Dialektik bei Marx - Engels
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Dialektik (griech.) ist ursprünglich die (streitbare) Kommunikation (Standpunkt > Gegenargument > neuer Standpunkt) und beschreibt eine Bewegungsform aus sich selbst (der Kommunikation) heraus. In der idealistischen „Logik“ Hegels bezieht sie sich auf Begriffe und das Denken und das von der Idee (Weltgeist (siehe auch: Anima Mundi), Gott) gesetzte Sein. Jede Setzung bringt demnach mit innerer Notwendigkeit ihr Gegenteil hervor (Negation analog Antithese) und führt dann zu einer höheren Einheit (Negation der Negation analog Synthese).
Karl Marx und Friedrich Engels entwickelten daraus ein „Bewegungsgesetz“ der menschlichen Geschichte, das insbesondere die „Selbsterzeugung“ des natürlichen Menschen in der menschlichen Natur erklären helfen sollte. Zu bedenken ist dabei, dass dieser Ansatz sich gegen die herrschende Vorstellung einer statischen, von Gott geschaffenen Welt richtete und in einer Zeit entwickelt wurde, in der die nomothetischen (siehe Wilhelm Windelband), die in Gesetze gefassten Naturwissenschaften, die gerade aus Alchemie und Metaphysik herausgeschält wurden, auch für die eben entstehenden Gesellschaftswissenschaften Vorbild waren. Gesetze wurden dabei als „Tendenzen“ und nicht als Mechanik verstanden, da der bewusste Mensch sich immer größere Freiräume in der Gestaltung seiner (gesetzmäßigen) Welt schafft, um nach Überwindung auch der selbstgeschaffenen wie der natürlich gesetzten Herrschaft/ Zwänge sich weitgehend und als umfassend (aus-) gebildetes Individuum zu emanzipieren.
Ob idealistische oder materialistische Dialektik, es bleibt immer darin ein Prozess verstanden, der von der vorhandenen Substanz (These, begrifflich oder materiell) aus der Selbstbewegung seiner selbst seine Negation (Antithese) entwickelt, um auf komplexerer Stufe (Spirale) in der Negation der Negation (Synthese) sich zu erneuern. Rückblickend lässt sich – salopp – formulieren, dass mit der Dialektik insbesondere das „Ei – Henne – Problem“ in der Evolution beschrieben wurde, das heute als autopoietischer oder selbstbezüglicher Prozess diskutiert wird. Und Dialektik gilt immer auch (noch) als Denkform/Methode.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Momente der Dialektik

Bezüglich der Marxschen Dialektik sind sinnvollerweise mehrere Betrachtungsweisen/Aspekte zu unterscheiden, ohne dabei aber mehrere Arten der Dialektik zu konstruieren. Erstens wirkt Dialektik mit dem Erscheinen des – selbstbewussten – Menschen in der Welt, der vorerst nur rudimentär, später – in der bürgerlichen Gesellschaft – die ihm bekannte (!) Welt/ Natur sich weitgehend unterwirft. Da in dieser Vorstellung nicht mehr ein Gott die Welt erschuf und die Umwelt den Menschen prägt, verändert der Mensch sich durch Veränderung der (Um-) Welt auch selbst, um dann wiederum von der neuen Position aus die veränderte Welt sich zu formen. Diese Selbsterzeugung und Emanzipation des Menschen aus der unorganischen Natur wird immer bewusster, planvoll, kann aber die Naturhaftigkeit nicht völlig abstreifen, weil immer Lebensmittel produziert werden müssen.
Zweitens spricht Marx bei der Darstellung (!) seiner positiven Forschung zur Analyse der Welt, speziell der der politischen Ökonomie, dem System der vom Kapital beherrschten Produktionsweise, von seiner „dialektischen Methode“, der dialektischen Interpretation des angeeigneten Stoffes und dessen Kategorien. Besonders hier knüpft er an Hegel an, dessen Dialektik er – um 1845 herum zusammen mit Engels – auf die Füße stellen will, um – dazu auch Feuerbachs (undialektischen) Materialismus aufgreifend – seine materialistische Dialektik zu entwickeln (in „Die deutsche Ideologie“. „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern.“, Marx, 11. Feuerbachthese; Marx Engels] Werke, MEW 3). Besonders das Hauptwerk von Karl Marx, „Das Kapital“, gilt Marx und Engels im Ganzen als ausgeführte dialektische Darstellung, ohne dass aber darin explizit die dialektische Methode erklärt wird. Erst im Nachwort zur 2. Auflage gibt es knappe Hinweise.
