (also etwa Landarbeitern, Hausangestellten oder Arbeitern in Kleinbetrieben) waren die Erfolge der NSDAP, wie die Untersuchungen des Parteienforschers Jürgen W. Falter ergeben haben, indes keineswegs unterproportional.

1934 wurde der antikapitalistische Parteiflügel der NSDAP endgültig zerschlagen, indem Hitler mögliche innerparteiliche Rivalen - darunter seinen ehemaligen Förderer und Duzfreund, den SA-Führer Ernst Röhm - festnehmen und ermorden ließ. Damit sicherte er seine zentrale Machtposition in der Partei ab. Die NS-Propaganda nannte diese Aktion „Niederschlagung des Röhm-Putsches“.

Machtübertragung

In Deutschland verpasste Hitler mit der NSDAP bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 nur knapp die absolute Mehrheit und war infolgedessen gezwungen, die Koalition mit der DNVP aufrecht zu erhalten. Als Vorsitzender der stärksten Partei war er bereits fünf Wochen zuvor, am 30. Januar 1933, von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden. Obwohl die Nationalsozialisten diesen Tag als Tag der „Machtergreifung" propagierten, kam dieser Vorgang vorerst einem gewöhnlichen Regierungswechsel gleich. Es gab jedoch bereits im Januar Stimmen, die den Regierungswechsel als „legale Revolution“ bezeichneten (Carl Schmitt). Der Brand des Reichstagsgebäudes in Berlin am 27. Februar 1933 veränderte endgültig die Situation. Die Nationalsozialisten behaupteten, dass der Brandanschlag ein kommunistischer Umsturzversuch sei, beschuldigten mehrere kommunistische Politiker der Mittäterschaft und schufen sich mit der bereits am Tag darauf erlassenen Notverordnung des Reichspräsidenten Hindenburg nach Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung die Möglichkeit, unter Aufhebung der garantierten Grundrechte gegen die Opposition, insbesondere die KPD, vorzugehen.

Die vollständige Machteroberung gelang den Nationalsozialisten erst durch das Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933, für das sie eine Zwei-Drittel-Mehrheit der anwesenden Abgeordneten benötigten, welche sie durch das Verbot der KPD und einen Pakt mit dem Zentrum und der DNVP auch erlangten. Durch dieses Gesetz wurde die Weimarer Reichsverfassung praktisch beseitigt, denn der Reichstag entzog sich durch seine Zustimmung selbst die Macht, indem er die Trennung von Exekutive und Legislative aufhob und sich damit selbst überflüssig machte.

Verhältnis zum Kapitalismus

Das Verhältnis von Nationalsozialismus und Kapitalismus ist seit langer Zeit umstritten. Der österreichische Wirtschaftswissenschaftler Ludwig von Mises urteilte zum Beispiel 1947: The philosophy of the Nazis, the German National Socialist Labour Party, is the purest and most consistent manifestation of the anticapitalistic and socialistic spirit of our age. [3].

Der deutsche Soziologe Max Horkheimer konstatierte dagegen: „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen.“[4]

In der marxistischen Deutung des Nationalsozialismus - denn auf diese bezieht sich Horkheimers Diktum - wird der Nationalsozialismus, verstanden als deutsche Variante des Faschismus, als eine bürgerliche Herrschaftsform begriffen, die sich in einer existenziellen Krise des Kapitalismus in eine gegen die Arbeiterbewegung gerichtete Diktatur verwandelt hat. Marxistische Deutungen des Nationalsozialismus variieren von sogenannten „Agententheorien“, die die Nationalsozialisten lediglich als ausführende politische Handlanger der in Wahrheit herrschenden Kapitalisten ansehen, bis zur Bonapartismustheorie in der Nachfolge August Thalheimers, der meinte, die Kapitalisten hätten die Nationalsozialisten zwar in einer Patt-Phase im Klassenkampf an die Macht gebracht, diese hätten sich aber dann weitgehend von ihnen emanzipieren können.

In einigen Zweigen der neueren historischen Forschung wird die Frage, in welchem Verhältnis Nationalsozialismus und Kapitalismus zueinander standen, auf drei Ebenen untersucht: Erstens geht es um die Frage, ob Hitler mit Hilfe der Großindustrie an die Macht gebracht worden sei, zweitens darum, ob die Ideologie der Nationalsozialisten antikapitalistisch gewesen sei, und auf der dritten Ebene wird geprüft, ob ihre in den Jahren 1933 bis 1945 betriebene Wirtschaftspolitik pro- oder antikapitalistische Züge getragen habe.

