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Betriebliche Übung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Als betriebliche Übung bezeichnet man den Umstand, dass ein Arbeitnehmer aus der regelmäßigen Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu Recht ableiten darf, dass der Arbeitgeber sich auch in Zukunft bzw. auf Dauer so verhalten wird, etwa bei der Gewährung von Leistungen und Vergünstigungen und dadurch Rechtsansprüche auf solche Leistungen begründet werden. Durch die betriebliche Übung werden freiwillige Leistungen des Arbeitgebers zu verpflichtenden, denen sich der Arbeitgeber nicht mehr einseitig entziehen kann.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Anwendungsbereich

Ansprüche aus betrieblicher Übung sind überall dort denkbar, wo für das geltend gemachte Recht keine andere Anspruchsgrundlage besteht. Häufigste Anwendungsfälle sind (immer freiwillig und nicht ohnehin nach Arbeits- oder Tarifvertrag bzw. Betriebsvereinbarung geschuldet und geregelt) Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Jubiläumsgratifikation, Prämien, Urlaubsregelung (Regel wie der Urlaub verteilt wird und wie er angemeldet werden muss), Krankmeldungsregelung (wann die Krankmeldung schriftlich zu erfolgen hat, wer und wann zu informieren ist), Pausenregelung (Lage und Umfang der Pausen), Fahrtkostenzuschuss.

[Bearbeiten] Rechtslage in Deutschland

Betriebliche Übung ist ein im deutschen Arbeitsrecht gewohnheitsrechtlich anerkanntes Rechtsinstitut.

[Bearbeiten] Voraussetzungen

Das Entstehen von individuellen, einklagbaren Ansprüchen aus Betrieblicher Übung setzt neben einem Umstandsfaktor (vorbehaltslose Gewährung einer Leistung) immer auch einen Zeitfaktor (regelmäßige Wiederholung) voraus.

Beispielsweise soll eine betriebliche Übung bestehen wenn der Arbeitgeber drei Jahre hintereinander ohne Freiwilligkeitsvorbehalt Weihnachtsgelt zahlt. Der Arbeitnehmer kann dann darauf vertrauen, dass auch im vierten Jahr gezahlt wird.

Das Entstehen einer betrieblichen Übung ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn im Arbeitsvertrag mit einer (einfachen) Schriftformklausel jede Änderung des Vertrags der Schriftform bedarf. Nur bei sogenannten "doppelten" Schriftformklauseln (Beispiel: "... auch die Änderung dieser Schriftformklausel bedarf der schriftlichen Form") ist die Entstehung einer betrieblichen Übung ausgeschlossen (vgl. BAG Urteil vom 24. Juni 2003)

[Bearbeiten] Beendigung

Ein durch betriebliche Übung entstandenes Recht kann nicht durch einseitigen Widerruf oder Direktionsrecht des Arbeitgebers beseitigt werden. Er muss eine Änderungskündigung aussprechen. Allerdings soll eine bestehende betriebliche Übung nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die auf vielseitige Kritik gestoßen ist, auch ohne Änderungskündigung durch eine neue, für den Arbeitnehmer ungünstigere betriebliche Übung abgelöst werden (Beispiel: drei Jahre unterbleibende Zahlung von Weihnachtsgeld, das bislang aufgrund Betrieblicher Übung gezahlt wurde, ohne dass Arbeitnehmer widersprechen). Voraussetzung ist aber, dass der Arbeitgeber seinen Willen zur Änderung der bisher bestehenden betrieblichen Übung eindeutig zum Ausdruck bringt.

Das Bundesarbeitsgericht lässt auch die Beendigung einer betrieblichen Übung durch eine sog. gegenläufige betriebliche Übung zu. Dabei wird die Leistung, auf die der Arbeitnehmer eigentlich einen Anspruch hat, vom Arbeitgeber nur noch unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit und schließlich nicht mehr gewährt.

[Bearbeiten] Rechtslage in Österreich

Die betriebliche Übung (auch Betriebsübung oder betriebliches Gewohnheitsrecht genannt) ist keine eigene Rechtsquelle.

Generell können Arbeitsverträge auch stillschweigend zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber abgeändert werden (§ 863 ABGB). Dies auch bei Schriftformklauseln, da die Vertragsparteien Herren des Arbeitsvertrages bleiben und daher auch stillschweigend sich über die Schriftformklausel hinwegsetzen können. Voraussetzung ist lediglich der übereinstimmende Wille beider.

Bei der betrieblichen Übung gibt der Arbeitgeber durch ein bestimmtes Verhalten einseitig ein stillschweigendes Anbot auf Abänderung des Arbeitsvertrages ab. Durch Annahme dieses Anbotes durch den Arbeitnehmer wird der Arbeitsvertrag ergänzt. Die betriebliche Übung ist rechtsdogmatisch nichts anderes als eine stillschweigende Vertragsergänzung. Erst durch den dadurch abgeänderten Arbeitsvertrag erhält der Arbeitnehmer seinen Rechtsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber auf Leistung der ehemals freiwilligen Vergütungen.

[Bearbeiten] Voraussetzungen

Aus der Konstruktion der stillschweigenden Vertragsergänzung ist auch erkennbar, welche Voraussetzungen die betriebliche Übung haben muss, damit der Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch erwirbt: Voraussetzung ist die Willensübereinstimmung.