Drittens ist ein besonderes Augenmerk auf die Unterscheidung zwischen logischer und historischer Ableitung zu legen, was insbesondere bei der Darstellung der Entstehung des Kapitals aus Geld eine Rolle spielt. Neuere Marx-Forschung relativiert die Bedeutung, die die Dialektik für die Arbeit Marx´ (ab 1858) gegenüber einer stärker historischen Sichtweise gehabt habe. Die logische (und dabei teleologische, einem Zweck folgende) Ableitung der Begriffe durch Hegel ließe sich – habe Marx Ende der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts bemerkt – nicht ohne historische Darstellung in ein materialistisches und nicht-teleologisches dialektisches System übertragen.
Aus diesen Momenten der Dialektik ist Mitte des 19. Jahrhunderts durch Marx und Engels ein einheitlicher neuer Denkansatz entstanden, der nicht in dialektischen und historischen Materialismus zu teilen ist (wie von der Sowjetideologie verfremdet in den Vordergrund gestellt; speziell: Stalin, Über Dialektischen und Historischen Materialismus). Heute ist dieser Ansatz am besten als materialistische Dialektik zu bezeichnen. Umstritten ist, wieweit Dialektik auf Natur und deren Wissenschaft ausgedehnt werden kann, wie Engels es in seinen Spätwerken zu entwickeln sucht, wieweit Marx darin involviert ist, und ob daraus dogmatische Herrschaftsideologien ableitbar sind.
[Bearbeiten] Dialektik Mensch – Natur
Anders als bei Hegel, der vom Weltgeist als Schöpfer der Welt ausgeht (Idee) und dessen Dialektik eine der Begriffe ist (Begriff > Negation > Negation der Negation), bezieht sich Marx auf die reale Welt mit realen Menschen – und dieses Verhältnis „Natur ↔ Mensch als Teil der Natur“ ist die Basis seiner „dialektischen Methode“ (siehe: Alfred Schmidt, Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx, Frankfurt 1978).
Der Begriff der Natur ist in den Marxschen Analysen (mit dem Begriff „Lehre“ ist das auch so eine Sache) deshalb zentral, weil nur das Verhältnis „Natur ↔ Mensch“ als ein dialektisches beschrieben wird, und zwar als ein praktisches, tätiges Verhältnis. Indem der Mensch – geprägt durch seine Umwelt – dieses Sein (Umwelt) zunehmend bewusst verändert, verändert er sich selbst (nicht nur sein Bewusstsein). Die bisherige Entwicklung der Welt, das ist immer nur die menschliche Welt, die, die dem Menschen bekannt ist, kennzeichnet eine aufsteigende Tendenz vom Einfachen zum Komplexen sowohl in der Natur (z. B. vom Einzeller zum Menschen), als auch im Sozialen, von der Urgesellschaft über die Sklavenhaltergesellschaft und den Feudalismus zur bürgerlichen Gesellschaft.
Diese evolutionäre Tendenz hat bei Marx und Engels jedoch weder teleologischen Charakter, in der Natur wirkt kein „Zweck“ auf ein Endziel hin (s. u.), noch etwa einen Mechanismus zu höherer Qualität. Immer gilt: Sozialismus oder Barbarei, Ende offen. Diese Vorstellung der Welt ist eine nicht-ontologische, die philosophisch nicht auf eine letzte Begründung im Sein zurückgeführt wird und nicht auf einen Gott oder Weltgeist, wie in der idealistischen Philosophie. Freiheit gibt es nach Marx nur ohne Gott (nicht schon in der Vorstellung des nur Anti-Religiösen, der nur einfachen Negation Gottes).