Als Beleg für die Verantwortung der Großindustrie für die Machtübergabe an Hitler führt vor allem die marxistische Forschung die Spendenpraxis deutscher Industrieller wie Fritz Thyssen und Emil Kirdorf an, sowie die Industrielleneingabe vom November 1932, in der Reichspräsident Hindenburg aufgefordert wurde, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Der ostdeutsche Historiker Eberhard Czichon zog daraus den Schluss, dass „eine Mehrheitsgruppe deutscher Industrieller, Bankiers und Großagrarier Hitlers Kanzlerschaft gewollt und organisiert“ habe. [5] Sein westdeutsche Kollege Reinhard Neebe stellte dagegen fest, dass der Großteil der deutschen Unternehmerschaft und vor allem ihr Dachverband, der Reichsverband der Deutschen Industrie, nicht Hitler, sondern seine konservativen Vorgängerregierungen Brüning, Papen und Schleicher unterstützt habe. [6] Diese Ergebnisse wurden durch die Forschungen des amerikanischen Historikers Henry Ashby Turner untermauert, der aus seinen Untersuchungen den Schluss zog, dass die NSDAP ihre Finanzmittel nicht vorwiegend aus Industriespenden erhalten habe, sondern durch Mitgliedsbeiträge und Eintrittsgelder. Die Großindustrie habe ihr, immer deutlich weniger Geld zukommen lassen als ihren Konkurrenten DNVP, DVP und Zentrum, und auch nur als Rückversicherung für den (nicht von ihr angestrebten) Fall einer NS-Machtergreifung. [7] Die These, dass die Großunternehmer in ihrer Gesamtheit ursächlich am Aufstieg des Nationalsozialismus und der Übergabe der Macht an Hitler beteiligt gewesen seien, wird in der akademischen Forschung heute daher kaum noch vertreten.

Für die Frage, ob die Ideologie der Nationalsozialisten antikapitalistisch gewesen sei, liegen sehr widersprüchliche Quellenbelege vor. Das 25-Punkte-Programm der Partei von 1920, das Hitler bis 1926 für „unabänderlich“ erklärte, enthielt zum Beispiel mehrere offen antikapitalistische Forderungen wie Brechung der Zinsknechtschaft, Verstaatlichung von Trusts und Gewinnbeteiligung an Großbetrieben. Führende Nationalsozialisten wie Otto Strasser, sein Bruder Gregor und Joseph Goebbels verwendeten regelmäßig sozialistische Versatzstücke in ihren Reden. Dem steht Hitlers Bekenntnis zum Privateigentum gegenüber, das er 1926 im Hamburger Industrieklub vor Unternehmern ablegte. [8] Diese Widersprüche in der NS-Ideologie versuchte man bisher auf unterschiedliche Weise aufzulösen: Man interpretiert Hitlers Äußerungen zu Wirtschaftsfragen als rein opportunistisch, d.h. dass er über keine konsistenten ökonomischen Überzeugungen verfügt habe, sondern immer nur seinem Publikum nach dem Munde geredet habe. [9] Oder aber es wird auf die schrittweise Ausschaltung der so genannten nationalsozialistischen Linken zwischen 1930 und 1934 verwiesen und man interpretiert die antikapitalistischen Töne als verkappten Antisemitismus [10] Henry A. Turner kommt daher zu dem Ergebnis, dass Hitler mit seinem Sozialdarwinismus als Anhänger des für den Kapitalismus typischen „liberalen Konkurrenzprinzips“ zu verstehen sei. [11]

Rainer Zitelmann dagegen stellt die These auf, dass Hitler sich selbst als „Revolutionär“ verstanden habe, dem die Verbesserung der Aufstiegschancen der Arbeiter (das heißt natürlich nur, insofern sie seinen Rassevorstellungen entsprachen) ein ehrliches Anliegen gewesen sei, wobei es ihm nicht „um die Ermöglichung der bestmöglichen Entfaltung des Individuums, sondern um die Optimierung des Nutzens für die „deutsche Volksgemeinschaft“ gegangen sei. [12]. Gegenüber der Wirtschaft habe er einen „Primat der Politik“ angestrebt, der „auf eine Revolutionierung des Verhältnisses von Politik und Ökonomie“ hinausgelaufen sei:

Anstelle des kapitalistischen Wirtschaftssystems wollte Hitler eine gemischte Wirtschaftsordnung etablieren, in welcher markt- und planwirtschaftliche Elemente zu einer neuen Synthese vereint wären.

Wenn auch Hitlers oberstes Ziel „seine sozialdarwinistische Idee vom ewigen Kampf und das völkische Prinzip“ gewesen sei, sei die „vom Nationalsozialismus ausgelöste soziale Revolution, deren Inhalt die Modernität war“, durchaus ernst zu nehmen.

Gegen diese These wurde von verschiedener Seite eingewandt, dass damit der rassistische und damit reaktionäre Charakter des NS-Regimes über Gebühr heruntergespielt werde [13]. Der Berliner Wirtschaftshistoriker Albert Ritschl, der in der Kontroverse eine vermittelnde Position einnimmt, macht dagegen auf Äußerungen Hitlers aufmerksam, die er im März 1942 im Kreise seiner Adjutanten machte, d.h. ohne Zwang, seine wahren Ansichten zu kaschieren. Hitler wandte sich hier grundsätzlich

gegen anonymen Privatbesitz der Aktie. Ohne selbst etwas dazu zu tun, erhalte der Aktionär mehr Dividende, wenn die Arbeiter der Aktiengesellschaft fleißig statt faul seien oder wenn ein genialer Ingenieur an der Spitze des Betriebs stehe.[14]

In dieser Interpretation wäre die oft zitierte Ablehnung eines „raffenden“ im Gegensatz zum lobenswerten „schaffenden Kapitalismus“ durchaus ernst gemeint.

