Blueserszene
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Die Blueser- oder Kundenszene war eine DDR-spezifische Jugendkultur, die in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre ihren Höhepunkt erreichte. Ihre Anhänger bezeichneten sich selbst als Blueser, Kunden oder Tramper. Die Bezeichnung Gammler hingegen wurde meist außerhalb der Szene, insbesondere durch die Staatsmacht, gebraucht. Ihr Leitbild waren Ideale aus der amerikanischen Hippie-Bewegung (Woodstock) wie Freiheit, Authentizität und Nonkonformismus. Sie zeichnete sich durch identische Verhaltensmuster, gemeinsame musikalische Vorlieben und einem speziellen Outfit aus.
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[Bearbeiten] Geschichte
In den sechziger Jahren erlangte der Blues in der DDR zunehmend offiziell Anerkennung. Neben traditionellen Jazzliebhabern begannen sich auch rockbegeisterte Jugendliche für den Blues zu interessieren. Ihre Idole waren die Rolling Stones oder die Animals, aber auch die Vertreter der Flower-Power-Zeit: Jimi Hendrix, Janis Joplin, The Doors und andere. Über deren Coverversionen gelangte die erste „Bluesergeneration“ zu den Wurzeln des Blueses. Ihren Höhepunkt erreichte die Blueser- oder Kundenszene in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. Neben der Musik der Hippie-Bewegung nahm der Blues einen zentralen Stellenwert ein. Insbesondere, die am Rock orientierten Vertreter, wie John Mayall, Rory Gallagher, Canned Heat, Lynyrd Skynyrd oder ZZ Top fanden Anklang in der Szene. In der Identifikation mit dem Blues verkörperte sich die Aneignung solcher Werte wie Echtheit und Ursprünglichkeit. Analogien zum DDR-Alltag leitete man aus dem Freiheitskampf der Afroamerikaner ab und äußerte sich in der Suche nach Überlebensstrategien und Nischen innerhalb der DDR-Gesellschaft. Anfang der achtziger Jahre war der „Blueser“ ein „Auslaufmodell“ geworden. Nun rebellierten Punks und Heavy-Metal-Freaks gegen die Staatsmacht.
[Bearbeiten] Charakteristik
1979 zeichnete die Berliner Band Monokel in ihrem Song „Bye, Bye Lübben City“ ein treffendes Selbstporträt der Szene. Die Blueser- oder Kundenszene war die lebendigste und zugleich langlebigste Jugendkultur der DDR. Der „Blueser“ war eine unverwechselbare Mischung aus Bluesfan, Beatkunde und Blumenkind. Lange Haare, Bart und Bekleidungsstandards machte sein spezielles Outfit aus. Sein Äußeres demonstrierte Freiheit und den Willen unangepasst zu sein.
Das wohl wichtigste Markenzeichen war der grüne Shell-Parka (Studentenkutte oder Shelli), der im Original aus der amerikanischen Militärbekleidung stammte. Er diente gleichzeitig als Bekleidung, Schlafsack und Reisegepäck, zur Unterbringung des Personalausweises (Persi), Zahnbürste, etwas Geld, einer Schachtel „Karo“ (eine filterlose DDR-Zigarettenmarke) und der Mundharmonika (Mundi). Als Ersatz mussten oftmals Lodenmäntel, Drillichjacken der FDJ aus den fünfziger Jahren oder nicht mehr aktuelle Uniformjacken von NVA, VP oder GST dienen. Als einzig echte Jeans galt die Levi's 501, die Five-Pocket-Jeans mit den röhrenförmigen Beinen, der 5er-Knopfleiste, dem rot bedruckten Two-Horse-Patch und dem Red Tab mit dem Big E. An den Füßen trug der „Blueser“ braune knöchelhohe Wildlederschuhe (Tramper) oder die legendären Jesuslatschen. Als Oberbekleidung dienten T-Shirt oder blau-weiß-gestreifte Arbeitshemden (Fleischerhemden), bei Frauen auch Batikkleider und eingefärbte Unterröcke. Der selbstgenähte „Hirschbeutel“ setzte sich erst in den 80er Jahren als unverwechselbares Attribut durch.
Musikalisch orientierte sich der „Blueser“ am Folk, Southern Rock und Bluesrock. Als Motor der Szene fungierten einheimische Bands wie Engerling, Freygang, Monokel, Passat, Jonathan Blues Band, Mama Basuto, Kerth oder Stefan Diestelmann. Vornehmlich in Dorfkneipen in den südlichen DDR-Bezirken und am Rande der großen Städte vermittelten diese Bands Bluesseligkeit. Im Schatten der offiziellen Kulturpolitik und des Mainstreams frönten Bands und „Blueser“ dem Blues, eroberten die Provinz und „besetzten“ zunehmend auch „sozialistische Volksfeste“, wie die Pressefeste, Stadtfeste oder den Weimarer Zwiebelmarkt und gerieten somit ins Visier der Staatsmacht.
An den Wochenenden war der „Blueser“ permanent unterwegs, reiste per Bahn oder Anhalter (Autostop) den Bands hinter her und lebte seine Auffassung von Freiheit und Moral. Und am Montag kehrte er mit brummenden Schädel und vollgetankten „Batterien“ in den DDR-Alltag zurück.
Die Blueser- oder Kundenszene war eine heterogene Gemeinschaft, männlich dominiert. Ihr gehörten mehrheitlich junge Facharbeiter, aber auch Oberschüler und Studenten an. Der gemeinsame Nenner bestand in der Ablehnung staatlich verordneter Kulturmuster und in dem Drang zur Flucht aus der Enge und Beschränktheit des DDR-Alltages.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Michael Rauhut, Thomas Kochan: Bye, Bye Lübben City. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2004. ISBN 389602602X