Für Marx und Engels ist die Natur, die Welt real vorhanden, doch für den Menschen sei sie nichts, solange sie nicht durch gesellschaftliche Arbeit angeeignet werden könne. Sie gehen von einer systemischen Theorie (analog der damals relativ neuen Biologie) aus, in der die Welt durch Selbsterzeugung entstand und nach Jahrmillionen (zufällig) den Menschen hervorbrachte (zu jener Zeit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Erde als von Gott geschaffen begriffen und ihr Alter außerhalb der Wissenschaften der Evolution auf 5 bis 6.000 Jahre geschätzt; Darwins Hauptwerk zur „Entstehung der Arten...“, mit dem in der bürgerlichen Gesellschaft der Schöpfungsakt obsolet wurde, erschien erst 1859). In den verschiedenen historischen Epochen, die jeweils als Organismen begriffen werden könnten, sei dabei von eigenen Gesetzmäßigkeiten auszugehen, Tendenzen, die primär aus der jeweiligen Ökonomie abgeleitet werden, deren „Gesetze“ daher auch einen anderen Charakter als die der Naturwissenschaft haben.
Der Zeitpunkt der Menschwerdung wird – mit Benjamin Franklin – als jener angenommen, als der Mensch als „Werkzeug herstellendes Tier“ erschien (toolmaking animal). Die Arbeitskraft des Menschen sei damit zur Äußerung einer Naturkraft geworden, durch die die planvolle Veränderung der Natur begonnen habe (wenn auch zuerst nur im engen örtlichen Umfang). Im Gegensatz zum Beispiel zur Biene, die die Wabe instinktiv errichte, sagt Marx, baue der Mensch erstmal im Kopf, was er produzieren wolle. Der Mensch wird gegenüber der Natur, dem Objekt, zum tätigen Subjekt. Und die Dialektik ist also primär jene von Bestandteilen der Natur, ist die wechselseitige Durchdringung zweier Momente, der menschlichen Natur (Objekt) und des natürlichen Menschen (Subjekt).
Marx sieht – in der dialektischen Interpretation – den Menschen als Funktion eines „naturgeschichtlichen Prozesses“, innerhalb dessen „Tendenzen“ die Menschen agieren können („Das Kapital“, MEW 23/ 16, 12). Zwar verringere sich die unmittelbare Abhängigkeit des Menschen von der Natur durch seine bisherige Tätigkeit, er sei aber nicht völlig frei in seiner Gestaltungsmöglichkeit und könne dies auch nicht werden. Immer bestehe eine Abhängigkeit von der jeweiligen Natur, von der der Mensch ein Teil bleibe.
Im Rahmen der gesellschaftlichen Produktion (innerhalb der Tendenzen ihrer jeweils konkreten Bedingungen) erweiterten sich die Möglichkeiten der Naturbeherrschung und der gesellschaftlichen Gestaltung, solange die ökonomischen Grundlagen (die ökonomische Basis) mit den von ihr geprägten politischen und kulturellen Bedingungen (dem Überbau) immer wieder in weitgehende Übereinstimmung gebracht werden könne (durch Klassenkämpfe, Revolutionen oder – später – auch schlicht durch demokratische Wahlen). Zur ökonomischen gesellschaftlichen Basis gehören dabei wiederum auch Politik und Kultur (Überbau) als dialektische Momente. Anders als in der Sowjetideologie faktisch zur Doktrin erhoben, folgt die Entwicklung der „Basis“ keinem mechanischen Naturgesetz, sondern wird von Menschen gemacht; es gibt auf dem Weg zum herrschaftsfreien Menschen also Freiheitsgrade im Denken wie im Handeln, individuell wie gesellschaftlich.
In diesem Prozess verringere sich die Naturwüchsigkeit des Menschen, er emanzipiere sich von Naturzwängen und produziere eine „zweite Natur“ des Menschen; das ist die bearbeitete Natur, in der die Freiheitsgrade zur planvollen Gestaltung des menschlichen Lebens wachsen. Aus der unorganischen Welt entstehe immer mehr die organische Natur des Menschen. Innerhalb der Zwänge der jeweiligen menschlichen Natur entwickle sich durch die gesellschaftliche Praxis eine menschliche Geschichte, deren „Tendenzen“ nicht mit den Gesetzen der (außermenschlichen) Natur gleichzusetzen seien.