Auch auf der dritten Ebene, der in Deutschland von 1933 bis 1945 praktizierten Wirtschaftspolitik, sind die Befunde widersprüchlich. Auf der einen Seite steht das faktische Lohndumping, denn die Löhne blieben in vielen Sektoren auf ihrem Niedrigststand zur Zeit der Weltwirtschaftskrise; auch die Reprivatisierung der in der Bankenkrise 1931 de facto verstaatlichten Großbanken spricht eher für eine prokapitalistische Haltung der Regierung, ebenso die massiven Profitmöglichkeiten, die sich mehreren Unternehmen in den nach 1939 eroberten Gebieten boten. Die Arbeiten u.a. von Avraham Barkai, Timothy Mason und Dieter Petzina dagegen zeigen, dass die dirigistischen Eingriffe in die Wirtschaft unter Schachts „Neuem Plan“ (1934), unter dem Vierjahresplan (1936) und vollends die Kriegswirtschaft unter Rüstungsminister Albert Speer (ab 1942) vom freien Unternehmertum der Weimarer Jahre wenig übrig ließen. Der Historiker Klaus Hildebrand fasst den Stand der Forschung in Oldenbourg Grundriss der Geschichte zusammen:

Zwar blieben die Betriebe in privaten Händen der Unternehmer, ohne Zweifel stiegen auch die finanziellen Erträge aus der Rüstungskonjunktur. Doch wurde das für eine kapitalistische Wirtschaft verbindliche Prinzip der Zweck-Mittel-Rationalität im Banne der Rüstungsanforderungen und des Autarkieprinzips auf Befehl Hermann Görings mehr und mehr außer Kraft gesetzt. [15]

Quellen

  1. Joachim Fest, Hitler. Eine Biographie. 8. Auflage 2006. S. 411
  2. siehe hierzu auch das von Rosenberg herausgegebene Handbuch zur Romfrage. Hoheneichen-Verlag, München 1940, von dem nur der 1. Band (A-K) erschienen ist
  3. übersetzt etwa: Die Ideologie der Nazis, der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei ist die reinste und konsistenteste Manifestation unseres antikapitalistischen und sozialistischen Zeitgeistes; http://www.econlib.org/LIBRARY/Mises/msSApp.html
  4. Max Horkheimer, Die Juden und Europa, in: Zeitschrift für Sozialforschung 8 (1939), S. 115
  5. Eberhard Czichon, Wer verhalf Hitler zur Macht? Köln 1967, S. 54
  6. Reinhard Neebe: Großindustrie, Staat und NSDAP 1930 - 1933, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1981, [1]
  7. Henry Ashby Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Siedler Verlag Berlin 1985
  8. Werner Jochmann: Im Kampf um die Macht. Hitlers Rede vor dem Hamburger Nationalklub von 1919, Europäische Verlagsanstalt Frankfurt am Main 1960; dieselbe Meinung vertrat Hitler auch noch sechzehn Jahre später, Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, Ullstein Verlag, Berlin 1993, S. 136
  9. so z.B. Herrmann Rauschning: Die Revolution des Nihilismus, Zürich 1938
  10. vgl. hierzu Albrecht Ritschl, Zum Verhältnis von Markt und Staat in Hitlers Weltbild, in: Uwe Backes/Eckhard Jesse/Rainer Zitelmann (Hrsg.): Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus, Propyläen Verlag Frankfurt/Main und Berlin 1990, S.254 u.ö.
  11. Henry A. Turner: Hitlers Einstellung zu Wirtschaft und Gesellschaft vor 1933, in: Geschichte und Gesellschaft 1 (1976), S. 89 – 117; ähnlich auch Harold James: Deutschland in der Weltwirtschaftskrise 1924 – 1936, dva Stuttgart 1988, S. 332f: „Hitlers Vorstellungen von Wirtschaft hatten nichts Sozialistisches an sich".
  12. Rainer Zitelmann, Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs, Darmstadt 1990, S. 491
  13. z.B. bei Wolfgang Wippermann und Michael Burleigh, The racial state. Germany 1933 – 1945, Cambridge University Press 1991, S. 378ff, die Zitelmann dabei gar keiner namentlichen Erwähnu8ng für wert halten
  14. Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, Ullstein Verlag, Berlin 1993, S. 136
  15. Klaus Hildebrand, Das Dritte Reich (Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd. 17), München 1991, S. 170

Literatur

Siehe auch

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Weblinks

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