Das Anbot des Arbeitgebers muss daher erkennen lassen, dass dieser bereit ist, die angebotene Leistung auch zukünftig zu erbringen. Denn nur wenn auch zukünftig die Leistungserbringung in Aussicht gestellt wird, möchte der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag abändern; für eine einmalige freiwillige Leistung kann ein Wille zur Abänderung des Arbeitsvertrages nicht unterstellt werden. Daher ist für die betriebliche Übung eine Regelmäßigkeit Voraussetzung, wobei eine solche bereits bei zweimaliger Gewährung gegeben sein kann.

Das Anbot des Arbeitgebers darf nicht unter Vorbehalt ausgesprochen werden. Wenn der Arbeitgeber deutlich zum Ausdruck bringt, dass er die freiwillige Leistung nur erbringt, ohne den geltenden Arbeitsvertrag abändern zu wollen, er also deutlich auf die Freiwilligkeit aufmerksam macht und darauf hinweist, dass diese freiwillige Leistung unter Widerruf steht, so kann keine betriebliche Übung entstehen, da keine Willensübereinstimmung mehr möglich ist. Wichtig ist dabei aber, dass der Arbeitgeber keine Zweifel über die Wideruflichkeit der freiwilligen Leistung übrig lässt. Der bloße Hinweis auf die Freiwilligkeit der Leistung reicht dabei nicht aus, da das Wort "freiwillig" nur bedeute, dass "die Zuwendung auf den ursprünglich freiwilligen Entschluß des Arbeitgebers zurückgeht; es wird damit nur die Unterscheidung zu den kollektivvertraglich geschuldeten Leistungen zum Ausdruck gebracht" (OGH 13. Oktober 1993, 9 ObA 265/93).

Das Anbot des Arbeitgebers muss mit seinem Wissen erbracht werden. Leistungen, die ohne Wissen des Arbeitgebers erfolgen, (etwa im Arbeitsablauf) können keinesfalls zur betrieblichen Übung werden, auch wenn sie seit langer Zeit im Betrieb praktiziert werden.

[Bearbeiten] Betriebliche Übung bei neu eintretenden Arbeitnehmern

Sobald obige Voraussetzungen erfüllt sind - eine Leistung also regelmäßig und ohne Vorbehalt seitens des Arbeitgebers geleistet wird -, kommen neu eintretende Arbeitnehmer ebenfalls in den Genuss der betrieblichen Übung.

Der Arbeitgeber hat aber die Möglichkeit, das Entstehen der betrieblichen Übung bei neu eintretenden Arbeitnehmern zu verhindern, in dem er seinen mangelnden Willen zur Vertragsänderung deutlich zum Ausdruck bringt. Dies führt zu einer "Zwei-Klassen-Belegschaft": Alten Arbeitnehmern, denen gegenüber die betriebliche Übung schon entstanden ist, haben Anspruch auf die Leistung, während neue Arbeitnehmer diesen Anspruch nicht haben. Allein diese Unterscheidung führt noch nicht zur Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes.

[Bearbeiten] Beendigung

Ansprüche aus betrieblichen Übungen sind nichts anderes als Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag. Daher ist die einseitige Beseitigung der entstandenen betrieblichen Übung durch den Arbeitgeber nicht möglich; der Arbeitgeber kann nicht einfach erklären, dass er hinkünftig die Leistungen nicht mehr gewährt.

Die betriebliche Übung kann nur wieder durch Vertragsänderung beseitigt werden. Eine solche benötigt stets die Zustimmung des Arbeitnehmers. Eine kollektive Zustimmung etwa durch den Betriebsrat ist nicht ausreichend, da die Abänderung des Arbeitsvertrages einzig den jeweiligen Vertragspartnern zusteht. Freilich kann diese Zustimmung des Arbeitnehmers wieder stillschweigend erfolgen, doch ist hier zu berücksichtigen, dass ein Schweigen des Arbeitnehmers allein noch keine Zustimmung ist; ein Schweigen des Arbeitnehmers kann auch andere Gründe als jene der Zustimmung haben. Erst wenn mit Überlegung aller Umstände kein vernünftiger Grund, an der Zustimmung des Arbeitnehmers zu zweifeln, über bleibt, liegt eine stillschweigende Zustimmung vor (§ 863 ABGB), wobei hier die Rechtsprechung recht restriktiv ist. Ein gewisses Ungleichgewicht ist hier erkennbar: Eine betriebliche Übung entsteht stillschweigend relativ schnell, während dieselbe stillschweigend kaum aufgehoben wird. Dieses Ungleichgewicht gründet sich auf dem sozialen Schutzprinzip des Arbeitsrechts: Es wird viel eher vermutet, dass der Arbeitgeber sich zu weiteren Leistungen verpflichten möchte, als der Arbeitnehmer auf gewährte Leistungen verzichtet.

Eine betriebliche Übung kann auch durch (einseitige) Kündigung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber beseitigt werden. Damit wird aber das gesamte Arbeitsverhältnis beendet. Eine Teilkündigung, also die Kündigung nur jenes Teiles des Arbeitsvertrages, der die betriebliche Übung enthält, ist jedoch nicht zulässig. Zulässig ist hingegen eine Änderungskündigung. In beiden Fällen (Kündigung und Änderungskündigung) ist aber ein eventuell bestehender allgemeiner oder besonderer Kündigungsschutz zu beachten.

[Bearbeiten] Beweislast

Da Ansprüche aus dem Titel der betrieblichen Übung nichts anderes sind als Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, den Bestand der betrieblichen Übung (genauer: die Abänderung seines Arbeitsvertrages) zu beweisen.

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