Einen Versuch, Naturgesetze auf die menschliche Geschichte zu übertragen, wie es in Ansätzen des „Sozialdarwinismus“ geschieht, weisen Marx und Engels grundsätzlich zurück. Im Gegenteil werde die Natur, auch die kosmische Welt, immer stärker zur angeeigneten, zur menschlichen Natur, und die Wissenschaft von der Geschichte werde zu zwei sich annähernden Bereichen, dem der Geschichte des Menschen und dem der Natur als Einheit in der Verschiedenheit. Beide näherten sich einander an; die Geschichte des Menschen wird aber nicht zum Spezialfall der Lebewesen (wie z. B. bei den Sozialdemokraten, z. B. Karl Kautsky).
Als umstritten – und letztlich nicht mehr endgültig zu klären – gilt eine mögliche erklärte Differenz zur Dialektik zwischen Marx und dem späten Engels, der sie mit den Arbeiten „Anti-Dühring“ und „Dialektik der Natur“ (MEW 20) in die Naturwissenschaft überträgt. Die Stoßrichtung dieser Arbeiten war Marx aber bekannt. Engels hat schon am 14. Juli 1858, zu einer Zeit, als – wie gleich zu sehen – Marx den Bezug zur Dialektik neu durchdachte, in einem Brief an ihn sinngemäß auf „Naturdialektik“ verwiesen; diesen Gedanken greift Marx später in einem privaten Brief sogar auf (17. Aug. 1864). Die Frage entsteht: Muss es da nicht – und auch anders als von Darwin (1859) formuliert, dessen biologische Arbeit Marx und Engels als Bestätigung ihrer eigenen sozialen Anschauung ansahen – einen teleologischen Begründungszusammenhang geben, wie er in der logischen Ableitung Hegels enthalten ist? Allerdings hat auch Engels stets eine teleologische Entwicklung der Geschichte zurückgewiesen und auch die Differenz zwischen Natur- und Gesellschaftswissenschaft hinsichtlich der Dialektik betont.
[Bearbeiten] Logische Ableitung
Engels´ Position – wir kommen zu einem anderen Aspekt der Dialektik – bleibt offenbar näher an der Hegelschen Logik als die des älteren Marx, der Hegel zum Ende der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts neu bearbeitete und „entmystifiziert“ darstellen wollte (was aber nicht geschah; Brief 16. Jan. 1858). In der neueren Marxismusforschung mehren sich die Stimmen, die Marx eine von der engen Anbindung an die begriffliche Dialektik in den Frühschriften sich entfernende Einstellung zuordnen (siehe: Dieter Riedel, Grenzen der dialektischen Darstellungsform, in Mega Studien, hrsg. von der Intern. Marx-Engels-Stiftung, Amsterdam 1997-1).
Nach den Vorarbeiten zu seinem Hauptwerk „Das Kapital“ wende sich Marx davon ab, den Begriff „Kapital“ unmittelbar aus dem logischen System der Ökonomie abzuleiten, wie es der Logik Hegels entspräche, und wie es noch in den „Grundrissen zur Kritik der politischen Ökonomie“ (MEW 42), der Vorstudie des „Kapitals“ geschehen sei. Stattdessen benutze er im „Kapital“ deutlicher eine historische Ableitung. Bei Hegel, der von der „Idee“ ausgeht, entsteht das Industrie-Kapital aus einer dialektischen Bewegungsform (der Begriffe), die dadurch bestimmt ist, dass im Resultat wesentlich das enthalten ist, woraus es resultiert (bei Hegel: im Keim ist die Pflanze enthalten). Eine solche Ableitung ist teleologisch, da im Ende/ Resultat (Pflanze) der Anfang (Keim) enthalten ist. Doch nur vom Resultat aus gesehen lassen sich aus der Vielfältigkeit der Erscheinungen dessen Anfangsbedingungen isolieren (Wert < Kapital). Und nur die historische Beschreibung und Analyse kann zu einem nicht-teleologischen Ergebnis führen.
Voraussetzung für den Begriff „Kapital“ ist der des „Werts“. Aber was ist der Anfang, woraus entstehen „Wert“ oder „Kapital“ – aus „Geld“ (G), aus „Ware“ (W), nur aus der Beziehung G - W - G bzw. aus W - G - W? Marx löste diese Frage mit dem Bezug auf „Mehrwert > Kapital“. Mehrwert entstehe aus der speziellen Ware „Arbeitsvermögen des Arbeiters“, da der Arbeiter nur soviel (Tages-) Lohn erhalte, um damit sein Leben fristen zu können, aber tatsächlich darüber hinaus mehr Stunden arbeite, deren Ertrag sich der Kapitalist aneigne. Der bezahle Geld nur für einen Teil des Arbeitsvermögens, durch das insgesamt Waren geschaffen würden, die dadurch ein Mehrprodukt gegenüber der Bezahlung ergeben und deshalb Mehrwert schafften (Geld > Ware Arbeit > G' Mehrwert). Das systematisch beim Verkauf der Waren mehr zurückerhaltene Geld ist „Kapital“ (G'). Das ist die entscheidende ökonomische Leistung Marx´, gezeigt zu haben, wie in den gesellschaftlichen Prozessen mit durchschnittlichen Investitions- und Lohnsummen nur aus dem Mehrwert, der unbezahlten Arbeit, systematisch Profit entsteht (alle anderen Geldbewegungen gleichen sich im Durchschnitt aus. Doch es bleibt der ursprüngliche Anfang dieses danach dann permanenten Prozesses der Selbstreproduktion des Industriekapitals doch vorerst im Dunkeln (Ei oder Henne; Keim oder Pflanze?).
Marx stand zusätzlich vor dem Problem, dass die Bedingungen, die zur Entstehung des modernen Industriekapitals führten, offensichtlich nur in Westeuropa und nur in der Neuzeit dieses hervorbrachten. Es war erstens Kaufmannsvermögen entstanden (wie aber auch schon im alten Rom, in Byzanz...) und als zweite (!) Bedingung kam die Käuflichkeit freier Arbeit auf dem Markt hinzu, die aber nur die Möglichkeit der Mehrwertproduktion bot (und früher nicht genutzt worden war; MEW 42/ 413).
Dass diese Bedingungen im 18. Jahrhundert zu jener explosiven Entwicklung des Kapitalismus führten, war also offenbar auch Zufall. Aus den genannten Bedingungen heraus hätte es – wie früher – andere Entwicklungen geben können. Marx hat – bei der Betonung, in Russland könne es durchaus zu einer anderen Entwicklung kommen – vom „historischen Milieu“ gesprochen, das in Westeuropa noch zu den beiden Anfangsbedingungen hinzugekommen sei (MEW 19/ 386). Solche Möglichkeiten der Darstellung bietet eine logische Ableitung auch in der materialistischen Interpretation der Hegelschen Dialektik nicht.
Marx unterschied seit 1858 zum einen den historischen Entstehungsprozess und zum anderen die logische Selbstreproduktion. Im historischen Prozess folgen die Bedingungen keiner inneren Notwendigkeit, sondern sind kontingent. Und der historische Prozess ist dann – anders als noch bei Hegels logischer Selbstreproduktion – nicht teleologisch; Anfang und Resultat (Mehrwert - Kapital) haben nun eine andere Beziehung zueinander. Riedel betont, dass Engels diese Entwicklung nicht mitvollzogen habe, wenn er (1859) – wie auch Marx noch in den „Grundrissen“ (1858; MEW 42/ 372f) – zur Entwicklung des Industriekapitals durch Marx in einer Rezension formuliere: „Die logische Behandlungsweise war also allein [!] am Platz. Diese aber ist in der Tat nichts anderes als die historische, nur entkleidet der historischen Form und der störenden Zufälligkeiten“ (in „Karl Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie“, MEW 13/ 475).
[Bearbeiten] Wissenschaft
Welche Bedeutung hat also die materialistische Dialektik von Marx und Engels? Was bei Marx eine (dialektische) Methode war, wurde in der Rezeption der Dialektik, nicht zuletzt dann ab 1968 in der westlichen (intellektuellen) Linken, quasi zu einem Wesenskern der Theorie. Marx hat sich nicht ausdrücklich zum Inhalt „seiner“ dialektischen Methode gegenüber der Hegels geäußert. Überhaupt sind „Dialektik“ oder „dialektische Methode“ äußerst selten gebrauchte Begriffe in den Werken von Marx und Engels. Marx begründet im Vorwort zur 2. Auflage des „Kapitals“ die Bedeutung der dialektischen Methode, „weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt“ (MEW 23/ 28).
Marx hat in den Vorarbeiten zum „Kapital“, den „Grundrissen zur politischen Ökonomie“ (MEW 42/ 35) seine „wissenschaftlich richtige Methode“ erläutert, diesen Abschnitt aber nicht in die Hauptarbeit übernommen. Richtig sei „die Methode, vom Abstrakten zum Konkreten aufzusteigen“ als Art des Denkens, aber nicht des historischen Werdens des Konkreten. Dies sei die Darstellungsform! Zuvor gelte es aber, mit der Analyse die reiche Totalität des zu untersuchenden Gegenstandes aufzuspüren. Er erläutert das am Beispiel „Bevölkerung“. Ohne nähere Bestimmung handele es sich dabei nur um eine chaotische Vorstellung. Aber durch nähere Bestimmung (Klassen, Teilung der Arbeit, Geld, Wert...) könne dann von diesen gewonnenen abstrakten Begriffen zum Konkreten, also die nun definierte „Bevölkerung“ aufgestiegen werden.
Es ist Engels, der 1886 erstmals einen längeren Hinweis auf die von Marx entwickelte „dialektische Methode“ gibt („Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie“, MEW 21/ 296). Er macht dort einen deutlichen Unterschied zwischen der Geschichte der Natur und der menschlichen Geschichte, bei der durch den Menschen bewusstes Handeln in die Prozesse eingeführt werde, das allerdings nicht zielgenau zweckrationales Handeln erlaube, sondern im Rahmen der gesetzmäßigen Bewegung der Ökonomie im Ergebnis stark durch Zufälle bestimmt werde. Die Marxsche Geschichts-Auffassung mache „aber der Philosophie auf dem Gebiet der Geschichte ebenso ein Ende, wie die dialektische Auffassung der Natur alle Naturphilosophie ebenso unnötig wie unmöglich macht. Es kommt überall nicht mehr darauf an, Zusammenhänge im Kopf auszudenken, sondern sie in den Tatsachen zu entdecken. Für die aus Natur und Geschichte vertriebne Philosophie bleibt dann nur noch das Reich des reinen Gedankens, soweit es noch übrig: die Lehre von den Gesetzen des Denkprozesses selbst, die Logik und Dialektik“ (MEW 21/ 306).
Angespornt durch einerseits die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft und primär des in unbeschreiblichem Elend entstehenden Proletariats, wie speziell von Engels in „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ (MEW 2) schon 1844 beschrieben, die sich wenige Jahre vor der bürgerlichen Revolutionen in Westeuropa gegen die Macht des Adels richten, und andererseits durch das fulminante Werk Hegels, der die Dynamik der modernen Welt, fußend auf der Selbsterzeugung des Menschen durch Arbeit, beschreibt, wurden Marx und Engels ja unabhängig voneinander „Jung-Hegelianer“ und entwickelten dann – Feuerbach einbeziehend – die gemeinsame Position, die realen Menschen machten selbst die Geschichte.
Ausgehend von Hegels Interpretation des modernen Staates und der Industrie mittels der Dialektik, was für Marx „das Große“ an Hegels „Phänomenologie“ war (MEW 40/ 574), fokussierte sich ihr Erkenntnisinteresse speziell auf diesen Prozess der Selbsterzeugung des Menschen und verallgemeinert auf den Prozess selbst. Zusammen entwickeln sie, beide erst Anfang 20, eine zur bisher geltenden Vorstellung über die Welt konträre Analyse, die – über die materialistische Dialektik – als Anleitung zur Revolution gegen die politische Herrschaft verstanden werden kann (und sollte). Immer bestand aber der Anspruch, diese Analyse der Welt streng zuerst als Wissenschaft zu entfalten und ggf. dann aus dieser Wissenschaft Politik zu entwickeln.
Dieser Anspruch entstand einmal gegenüber den frühen utopischen Sozialisten (Saint-Simon, Fourier, Owen), zum anderen gegenüber aller bisheriger Wissenschaft, die auf der Schöpfungsgeschichte aufbaute (selbst noch die vor Darwin entstandenen Ansätze zur Evolution der Welt). Während für Marx dieses Interesse, den Prozess des Menschseins zu erklären, bis zu seinem Tod 1883 im Vordergrund blieb, widmete sich Engels stärker auch den Naturwissenschaften und dem Versuch, Dialektik als systematische Methode des Denkens zu entwickeln. Gegenüber den verschiedenen Ansätzen von Sozialisten jener Zeit, für ihre Arbeit Wissenschaftlichkeit zu reklamieren, erhebt deshalb Engels später diesen Anspruch für Marx und sich selbst, den wissenschaftlichen Sozialismus entwickelt zu haben (in der Arbeit „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ (MEW 19), die einen Teil des „Anti-Dühring“ zusammenfasst; siehe: Wissenschaftlicher Sozialismus).
[Bearbeiten] Dialektik der Natur?
Schon 1858 schreibt Engels an Marx, „Die Zelle ist das Hegelsche Ansichsein und geht in ihrer Entwicklung genau den Hegelschen Prozeß durch, bis sich schließlich die ‚Idee‘, der jedesmalige vollendete Organismus daraus entwickelt“. Er erwähnt dann die Erkenntnisse Joules, dass nach ganz bestimmten quantitativen Verhältnissen mechanische Kraft in Wärme, diese in Licht, Licht in chemische Prozesse, Elektrizität, Magnetismus verwandelt würde, sowohl vorwärts als rückwärts (!), und schließt: „Die Hegelsche Geschichte vom qualitativen Sprung in der quantitativen Reihe ist auch hier sehr schön. Zuletzt bei den brutalsten Infusorien [Einzellern] kommt man bei der Urgestalt, der einfachen, selbstständig lebenden Zelle an“ und weiter zu deren Bestandteilen, Protoplasma und Eiweiße, die sich wiederum nicht von Zellen höherer Entwicklungsstufen unterscheiden würde (14. Juli). Den Hinweis auf Joule gibt Marx viel später – 17. Aug. 1864 – in einem privaten Brief weiter.
Und am 22. Juni 1867 schreibt er an Engels über die Schlussarbeiten der ersten Ausgabe des „Kapitals“, „daß ich dort im Text Hegels Entdeckung über das Gesetz des Umschlags der bloß quantitativen Änderung in qualitative zitiere als gleich bewährt in Geschichte und Naturwissenschaft“ (vgl. MEW 23/ 327). Diese Vorstellung wurde 1859 durch das Erscheinen der epochemachenden naturwissenschaftlichen Arbeit Darwins von der „Entstehung der Arten...“ verstärkt. Marx sagt in einem Brief an Engels (vom 19. Dez. 1860) dazu: dieses Buch über „Natural Selection“ enthält „die naturhistorische [!] Grundlage für unsere Ansicht“. Wenig später (16. Jan. 1861) schreibt er Ferdinand Lassalle: „Sehr bedeutend ist Darwins Schrift und paßt mir als naturwissenschaftliche [!] Unterlage des geschichtlichen Klassenkampfes [!]... Trotz allem Mangelhaften ist hier zuerst der ‚Teleologie‘ in der Naturwissenschaft nicht nur der Todesstoß gegeben, sondern der rationelle Sinn derselben empirisch auseinandergelegt“ (diese sprachliche Verbindung von Darwins „struggle for existence“ mit dem doch bewussten (!) Klassenkampf negiert sprachlich genaugenommen Darwins inhaltlichen Ansatz einer bewusstlosen Anpassung (!) von Populationen (!) über Generationen; ähnlich auch Engels, MEW 19/ 216 und MEW 20/ 255; auch Darwin selbst formulierte oft so nachlässig).
Schon 1844 – vor der Zusammenarbeit mit Engels – hatte Marx in den „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten“ die Selbsterzeugung des Menschen durch Arbeit im Ansatz Hegels herausgestellt und dabei Naturwissenschaft und (menschliche) Geschichte verknüpft; die Naturwissenschaft werde – angesichts der Industrie als das wirkliche geschichtliche Verhältnis der Natur und daher der Naturwissenschaft zum Menschen – „ihre abstrakt materielle oder vielmehr idealistische Richtung verlieren und die Basis der menschlichen Wissenschaft werden“ (MEW 40/ 543). Er hat ja – mit anderen Worten – ebenfalls schon früh über die Geschichte der Natur nachgedacht. Das ist nicht überraschend. Wer im dialektischen Prozess den Menschen entstanden sieht, hat, auch wenn diese Phase später nicht weiter thematisiert wird, von diesem Resultat (toolmaking animal) her betrachtet dessen Anfang im Blick, der im vormenschlichen, in der Naturgeschichte liegt – und dafür gab Darwin die Antwort.
Ab 1876 schrieb Engels auf Bitten sozialdemokratischer Freunde den „Anti-Dühring“ („Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft“, MEW 20) für das Parteiorgan „Vorwärts“, nachdem Dühring mit einer Theorie über „Wirtschaftskommunen“ in der SPD eine gewisse Bedeutung erlangt hatte. Engels schreibt im Vorwort, er habe Marx „das ganze Manuskript vor dem Druck vorgelesen“ und dieser habe ein Kapitel (X) zum Text selbst geschrieben (S. 9). In diesem Text erklärt Engels nicht nur beiläufig Darwin ohne Passagen wie oben zum Klassenkampf (63), bespricht den Beginn des Lebens als Eiweiß und die biologische Zelle (Stoffwechsel; 77), sondern erklärt auch Dialektik mit einem Beispiel für den Umschlag von Quantität in Qualität, nämlich die quantitative Ergänzung von Molekülen der Kohlenstoffreihe durch weitere Atome zu qualitativ neuen Stoffen (119), und – als Negation der Negation – die Entwicklung der Ähre aus dem Gerstenkorn (127); jene Stelle, die oft als die entscheidende Verflachung der Engelschen Dialektik gilt.
Unabhängig davon, ob Engels mit seiner „Naturdialektik“ zu weit gegangen sein mag, ist aus ihr nichts herauszulesen, was später, unter Berufung besonders auf ihn, als eine mechanistische Herrschaftsideologie entstand. Manches der Kritik an Dühring liest sich geradezu als Kritik dessen, was später als „Realer Sozialismus“ unter der Sowjetideologie entstand. „Wenn wir schon mit Wahrheit und Irrtum nicht weit vom Fleck kommen, so noch viel weniger mit Gut und Böse“, hält er dem vor (86). Und im „Reich der Freiheit“, das dem der „Notwendigkeit“ folge, trete „an die Stelle der gesellschaftlichen Produktionsanarchie eine gesellschaftlich-planmäßige Regelung der Produktion nach den Bedürfnissen der Gesamtheit wie jedes einzelnen“ sowie die „Aneignung von Lebens- und Genußmitteln“ (herv. h.; 261).
Engels Anliegen bei der Formulierung der „Dialektik der Natur“ war – anders als bei Marx Werk, der eine Wissenschaft radikal erneuern wollte – die, den durch die neuen Erkenntnisse sprunghaft angewachsenen und ausdifferenzierten Naturwissenschaften mit der Denkform der Dialektik „theoretisch über den Berg“ zu helfen (MEW 20/ 330, 332). Anders als bei der Philosophie, mit dem Geist als Ausgangspunkt, gingen ja die Naturwissenschaften von den Tatsachen aus, verlören aber das verbindende Band untereinander und fielen zurück in Metaphysik. Mit den drei „allgemeinsten Gesetzen“ 1. des Umschlagens von Quantität in Qualität und umgekehrt, 2. der Durchdringung der Gegensätze und 3. der Negation der Negation (348) versuchte Engels, den Naturwissenschaften mit der Dialektik eine gemeinsame theoretische Basis zu geben bzw. zuzuordnen.
Dabei unterschied er die „sog. objektive“ und die „sog. subjektive“ Dialektik, wobei die erste die ganze Natur, die zweite das Denken betrifft (481). Dabei betont Engels, dass Dialektik „kein unbedingtes allgültiges Entweder – Oder! kennt“ (482). Einerseits sagt er: „In der Biologie wie in der Geschichte der menschlichen Gesellschaft bewährt sich dasselbe Gesetz auf jeden Schritt“ (353), andererseits betont er aber auch die geringe Planbarkeit und Wirksamkeit in der Gesellschaft, „das kolossale Mißverhältnis“ zwischen „den vorgesteckten Zielen und den erreichten Resultaten“ (323). Und ähnlich skeptisch äußert er sich zur Manipulierbarkeit der Natur: „Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andere, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben“ (452).
[Bearbeiten] Literatur
- Adam Schaff, Marxismus und das menschliche Individuum, Reinbek 1969
- Gert Schäfer, Zum Problem der Dialektik bei Karl Marx und W. I. Lenin, 21, Studium Generale, 1968, S. 934ff